Helena Norberg-Hodge
Entwicklung wohin?
Lernen von Ladakh


Helena Norberg-Hodge, Sprachforscherin, geboren in Schweden, in England lebend, kam vor ca. 20 Jahren in das bis dahin von der modernen Welt noch unberührte Ladakh. Fasziniert von der Realität einer seit Jahrhunderten friedlichen, harmonischen und ökologischen Kultur lebte sie dort einige Jahre. Dabei wurde sie Zeugin des plötzlichen und verheerenden Einbruchs der westlichen Zivilisation. Modellhaft konnte sie die Folgen des industriellen 'Fortschritts' beobachten. Um den tragischen Zerstörungsprozess aufzuhalten, gründete sie zusammen mit Einheimischen 1978 das Ladakh-Projekt, eine Selbsthilfe-Initiative mit dem Ziel, die Werte der alten ladakhischen Kultur mit den positiven Möglichkeiten westlicher Technik und Wissenschaft zu verknüpfen.

Für die seither geleistete Arbeit und deren Vorbildcharakter für sinnvolle Entwicklung in der sog. 3. Welt erhielt Frau Helena Norberg-Hodge und die 'ökologische Entwicklungsgruppe Ladakh' 1986 den Alternativen Nobelpreis. Der nachfolgende Aufsatz ist der Beitrag, den Frau Norberg-Hodge zur Preisverleihung erstellt hat. Er wurde veröffentlicht in: Jakob v. Uexkuell, Projekte der Hoffnung, Der alternative Nobelpreis, Raben-Verlag München, 1990.



Ladakh ist ein Gebiet im nordwestlichen Teil Indiens, nördlich des Hi-malaya, in den Bergketten, die das tibetische Hochplateau begrenzen. Noch bis vor wenigen Jahren war Ladakh einer der wenigen Orte der Welt, der noch nicht von der allgegenwärtigen westlichen Monokultur überrollt worden war; im Gegenteil, als ich 1975 dort ankam, ging das Leben in den Dörfern seinen Gang wie vor 800 Jahren.

Obwohl 40.000 Quadratmeilen groß, wohnen in Ladakh nur ca. 120.000 Menschen. Hochgelegen im Regenschatten des Großen Himalaya ist es eine Wüste von außerordentlich rauher Natur. Von Beginn an hatten die Ladakhis einzusehen, daß die Natur ihrem Leben Grenzen setzt. Um zu überleben, entwickelten sie deswegen Traditionen, die die Bevölkerung stabil hielten und eine Aufsplitterung des Landes verhinderten. Die Dörfer versorgen sich selbst und sind in vielfacher Weise Modelle einer Dorfdemokratie, wie sie Gandhi lehrte. In den fächerförmigen Schwemmböden der Schmelzwasserströme der Gletscher werden der Wüste Felder abgerungen und bewässert. Angebaut wird hauptsächlich Gerste und Weizen, außerdem gibt es im Hochsommer Weiden für Schafe, Kühe, Yaks und 'dzo', eine Züchtung aus Yak und Kuh. Ladakh hat nur überlebt, weil es seine Ressourcen sorgfältig nutzte und nicht mißbrauchte. Es gibt absolut keinen Abfall. Die spärlichen Bäume - Aprikosen, Weiden und Pappeln - werden nicht als Feuerholz verbraucht, trotz bis zu 40 Grad Kälte im Winter. Vielmehr werden sie sorgfältig gepflegt, und ihr Holz wird ausschließlich für den Bau von Musikinstrumenten oder Werkzeug verwendet. Geheizt wird mit getrocknetem Tierdung, und die menschlichen Ausscheidungen dienen als Dünger. Jedes Haus hat ein Kompost-WC, und jeder "Abfall" wird wiederverwertet.

