Die zahlreichen Abenteuer des Bernie Glassman
von Melvin McLeod


Roshi Bernard Glassman, ein amerikanisches Zen-Original, lässt seine Erfolge in Greyston zurück und übernimmt die neue Aufgabe "Peacemaking".

Immer für eine Überraschung gut und sich jeder neuen Herausforderung stellend ist Roshi Bernard Glassman eine der schil-lerndsten Erscheinungen im amerikanischen Buddhismus. Glassman, ein ehemalige Luft-fahrtingenieur, der Ende der 50er Jahre be-gann Zen zu praktizieren ist einer der Dhar-ma-Erben von Taizan Maezumi Roshi und nach Maezumi Roshis Tod übernahm er die Verantwortung für dessen weltweite Sangha.

Einmal mehr aber möchte sich der ruhelose Visionär und Zenlehrer einer neuen Herausforderung stellen. In seiner Wahlheimat in Yonkers (im Staate New York) gründete er eine facettenreiche soziale Dienstleistungsagentur namens "Greystone-Mandala", die einzig in der Welt des Buddhismus ist und die Aufmerksamkeit gewichtiger Spender auf sich gelenkt hat.

Glassman und seine Schüler gingen auf die Straßen von New York, um die Erfahrung der Obdachlosigkeit am eigenen Leib zu machen. Sie saßen auch in Auschwitz in Meditation um Zeugnis abzulegen vom Verbrechen des Jahrtausends. In diesen grundlegenden Erfahrungen wurden die drei Grundsätze von Glassmans neuesten Projekt, dem Peacemaker-Orden herausgearbeitet:
 

Der Peacemaker-Orden basiert auf den Erkenntnissen aus Glassmans vorherigen Pro-jekten: bescheidene Anfänge, starkes Selbst-vertrauen und eine riesige Vision. Zur Zeit hat Glassmans Peacemaker-Orden gerade einmal fünfzehn Mitglieder, aber seine Vision zielt auf eine viel stärkere Peacemaker-Gemeinde, die ein Netzwerk von Peacemaker-Dörfern überall auf der Welt umfasst. Mitbegründerin des Peacemaker-Ordens ist Sensei Jishu Holmes, Bernie Glassmans Ehefrau.


Melvin McLeod (MML): Ihr habt beide bis vor kurzem an den sozialen Projekten im Greyston-Mandala in Yonkers gearbeitet, was doch wohl eine wertvolle Arbeit war, die fortzusetzen sich lohnen würde, warum steckt ihr statt dessen eure Kraft in dieses neue Projekt, die Gründung des Peacemaker-Ordens?

Sensei Jishu Holmes (SJH): Greystone ist nun in einem betriebsfähigen Zustand, nicht mehr in einem unternehmerischen Gründungsstadium, und für uns beide bedeutet das jetzt keine Herausforderung mehr. Wir sind mehr interessiert an der Ideenfindung und Entwicklung von Pro-jekten, nicht an deren Leitung. Wenn eine Organisation den betriebsfähigen Zustand erreicht hat, ist es nicht mehr so offen für die Risiken neuer Ideen. Und wenn wir beide das tun wollen, was wir am besten können, ist es an der Zeit, ein neues Projekt zu beginnen.

MML: Und warum gerade dieses spezielle Projekt?

SJH: Das ergab sich auf Bernies Ge-burtstagsfeier, vor einigen Jahren zum 55.

Roshi Bernard Glassman (RBG): Ja. An meiner Geburtstagsfeier zum 55. vor dreiein-halb Jahren entschied ich mich für eine Wo-che oder so auf den Stufen des Capitols zu sitzen, eines der energiereichsten Punkte die-ser Nation. Ich wollte dort ein Retreat durchführen, um mich zu fragen, was wohl der nächste Schritt sein würde in meiner Arbeit mit Zurückweisung, Gewalt und - insbesondere - AIDS, denn das war zu Beginn unserer Arbeit zum Thema AIDS. Ich ermunterte Leute, sich mir anzuschließen, falls sie an der gleichen Frage arbeiten wollten; das wäre unser gemeinsamer Koan.

Es ergab sich dann so, dass dies die kälteste Woche in Washington D.C. seit fünfzig Jahren war. Nachts schliefen wir in einem nahe-gelegenen Bunker, einer der größten Bunker des Landes ist nur wenige Straßen vom Capitol entfernt. Es war ein furchtbares Gedränge die ganze Zeit und wir schliefen auf dem Boden des Speisesaales.

