Der moderne Kapitalismus,
insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg und der "Entwicklungsära",
hat die systemische Gier noch einen Schritt vorangetrieben und damit die
Ideologie des Konsums, den Konsumismus erzeugt. Hier wird die Rolle des
privaten Eigentums noch gewichtiger. Während eine winzige Elite ihren
Zugriff auf das Kapital einer Gesellschaft und die Produktionsmittel behauptet,
wird die Mehrheit durch diese Struktur der Gier zu zwanghafter Anhäufung
von "Gütern" (sind sie denn gut?) verleitet, im Trachten nach "sinnlichem
Vergnügen" (kama) und Sicherheit. Weil sie so viel Plunder besitzen
dürfen, merken sie gar nicht, dass jemand anderem die Gesellschaft
gehört. Es kommt sogar oft vor, dass sie selber der Besitz von jemandem
sind.
Der Tourismus schließlich
verkauft Kulturen, Künste, Speisen, die Umwelt und Menschen in der
ganzen Welt als Gebrauchsgüter für den Konsum. All dies sind
nicht mehr Ressourcen, allen zugänglich für Wohlergehen, Verständnis,
Zusammenhalt, Glück und Frieden, sondern es wird aufgekauft, zerstückelt
und vermarktet. Den Ortsansässigen wird nicht einmal zugetraut, dass
sie solche wichtigen Ressourcen verwalten können. Sie läßt
man lediglich die Wäsche waschen, servieren, Taxi fahren und "Kultur-Shows"
nach dem Geschmack der Tourismuskonsumenten vortragen.
In einem solchen System genügt es nicht, wenn einzelne Buddhisten die Ausmerzung der Gier für sich persönlich anstreben. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Struktur der Gier in ein System der "Nicht-Gier" (alobha) umzuwandeln. Es ist durchaus möglich, dass ein paar herausragende Einzelne die Gier in sich selber ausschalten können. Sie würden jedoch auch weiterhin an einer Gesellschaft teilhaben und von ihr abhängen, die strukturell voller Gier ist. Wir anderen aber, die wir keine spirituellen Superstars sind, werden von der uns umgebenden Gier gerüttelt, verhext und manipuliert. Es wird uns sehr schwer fallen, das auszuschalten. Wir müssen es natürlich versuchen, aber wir könnten uns auch dafür einsetzen, uns selber, unseren Freunden und späteren Generationen diese Schwierigkeiten zu ersparen.
Gesellschaftlich gesehen hat Ärger die strukturelle Form von Militarismus, als da sind: Armeen, Geheimdienste, ungeheure Waffenindustrien, Spionagesatelliten,
Atomkraft (niemals für Frieden), zentralisierte Infrastrukturen und nationale Sicherheitsapparate der modernen Nationalstaaten. Wir schaffen diese Institutionen und Technologien unter dem Vorwand, uns vor "anderen" zu schützen. Sie werden jedoch viel häufiger im Angriff eingesetzt und sind oft durch Ärger motiviert. In der Mehrzahl der Länder werden sie gerade gegen die Bürger eingesetzt, die sie zu "beschützen" vorgeben. "Wir kennen viele Technologien, können unglaubliche Dinge im Weltraum tun, können Atome spalten und haben vielfältiges akademisches Wissen aufgehäuft. Aber was tun wir damit? Wir benutzen das alles nur, um die Vorteile und Interessen der Befleckung zu nutzen und voranzutreiben. Das wird uns deutlich an den Leuten, deren ganzes Bestreben es ist, die Welt zu beherrschen."
Natürlich wissen wir, dass die Struktur des Militarismus historisch eng verknüpft ist mit wirtschaftlichen Interessen und in der modernen Welt mit dem Kapitalismus und mit den meisten modernen Strukturen der Politik, ob nun links oder rechts. Dieser Militarismus - national, regional (zum Beispiel NATO) und global - ist eine einzige Darstellung strukturellen Ärgers.