Lebensqualität und Lebensstandard

Wegen dieser sorgsamen Nutzung ihrer Ressourcen und ihres Lebens in Übereinstimmung mit der Umwelt haben die Ladakhis es geschafft, eine Gesellschaft mit einem relativ hohen Lebensstandard zu entwickeln. Wenn man die Einschränkungen bedenkt, mit denen sie fertig werden müssen - extremer Mangel an Hilfsmitteln, unwirtliche Umwelt, Steinzeit-Technologie - dann ist ihr Erfolg höchst bemerkenswert. Viele Leute im Westen würden annehmen, es sei überhaupt unmöglich, unter solchen Bedingungen zu existieren. Doch die Ladakhis haben sogar eine blühende Gesellschaft geschaffen! Praktisch jeder ist gut ernährt und gesund, und die Menschen haben sogar genügend Überschuß produziert, um sich luxuriöse Güter zu kaufen:
feinsten Brokat, Schmuck und kostbare Metalle. Erstaunlich ist auch, daß dies alles in einer relativ kurzen Arbeitssaison bewerkstelligt wird.

Während der vier Sommermonate erledigen die Ladakhis alles Notwendige für ihre Nahrung, Kleidung und Behausung - ebenso die meisten Spinn- und Webearbeiten. Acht Monate dann herrscht Muße mit Hochzeiten, die zwei Wochen dauern, Klosterfesten, Geschichtenerzählen und Musikmachen. Es muß zwar Wasser gesammelt werden, und die Tiere sind zu futtern, doch das ist eigentlich schon alles. Auch auf dem Höhepunkt der Arbeitssaison im Sommer, wenn die Menschen 18 Stunden am Tag arbeiten müssen, bleibt noch Zeit für Spiel: Die gesamte Familie und ihre Freunde sind auf den Feldern und alle - vom Urgroßvater bis zum Urenkel - arbeiten und singen miteinander. Und immer ist Zeit, einen kleinen Schwatz zu halten und einen Schluck Gerstenbier zu nehmen.

Unter dem Gesichtspunkt der Lebensqualität geht es den Ladakhis also weit besser, als man es in einer vorindustriellen Gesellschaft vermuten würde. Da ist eine hochausgebildete Zusammenarbeit zwischen allen und wenig Unterschied zwischen arm und reich, Frau und Mann, alt und jung. Die Rollen sind sehr wandlungsfähig. Die Frauen tun zwar einige Arbeiten häufiger als die Männer und umgekehrt, aber strenge Festlegungen gibt es nicht. Es gibt wenig Spezialisierung, mit dem Erfolg, daß die Arbeiten selten monoton und langweilig sind. Jeder weiß, wie man pflanzt, ein Haus baut, Musik macht, spinnt. Verbrechen sind so ungewöhnlich, daß man fast sagen könnte, es gibt keine. Man kann nachts alleine herumlaufen, ohne die geringste Angst zu haben. Sogar betrunken bleiben die Leute friedlich.

Zusammenarbeit, nicht Wettstreit, ist die Basis der Ladakhi-Ge-sellschaft. Das kann man in allen Sphären des Lebens sehen, von der Arbeitsteilung im Haushalt über das abwechselnde Schafehüten bis hin zur Interaktion zwischen den Kindern. Kinder sind nie in Altersgruppen unterteilt. Alle Kinder, welchen Alters auch immer, spielen und arbeiten zusammen. Das hat weitreichende Folgen: Die Ladakhi-Kinder lernen durch die Hilfe der Älteren. Man stelle sich einen Raum vor, mit 30 Kindern, alle im Alter von einem Jahr. Keines kann dem anderen helfen. Keines kann richtig laufen, alle kämpfen darum, ihre eigene Balance zu halten. Nun stelle man sich einen zweiten Raum vor, in dem 30 Kinder aller Altersgruppen zusammenleben... Wie anders wird später das Leben der Kinder aus dem zweiten Raum aussehen! Diese Beobachtung hat meine Einschätzung der menschlichen Natur völlig verändert. Die soziale Umwelt formt jeden Menschen in ungeheurem Ausmaß, besonders was die Kooperation oder die Aggression angeht.

