Buddhismus und Feminismus
sind häufig wie zwei Seiten ein und derselben Münze. Beide streben
Befreiung und Veränderung an. Beide betonen Selbstverantwortung und
Selbstbefreiung. Der Feminismus hat Frauen und Männern geholfen, die
falschen Mythen, die man uns über unsere wahre Natur und unsere Fähigkeiten
erzählt hat, zu überwinden; der Buddhismus vertieft diesen Lernprozeß,
indem er uns hilft, uns von den Illusionen und Verhaftungen zu lösen,
die uns daran hindern, wirklich in der Gegenwart zu leben. Feminismus wie
Buddhismus anerkennen die grundlegende Gleichheit aller Menschen. Beide
verlangen eine radikale Neubetrachtung der Individuen und der Gesellschaft
sowie den Respekt vor der wahren Natur der Dinge.
Für viele westliche
Praktizierende des Buddhismus sind die Zusammenhänge (zwischen Buddhismus
und Feminismus) sehr eng. Letzten Sommer lernte ich bei einem Meditations-Retreat
in Plum Village (der von Thich Nhat Hanh gerührten Gemeinschaft in
Südfrankreich) buddhistische Feministinnen kennen, die in Umweltprojekten,
mit indigenen (eingeborenen) Völkern und für gewaltbedrohte Frauen
arbeiten wie auch in Initiativen gegen den Transport von gefährlichem
radioaktivem Abfall. Andere buddhistische Feministinnen, die ich kenne,
unterrichten z. B. Aids-Kranke in Meditation, bemühen sich ihre Kinder
zu glücklichen, friedfertigen Menschen zu erziehen, oder engagieren
sich in Kampagnen für die Gleichbehandlung der Rassen. Bei uns allen
nährt die buddhistische Praxis den Feminismus, und unser Feminismus
nährt unsere buddhistische Praxis. Buddhismus und Feminismus sind
sich außerdem in ihrem erfahrungsbezogenen und undogmatischen Ansatz
einig. Buddha lehrt uns, unser eigenes Licht zu sein, d.h. nicht unhinterfragt
die Meinungen und Ansichten anderer zu übernehmen - gleichgültig
wie viel Autorität sie besitzen mögen - sondern nur das anzunehmen,
was wir aufgrund eigener Erfahrungen als wahr erkannt haben. Ebenso lehrt
der Feminismus, daß wir Frauen unsere eigenen Erfahrungen ernst
nehmen sollen. Jahrhunderte lang wurde von Frauen erwartet, daß sie
die männlichen Interpretationen ihrer eigenen Erfahrungen akzeptieren
und auf "Experten" hören, die in Wirklichkeit sehr wenig Einblick
in das Leben von Frauen hatten.
Dieser Sinn für Gleichheit fuhrt sowohl im Buddhismus wie auch im Feminismus zu einer Ablehnung von Hierarchie, besonders wenn diese Hierarchie nicht auf persönlichem Verdienst, sondern auf gesellschaftlichem Brauch oder Status beruht. Dies bedeutet nicht, daß man Lehrer nicht achten soll. Es bedeutet, daß diese Achtung auf Fähigkeiten und Können, nicht auf leere Konventionen gegründet sein muß. Die japanischen Geschichten von einfachen Bauersfrauen, die wenig Ehrerbietung gegenüber wandernden Zen-Mönchen zeigten aber ihnen damit auf dem Pfad der Erleuchtung weiterhalfen, veranschaulichen die Notwendigkeit, Autoritäten zu hinterfragen und offen zu sein, von jedem Menschen zu lernen.
Alle Buddhistinnen und Buddhisten brauchen diese Skepsis gegenüber Autoritäten. Weil der Feminismus die Erfahrungen der Frauen selbst ernst genommen hat, hat er dazu beigetragen, das Schweigen über vieles Leid aufzubrechen. Über das Leiden aufgrund von Vergewaltigung, Kindesmißbrauch oder Mißhandlung durch Ehemänner zu sprechen, war in vielen Gesellschaften tabu (selbst heute riskiert eine Frau in vielen Kulturen noch, den Rückhalt ihrer Familie oder Gemeinschaft zu verlieren, wenn sie es wagt, die Wahrheit über solche Vorkommnisse aufzudecken).
