Beitrag des Buddhismus zum Schutz der Mitwelt
von Franz-Johannes Litsch 

Auszug aus dem Vortrag auf der Tagung: "Die Rolle der Religionen angesichts globalisierter Zerstörung" im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg, 21. – 23. Januar 2000

(Franz-Johannes Litsch hatte sich in dem Vortrag bereits mit den Begriffen Natur und Umwelt befasst und kommt zum Schluss auf den Begriff Ökologie. Der vollständige Aufsatz erscheint im nächsten Jahr in der Reihe engagierter Buddhismus, Band 3„Buddhismus und Ökologie“.)



Wir kommen zum dritten Wort, zum Begriff "Ökologie": Der aus dem Griechischen stammende Begriff leitet sich bekanntlich vom Wort "Oikos - Haus" her. Die Ökologie ist das Wissen vom gemeinsamen Haus, in dem wir leben. Sie ist die Wissenschaft vom Zusammenleben oder wissenschaftlich gesprochen von den Beziehungen des Organismus zu seiner Umwelt und dem Zusammenspiel der verschiedenen Lebensfaktoren.
An sich bezeichnet der Begriff Ökologie nur die Wissenschaft von einem Aspekt der Wirklichkeit nicht den Wirklichkeitsaspekt selber. Wir sprechen inzwischen aber auch von Sozialökologie und anderen "ökologi-schen" Wissenschaftsbereichen. Und wie im Begriff Technologie (gemeint ist zumeist die technische Welt nicht die Technikwissenschaft) wird der Begriff Ökologie heute auch für jene Wirklichkeit selbst, also die Natur oder Umwelt gebraucht. Ja der Begriff wird gar zum Begriff einer bestimmten Qualität von Wirklichkeit. So reden wir ja z.B. vom Ökobrot, von Ökoautos oder vom Ökotourismus.

Es soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass wir nicht mehr wie in der Vergangenheit nur die Gegenstände für sich (also losgelöst von ihrer Umgebung) betrachten wollen, sondern dazu
übergehen, die Erscheinungen in und aus ihren Beziehungen zueinander zu begreifen, so dass sich auch unsere Vorstellungen von festen Gegenständen zunehmend zum Konzept von fließenden, dynamischen Strukturen, Systemen oder Netzwerken hin verändern (Systemtheorie). Und darüber hinaus, da wo der Begriff zum Qualitätsmerkmal wird, soll damit gesagt werden, dass der jeweilige Gegenstand unter Berücksichtigung dieser Wechselwirkungen und größeren Zusammenhänge konzipiert oder erzeugt wurde. Auf diese Weise wurde ökologisches Denken heute gar zum Synonym für Ganzheitlichkeit und globale menschliche Verantwortung.

Interessanterweise kommen wir - unter all den hier betrachteten Begriffen - mit diesem so ganz modernen Begriff und Wirklichkeits-Verständnis dem zunächst ja ganz antiken Buddhismus am nächsten. Ja, hier treffen wir unmittelbar auf das, was heute allgemein als die Essenz der Lehre des Buddha betrachtet wird, die Lehre von paticca samuppada, vom "wechselseitig bedingten Entstehen und Vergehen" aller Erscheinungen.
Diese Lehre ist für das Verständnis des Buddhismus so grundlegend, dass letztlich keine einzige Lehraussage wirklich verstanden werden kann, wo diese eine nicht verstanden wird. Buddha selbst hat darauf ausdrücklich hingewiesen:

"Wahrlich, wer das Bedingte Entstehen kennt, der kennt die Lehre; und wer die Lehre kennt, der kennt das Bedingte Entstehen." (Majjhima-Nikaya 28)

"Wenn das besteht, so entsteht jenes. Durch das Entstehen von jenem wird dies hervorgebracht. Wenn jenes nicht ist, so entsteht auch dies nicht. Durch das Aufhören von jenem wird dieses beendet." (Samyutta Nikaya II 28, 65)

In dieser Einfachheit und Kürze beschreiben die buddhistischen Grundtexte des Pali-Kanon die Quintessenz der Erkenntnis Shakyamuni Buddhas über sich selbst und die Wirklichkeit. Wir finden diese Aussage in den Schriften an zahlreichen Stellen, in ähnlichen Worten und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen.
Die Lehre besagt: Alles ist durch anderes bedingt. Alles ist von anderem abhängig, wird durch anderes bestimmt und entsteht und vergeht in Abhängigkeit von anderem. In anderen Worten: Alles ist mit allem verbunden. Alles steht mit allem in Wechselbeziehung und Austausch. Alles verdankt seine Existenz anderer Existenz.

Dies führt zu der Aussage, nichts existiert alleine oder kann alleine existieren. Nichts existiert aus sich und für sich selbst. Nichts entsteht und vergeht aus sich heraus oder für sich allein. Alles was geschieht oder existiert, geschieht und existiert nur innerhalb von Beziehungen.

