Joanna Macy

Joanna Macy, Mitglied des Internationalen Beraterteams der Buddhist Peace Fellowship (BPF), lehrt am California Institute of Integral Studies in San Francisco, an der Graduate Theological Union in Berkeley und an der Universitiy of Creation Spirituality in Oakland. Sie engagierte sich weltweit in der An-tiatombewegung und der Tiefenökologie. Susan Moon, Herausgeberin der BPF-Zeitschrift "Turning Wheel" sprach in Berkeley mit Joanna Macy. Die gekürzte Übersetzung stammt von Lothar Lehmann.



Joana Macy: Ich begegnete dem Buddha-Dharma erstmals in den 60ern, als ich mit meiner Familie mit dem Friedenskorps in Indien war. In den 70ern ging ich zurück nach Syracuse im Staate New York, um zu promovieren. Ich war damals in den Vierzi-gern und strebte danach, nicht nur die buddhistischen Studien intensiv zu betreiben, sondern auch soziale Aktionen auf spirituellem Hintergrund. Zu jener Zeit gab es den Ausdruck "engagierter Buddhismus" noch nicht. Während meines ersten Jahres an der Hochschule wandte ich mich an meinen Mentor und sagte: "Ich möchte unabhängige Studien über Kontemplation und Revolution machen." Mich interessierte vor allem die mystische Komponente; nicht nur das "seid nett zueinander", das jede Religion hat, sondern Paticca Samupadda, Entstehen in Abhängigkeit, das Lösen vom individuellen Ego, nicht in Richtung zu Gott, sondern hin zu Beziehungen zu anderen Wesen. Aber die Akademiker sagten: "Sie reden über absolute Gegensätze, über die entgegengesetzten Enden des Lehrplanes: das Revolutionäre und das Kontemplative." Daher war ich dankbar, als sich die BPF gründete. Ich bin glücklich in einer Zeit in dieser meiner eigenen Kultur zu leben, in der dieser Zusammenfluss scheinbarer Gegensätze als absolut offensichtlich, normal und nötig betrachtet wird.

Susan Moon: Ich auch. Ich war bereits lange bevor ich zum Buddhismus kam Aktivistin. Und als ich in den 70ern zum Buddhismus fand, begann eine neue Phase in meinem Le-ben. Mir schien es so, dass die Leute, die auf einem Meditationskissen sitzen, dachten, es sei ungeheure Zeitverschwendung auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, wäh-rend die Leute an den Absperrgittern dachten, es sei Zeitverschwendung sich hinzuset-zen und zu meditieren.

J.M.: Ich lernte die BPF auf einem Trip nach New York kennen, während der Sondersit-zung der Vereinten Nationen zur Abrüstung im Juni 1982. Dort traf ich zum ersten Mal Thich Nhat Hanh. Er war schon in den letz-ten 10 Jahren recht bestimmend für mein Le-ben gewesen, aber ich hatte ihn nie selbst getroffen.

Ich war schon in Indien mit Buddhisten zusammengetroffen und hatte gesehen, wie hilfreich der Dhamma für diese sog. Ex-Unberührbaren war, was mich tief bewegt hat. Und ich hatte Buddhadasa besucht, jenen Mönch, der in Thailand den Dhamma-Sozialismus lehrte. Daher war es sehr span-nend für mich zu sehen, dass Robert Aitken eine Buddhist Peace Fellowship gegründet hatte. In dieser Woche erkannte ich, dass buddhistisches Engagement eine wesentliche Stütze der amerikanischen Kultur sein könnte.

SM: Erzähl´ mehr aus den alten Tagen!

JM: Im März 1983 hatten wir ein BPF-Treffen in Tassajara, zu dem auch Thich Nhat Hanh kam. Ich glaube, es war das erste Mal in Amerika, dass er seine Lehre des "In-terbeing" darlegte. Er nahm damals noch nicht ein Stück Papier als Beispiel, wie er es später tat, wenn er fragte: "Was ist in dem Blatt Papier?" um dann von Bäumen, Regen der Sonne und Holzfällern zu sprechen. Damals benutzte er einen Stuhl in der Mitte des Speiseraumes als Beispiel. Wir alle saßen im Kreis und er stellte diesen Stuhl in die Mitte und bat uns zu sagen, was den Stuhl ausmachte und wie entdeckten, dass der Stuhl aus lauter Nicht-Stuhl-Elementen bestand.