Was mich außerdem zum Umdenken brachte, war die Freude am Leben, die ich überall in Ladakh fand. Zuerst dachte ich, die Ladakhis lächeln zwar häufig, aber unter ihrem Lächeln verbergen sich wie bei allen Menschen Eifersucht, Ärger und Niedergeschlagenheit. Aber nach einigen Jahren Zusammenleben mit ihnen erkannte ich, daß sie ihr Lachen tief aus Frieden und Zufriedenheit schöpfen. Dramatisch dann die Veränderung: Als die Ladakhis unter den Einfluß der Außenströmungen und Modernisierungen gerieten, entwickelten sie dieselben Zeichen von Depression, Unruhe, Ärger und Aggression, wie wir sie im Westen erleben. Die Tatsache, daß sich das Individuum unter dem Druck der neuen Technologie, Ökonomie, Erziehung änderte und mit ihm die gesamte Gesellschaft, war für mich der Beweis, daß Menschen durch sozialen Druck dramatisch beeinflußbar sind.

Ladakh ist vornehmlich buddhistisch, lebt also nach einer Religion, die 2000 Jahre zurückreicht. Die Zeichen des Buddhismus sind überall. Jedes Dorf hat sein Kloster, jeder Pfad seine Gebetssteine. Aber es gibt auch eine ziemliche Anzahl von Moslems und in der Hauptstadt Leh kleine Gruppen von Hindus, Sikhs und Christen. Alle diese religiösen Gruppen leben friedlich miteinander.

Ich glaube, daß das Herzstück aller großen Religionen die Einheit und die wechselseitige Abhängigkeit des Lebens ist. Der Buddhismus in seiner philosophischen Ausprägung legt besonderen Nachdruck auf die
Begrenzheit der Welt der Vernunft. (Das steht in direktem Gegensatz zur Wissenschaft, die nur dem Wert beimißt, was objektiv wahrgenommen, isoliert und gemessen werden kann). Doch mir scheint, die wichtigste, sich hinter allem verbergende, transzendentale Wahrheit ist die Wechselwirkung aller Dinge und die Einheit des Individuums mit dem Universum. Wenn man meditiert, reflektiert, dann wird diese Einheit sichtbar, und die Illusion der Trennung verschwindet.

Diese Weltsicht, die auf Wechselwirkung gründet, geht Hand in Hand mit einer Lebenshaltung, in der alles miteinander verknüpft ist, bei der Menschen von anderen Menschen und von der Erde abhängig und wo diese Beziehungen klar erkenntlich sind und Harmonie ausstrahlen.

Der Kontrast einer solchen Weltsicht zu unserer westlichen Gesellschaft ist frappierend. Im Westen ging der Aufstieg der Wissenschaft parallel mit dem Niedergang des Glaubens: Es wurde eine Welt geschaffen, in der die Menschen voneinander und von der Erde getrennt sind.

Es mag sein, daß ich den Eindruck vermittelt habe, Ladakh sei der Himmel auf Erden, und daß dort alles perfekt sei. Das ist weit weg von der Wahrheit, in Wahrheit ist nichts perfekt. Es gibt immer Wege, Dinge und Zustände zu verbessern, ob in der Medizin, im Ackerbau oder in der Architektur. Besonders die körperlichen Belastungen in der extremen Kälte sind für die Ladakhi ein Problem. Aber es ist wichtig, das Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Es gibt vielleicht keinen einzigen Platz in der Welt, der mit Ladakh vergleichbar ist. Es ist eine friedliche, gefestigte und sich selbst unterhaltende Gesellschaft.

