Der Autor beschreibt
die Einstellung des Initiators des "Netzwerks engagierter Buddhisten" in
einem Artikel für die "Times Higher Education Supplement", erschienen
im Sommer 2002. Übersetzung aus dem Englischen von Lothar Lehmann.
Ich frage Sulak Sivaraksa was er z B. von George W. Bush hält. Sein Gesicht verzieht sich, die Wangen dehnen sich nach außen, der Mund legt sich in Falten und die Augenbrauen ziehen sich weit nach unten. Sivaraksa beginnt energisch zu gestikulieren.
Er sieht aus wie ein Mann, der gerade in eine sehr, sehr saure Zitrone gebissen hat.
"Ich bin sicher, er ist ein sehr netter Mann, aber..." Der Satz bleibt in der Luft hängen, vermutlich weil der Rest in seinem Gesichtsausdruck perfekt visualisiert ist. Tony Blair? Plötzlich ist sein Ausdruck ruhig und nach einer kurzen Pause antwortet er mit äußerster Präzision: "Tony Blair ist meiner Meinung nach ein sehr netter Mann, aber ich glaube nicht, dass er in der realen Welt lebt. Er möchte ein starkes Vereinigtes Königreich haben, an der Seite der USA." Rasch legt sich sein Mund in Falten.
Kaum erwähnt man Weltbankpräsident James Wolfensohn so erhält man einen Blick mit vor Verblüffung weit geöffneten Augen, so als habe Sivaraksa ein Fabelwesen erblickt mit dem Kopf eines Krokodils und dem Körper eines Nilpferdes. "James Wolfensohn ist ein arroganter Mann, ein sehr arroganter Mann, aber er ist eine zutiefst spirituelle Person - in seiner jüdischen Tradition."
Sivaraksa, der sich
mit Wolfensohn getroffen hat um ethische Themen im Zusammenhang mit ökonomischer
Entwicklung zu diskutieren, kommt hier zu der günstigsten Einschätzung
einer Person, die den Mainstream repräsentiert. "Der Mainstream wird
uns nicht zuhören. Die können mich nicht leiden," sagt er mit
einem Grinsen, das so breit ist dass er die Augen schließen muss.
Sivaraksa - ein kleiner gedrungener Mann von 69 Jahren, aber jünger
wirkend, peinigt die Vertreter des Mainstream in seiner Hemat Thailand
seit dem Anfang der sechziger Jahre, wobei er die Aufmerksamkeit als der
führende Intellektuelle und Kopf der neuen sozialen Bewegungen auf
sich zog. Nach seiner Erziehung in Großbritannien am St. David´s
College, Lampeter und an Londons Middle Temple begann Sivaraksa seine bemerkenswerte
intellektuelle Karriere 1961 nach seiner Rückkehr in sein Heimatland,
wo er eine intellektuelle Zeitschrift, die Social Science Review gründete.
Es war ein großer Erfolg, denn schon bald war die Zeitschrift das
führende intellektuelle Blatt des Landes. Zwar arbeitete er unter
einer Militärdiktatur, aber dank mächtiger Sponsoren aus der
königlich-thailändischen Familie gelang es Sivaraksa eine höchst
unabhängige und kritische redaktionelle Linie in seiner Zeitschrift
durchzuhalten, während er gleichzeitig Diskussionsveranstaltungen
organisierte, um die Entwicklung freien Gedankenguts bei seinen Lesern
und Mitarbeitern zu fördern. Viele der Studentenführer, die mit
ihrer Revolte das Militärregime 1973 vertrieb waren aktive Mitglieder
von Gruppen, die Sivaraksa gegründet hatte.
