In Bosnien
von Claude Thomas


Claude Thomas war ehemals Elitesoldat der USA im Vietnam-Krieg und in jungen Jahren bereits für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich. Nach eigener Verwundung geriet er in eine schwere persönliche Krise, aus der er erst herausfand, als er den vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh und seine Gemeinschaft Plum Village in Südfrankreich kennen lernte, die ihm Versöhnung und tiefes Verstehen seiner selbst boten. Claude lebte drei Jahre unter seinen ehemaligen 'Feinden'. Seither arbeitet er weltweit unermüdlich für Frieden und Gewaltfreiheit.

Gemeinsam mit Sjeme Mira hielt Claude sich in der belagerten und schwer zerstörten Stadt Mostar auf und besuchte ein im kroatischen Westteil gelegenes Krankenhaus. Er sprach mit einem verwundeten Soldaten und fragte ihn nach seinem Glauben an die Möglichkeit von Frieden und Wiederversöhnung mit seinen Feinden. Claude erzahlte dem kroatischen Soldaten von seiner Einladung durch Thich Nhat Hanh nach Plum Village zu kommen.

Claude sagte, daß er es sich bis dahin nicht vorstellen konnte, mit seinen ehemaligen Feinden zusammenzuleben: "Ich hatte Angst, sie würden mir den Prozeß machen und mich für meine Kriegsverbrechen töten. Ich glaubte das, aber ich ging trotzdem hin, weil ich irgendwie verstand, daß es wichtig war, etwas zu heilen und nicht zu hassen."

Der kroatische Soldat erzahlte ihm, wie dankbar er sei, daß ihm ein moslemischer Arzt, ein Feind, seinen Arm gerettet habe, und daß Claude dies den Ärzten sagen solle. Zu einem späteren Zeitpunkt besuchten die Beteiligten von Sjeme Mira ein Krankenhaus im bosnischen Ostteil von Mostar. Claude schreibt:
Wir gingen eine sehr gefährliche Straße, die verschiedene Straßenkreuzte, wo Heckenschützen hätten lauern können. Wir wurden an jedem Kreuzungspunkt beschossen. Die Krankenhaus-Mauern waren mit Säcken geschützt, alle Fenster waren verrammelt und bestens gegen mögliche Granat- und Heckenschützen-Attacken geschützt. Als wir das Krankenbaus erreichten, war das Licht ausgegangen. Ich sprach mit dem zuständigen Doktor in einem von einer Kerosinlampe erleuchteten Raum.

Dabei überbrachte ich ihm die Nachricht von dem kroatischen Soldaten, mit dem ich im Krankenhaus auf der Westseite gesprochen hatte. Es war eine Nachricht der Dankbarkeit an die moslemischen Ärzte, seine Feinde, die seinen Arm gerettet hatten - eine Nachricht dankbar angenommen von diesem Doktor. Es war wichtig ein "Danke schön" zu hören, besonders von einem Feind. Dieses berührte die Menschlichkeit in einer sonst unmenschlichen Umgebung. Im Dunkeln liefen wir durch die Intensivstation. Unser Übersetzer erzählte uns, daß die meisten Männer Soldaten waren. Ich stand am Bett eines Soldaten, der von einer Splitter-Granate schwer verwundet worden war. Er war im Magen getroffen worden und auch die Arme waren schwer verletzt. Bei ihm stehend, konzentrierte ich mich auf seinen angestrengten Atem, nicht gewahr, was sonst noch im Raum geschah.

Als die Lichter wieder angingen, sah ich den Soldaten vor mir im Bett liegen. Ich erinnerte mich an meine eigenen Erfahrungen verletzt zu sein, und wie schwer und allein ich war während der Gesundung. Ich versetzte mich in die Situation und die Bedingungen des Soldaten vor mir. Stehend in einer Intensivstation, einer ehemaligen Bücherei, von Betten eingeklemmt in einem Raum, wo kaum genug Platz war, sich zu bewegen. Ich litt mit diesem jungen Mann, der in seiner vollständigen Dunkelheit und Isolation lag. Tränen stiegen in mir auf. Er konnte ein wenig englisch und so sprachen wir miteinander. Nachdem wir uns unsere Geschichten mitgeteilt hatten, betrachteten wir uns mit einem Verständnis, das über Worte hinausgeht.