Tragischer Wandel

Weil Ladkhis in vielfacher Weise eine Modellgesellschaft bilden, ist es traurig zu beobachten, wie junge Leute anfangen, ihre Kultur als primitiv und schmutzig abzulehnen. Wie ich eingangs sagte, war Ladakh bis 1975 völlig unberührt. 1960 war eine Straße zwischen Kaschmir und Ladakh gebaut worden, trotzdem gab es im Land keine Veränderungen, denn Fremde blieben - aus militärischen Gründen - ausgeschlossen. Dann - 1974 - wurde Ladakh dem Tourismus geöffnet.

Als ich ankam, waren jung und alt stolz auf ihre Gesellschaft und fühlten sich reich. Ich erinnere mich, wie mich in dem Dorf Hemis Shukpachan ein Freund namens Norbu herumführte und ich den Ort so schön fand, daß ich nach dem ärmsten Haus fragte. Norbu antwortete: "Wir haben keine armen Häuser!" Derselbe Norbu aber äußerte neun Jahre später einem Touristen gegenüber: "Wenn ihr uns doch helfen könntet! Wir Ladakhis sind so arm."

Dies ist ein zu Herzen gehender Wandel: Die Wahrnehmung der Menschen von sich selbst ändert sich dramatisch. Das verzerrte Bild der Außenwelt, das ihnen die Touristen bieten, veranlaßt die Ladakhis, sich für arm und ausgeschlossen zu halten. Seit Öffnung des Landes kommt jährlich eine Invasion von rund 15.000 Fremden - wohlhabende Westler in den Augen der Ladakhis. Sie sind so reich, daß sie Tausende Meilen nur aus Spaß reisen können. Sie bleiben nur für ein paar Tage, aber können 100 Dollar am Tag ausgeben. Für eine Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung), wo man die Grundbedürfrusse ohne Geld deckt, ist das genauso, als würden in Europa Marsmenschen landen "und 50.000 Dollar am Tag ausgeben. 100 Dollar, das ist mehr als eine Ladakhi-Familie im Jahr verbraucht - und dann auch nur für Luxusgüter.

Der Eindruck auf die Jugend ist verheerend. Sie glauben plötzlich, daß ihre Eltern und Großeltem grenzenlos dumm waren, zu arbeiten und sich schmutzig zu machen, wenn jedermann sich ein so schönes Leben leisten und eine solche Menge Geld hinauswerfen kann - ohne zu arbeiten. Für Ladakhis bedeutet Arbeit körperliche Arbeit, geistige Arbeit ist unbekannt. Deswegen meinen sie, modern sein bedeute, nicht zu arbeiten, die Maschinen machen das. Verständlich, daß sie beweisen wollen, nicht zu diesem primitiven Haufen von Bauern zu gehören, sondern zur eleganten, modernen Welt, mit Jeans, Sonnenbrille, Radio, Motorrad... Außerdem erleben sie es ja in den Kinofilmen, daß herumrasen in Sportwagen und Leute abknallen, daß Gewalt modern und bewundernswert ist.

Plötzlich ist es nicht genug, nur ein Ladakhi zu sein, alles wird getan, um als modern zu gelten. Das bedeutet tragischerweise auch, das eigene Dorf zu verlassen und in die Stadt zu ziehen, um Geld zu verdienen, um all die modernen Verführungen zu kaufen. Daraus folgt: Die Bedürfnisse können nicht mehr vor Ort befriedigt werden. 'Moderne' Kleidung wird importiert, in den modernen Betonhäusern wird moderne Nahrung gegessen, feines weißes Mehl und feiner weißer Reis müssen importiert werden.