Zu seinem Glück
war er außer Landes als es 1976 zu einer Rückkehr zur mörderischen
Diktatur kam. Weder dieses knappe Entrinnen noch Thailands anschließendes
Schwanken zwischen Demokratie und Diktatur konnten Sivaraksas unbeugsames
Eintreten für eine bessere Regierung schwächen. 1991, kurz nachdem
Thailand in eine weitere Periode der Diktatur geschlittert war, hielt er
eine von Geist sprühende Rede an der Thammasat Universität, in
der er die beiden mächtigsten militärischen Führer der Korruption,
der Zerschlagung der Demokratie, des Antastens der Monarchie und der Religionsfeindlichkeit
bezichtigte. Es gelang ihm erneut, sich ins Ausland abzusetzen.
Obwohl ein treuer
Royalist, wurde er zweimal wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert.
Der Aufbau der zivilen Thai-Gesellschaft ist zum großen Teil sein
Verdienst, beteiligte er sich doch an der Gründung von Dutzenden von
Nicht-Regierungs-organisationen, die sich mit den unterschiedlichsten Projekten
von sozialer Wohlfahrt bis spiritueller Erziehung befassen sowie an einer
ganzen Serie von Dachgesellschaften, die diese Arbeiten vernetzten.
Zur Zeit ist er
auf Kaution frei, nachdem er sich an der Organisation einer Kampagne gegen
den Bau einer Gaspipeline zwischen Thailand und Burma beteiligt hatte,
die seiner Meinung nach nicht nur die Umwelt zerstört, sondern auch
das mörderische Regime Burmas stützt. Sein Aktivismus hat Sivaraksa
einerseits zum Intimfeind eines großen Teils der regierenden Thai-Eliten
gemacht, andererseits großen Beifall seitens der internationalen
Menschenrechtsbewegung eingebracht. Aber es ist nicht sein Status als großer
Fisch im "Teich Thailand", der das Interesse internationaler Größen
wie Wolfensohn auf ihn gezogen hat.
Gerade als die Führer der Welt sich auf dem Johannesburger Gipfel langsam dem Gedanken der nachhaltigen Entwicklung nähern wollten, fanden einige von ihnen in Sivaraksa einen profunden Kritiker überkommenen Denkens. "Die Führer des Mainstream reden über Wirtschaftswachstum um den Armen zu helfen," sagt Sivaraksa und nuckelt an einer Zitrone. "Aber ich habe niemals gesehen, dass sie mit den Armen geredet haben. Ich lebe zusammen mit den Armen. Es gibt viele Dörfer in Thailand, die lagen früher mitten im Wald. Die Menschen lebten im Einklang mit der Natur und von ihr, und nach den offiziellen Zahlen waren sie arm. Jetzt ist der Wald verschwunden und es gibt überall neue Gebäude. Statistisch ist jeder reicher - aber so sieht es nicht wirklich aus, wenn man sieht, wie die Menschen hungern, die einen ganzen Tagelohn ausgeben müssen, um sich eine Dose Erfrischungsgetränk zu kaufen."
Sivaraksa, Sohn einer
Familie chinesisch-thailändischer Kaufleute, die er als Teil der unterdrückenden
Klasse bezeichnet, zeichnet sich durch komplexes Denken aus: gleichzeitig
kulturell konservativ - er besteht drauf, dass die Thais zu ihren Wurzeln
aus Buddhismus und Königshaus zurückkehren - und sozial progressiv
bekennt er sich lautstark z.B. zu Frauenrechten und sozialer Wohlfahrt.
Er steht den traditionellen sozialistischen Modellen ökonomischen
Wachstums, welche die menschlichen Ziele zugunsten unpersönlicher
Plansolls verrieten, ebenso kritisch gegenüber wie den kapitalistischen
Modellen, von denen er sagt, sie würden im wesentlichen dasselbe tun
in ihrem Streben nach Steigerung des Bruttoinlandsproduktes und der Marktwerte.