Insofern jedes einzelne Phänomen der Wirklichkeit Ergebnis und Ausdruck von Wechselbeziehung ist, gehen nach buddhistischer Auffassung auch alle kulturellen, gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Verhältnisse auf diesem Planeten Erde aus wechselseitig bedingtem Entstehen hervor. Paticca samuppada, bedingtem Entstehen verdanken sie ihr Entstehen, ihre Veränderung und ihr Verschwinden.
Die Gesetzlichkeit, die unsere Mitwelt prägt, ist somit keine andere als die, die den Einzelmenschen bestimmt und die ebenso den Prozessen des Bewussteins wie denen der Gesellschaft, der Natur und der gesamten Wirklichkeit zugrundeliegt.

Die zentrale Bedeutung von paticca samuppada in der buddhistischen Lehre zeigt, dass eine isolierte, individualistische, anthropozentrische Betrachtung des Menschen für den Buddhismus nicht möglich ist. Wenn der Buddhismus den einzelnen Menschen sieht, sieht er immer zugleich die Menschen in ihrer Beziehung zueinander, d.h. innerhalb der menschlichen Gemeinschaft und diese wiederum innerhalb der gesamten ökologischen Lebenswelt.

Mit dieser umfassenden Sichtweise von wechselseitigem Verbundensein, die auch den Geist und unsere Innenwelt einbezieht, geht der Buddhismus natürlich weit über das hinaus, wozu die Ökologie als Wissenschaft bereit ist. Für sie bleibt die Grenze der Beibehaltung der Trennung von Subjekt und Objekt und die Weigerung, auch den Beobachter und das eigene Bewusstsein in die Beobachtung und Erkenntnis mit einzubeziehen.
Die Weiterentwicklung des indischen Frühbuddhismus zum ostasiatischen Mahayana brachte zusätzlich noch eine Vertiefung im Verständnis von paticca samuppada, eine Vertiefung im Verständnis der Ganzheit der Lebenswelt und der spirituellen Tiefe des Daseins. Diese finden wir insbesondere im Avatamsaka-Sutra und in der chinesischen Hua Yen Philosophie. Das Blumengirlanden-Sutra (Ava-tamsaka) richtet sein Augenmerk insbesondere auf den Aspekt der durch das wechselseitig bedingte Entstehen gegebenen Beziehung des Teils zum Ganzem und umgekehrt.

Der bereits erwähnte Dharmalehrer Thich Nhat Hanh hat uns diese Sichtweise in besonders leicht fasslicher Weise zugänglich gemacht. Er gebraucht dafür immer wieder das Beispiel des hier vor uns liegenden Papiers. Das Papier kann nicht existieren ohne den Baum, und der nicht ohne die Erde, die Sonne, den Regen usw. Weiter braucht es den Holzfäller und der wiederum existiert nicht ohne seine Säge, nicht ohne Nahrung, Kleidung oder ohne seine Mutter. Dann braucht es die, die aus dem Holz das Papier herstellen, die es handeln, transportieren und bedrucken usw. Und wenn wir das alles immer weiterverfolgen, erkennen wir letztlich, dass das Papier eine unendliche Kette von Bedingungen voraussetzt, um als das zu existieren, als das es erscheint. Ja, dieses eine Papier setzt die gesamte Erde und den ganzen Kosmos voraus. All das ist notwendig, damit eine einziges Ding so ist, wie es ist. Damit enthält das Papier in sich auch all die Phänomene und Wesen, die es möglich gemacht haben. Dieses Papier enthält so das gesamte Universum.

Auch die Probleme unserer heutigen Welt können wir im vorliegenden Papier finden. Denn es ist, selbst wenn es Recycling-Papier ist, aus dem Holz von Bäumen gemacht, die dafür gefällt wurden. Mit den gefällten Bäumen haben zahlreiche Wesen ihren Zufluchtsort, ihre Brutstätte oder ihre Nahrung verloren. Menschen haben vielleicht wichtige Lebensbedingungen, wertvolles Bauholz, ihr einziges Heizmaterial oder "nur" ihre gesunde, frische Atemluft verloren – oder auch buddhistische Waldmönche ihren Ort der Praxis. Bei der Papierherstellung wurden eine Menge Chemikalien und Wasser verbraucht, Flüsse wurden verunreinigt, Fische starben und das Trinkwasser von Menschen wurde verdorben. Andererseits sichert es Druckern und Verlagen ihre Existenz und wir haben die Möglichkeit, Gedanken über die Zukunft unserer Welt auszutauschen.
Das bedeutet, dass in jeder Erscheinung, jedem Ding, jedem Wesen alle anderen Erscheinungen, Dinge, Wesen mitenthalten sind. Teil und Ganzes enthalten und durchdringen sich gegenseitig. Nichts im ganzen Universum existiert, was nicht das ganze Universum zur Bedingung hat. Existiert auch nur eine einzige Erscheinung im Ganzen nicht mehr oder anders, so ist das Ganze nicht mehr das gleiche Ganze sondern ein anderes.

