Der hier abgedruckte Aufsatz wurde veröffentlicht in seinem Buch: SEEDS OF PEACE, A Buddhist Vision for Renewing Society, Berkeley, 1992. (Vorworte von S. H. dem Dalai Lama und Thich Nhat Hanh). Der Aufsatz wurde ins Deutsche übersetzt von Irene Eckert und Franz-Johannes Litsch. Wir haben dem Text Zwischentitel und einige wenige, verständnisfördernde, in Klammern gesetzte Ergänzungen hinzugefügt.
Der Aufsatz erscheint uns bedeutsam, weil er einerseits zeigt, dass jene fünf von Buddha aufgestellten ethischen Grundsätze nicht nur individuelle sondern ebenso gesellschaftliche Bedeutung haben, beides eben nicht voneinander trennbar ist - und andererseits zeigt, wie in jenen vor 2500 Jahren aufgestellten Maximen bereits sämtliche Probleme der heutigen modernen Welt enthalten und geistig grundsätzlich bewältigt sind. Wir stehen also nicht vor gänzlich neuen, unlösbaren Problemen Alle Buddhisten akzeptieren fünf Vorsätze (panca-sila) als ihre grundlegende ethische Richtlinie. Diese als Orientierung nutzend, wissen wir, woran wir uns in den vielen Gegebenheiten des Alltags halten wollen.
Dieser Grundsatz gilt für alle Kreaturen, ungeachtet ihrer Größe. Wir opfern keine Lebewesen für religiöse Handlungen, für die Bequemlichkeit oder für Nahrung. Stattdessen versuchen wir, unsere eigennützigen Motive aufzugeben. Mahayana Buddhisten sagen sogar: sei bereit zu Taten, die dir selbst schaden, wenn sie wahrhaft anderen Wesen helfen. Die vietnamesischen Mönche z. B., die sich selbst verbrannten (Anfang der sechziger Jahre), waren der Auffassung, dass ihr Handeln dazu betragen könne, den Vietnam-Krieg zu beenden. Gemäß der Tradition des Theravada-Buddhismus ist Reinheit Voraussetzung für Weisheit und Mitgefühl, und ernsthafte Theravadins missbilligen jegliches Töten. Für Theravada Mönche ist sogar das Fällen von Bäumen oder 'Kultivieren' von Land Töten. Jedoch die meisten von uns müssen Kompromisse eingehen. Alan Watts sagte einmal, dass er sich entschlossen habe, Vegetarier zu sein, weil Kühe lauter schrieen als Salat. Mahayana Mönche können im allgemeinen Vegetarier sein, weil es ihnen erlaubt ist, ihr Land selbst zu bestellen.
Theravada Mönche dagegen sind völlig abhängig von ihren Nahrungsspendern, und müssen somit essen, was immer sie angeboten bekommen inklusive Fleisch. Doch gewinnen sie den Eindruck, dass ein Tier speziell für sie getötet wurde, können sie es nicht essen.
Tiere zu töten und Fleisch zu essen kann für eine einfache Agrargesellschaft oder für dörfliches Leben angemessen sein, doch existiert einmal ein kompliziertes Markt-System muss der erste buddhistische Grundsatz erneut sorgfältig geprüft werden. In Industriegesellschaften wird Fleisch behandelt wie jedes andere Produkt. Kennt die Massenproduktion von Fleisch irgendwelchen Respekt gegenüber dem Leben der Tiere? Wenn die Menschen in fleischessenden Ländern Abstand nehmen könnten von der Tierzucht für den Konsum, würde dies nicht nur Mitgefühl gegenüber den Tieren bezeugen, sondern ebenso gegenüber den in Armut lebenden Menschen, welche das Korn brauchen um zu überleben.
Buddhisten müssen sich auch dessen bewusst sein, dass es genug Lebensmittel in der Welt gibt, um uns alle angemessen zu ernähren. Hunger wird allem verursacht durch ungleiche Wirtschafts- und Machtstrukturen, die es den Lebensmitteln nicht erlauben, dorthin zu gelangen, wo sie gebraucht werden, selbst dann nicht, wenn jene, die die Lebensmittel benötigen, auch ihre Produzenten sind. Wir müssen unser Augenmerk ebenso auf den Waffenhandel richten und die Strukturen hinterfragen, die für das Morden verantwortlich sind. Das Töten durchdringt unsere ganze moderne Lebensweise - Kriege, Rassenkonflikte, Tierzucht im Interesse des Marktes, Verwendung schädlicher Insektengifte. Wie können wir dem widerstehen und dazu beitragen, eine gewaltfreie Gesellschaft zu schaffen? Wie kann der erste Grundsatz und seine heilsame Wirkung genutzt werden, um eine politisch gerechte und dankbare Welt zu gestalten? Ich mache hier nicht den Versuch, diese Fragen zu beantworten. Ich möchte sie nur wecken, damit wir darüber nachdenken und meditieren.
Die Errichtung einer
gerechten internationalen ökonomischen Ordnung ist ein notwendiger
und unverzichtbarer Bestandteil, um eine friedvolle Welt zu errichten.