Struktureller Ärger taucht auch in unseren sogenannten "Gerechtigkeitssystemen" auf, die von vielen Ländern zur Kontrolle benutzt werden. Strafe trifft diejenigen, die keine Macht haben. In vielen Fällen sind die Bestraften die Armen, die Minderheiten und die Frauen. Wenn zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ein Mann seine Frau tötet, kommt er oft innerhalb von fünf Jahren aus dem Gefängnis. Falls aber eine Frau ihren Mann tötet, selbst wenn er sie jahrelang brutal geschlagen hat, kommt sie für 20 Jahre ins Gefängnis und hat kaum eine Chance auf Bewährung. Dies müsste man eher "Ungerech-tigkeitssystem" nennen. Obwohl es in den letzten Jahrhunderten zumindest für einige Länder Fortschritte gegeben hat, beispielsweise durch Bewegungen für Menschenrechte und von Ureinwohnern, bleiben Ungerechtigkeiten weiterhin bestehen. Sie sind entweder sehr raffiniert in sogenannten "Demokratien" verankert oder in die "Entwicklungsländer" exportiert worden. Solange "Gerechtigkeit" auf dem Gedanken von Bestrafung beruht - sprich Rache - wird sie eine Struktur des Ärgers bleiben.
Auch Klassendenken, in den meisten Kulturen und Hierarchien verwurzelt, ist eine Form von strukturellem Hass. Nicht nur in ihren krassen Formen wie der Apartheid und dem Kastensystem, sondern in allen Gesellschaften, einschließlich der hierarchischen, autoritären Gesellschaften Asiens, erzeugen Klassenunterschiede Hass und Vorurteile zwischen Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Eine ähnliche Erscheinung ist das religiöse Sektierertum. Indem wir uns mit einer Religion identifizieren, mit einer bestimmten Gemeinschaft oder Sekte innerhalb einer Religion, wenden wir unseren Hass und unsere Abneigung gegen andere Religionen oder religiöse Gruppen. Das dient häufig den Interessen des Kapitalismus und anderen Formen der Befleckung. Ein Beispiel ist unser Vorurteil, aufgrund dessen wir beschließen, dass Urbevölkerungen nicht wirklich menschlich sind, weil sie nicht so zivilisiert sind wie wir. Und daher haben wir das Recht, ihr Land zu beschlagnahmen, ihre Gewässer zu verschmutzen, ihre Töchter und Söhne zu Prostituierten zu machen.
Schließlich ist auch die Politik der Ausgrenzung eine strukturelle Form des Hasses. Wo immer kleine Gruppen andere von der Macht ausschließen, nämlich von dem Recht, über ihren Lebensweg zu entscheiden, da wird Gewalt ausgeübt und ist Hass am Werk. Offensichtlich besteht keine der hier aufgeführten Strukturen unabhängig von den anderen. Wir haben eine bedingte Welt, und diese verschiedenen Strukturen der Befleckung und Selbstsucht verstärken sich gegenseitig.
"Verblendung" (moha) durchdringt unter dem Mantel von Information die Medien. In Wirklichkeit werden wir mit einer Menge Pseudoinformation überflutet. Wir erfahren nicht die wichtigen Einzelheiten, sondern nur die oberflächlichen, die ein Spektakel erzeugen, um uns zu kitzeln, aufzureizen, zu erregen und uns letztendlich von der Wahrheit abzulenken. Wir erfahren nie die wirklichen Fakten.
In den letzten drei Jahren haben Thai-Zeitungen willig den korrupten Interessen in der Regierung, im Militär und gewissermaßen einer Geschäftsmafia gedient, um den Ruf zweier unserer besten Naturschützer-Mönche zu zerstören: Phra Pongsak Dejadhammo und Phra Prachak Kuttacitto. Durch Korruption bis hinein in die "Mönchsgemeinschaft" (sangha) wurden beide gezwungen, die Mönchsrobe abzulegen. Wir werden mit dem Spektakel politischer Kampagnen unterhalten, die die Illusion nähren, die Politiker seien wirklich diejenigen, die alles unter Kontrolle haben. Die Medien enthüllen uns nie, wer eigentlich bestimmt, was wir sehen und lesen, oder wer die Politiker ihrerseits kontrolliert. Diese Dinge werden nie hinterfragt oder überprüft.