Auf dem Retreat kam mir die Antwort auf meine Frage, nämlich dass ich einen Peacemaker-Orden gründen würde. Und ich begann eine Umgebung zu visualisieren, ein freundliches Umfeld, für jene, die diese Arbeit tun und jene die dies auch wünschen.

Später fuhr ich mit Jishu in Urlaub und dort sprachen wir eine Menge über unsere Leben und darüber, dass unsere Arbeit dabei war, uns einander zu entfremden, dass wir sehr unterschiedliche Lebensstile lebten. Wir beschlossen, den Orden miteinander zu gründen. Als Team ergänzen wir einander und nehmen uns gegenseitig Probleme ab. Ich bin grundsätzlich der Visionär und sie bringt Ordnung in diese Visionen. Wir erforschten und experimentierten und hatten eine schwierige Zeit herauszufinden, was es bedeutet ein Projekt gemeinsam zu initiieren. Manchmal kann ich sehr aggressiv und herrschsüchtig sein. Auch bin ich wankelmütig, während sie eher stetig arbeitet. Auf jeden Fall ist es nicht einfach, ein Projekt gemeinsam anzuleiern.

MML: Warum nennt ihr eure Peacemaker-Gemeinschaft einen "Orden"?

RBG: Wir wählten die Bezeichnung "Orden" um ganz deutlich zu machen, dass unser Handeln ganz stark bestimmt ist von einer spirituellen Praxis, das ist uns viel wichtiger als der klösterliche Aspekt. Das Konzept der Priesterschaft im Zen, jedenfalls soweit es die Rinzai-Richtung betrifft, ist sehr laienorientiert, und heutzutage gebraucht jeder das Wort Zen in einer solchen säkularen Weise. Aber wir wollten ganz entschieden klarstel-len, dass die Friedensstiftung, die uns vorschwebte, auf ethischen Grundsätzen basiert, auf den Grundsätzen von Unvoreingenommenheit, Zeugnisablegung und Heilung. Dies sind Früchte unserer spirituellen Praxis.

MML: Das Wort "Orden" weist auf eine E-bene des Verpflichtetseins hin, die über das normale Maß politischer und sozialer Arbeit hinausgeht.

RBG: Ja, das ist richtig. Wir haben auch die-ses untersucht und festgestellt, dass es drei Ebenen dieses Verpflichtetseins gibt. Die eine ist die Ebene der Ordensmitglieder und der Leute, die wir um gewichtige Verpflich-tungen bitten: finanziell, spirituell und phy-sisch (mit Zeit und Engagement). Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Leute die auf einer Ebene Peacemakers sind mit keiner anderen Verpflichtung als der auf die Grundsätze der Unvoreingenommenheit, der Zeugnisablegung und der Heilung, die sie in ihr Leben zu integrieren versuchen sollten. Außerdem sollten sie pro Monat einen Tag der Reflexion widmen. Dazwischen möchten wir eine Gruppe von Leuten haben, die sich doch etwas näher engagieren möchten, was das im einzelnen bedeutet, ist aber noch nicht ganz zu Ende entwickelt.

MML: Ist es euer primäres Ziel, spirituelle Prinzipien in einem sozialen Kontext zu leh-ren, oder hofft ihr vor allem ein solides Netzwerk von Aktiven auf die Beine zu stellen?

RBG: Ja, das wollen wir schon. Wir verbinden Aktivisten miteinander, die bereits in dieser Art arbeiten. Es gibt überall auf der Welt Leute, die diese Art Arbeit machen, die möchte ich gern unterstützen. Und auch an-deren, die sich in dieser Weise engagieren möchten, wollen wir helfen. Oder auch da-durch, dass wir Programme oder Workshops durchführen.

Es gibt da schon ein umfangreiches Netzwerk von Leuten, die mir ihr Interesse an einer solchen Gemeinschaft signalisiert haben. Mitunter kamen sie aus einer speziellen Sangha, aber als sie mit dieser Arbeit begannen, haben sie sich ihrer Sangha entfremdet, sie wurden als etwas Abweichendes wahrgenommen. Nun suchen sie nach einer Sangha von Leuten, die auf die gleiche Art arbeiten.

MML: Erzähl´ mir etwas von den Leuten, die du zusammenbringen möchtest!

RBG: Da haben wir einmal die Gründungsmitglieder des Zen Peacemaker Ordens, die ein Interesse daran haben etwas zu schaffen, was wir ein Dorf nennen, das kann ein virtuelles Dorf sein, aber auch eine physische Realität.

