Arnold Kotler
Buddhismus muss engagiert sein
Meditation praktizieren, heißt dessen gewahr zu sein, was geschieht - in unserem Körper, in unseren Gefühlen, in unserem Geist und mit den Objekten unseres Geistes.

Während der Zeit des Vietnamkriegs standen die Mönche und Nonnen dort vor der Frage, ob sie ihre Meditation fortsetzen sollten, während die Dörfer außerhalb der Tempel bombardiert wurden oder ob sie den Menschen, die in ihrer Not schrieen, helfen sollten. Sie entschieden sich, beides zu tun - zu meditieren während sie den Leuten helfen. Gemäß Thich Nhat Hanh, jenem vietnamesischen Zenmeister, der während des Krieges den Begriff 'engagierter Buddhismus' prägte, "wird die Welt durch die Objekte in unserem Geist gebildet. Wenn wir klar sehen und wissen was geschieht, werden wir manches unternehmen, um in der entsprechenden Situation zu helfen."

Die Bewegung, die wir heute 'Engagierten -Buddhismus' nennen, hat ihren Ursprung in Wahrheit in der Zeit Buddhas selbst. Das Cakkavottisihanada,; Sutta -z. B. stellt eindeutig fest, dass Armut die Ursache ist für Amoralität und Kriminalität, für Diebstahl, Luge, Gewalt und Grausamkeit. Das Kutadanta Sutta fuhrt aus, wie unnütz es ist, Verbrechen durch harte Bestrafung unterdrücken zu wollen. Der Buddha legte uns nahe, die ökonomischen Bedingungen zu verbessern, wenn wir Verbrechen abschaffen wollten. Und es ist bekannt, dass Buddha selbst weit die sozialen Beschränkungen seiner Zeit hinter sich ließ, indem er Frauen, Unberührbare und andere diskriminierte Menschen in die Sangha (Gemeinschaft der Mönche und Nonnen) mit aufnahm.
Während des 3. Jahrhunderts nach Buddhas Geburt (200 v. Chr.) unternahm der buddhistische König Asoka (in Indien) sehr weitgehende Anstrengungen, um Gewaltlosigkeit, Erziehung und eine mitfühlende Politik der Fürsorge zu begründen und zu fördern. In seinem Fels-Edikt XI, propagierte er die "Verbreitung der Wohlfahrt durch das Dhamma". Er ließ Altenheime und Krankenhäuser für Arme und Kranke errichten, förderte die Medizin, ließ gar Ärzte und Heilkräuter aus dem weit entfernten Griechenland holen, veranlasste die Versorgung von Sträflingen und ihren Familien, sandte spezielle Minister aus, um Fälle von gerichtlicher Härte oder Korruption untersuchen zu lassen, gewährte 25 mal an Feiertagen die Freilassung von Gefangenen usw.
In unserer heutigen Zeit finden wir viele Beispiele für engagierten Buddhismus. Seine Heiligkeit der Dalai Lama aus Tibet, dem 1989 der Friedensnobelpreis zugesprochen wurde, wehrt sich beharrlich gegen die chinesische Besetzung seiner Heimat, dies jedoch konsequent auf dem Weg der Gewaltlosigkeit. Joanna Macy, eine im Theravada-Buddhismus geschulte Amerikanerin, arbeitet z. B. an einem Projekt, um Schutzgebiete in der Nähe bestehender atomarer Abfalllager zu errichten, in denen die Bewohner in Achtsamkeit den dort abgelagerten Atommüll beobachten, Generation für Generation, für das nächste Viertelmillion Jahre. Christopher Titmuss, ein Vipassana-Lehrer ist Abgeordneter der Partei der Grünen im Britischen Parlament. Diese Menschen und viele andere haben herausgefunden, dass sie ihre buddhistische Praxis und Einsicht aus dem Meditationsraum heraus auch in den sozialen und politischen Raum tragen können.

Robert Aitken Roshi und Nelson Fester von der Diamant Sangha Zen-Gemeinschaft auf Hawaii gründeten 1978 die 'Buddhist Peace Fellow-ship' (Buddhistische Friedensgesellschaft), eine zunächst kleine Organisation, deren Programmpunkte folgende sind:

Inzwischen ist die 'Buddhist Peace Fellowship' angewachsen auf weltweit  einige tausend Mitglieder, mit Zweigen in Nordamerika, Europa und seit kurzem auch in Asien. Als Mitglied des 'Internationalen Netzwerks engagierter Buddhisten' dient sie als Focus für buddhistische Sozialarbeit und Veröffentlichungen,. z.B. in der. .Herausgabe, einer hervorragenden vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift. Zu ihrem internationalen Beraterkreis - gehören z.B. Sulak Sivaraksa, Maha Ghosananda. Christina Feldmann und viele andere bekannte buddhistische Lehrer.

