Prashant Varma
Dhammayatra - Interreligiöser Solidaritäts-Marsch
deutsch von Andreas Bachmann

«Der Baum spendet dir angenehmen Schatten um dich auszuruhn,
seine Äste niederzureißen ist böswilliges, grausames Tun.»


Im September 2000 organisierten die SEM (Spirit in Education Movement) und die TICD (Thai Interreligious Commission for Development) eine weitere Serie interreligiöser Märsche der Solidarität mit den Kämpfen der Stämme im Norden Siams. Der Hauptbeweggrund hinter diesen Märschen ist die Pflege eines internationalen und interreligiösen «Zeugnisablegens» der Kämpfe der einheimischen Bevölkerung in ihrem Bestreben, stützende Lebensumstände zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Heiliges und Weltliches des Landes verbindend, bringen die Märsche in ihrer spirituellen Dimension eine Sensibilität hervor, die uns hilft, uns mit den Menschen zu verbinden, welche durch unser Entwicklungs- und Fortschrittsstreben an den Rand gedrängt wurden. Angeführt wurden diesmal die Märsche von einem Waldmönch, einem katholischen Priester, von Stammesführern, Tiefenökologen und von den Geistern des Waldes und der Flüsse.

Ich hatte die besondere Ehre, an dieser einzigartigen und multidimensionalen Erfahrung teilzunehmen. Der Marsch wurde in drei Gruppen zu je 20–25 TeilnehmerInnen aufgeteilt: Männer und Frauen aus Alaska, Hawaii, Burma, Thailand, Indien, Deutschland und Australien. Wir waren Studenten, Lehrer, Aktivisten, Musiker und Sozialarbeiter. Wir alle kamen zusammen im Bemühen, tief in uns hinein zu schauen und uns Themen von weltweiter Bedeutung zu widmen.

Alle Gruppen begannen am 28. Dezember mit einer einfachen Zeremonie im Wat Umong in Chiang Mai und bestiegen dann Geländefahrzeuge, um zu den Anfangspunkten zu gelangen. Die nächsten 14 Tage verbrachten wir in Dörfern, lebten als privilegierte Gäste zuhause bei den einheimischen Stämmen.
Im Norden herrschte in dieser Jahreszeit kaltes Wetter und nur wenig Früchte und Getreide gediehen, was unsere Gewohnheiten punkto Geschmack auf die Probe stellte. Die von den Dorfleuten verbreitete Wärme und Gastfreundschaft war sehr berührend. Ihre Einfachheit spiegelte Weisheit wider.

Der Marsch wirkte auf verschiedenen

Ebenen. Einerseits war es eine Wanderung mit den Herausforderungen der Natur, mit der Konfrontation persönlicher Grenzen und mit der praktischen Notwendigkeit zum Teamwork. Dann wirkte er auf einer spirituellen Ebene, wenn wir von den Naturkräften überwältigt waren, von den anführenden Mönchen und Priestern und von der Harmonie zwischen Stämmen und Natur. Nachdem uns zerbrechliche Ökosysteme erklärt wurden, entwickelten wir ein vertieftes Bewusstsein für den «Pulsschlag unserer Erde» und versuchten Einsicht durch die Augen der einheimischen Leute, anstatt durch herkömmliches Wissen zu erreichen. Schlussendlich gipfelte der Marsch in einem Interesse für den Geist des Landes, die Leute, ihre Tradition und Kultur und erinnerte an unsere Pflichten als Teile des kollektiven Ganzen.

Der Marsch führte durch abwechslungsreiches Gelände, mal durch dichte Wälder, mal durch tiefe Flusstäler und über kahle Bergspitzen. Obschon der Marsch eher einem anstrengenden Treck glich, konnten wir uns dank häufiger Zwischenhalte in den Dörfern mit der fröhlichen und einfachen Begleitung der Dörfler wieder erholen und neue Kräfte schöpfen. Alle Gruppen hielten sich zwischen zwei und vier Tagen in jedem Dorf auf; so konnten wir einen guten Einblick in ihren traditionellen Lebensstil, in ihre Landwirtschaft und in das religiöse Leben gewinnen. Die meisten Karen üben Geisterverehrung aus, mit vielen Zeremonien und Darstellungen universalen Stammesglaubens. Wir verbrachten Zeit damit, Geschichten aus unserer Heimat zu teilen und unter dem kalten, sterngeschmückten Nachthimmel Lieder in vielen Sprachen zu singen.

Hinter dem «Zeugnisablegen» stand die Absicht, diesen Stimmen zuzuhören, die wir aus Unwissenheit als ungebildet und rückständig einordnen. Je länger wir unterwegs waren, desto mehr wurde uns bewusst, wie sehr wir den Bezug zum Land verloren haben. Wir fühlen uns nur in den Begrenzungen der Städte sicher. Uns wurde bewusst, dass eines Tages unsere Städte und unser Lebensstil die Wälder mit ihren Bewohnern verzehren werden.

Das bedeutendste Problem der einheimischen Stämme im Norden scheint die von der Regierung begonnene Politik der Schaffung von Nationalparks zu sein. Diese Pläne wurzeln in falschen Vorstellungen von Umweltschutz. Sie lassen keinen Raum für die Menschen, die mehr Teil dieser Umwelt sind, als ihre städtischen Ebenbilder. Die SEM und die TICD haben zusammen mit anderen lokalen NGOs (Nichtregierungsorganisa-tionen) in den Gemeinden vor Ort daran gearbeitet, Zugang zu Information und Unterstützung zu ermöglichen. Der Erfolg eines solchen Experiments, wie dem «dhamma-yatra» liegt in der kollektiven Weisheit der einheimischen Leute. Sie haben uns in ihre Wälder, welche ihr Zuhause sind, gelassen und uns geholfen, sie durch diese Wälder zu verstehen.

Ein Teil des Marsches bestand aus einem zweitägigen Einzelretreat im Wald, wo wir an einer Lagerstätte kontempliert und gefastet haben. Dies half uns beim Reflektieren über die tiefe persönliche Erfahrung des Marsches. Am Ende des Marsches kamen alle Gruppen ins Wat Luang, ein Waldkloster nahe bei Chiang Mai und nahmen an heiligen Zeremonien teil.

Der jährliche Marsch hat an Beliebtheit gewonnen und half mit, eine starke Verbindung zwischen Stämmen und Städtern zu schaffen. Das Schlusswort möchte ich hier dem Co-Leiter Musson geben, welcher auf die Sorgen eines Teilnehmers erwiderte: «Weshalb bringt ihr den Wald denn nicht in die Städte...?»



Zurück zur Meditation am Obermarkt
Zur Übersicht Meditation und Dharma
Zur Übersicht Buddhistische Geschichten