Wir haben auch Leute, die nicht Zen prakti-zieren, damit sind wir bei einem anderen Netzwerk, der Interfaith Peacemaker Assembly (glaubensübergreifenden Friedensstifter Versammlung). Diese gehören nicht einem speziellen Orden an, aber wir verbinden sie.

MML: Was erwartest du, sollte diese Peacemaker-Gemeinschaft für ihre Mitglieder tun?

RBG: Wir sollten Feiern haben, wo wir unse-re Geschichten austauschen können, sodass dies eine Beziehung Gleichgestellter wird und ein gegenseitiger Ansporn. Wir sollten auch an einen Praktikantenaustausch denken.

MML: Welche praktischen Methoden habt ihr, um den Leuten eure Grundsätze zu lehren?

RBG: Wir haben gerade ein vierwöchigen Kurs abgeschlossen, in dem wir sehr intensiv an den drei Grundsätze gearbeitet haben. Natürlich sind diese typisch buddhistisch, aber ich glaube, sie machen Sinn in allen mysti-schen Traditionen.

Der erste bedeutet, das Unbekannte zu durchdringen: dies ist eine ganz essentielle Praxis, um sich von festgefahrenen Ideen zu lösen. Im Buddhismus gibt es die Meditation als einen Weg, uns von unseren Anhaftungen und unseren Vorstellungen zu lösen. Im Zen war das Koan-Studium ein Weg, uns aus festgefahrenen Gedankenstrukturen zu lösen. Ich habe Praktizieren eingeführt in der Art, dass ich Leute in Situationen wie (das) Auschwitz(-Retreat) oder Obdachlosigkeit geführt habe, die so überwältigend sind, dass man die Anhaftung an die Idee des Ego ver-liert. Man wird in eine Situation gebracht, in der man einfach nicht mehr versteht, was los ist: Systemüberlastung.

MML: Ein soziales Koan!

RBG: Ja. Ganz konkret: Wenn du Obdachlosenarbeit machen willst, sagen wir dir: ver-giss alles, was du darüber weißt! Du hast damit dein Wissen nicht wirklich ausgemerzt. Es ist schon irgendwo noch vorhan-den. Aber du sollst alle deine Ideen, deine Voreingenommenheit gegenüber der Situation, in die du dich begibst, weglassen. Betritt die Situation in dem Gefühl, dass du keine Ahnung hast wie du dort Fürsorge leisten sollst.
Der zweite Schritt ist dann, Zeugnis abzulegen. Sitze da in dieser Situation, lege Zeugnis ab. Unserer Meinung nach ist der dritte Schritt, die Heilung von sich selbst und den anderen, diese Aktion der liebenden Güte, diese angewandte metta bhavana, etwas das aufgrund dieses Zeugnisablegens in dir selbst natürlich entstehen wird.

MML: Hilfe für die Leidenden!

RBG: Es könnte sich genausogut um Freude halten. Ich hätte z. B. gerne Leute, die sich als Clowns üben. Oder Theaterarbeit, wie Trungpa Rinpoche sie geleistet hat.

Als ich erstmals mit der Straßenarbeit anfing, sagte ein Freund von mir, Jim Morton, da-mals Dekan von "St. Johann dem Göttlichen", der diese Arbeit in den 60er Jahren in Chicago gemacht hatte, der größte Lehrer dort draußen sei das Unbekannte. Was immer dir Leute sagen, das passieren würde, ist falsch, und wovon du lernen kannst, ist nichts anderes als vom Unbekannten. Das war immer so. Ich glaube es ist das gleiche Prinzip, nach dem Leichenfeldbetrachtungen funktionieren.

MML: Ist es euer Ziel, spirituelle Werte durch die Lehre dieser drei Grundsätze in die Welt der Aktivisten zu tragen, oder wollt ihr die Werte der Aktivisten in die spirituelle Welt bringen, oder aber glaubt ihr, dass diese Grundsätze ganz einfach den effektivsten Weg unter den gegebenen Umständen bedeuten?

RBG: Eigentlich alle drei, aber ...

SJH: Ich meine, es ist das letzte. Es geht dar-um, wie man an jede Situation herangehen sollte.

RBG: Ja, da würde ich Jishu zustimmen. Aber ich habe auch ein ganz persönliches Ziel, jedenfalls im buddhistischen Sinn. Ich habe so viele Leute hier in Amerika und auch in Europa getroffen, die, wie ich glaube, die falsche Einstellung haben, dass die Welt des Dharma und soziales Engagement getrennt voneinander sein sollten. Die sehen das nicht als Praxis an, als ein- und dasselbe. Ich glaube, das ändert sich. Nein: ich weiß, dass sich das ändert, aber als Lehrer habe ich das Ziel, dies auch zu vermitteln.