So wie die "Erste Edle Wahrheit' (des Buddha) uns lehrt, das Leiden in der Welt zu sehen, ermutigt uns der Feminismus, einer vergewaltigten Frau zuzuhören und eine, die in die Prostitution verkauft wurde oder eine lesbische Frau, der die Kinder weggenommen wurden, ernst zu nehmen. Sowohl der Buddhismus wie auch der Feminismus lehren uns, den beunruhigenden Fragen nicht den Rücken zu kehren und uns dem Leiden in unserem eigenen Leben und in unserer Umgebung zu stellen.
Ich glaube, daß Buddhismus und Feminismus viel voneinander lernen können. Ein solcher Austausch wäre bereichernd für beide Seiten. Der Buddhismus weist einen Weg, das Leiden zu betrachten in der Absicht, es zu beenden. Die meditative Praxis stärkt Konzentration und Achtsamkeit, beides wesentliche Fähigkeiten im Streben nach sozialer Veränderung. Thich Nhat Hanh empfiehlt den Praktizierenden die Betrachtung der Wunder des Alltäglichen, um nicht in Erschöpfung (bum out) und Mutlosigkeit zu verfallen. Dies kann jeder lernen, unabhängig von körperlichen Fähigkeiten, Alter oder Schulbildung.
Der Buddhismus kann dem Feminismus dabei helfen, Wut und Bitterkeit in heilsames Handeln zu transformieren. Wenn wir tiefe Einsicht praktizieren, erkennen wir, wo wir unsere eigene Opferhaltung herstellen und lernen, die Rollen von Opfer und Täter loszulassen.
Der Feminismus kann den Buddhismus von der Illusion männlicher Überlegenheit befreien. Er kann uns helfen, traditionelle Praktiken, die änderungsbedürftig sind, zu revidieren. Sind unsere Zen-Sesshins wirkliche Gelegenheiten, unsere Praxis zu vertiefen, oder verkehren sie sich in männliche Härtetests? Ist unser Akt des Verbeugens ein Akt echter Verehrung oder leeres Ritual? Der Feminismus hilft uns. Dominanzgewohnheiten zu entlarven und verweist uns erneut auf den Pfad des Entdeckens und Verstehens. Vor allem kann uns der Feminismus dabei helfen, nicht selbst wieder zu Tätern zu werden.
Rita Gross schreibt in ihrem nachdenkenswerten Buch "Buddhismus nach dem Patriarchat: Eine feministische Geschichte, Analyse und Rekonstruktion des Buddhismus" von dem glückverheißenden Zufall, daß der Buddhismus gerade in der Zeit im Westen zugänglich wurde, wo die feministische Bewegung in ihrer Blüte stand. Insbesondere ist sie der Meinung, daß es in der Verantwortung westlicher Buddhisten liegt, Vorbilder hinsichtlich der Gleichberechtigung zu sein. Einige westliche Frauen sind so respektierte Lehrerinnen geworden, zum Beispiel Gesshin Prabhasa Dharma Roshi, Ayya Khema, Charlotte Joko Beck und Toni Packer. Sie sind Beispiele dafür, wozu Frauen in der Lage sind, wenn man die Illusion weiblicher Unterlegenheit fallenläßt.
All unser Mitgefühl
muß mobilisiert werden, wenn das große Leid, das gegenwärtig
herrscht, erleichtert werden soll. Wir brauchen all unsere Fähigkeiten,
um in diesem Sinne zu wirken. Ich glaube, daß Buddhismus und Feminismus
viele Einsichten teilen und der heutigen Welt viel zu geben haben. Wenn
diese beiden starken Kräfte der Befreiung vereint werden können,
gibt es nichts, was nicht bewirkt werden kann.