Diese  modernen  Betonhäuser sind Produkte einer tiefgreifenden Verhaltensänderung, gefordert von einer überholten Entwicklungspolitik. Die traditionelle Architektur erfreut das Auge, sie spiegelt die Umgebung wider und verwendet lokale Materialien: Ziegel, Stein und Holz. Die flachen Dächer reflektieren die Sonne in einem regenlosen Land. Die neuen Gebäude in Leh sind das komplette Gegenteil: genormte Betonkästen, Symbole einer globalen Monokultur, wie man sie genauso in Florenz, Peking oder Los Angeles findet. Sie ist häßlich und fremd und nicht der Umgebung angepaßt. Man sagt zwar, sie sei ökonomisch, doch das Baumaterial muß man importieren - im Falle von Ladakh über drei hohe Himalaya-Pässe zwei Tage lang mit dem Lastwagen. Mehr noch: Dieser Import westlicher Materialien und Methoden fuhrt zur Zentralisierung und Verstädterung. Die Menschen werden in Wohnsilos gepfercht, sie sind abgeschnitten von der Natur, und das Land, das ihnen umsonst Lehmziegel gab, ist weit weg. Wollen sie etwas von dem haben, was sie verloren, müssen sie nun dafür bezahlen.

Sogar nach westlichen volkswirtschaftlichen Begriffen sind die neuen Wege weniger ökonomisch als die alten. Von einer höheren Warte aus gesehen sind sie sogar extrem teuer. Ansteigende Zahl der Krankheiten, wie die vorher unbekannte Hepatitis und Magen-Darm-Infektionen, Alkoholsucht und Gewalttätigkeiten sind die negativen Posten auf dieser Rechnung. Frauen, früher gleichberechtigte Partner, finden in der neuen industriellen Welt keinen Platz mehr. Die Alten werden von den Familien isoliert und fristen ein funktionsloses Dasein. Und die Männer verrichten nur noch monotone Arbeit, zu festgelegten Zeiten, elf Monate im Jahr.
Mit der Industrialisierung kommt auch das westliche Erziehungssystem, integraler Bestandteil der Monokultur mit undefinierbarem Ursprung und eng gekoppelt an das neue technologische und ökonomische System. Kinder kämpfen sich durch den 'Kampf um Troja" und wissen nicht mehr, wie man Schuhe aus Yak-Haaren macht oder wie man ein Haus aus Ziegelsteinen baut. Wenn sie es doch lernen, dann als Ingenieur in einer Zement- und Stahlwelt. Wenn sie lernen, Schuhe zu fertigen, dann nur als Zuschneider von Plastik in einer Fabrik. Wenn sie lernen, wie man Gerste anpflanzt, dann studieren sie die Bücher des monokulturellen Systems, vergessen die lokale Verschiedenartigkeit und Vielfältigkeit von Gerste, die in 3000 Meter Höhe wächst. Das Endresultat ist, daß ein monokulturell erzogenes Kind in seinem eigenen Dorf nicht mehr überleben kann. Der einzige Ort, wo es überleben kann, ist in der Stadt als verstädterter Konsument. Oder bei noch mehr monokultureller Erziehung in Delhi, Amerika oder England.

In der westlichen Terminologie ist dies freilich alles 'Fortschritt'. Alle diese ökonomischen Aktivitäten steigern das Bruttosozialprodukt, das in der traditionellen Subsistenzwirtschaft ja Null war. Das westliche System ist völlig unfähig, traditionelle Subsistenzwirtschaft (wie sie noch überall in der 3. Welt verbreitet ist) zu würdigen - und so bezeichnet man diese als wertlos. Es unterschlägt die wichtigen Negativpunkte der Monokultur: Entwurzelung des Menschen, Zerstörung der Umwelt, Arbeitslosigkeit mit all ihren Folgen, Verseuchung des Landes, der Luft und des Wassers.

Die herkömmliche Entwicklungshilfe ist eine Dampfwalze, die alles niedermacht und auf die Oberfläche der Erde ein künstliches System, eine Lebensart einpreßt, die nichts mit der Erde und ihrer unendlichen Vielfalt menschlicher Kulturen zu tun hat. Dieser 'Fortschritt' ist völlig außerhalb des heiligen Prinzips, des Austausches und Einsseins allen Lebens auf diesem Planeten.