Ich war ungeheuer aufgeregt, da Paticca Sa-mupadda, Entstehen in Abhängigkeit, das Thema meiner Doktorarbeit war, und zwar sowohl aus buddhistischer Sicht als auch aus der der Systemtheorie. Der Gedanke daran raubt mir noch heute den Atem - die Lehre von dem Stuhl oder dem Blatt Papier - das ist so ungeheuer wichtig für die Heilung der Welt. Es war spannend, dass hier jemand war, der nicht nur von der Seite der Leerheit die Sache anging, sondern darlegte, dass auch alles da war, in dieser ungeheuren, dy-namischen, interaktiven Balance. Thich Nhat Hanh suchte nach einem einfachen Begriff dafür. Er fragte: "Was denkt ihr über den Namen ´Zusammensein´?" Nein, sagte ich. Ich konnte ihm nicht erklären, dass das klang wie aus einer Wochenzeitschrift für das Leben zu zweit; also sagte ich, es würde die Leute nicht wirklich ergreifen. Dann schlug er etwas anderes vor - und das war es: Interbeing.

SM: Ich habe einige Freunde, Leute aus den sozialen Bewegungen, die noch immer etwas besorgt sind, was den Buddhismus angeht. Sie fürchten, dieser Weg könnte zu persön-lich, zu sehr von Innerlichkeit bestimmt sein. Vielleicht auch zu patriarchalisch, am althergebrachten orientiert.

JM: Hältst du das für eine berechtigte Sorge?

SM: Nicht wirklich. Als ich zu meditieren begann, kam mir das so vor, aber jetzt er-scheint es mir wichtig, Arbeit und Kontemplation auszubalancieren, wie die Quäker sagen. Ich kenne auch nichtbuddhistische Aktivisten, die nach dem Prinzip der Gewaltfreiheit arbeiten und sich dadurch dem Buddhismus verbunden fühlen, Dan Ellsberg beispielsweise.

Aber wenn wir zu den Anfängen der BPF zurückgehen, warum glaubst du, gab es damals so ein deutliches Übergewicht von Männern? Eine Zeitlang warst du die einzige Frau im Vorstand.

JM. Ja, aber das war kein Problem für mich. Vielleicht weil ich von Asien zurückkam, wo Frauen eine noch untergeordnetere Rolle spielten.

SM: War die BPF eine Sangha für dich oder doch eher ein Netzwerk?

JM: Naja, wir haben niemals miteinander meditiert, was sicher hübsch gewesen wäre. Während des Golfkrieges haben manche von uns begonnen, morgens um Viertel vor Sie-ben zu Hause zu meditieren, aber das waren nur wenige Leute, alle aus dem Umfeld der BPF.

Die BPF ist wie eine Familie. Eine Familie mit gemeinsamer Geschichte, gemeinsamer Sprache und einem gemeinsamen Terminkalender. Und sie ist wunderbar offen für unterschiedlichste dezentrale Aktivitäten. Daher ist sie mehr als ein Netzwerk, aber doch keine Sangha, da man nicht gemeinsam praktiziert. Als wir westliche buddhistische Lehrer uns 1994 mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama trafen, setze er sich sehr für traditionsübergreifende buddhistische Zentren ein. Er versprach sich davon eine breitere Basis für den amerikanischen Buddhismus. Ich selbst fühle mich unterschiedlichen Traditionen verbunden. Der nichtsektiererische Ansatz der BPF ist vielleicht noch immer einzigartig in dieser Beziehung. Und genau aus diesem traditionsübergreifenden Ansatz können sich noch stärkere Möglichkeiten für die BPF in Zukunft ergeben.

SM: Ich glaube wir können beides miteinander vereinigen, die Struktur unserer spezifi-schen Tradition bei vollem Bewusstsein un-serer Gemeinsamkeiten.

JM: Ich mag das Wort "Struktur" (texture). Du kommst zum Beispiel aus dem Soto-Zen, das hat eine bestimmte Farbe, einen bestimmten Geschmack, ein Aussehen, eine Herkunft.