Wir sehen also, dass sich die Verblendungen aus den Medien und den Miss-Bildungssystemen in gesellschaftliche Strukturen verwandeln. Darin wiederum wirken sich die Befleckungen der Langeweile und der Aufreizung aus, besonders in bezug auf die Medien, und tragen dazu bei, das Spektakel, die Ablenkung und die Verblendung aufrecht zu erhalten.
Es gibt eine Wechselwirkung und Triebkraft, eine Bedingtheit, zwischen diesen Strukturen der Befleckung in jedem von uns und den Strukturen der Selbstsucht und der Befleckung in der Gesellschaft. Das böte eine Möglichkeit, die Ursachen für gesellschaftliches "Leiden" (dukkha) zu untersuchen. Dieser Ansatz leugnet nicht die Wirksamkeit bestimmter wirtschaftlicher, politischer, geschlechtsbezogener und ökologischer Analysen. Wir versuchen lediglich, sie aus einem spirituellen und ethischen Blickwinkel zu betrachten. Wir können diesen Ansatz dann mit entsprechenden Analysen verknüpfen, die sich auf Wirtschaft, Politik, Feminismus beziehen und dadurch viele Einzelheiten und Mechanismen ergänzen.
Eine der häufigsten Formen von Unwissenheit heutzutage kann "Pseudowissenschaft" oder "Wissen-schaftlichkeit" genannt werden. Da wird vorgetäuscht, die Wirklichkeit von Dingen zu untersuchen, und dabei werden die wichtigen Teile der Realität außer acht gelassen. Pseudowissenschaft ist ein reduktionistischer Vorgang. Sie zerbricht Dinge in ihre Einzelteile und unterstellt, dass Dinge nichts weiter sind als die Summe ihrer Teile. Dabei läßt die Pseudowissenschaft die ganzheitliche, eine Gesamtheit darstellende Natur der Dinge unbeachtet. Sie ist besessen von materiellen Phänomenen und Ursachen und übersieht dabei die geistigen, ethischen, spirituellen und wertbezogenen Phänomene in den Ursachen sozialer Probleme. Außerdem haben die mechanistischen Tendenzen der Pseudowissenschaft - der blinde Glaube an Fortschritt, Evolution und positive Entwicklung, die Annahme, dass der Beobachter von dem beobachteten Objekt abgesondert ist, und damit die Wirklichkeit subjektiviert und objektiviert wird - hat alles dies zusammengenommen die Wissenschaft in Pseudowissenschaft verwandelt.
Um das anders auszudrücken, entsprechend der traditionellen Erklärung des Buddha für Unwissenheit, gesellschaftliche Unwissenheit zeigt sich vierfach:
Der erste Aspekt ist der, dass wir unsere sozialen Probleme nicht kennen.
Zweitens verstehen wir die Ursachen und Gründe für unsere sozialen Probleme nicht. Gewöhnlich hören wir in den Schulen, im Fernsehen und von unseren Politikern nur die oberflächlichsten Analysen, die uns von den wirklichen Gründen, nämlich Kapitalismus, Militarismus, Rassismus und Sexismus, nur ablenken.
Drittens begreift Unwissenheit nichts vom "Auslöschen" des gesellschaftlichen "Leidens", nichts davon, wie die Gesellschaft sein könnte, wenn wir denn diese Strukturen von Selbstsucht ausschalten würden. Dieser Mangel an Vision ist so schlimm, dass wir überhaupt nicht mehr darüber nachdenken. Das gehört nicht mehr zu unserem gesellschaftlichen Diskurs. Wir haben die unwillkürliche Tendenz, jede höhere Vision von Gesellschaft als utopisch oder idealistisch zu verspotten, herabzusetzen und zu verurteilen. Es ist aber notwendig, Ideale zu haben. Sie herabzusetzen bedeutet, uns selber zu niedrigen Maßstäben zu verurteilen. Idealistisch zu sein ist großartig, wenn wir gleichzeitig praktisch sein können. Sobald aber heute etwas als idealistisch oder utopisch abgestempelt ist, wird es verlacht, und das wiederum, um uns von jedwedem höheren Ziel in unserem gemeinsamen Leben abzulenken.