Es muß andere Entwicklungswege geben - dort, wo es unbedingt notwendig ist. Ich habe in Ladakh versucht. Alternativen aufzuzeigen. Es gibt einen Weg, den vorindustriellen Lebensstandard so zu verbessern, daß dies für die Dritte Welt, aber auch für die westliche Welt Modellcharakter hat.

Eines der wirklich großen Probleme in Ladakh ist der kalte Winter. Herkömmlicherweise verbringt man den Winter an einem rauchenden Dungfeuer-Ofen. In der Hauptstadt haben nun diejenigen, die es sich leisten können, damit begonnen, Koks zu importieren. Um den Koks zu bezahlen, mußten sie einen Job in der modernen Geldwirtschaft annehmen und ihre Arbeit auf dem Land aufgeben - eine schlimme Spirale.

Die ökologische Entwicklungsgruppe

Die erste angemessene Technologie, die ich einführen half, war ein System unter dem Namen Trombe-Wand-Solarheizsystem, und es war sehr erfolgreich. Selbst wenn die Außentemperatur auf 15 Grad unter Null absank, blieb das Innere eines Trombe-Raumes 20 Grad warm, Tag wie Nacht, mit leichten Schwankungen. Im Augenblick gibt es 60 Trombe-Wände in Ladakh; außerhalb von Leh stehen im tibetischen Kinderdorf 20 Häuser sowie ein Hospital, die solar beheizt werden; die anderen sind über das Land verteilt. Sie sind preisgünstig - nur das Glas muß gekauft werden - der Rest der Materialien ist aus Lehmziegeln und Holz. Die Wände passen deswegen sehr gut in die traditionelle Kultur, und wichtiger noch, der Bauer kann seinen Lebensstandard heben, ohne seine Unabhängigkeit zu verlieren oder die Umwelt zu zerstören.
Erfreulicherweise sind diese Anfangsunternehmungen in Ladakh sehr begrüßt worden, und es hat sich eine lokale Gruppe um dieses Projekt gebildet. Dieser Gruppe -der 'Ladakh Ecological Develop-ment Group' (ökologische Entwicklungsgruppe Ladakh) - gehören nun rund 100 Mitglieder an. Die Gruppe hat ihr Zentrum in einem Haus im Herzen von Leh. Ziel ist es, unser Denken den entscheidenden Persönlichkeiten nahe zu bringen und so unseren Typ von Entwicklung voranzutreiben. Wir erreichen mittlerweile eine große Zahl von Menschen in Ladakh, aber auch Nicht-Ladakhis in höheren Verwaltungspositionen.

Das Zentrum für ökologische Entwicklung wurde 1984 noch von Indira Gandhi eingeweiht, kurz bevor sie starb. Auch der Dalai Lama besuchte und weihte das Gebäude. Der größte Teil der Arbeit ist der ökologischen Entwicklung gewidmet, doch wir fördern auch ein kulturelles Forum mit einheimischen Dichtern, Schriftstellern und Musikern. Im Winter ist die sonnengeheizte Bibliothek ein beliebter Treffpunkt für kulturelle und soziale Aktivitäten - und so verbreiten wir das Konzept angepaßter Technik und kooperativer Kultur in Ladakh.
Das hier beschriebene 'Ladakh-Projekt' hat sich seither beachtlich erweitert und trägt seit 1991 den Namen 'Internationale Gesellschaft für Ökologie und Kultur'. Diese unterhält ein vielbesuchtes Zentrum in Leh, Ladakh sowie Arbeitsgruppen und Büros in mehreren Ländern. Sie ist auch beteiligt am International Network of Engaged Buddhists. 



Über Norberg-Hodge´s Arbeit in Ladakh finden sich mehr in dem Taschenbuch: Helena Norberg-Hodge, Leben in Ladakh, Herder-Verlag, Freiburg 1993.


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