Der  ehrwürdige  Buddhadasa Bhikkhu, ist ebenso fraglos ein Verfechter eines weltverantwortlichen und sozialengagierten Buddhismus. Für Buddhadasa ist die Suche nach personaler Erfüllung oder Erleuchtung nicht möglich als Weg isolierter Individuen, die nur nach ihrem größten Glück streben. Wir teilen nicht nur eine gemeinsame natürliche Umwelt, sondern wir sind Teil einer Gemeinschaft natürlicher Ordnung der Dinge. Alles ist notwendigerweise aufeinander bezogen. Daher ist das Wohl der Individuen abhängig vom Wohl des Ganzen (aller Wesen, nicht nur dem der menschlichen Gesellschaft!) und umgekehrt. In Buddhadasas Sicht ist dies die moralische wie die natürliche Grundlage der Dinge.

Praktisch gesprochen heißt das, dass für ihn eine gerechte, gleiche, friedvolle und glückliche Gesellschaft auf dem Gleichgewicht beruht zwischen dem Wohl der Individuen und dem Wohl des Ganzen in einer "Gemeinschaft freier Selbstbegrenzung" (fellowship of restraint). Buddhadasas soziale und politische Theorie, insbesondere seine Interpretation eines "buddhistischen Sozialimus" (Dhammic socialism) kann nicht getrennt werden von der grundlegenden buddhistischen Haltung der Überwindung der Anhaftungen unseres Ichs.
Heute ist es unsere Pflicht geworden, uns mit der Natur und den Grenzen des 'Selbst' zu beschäftigen. Wenn wir denken, dass das Ich innerhalb unserer Haut oder in den Mauern unseres Hauses begrenzt, sei, vergessen wir die Wahrheit dessen, was Thich Nhat Hanh 'Iriterbeing': nennt?' Als der Buddha über das Nicht-Selbst lehrte, meinte er nicht, dass es da überhaupt kein 'selbst' gäbe, sondern dass ein 'selbst' einzig existiere in Beziehung zu anderen Wesen in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft einschließlich der natürlichen Umwelt. Wenn wir sehen, wie die unrechte Behandlung anderer Dinge und Wesen uns schadet, jetzt und in der Zukunft, dann beginnen wir unser Verbundensein mit anderen lebenden Erscheinungen zu verstehen. Wenn wir in einem Fluss schwimmen, den wir Menschen verschmutzt haben, können wir erfahren, dass wir der Fluss sind. Unser gegenwärtiges Elend gibt uns die große Gelegenheit die Wahrheit der Lehren Buddhas zu erkennen. Wenn wir glauben, wir könnten Buddhismus völlig losgelöst praktizieren, isoliert in einer Zelle, heißt das, dass es uns an Verständnis über Buddhas Lehre vom Nicht-Selbst mangelt. Wenn z.B. Abholzungen Überschwemmungen verursachen, dann ist der Grund unser Geist, der Geist unserer Meditation. Wenn die Luftverschmutzung es uns unmöglich macht, richtig zu atmen, wie können wir das Atmen fortsetzen selbst in der stillsten Meditationshalle?

Die Meditationspraxis hilft uns dabei zu lernen, mit Gelassenheit zu handeln. Nur Gleichmut macht es uns möglich, den Druck zu ertragen," Zeuge solch extremen Leids heute zu sein. Doch Meditation ist nicht mit sich selbst am Ende. Sie ist eine Praxis, die uns helfen kann friedvoller zu leben und unseren Frieden mit anderen zu teilen.

Als einer, der buddhistische Meditation seit über 20 Jahren praktiziert, habe ich entdeckt, dass der Begriff 'engagierter Buddhismus' eigentlich überflüssig ist, Buddhismus der wirklich Buddhismus ist, muss engagiert sein. Können wir nicht die Augen der Kinder sehen, die uns bitten, eine erträgliche und gesunde Welt zu errichten? Wenn wir solche Verkörperungen des Buddha-Dhamma erleben wie die Lehrer der 'Buddhist Peace Fellowship' oder Buddhadasa Bhikkhu, dem zu begegnen und den zu hören ich die Ehre hatte, wie er das Dhamma in Wat Suan Mokkh (seinem Kloster) erklärte, dann wissen wir, dass erwachtes Leben möglich ist und unsere Rezitation "Mögen alle Wesen glücklich sein" bleibt nicht mehr nur sakrale Litanei, sondern wird unsere tägliche Verantwortung. Die 'vier edlen Wahrheiten' und der 'achtfache Pfad' sind nichts als ein Ruf, unserer selbst bewusst zu werden und uns. in der Welt zu engagieren auf dem erleuchtetsten Weg, der uns möglich ist.



Der Aufsatz ist entnommen dem Buch 'Radical Conservatism, Buddhism in the Contemporary Worid', einer Festschrift zum 84. Geburtstag von Buddhadasa Bhikkhu 1990, herausgegeben durch das International 'Network of engaged Bud-dhists - INEB', Übersetzung aus dem Englischen durch F. J. Litsch.

Amold Kotler, langjähriger Schüler der Theravada-Tradition des Buddhismus ist heute Herausgeber des Parallax-Verlags in Berkeley USA, eines Verlages für Literatur zum engagierten Buddhismus. Buddhadasa ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Altmeister des Theravada-Buddhismus in Thailand, Lehrer des 'Anapanasati-Meditationswegs' und Vordenker des engagierten Buddhismus. Er lebt und lehrt bis heute im Waldkloster Wat Suan Mokkh in Südthailand.



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