Was wir gemeinsam spürten, - dieser kroatische Soldat und ich - war, daß wir nicht verstanden, worum es in unseren Kriegen ging. Wir begriffen nur, daß die Umstände uns zwangen zu kämpfen, und daß wir nicht sehen konnten, wie der Krieg zu stoppen wäre.

Wir verabschiedeten und trennten uns. Im Flur begegnete mir ein anderer Soldat auf Krücken, der seinen Fuß und die Hälfte des Schienbeins verloren hatte. Ich fragte ihn, wie es dazu gekommen war und er sagte, er sei auf eine Mine getreten. Während ich mit ihm sprach, erinnerte ich mich an Jeff, einen Freund und Vietnamkriegs-Veteran aus den USA, der ein Bein während des Krieges verloren hatte. Ich erzählte ihm von Jeff.

Wir sprachen vom Frieden, vom Nicht-Kämpfen. Er tolerierte meine Meinung über Gewaltfreiheit. Er selbst wünschte sich sogar, daß sie wahr werden würde, verwarf dies aber als unwahrscheinlich. Das Konzept des Nicht-Kämpfens - es schien ihm zu einfach. Darüberhinaus, hier Soldat zu sein, heißt Geld, Essen und einen Platz zum Leben zu haben und etwas darzustellen. "Wenn du kein Soldat bist, hast du wenig oder gamichts."
Das Ausmaß des Leidens im Krankenbaus machte mich tief bedrückt. Ich fühlte mich kurzatmig und begann schwerer und schwerer zu werden. Mir war zumute, nach draußen zu gehen und etwas Luft zu schnappen. Wir verließen das Krankenhaus und gingen die 30-40m feuerfreie Zone zurück. Beim sicheren Passieren fragte ich unseren Übersetzer Draqi, ob er einen ruhigen Platz in dieser Stadt wüßte. Er grinste und sagte: "Schau Dich um, da ist nichts, solch ein Ort existiert nicht." Ich akzeptierte, aber war mir sicher, hätte ich mehr Zeit, ich würde den Ort finden.

Hier zu sein erinnert mich so sehr an meine eigenen kämpfenden und militärischen Erfahrungen. Die Grenzen werden für mich manchmal recht verschwommen. Der wirkliche Unterschied ist, daß ich jetzt keine Waffe trage. Ich fühle, daß es eine Übereinstimmung zwischen heute und damals, zwischen Bosnien und Vietnam gibt. Die Realität ist, daß es der gleiche Krieg ist, nur die physische Umgebung, die Gesichter und das Klima sind anders. Manchmal wird mir auch das undeutlich.

Ich frage mich wieder und wieder, was kann ich tun? Und die Antwort kommt zu mir zurück - sei gegenwärtig, sei ein Zeuge, rede, höre intensiv zu, von diesem Ort in dir her, der tiefer ist als der Intellekt. Wage dazusein in der Welt in einer Weise, die den meisten zu extrem und anders zu sein scheint.

Rede mit den Soldaten an den Frontlinien und auch mit denjenigen, die schon ausgebildet wurden zu kämpfen, aber bis jetzt noch nicht den Abzug betätigt haben. Teile dein Essen, deine Zeit und dein ganzes Wesen mit den anderen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe eine immens große Hoffnung, daß dieser Konflikt auflösbar ist; daß das Kämpfen enden wird, und daß die Stadt wieder zu dem schönen Ort aufgebaut wird, welcher er einmal war. Doch dazu braucht es Menschen, die unabhängig kommen und helfen.



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