Gewalt in all ihren Formen - imperialistische, gesellschaftliche und zwischenmenschliche
- wird untermauert durch den kollektiven Drang nach wirtschaftlichem Reichtum
und politischer Macht. Es gibt eine Geschichte aus den frühen Schriften,
die dies illustriert. Fünf Jahre nachdem Buddha die Erleuchtung
erlangt hatte, kehrte er in seine Heimatstadt zurück und fand den
Stamm seiner Mutter, die Koliyans im Krieg mit dem Stamm seines Vaters,
den Sakyans. Der Konflikt war ausgebrochen, weil die Sakyan-und Koliyanbauem
sich nicht darüber einigen konnten, wer von ihnen den Rohini-Fluss
in ihre Reisfelder lenken dürfe. Beide bestanden darauf, dass ihre
Ernte reifen würde durch eine einmalige volle Wässerung, danach
könne die andere Seite den Fluss umleiten. Die Bauern begannen sich
gegenseitig zu beschuldigen bis, durch die Beschimpfungen schließlich
in Wut geraten, die Stammeskrieger aufeinander losstürmten, um ihre
Ehre zu retten. An diesem Punkt griff Buddha ein. Die Krieger senkten verlegen
ihre Waffen als ihr erleuchteter Verwandter sie nach der Ursache ihres
Streits befragte. Als er entdeckte, dass der Grund das Wasser war, fragte
er sie, ob das Wasser so wertvoll sei, wie ein einziges menschliches Wesen.
Sie antworteten, dass das Leben eines menschlichen Wesens unbezahlbar sei,
worauf Buddha entgegnete:
"Dann ist es offensichtlich
nicht angemessen, dass wegen eines bisschen Wassers Krieger getötet
werden, die unbezahlbar sind."
Die Menschen sollten ermutigt werden, die (heute vom Westen propagierte) "Neue Weltordnung" von einer buddhistischen Perspektive aus zu studieren und sich dazu zu äußern, sie daraufhin zu überprüfen, ob sie angemessene oder unangemessene Entwicklungsmodelle anbietet, richtige oder falsche Weisen zu Konsumieren, gerechte oder ungerechte Marktsysteme, vernünftigen Gebrauch oder Missbrauch natürlicher Ressourcen und welchen grundsätzlichen Weg, die Übel der Welt zu heilen. Wo stehen Buddhisten, wenn es um eine neue ökonomische Ethik auf nationaler und internationaler Ebene geht? Viele christliche Gruppen haben Studien erstellt über multinationale Unternehmen und internationale Banken. Wir sollten von ihnen lernen und ihre Ergebnisse nutzen.
Wir müssen auch die Massenmedien betrachten, die Erziehung und die Informationsmuster, die unser Verständnis der Welt prägen. Wir Buddhisten sind weit zurück hinter unseren muslimischen und christlichen Brüdern und Schwestern in dieser Hinsicht. Die muslimischen Pesantran-Erziehungsinstitute in Indonesien wenden islamische und traditionelle Prinzipien in einer modernen Umgebung an, indem sie ihren jungen Leuten die Wahrheit über die Welt vermitteln und eine Vision für die Zukunft entwerfen. Die Quäker kennen eine Praxis des "Gegenüber der Macht die Wahrheit sprechen". Es wird nur möglich sein, auszubrechen aus der Systematik der Lügen, die dem Status quo innewohnt, wenn wir dieses die-Wahrheit-sprechen gemeinsam angehen.
Die Würde des Menschen sollte den Vorrang haben vor der Steigerung des Konsums bis zu dem Punkt, dass die Leute mehr haben wollen, als sie wirklich brauchen. Indem wir Wahrhaftigkeit als Leitlinie benutzen, sollte Forschung auf universitärem Niveau betrieben werden, um der politischen Propaganda und kommerziellen Werbung entgegenzuwirken. Ohne den kostbaren Schatz der freien Rede und freien Presse zu übersehen, müssen wir uns doch dessen gewahr sein, dass wir nicht in der Lage sein werden, die umfassende Indoktrination zu überwinden, die im Namen nationaler Sicherheit und materiellen Wohlstands über uns ergeht, wenn wir nicht Alternativen zu der gegenwärtigen Übermittlung von Lügen und Verzerrungen finden.
Drogenmissbrauch
und -Verbrechen sind in jenen Kulturen weit verbreitet, die an der ungleichen
Verteilung von Reichtum, an Arbeitslosigkeit und entfremdeter Arbeitstätigkeit
leiden. Der Kampfeinsatz der US-Armee unter Reagan und Bush gegen den Drogenhandel,
ist am Ende genauso wirkungslos wie Gorbatschows, jetzt abgebrochene Kampagne
gegen Alkohol am Arbeitsplatz, und zwar aus demselben Grund: beide wenden
sich gegen die Symptome nicht gegen die Ursachen. Der Buddhismus macht
deutlich, dass die einzig effektive Lösung dieser Probleme nur geschehen
kann im Rahmen einer vollständigen Erneuerung humaner Werte.
Die üblichen
religiösen Predigten gegen die Gifte bringen uns nirgendwohin. Wir
müssen nach Innen schauen und wirklich damit beginnen, die Wurzeln
von Drogenmissbrauch und Alkoholismus zu erkennen. Zugleich müssen
wir die ganze Bier-, Wein-, Spirituosen- und Drogen-Industrie untersuchen,
um ihre Machtbasis zu identifizieren.
Diese (fünf)
grundlegenden ethischen Lehren gelten sowohl für uns als Individuen
wie auch als Mitglieder der Gesellschaft. Meine Gedanken über die
fünf Grundsätze und wie wir sie auf die Verhältnisse in
der heutigen Welt anwenden könnten, sind nicht mehr als ein erster
Schritt. Ich hoffe, dass die Diskussion über diese Fragen weitergeführt
wird. Wir brauchen dringend eine moralische Grundlage für unser Verhalten
und unsere Entscheidungsfindung.