Die grundlegende
Botschaft seiner Marke "Engagierter Buddhismus" ist ganz einfach: Menschen
entwickeln sich nicht dadurch, dass sie Handys oder BMWs kaufen. In seinem
eigenen Land erkennt er die "Verwestlichung" seit der erzwungenen Öffnung
seines Landes für den Weltmarkt durch die Briten in den fünfziger
Jahren des 18. Jahrhunderts als stetiger Zerstörung der Kultur und
Unabhängigkeit Thailands. Die Armen wurden ärmer. Töchter
von Bauern, die ihr Land verloren haben, wurden in die Prostitution verkauft
und die angeblich Begünstigten einer fundamental gewalttätigen
Sozialstruktur, so drückt sich Sivaraksa aus, wurden selbst Sklaven
des mitleidlosen Zwangs des kapitalistischen Systems zu konsumieren. "Dies
ist wie eine Religion, eine Art Sakrament. Die Warenhäuser wurden
zu den Tempeln der Menschen. Der Buddhismus ist für diese Leute nichts
anderes mehr als ein Ritual," sagt er.
"Der Buddhismus sagt, dass die Annahme grenzenlosen materiellen Wachstums eine Illusion ist. Es ist offensichtlich, dass , wenn jeder Chinese ein Auto hat, dem die Erde nicht gewachsen ist. Aber wir müssen auch die Frage stellen, was wir eigentlich mit Entwicklung meinen. Im buddhistischen Konzept bedeutet Entwicklung die Entwicklung des Menschen. Das ist etwas anderes als materielles Wachstum, mitunter kann dieses sogar hinderlich sein. Was wir brauchen ist eine Balance zwischen spirituellem, sozialem und ökologischem Wachstum."
Sivaraksas jüngste Projekte beschäftigen sich damit, eine Alternative zum Modell des Konsumismus herauszubilden. Ein "Führungspro-gramm von unten" vermittelt "kritisches Verstehen der gegenwärtigen sozioökonomischen Strukturen" und alternative Entwicklungsstrategien wie Mikro-Kreditinstitute und Projekte zur gemeinsamen Nutzung von Ressourcen für die Führer der noch bestehenden traditionellen Gemeinschaften in Thailand. Es gibt auch Pläne für ein Südostasien-Studienzentrum für nachhaltige Gemeinwesen, das Kurse von bis zu zwei Jahren Dauer abhalten soll. Die Hälfte dieser Zeit sollen die Teilnehmer/innen im Klassenraum über nachhaltiges Wirtschaften lernen, die andere Hälfte der Zeit das Erlernte in praktischen Projekten in ihren eigenen Gemeinwesen umsetzen.
Für Sivaraksa
bedeutet jede ursprüngliche nachhaltige Entwicklung die Wiederentdeckung
spiritueller Werte. In Thailand bedeutet dies die Rückkehr zu buddhistischen
Wurzeln, in anderen Ländern hingegen müssen andere Traditionen
wiederbelebt werden. "Es gibt einen immensen Reichtum im Christentum, den
eure Länder wiederentdecken müssen. Das gleiche gilt für
den Islam. Es ist nötig, dass wir zusammenkommen, auch mit Atheisten
und Agnostikern, und wir müssen tiefer sehen als nur auf die materialistische
Ebene. Die Konzerne, die die Welt derzeit beherrschen, haben die
neueste Technologie, sie beschäftigen die besten Wissenschaftler.
Aber ihnen ermangelt es der ethischen Stärke, und das ist es was letztendlich
das Schicksal aller menschlichen Institutionen zerstört. Ohne eine
ethische Basis hält sich nichts. Ich erinnere mich noch gut, wie George
Orwell vor 50 Jahren den Untergang der Sowjetunion voraussagte. Keiner
glaubte ihm. Zu diesem Zeitpunkt himmelte die englische Linke die Sowjetunion
an, so wie die Leute sich heute vom Glitzern des Marktfundamentalismus
blenden lassen. Damals ignorierten sie sogar Stalins Gräueltaten,
genau wie sie jetzt vor dem die Augen verschließen, was die Konzerne
anrichten. "Aber Orwell hatte Recht, als er das Ende jenes Regimes voraussagte,
das der moralischen Legitimität ermangelte, und auch die Konzerne
werden nicht bestehen, denn sie weisen den gleichen Fehler auf." Und diesmal
ist Sivaraksas Gesicht ausdruckslos.