SM: Ja, aber ich empfinde es nicht so, dass der Weg den ich praktizieren der Weg ist. Und ich stimme dir zu, dass der nichtsektie-rerische Ansatz der BPF nicht nur vital ist, sondern ausgesprochen fruchtbar
.
JM: Ein weiterer signifikanter Punkt bezüglich buddhistischer sozialer Aktion ist, dass sie nicht von übernatürlichen Befehlen abhängt.

SM: Du meinst, wir müssen nicht abwarten, dass Gott sagt, was zu tun ist?

JM Ja. Aus christlicher Perspektive ist man es gewohnt zu denken, dass, wenn man zum Wohl aller Wesen arbeitet oder die Ernäh-rung umstellt oder mit dem Rad zur Arbeit fährt, man seine Marschbefehle von Gott er-hält, respektive vom Absoluten. Ich würde sicher diesen Punkt nicht so herausstellen, wenn ich nicht den akademischen Pfad beschritten hätte und meine Dissertation über die Ethik des Paticca Samupadda geschrieben hätte. Das hat zu tun mit der Konfusion, in die wir gewöhnlich bei dem Wort "relativ" verfallen: wenn alles interdependent ist, wo steht dann die buddhistische Ethik fest? Aber wenn eine Person leidet aufgrund der Wurzelübel Gier, Hass und Verblendung, dann ist das ein objektiver Fakt.

In der großen Wende wird die industrielle Wachstumsgesellschaft - und auch ihre finanziellen Einrichtungen und Werte - hinweggefegt werden. Dies kann die Zeit großer Panik sein, und eine unserer großen Herausforderungen ist es, wie wir dann mit unseren Ängsten umgehen. Wenn Menschen in Panik geraten, werden sie dogmatischer und fundamentalistischer. In Sri Lanka habe ich ge-sehen, wie Buddhisten genauso gemein han-deln konnten wie andere Fundamentalisten. Wo bleiben die fünf buddhistischen Verhal-tensregeln angesichts einer auf dich gerichteten Waffe?

Die BPF hilft uns - uns flatterhaften, eigen-sinnigen, jähzornigen Westlern - zu lernen, aus dem Gefühl des Interbeing zu handeln, statt aufgrund göttlicher Befehle. Der Dharma kann uns lehren, mit unserer Mitwelt in eine nicht selbstgerechte Beziehung zu treten und das ist außerordentlich wichtig. Das BASE-Programm ist ein Zeichen, dass es uns ernst damit ist. Wir müssen auch erkennen, dass buddhistische soziale Hilfe in asiati-schen Kulturen sehr gepflegt wurde.

SM: Wir Amerikaner denken häufig, wir hät-ten die sozialen Maßnahmen erfunden. Aber engagierter Buddhismus ist nichts, was die BPF erfunden hat. Wir sind Teil einer lan-gen, einer sehr langen Tradition der Gewalt-losigkeit und stehen dabei nicht nur in der Tradition von Thoreau, sondern auch in der asiatischer Buddhisten.

JM: Weißt du, der Einfluss ist auch in die andere Richtung gegangen. Die gemeinsame Arbeit der Quäker hat z. B. geholfen, Savordaya zu inspirieren. Auch die Buddhisten des späten 19. Jhd., wie z. B. Angarika Dharmapala in Sri Lanka wurden von den sozialen Aktivitäten christlicher Missionare beeinflusst. Diese Rolle hatte die buddhistische Sangha früher gespielt, aber unter der Herrschaft der Briten verloren. Das britische Kolonialsystem brachte Schulen und Sozialprogramme und ließ den buddhistischen Mönchen nicht viel mehr als fromme Gesänge und den Bettelgang.

SM: Es gab eine ganze Menge wechselseitiger Befruchtung.

JM: Ja, genau wie Gandhi von Westlern beinflusst war, so beeinflusste er auch wieder die Westler. Es ist wohltuend, sich selbst als Teil dieses Hin und Her zu erleben.

SM: Du hast dich der BPF eine lange Zeit gewidmet. Es bedeutet mir sehr viel, dein Gesicht bei BPF-Veranstaltungen zu sehen. Du bist uns allen in der BPF ein Vorbild und ein Mentor im wahrsten Sinne des Wortes!



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