Letztlich und viertens begreift Unwissenheit den Pfad nicht, den wir als Gruppen gemeinsam gehen müssen, als Nicht-Regierungsorganisationen, als Gesamtgesellschaften und als Gattung. Wir lassen den Pfad außer acht, der diese entmenschlichenden und befleckten sozialen Strukturen beseitigen kann, der uns ermöglichen kann, in einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zu leben, die auf Grundsätzen der Weisheit und des Mitgefühls beruht. Unwissenheit versteht nichts von gesellschaftlichem Leiden, seinen Gründen, seinem Ziel und dem Pfad, dem wir zu seiner Beendigung folgen müssen.
Unwissenheit schert
sich überhaupt nicht darum. Von Unwissenheit zeugt der Gebrauch der
intellektuellen Quellen unserer Gesellschaft - unserer großen Forschungsstätten,
der Denkfabriken und Datenbanken, die wir für so ziemlich alles nutzen,
außer für die Grundfragen des Lebens und der Gesellschaft. Es
ist Unwissenheit, dass unsere Politiker nie auf dieses Dilemma eingehen.
Es ist Unwissenheit, dass die führenden Gestalten unserer Religion
uns einnebeln mit Trugbildern vom Leben nach dem Tode, um uns vom Erreichen
des Nibbana hier und jetzt in dieser Welt abzulenken. Unwissenheit heißt
nicht verstehen, sich nicht kümmern, nicht interessiert sein, nicht
hinsehen, nicht suchen und gleichzeitig selbstgefällig und zufrieden
in den von uns geschaffenen "Existenzzyklen" (samsara) umherzuschweifen.
Diese vier Aspekte
gesellschaftlicher Unwissenheit können wir nun auch zusammenfassend
bezeichnen als nicht wissen, dass wir alle miteinander zusammenhängen,
nicht erkennen, dass wir alle voneinander abhängig sind. Wenn wir
gegen diese Tatsache, dass wir im Leben "miteinander in Beziehung stehen"
(idap-paccayata), blind sind, schaffen wir damit die inneren Ego-Strukturen
und die äußeren gesellschaftlichen Strukturen der Selbstsucht.
Auf traditionelle Thai-Art ausgedrückt: Unwissenheit heißt zu
vergessen oder außer acht zu lassen, dass wir alle Gefährten
sind in Geburt, Alter, Krankheit und Tod, kurz Gefährten im "Leiden"
(dukkha).
Wenn wir gesellschaftliche
Probleme aus dieser Perspektive diskutieren, ist es nicht einfach, die
Probleme von ihren Ursachen zu unterscheiden. Alle genannten "Ismen" könnten
ebenso gut für die Probleme gehalten werden. Alle hängen zusammen,
sind gegenseitig abhängig und bedingen einander. Trotzdem will ich
diesen Rahmen aus zweierlei Gründen beibehalten. Indem wir die Ursachen
der gesellschaftlichen Missstände in den Strukturen der Befleckung
ansiedeln, fällt es uns leichter, die Verflechtung persönlicher
und struktureller "Be-fleckung" zu sehen. Wie sie sich ausspielen, sich
voneinander nähren und gegenseitig auffressen - das ist die Dynamik,
die den Lauf der "Existenzen kreisen" lässt (samsara).
Wenn wir uns hier aber auf Selbstsucht und "Befleckung" konzentrieren, dann verleihen wir außerdem Buddhisten gegenüber der Einstellung gehörigen Nachdruck, dass die Gesellschaftsstrukturen verändert werden müssen. Und letztlich beweisen wir damit allen, dass gesellschaftliche Probleme nicht nur - und nicht einmal hauptsächlich - in Wirtschaft und Politik begründet sind. Sie sind ebenso kulturell, sittlich und spirituell begründet.
Zugegebenermaßen ist diese Analyse ein bloßer Beginn, ich hoffe aber, dass dieser Ansatz zu mindestens dazu beitragen wird, dass