Und ich habe auch das Gefühl, dass viele sozial Engagierte von dieser Herangehens-weise profitieren würden, denn es nimmt die Zweigleisigkeit aus ihrer Situation.

MML: Ihr habt auch die vier Prinzipien der letzten Weltkonferenz der Religionen über-nommen, dies sind die Gebote

Wenn Eure Grundsätze die Methode darstellen, so könnten dies die Ziele sein.

RBG: Nach vielen Jahren der Arbeit waren dies die vier Gebiete, die vier Gebote, auf die sich die etwa 200 Vertreter der Religionen der Welt einigen konnten. Die einzigen vier. All unsere Arbeit ist sehr umfassend und wir operieren in einer Welt der Glaubensvielfalt. Da haben wir nun also vier Gebote, auf die sich diese Glaubensvertreter einigen konnten und wir haben uns gesagt, lasst uns auf dieser Basis beginnen und sehen, wie dies unsere Arbeit beeinflusst und prägt. Einer von Jishus Vorschlägen war, diese vier Gebote zu nehmen und das Jahr tatsächlich in vier Quartale aufzuteilen, um uns in jedem Quartal einem dieser Aspekte ganz besonders zu widmen. In unserer Zen-Gemeinde sehen wir z. B. sehr genau auf Partnerschaften bezüg-lich männlicher und weiblicher Energien.

MML: Ganz praktisch: wie hofft ihr, dass diese Peacemaker-Gemeinden in fünf oder zehn Jahren aussehen?

RBG: Bei dieser Frage muss ich sofort an Indras Netz denken - viele Gemeinden, die diese Arbeit rund um die Welt tun, sich ge-genseitig unterstützen, die Arbeit teilen, die wir tun. Es ist ganz wichtig für uns, Struktu-ren herauszuarbeiten, in denen wir kommunizieren, teilen und uns unterstützen. Anfangs habe ich dies natürlich als rein buddhistisches Projekt gesehen. Aber jetzt sehe ich das viel breiter angelegt. Meines Erach-tens ist da eine Spiritualität hinter all den Religionen, und wir bewegen uns genau darauf zu. Gruppen vieler Traditionen kommen vom gleichen Ansatz der Einheit des Lebens, der Verbundenheit des Lebens und dem Ort jenseits des Faktenwissens. Das kann ich überall beobachten und ich sehe uns an einem gemeinsamen Netz der Unterstützung knüpfen. Das ist meine Vision.

MML: Kannst du Zahlen nennen? Wieviele Menschen auf der Welt arbeiten daran?

RBG: Ich habe Kontakt mit Leuten die etwa 20 bis 30 potentielle Dörfer repräsentieren, jedes davon umfasst hunderte von Leuten, manchmal Tausende. Da gibt es z.B. einen Soto Priester aus Japan, der in Kambodscha und Laos arbeitet, der hat 3000 Mitglieder. Ich glaube insgesamt können wir von Zehntausenden ausgehen.

MML: Es beeindruckt mich mehr als diese Zahlen, daß die Verbreitung eurer Grundsätze, dieser fundamental buddhistischen Herangehensweise, die potentiell mächtigste Auswirkung auf dieses Projekt hat.

Ja, sicher. Und das ist genau das, worauf wir besonderen Nachdruck legen. Unser Mitglied Eve Marko möchte z. B. ein Dorf in Israel gründen, wo ich eine Diskussion mit Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama haben werde. Er predigt der Welt das gleiche, aber er ist nicht der Mann, diese Arbeit wirklich zu tun. So werden wir uns diesem Thema vielverspre-chend annehmen.

MML: Eine Spiritualität die über Religion hinausgeht.

RBG: Ja, das liegt in der Luft. Es gibt viele wunderbare Leute, die darüber sprechen. Vor 10 oder 15 Jahren war das anders. Der Dalai Lama hat das vor zehn Jahren noch nicht gesagt, aber er sagt es jetzt. Auch Thich Nhat Hanh redet davon und viele andere. Aber wenn wir uns an die Arbeit machen, glaube ich, müssen wir bei den drei Grundsätzen anfangen, das ist das Fundament.

Übersetzung und dt. Bearbeitung: L. Lehmann



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