Das Avatamsaka-Sutra gelangt zuletzt zu einem mythischen Bild, nämlich dem vom "Netz des Indra". Dies bezeichnet ein prachtvolles Netz, über das der indische Götterkönig Indra verfügt, dessen Knoten durch Edelsteine gebildet werden und von denen jeder einzelne alle anderen reflektiert und jeder so das ganze Netz in sich enthält. Damit findet der Buddhismus bereits im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu einer holistischen Netzwerk-Auffassung von der Wirklichkeit. Auf der Suche nach einem Wort, das diese uralte Einsicht mit unserer modernen Sichtweise vereint, gelangte Thich Nhat Hanh zu dem Begriff "Intersein".
Thich Nhat Hanh sagt darum, dass "mein Ich" sich aus "Nicht-Ich-Elementen" zusammensetzt, dass das, was "meine Person" ausmacht, gebildet wird aus dem, was oberflächlich gesehen gerade nicht meine Person ausmacht. Das heißt, ich bin das, was ich nicht bin, mein wahres Selbst ist das Nicht-Selbst, mein wahres Ich ist der Andere und das Andere.

Im Diamantsutra finden wir den Satz: "Der Buddha ist nicht der Buddha, darum ist er der Buddha." Und Dogen Zenji, den wir bereits kennen lernten, fasst all dies in die wenigen Worte:

"Den Buddha-Weg erkennen, heißt sich selbst erkennen. Sich selbst erkennen, heißt sich selbst vergessen. Sich selbst vergessen, heißt sich in allem finden"

Erkennen wir die Wirklichkeit als eine umfassende Ganzheit von Beziehungen, dann bedeutet das auch: ist ein Teil oder eine Beziehung verändert, so ist die ganze Wirklichkeit verändert. Darum können wir nie davon sprechen, dass wir als einzelne keinen Einfluss und keine Bedeutung im Ganzen hätten. Ein Gedanke, ein Wort, eine Tat kann die ganze Welt, die ganze Menschheit, die ganze Geschichte verändern, zum Leiden hin oder zur Befreiung hin.

Umgekehrt führt die Einsicht, dass wir von nichts getrennt sind, dass wir mit allem zu tun haben zur Folgeerkenntnis, dass uns alles etwas angeht, dass wir für alles verantwortlich sind. S.H. der Dalai Lama nennt deshalb die Essenz des Buddhismus: die Einsicht in unsere "Univer-sale Verantwortlichkeit".
Um eben dies letztere und nur um dies ging es Buddha. Alle die hier betrachteten Lehren des Buddha erfüllen ihre eigentliche Bedeutung nicht darin, dass sie uns hervorragende theoretische Grundlagen für das Verständnis der Wirklichkeit liefern, sondern dass sie uns heilsame Einsichten und Orientierungen für das Überwinden von dukkha, von Leid in der Welt und in unserem Leben bieten.

Denn aus der wirklich tief erfahrenen und durchdrungenen Einsicht in unsere Ungetrenntheit mit allen leidenden Wesen gehen allumfassende Liebe (maitri), grenzenloses Mitgefühl (maha karuna) und allgegenwärtige Achtsamkeit (sati) hervor. Nur sie haben letztlich die Qualität und Kraft, uns und unsere leidende Welt zu verändern.

Kommen wir damit zurück zum Ausgangspunkt und zum Schluss: Ich stellte ihnen ein Zitat aus dem Diamant Sutra vor mit folgendem Inhalt:

"Wie viele Arten lebender Wesen es auch geben mag, ob aus dem Ei geboren, der Gebärmutter, aus Feuchtigkeit oder unmittelbar, ob sie Gestalt besitzen oder keine, ob sie wahrnehmen oder nicht, oder ob über sie weder gesagt werden kann, dass sie wahrnehmen, noch dass sie es nicht tun, wir müssen alle diese Wesen zum endgültigen Nirvana führen, so dass sie befreit werden. Und wenn diese unzählige, unermessliche, endlose Anzahl von Wesen befreit worden ist, dann denken wir in Wahrheit noch nicht einmal, dass ein einziges Wesen befreit worden ist. Warum? Wenn sich, Subhuti, einer an der Idee festhält, dass ein Selbst, eine Person, ein lebendes Wesen oder eine Lebensspanne existiert, dann ist diese Person kein echter Bodhisattva."
Ich sagte: Auf unsere Thematik bezogen können wir diese Aussage auf folgende Weise umformulieren: "Wir müssen unsere Umwelt vor der Zerstörung durch den Menschen retten. Doch wenn wir dies tun und denken, wir würden unsere Umwelt retten, dann tun wir dies in Wahrheit nicht."

Ich denke, sie können dieser Aussage nun folgen. Sie will sagen, dass wir nicht in der Lage sein werden, unsere Natur oder Umwelt zu retten bzw. unsere Lebensbedingungen auf diesem Planeten Erde vor der Selbstzerstörung zu bewahren, solange wir nicht erkennen, dass es darum geht, uns in der bedrohten Erde und Natur selbst zu finden und uns selbst in unserem Innersten zu retten. Wir bewahren die Natur nur in dem Maße, in dem wir uns zu unserer eigenen wahren Natur befreien. Die Aufrechterhaltung unseres ökologischen Überlebens wird identisch sein mit der Verwirklichung wahren, erfüllten, menschlichen Lebens.

"Der Bodhisattva soll in bezug auf alle Wesen die Idee entwickeln: dies ist meine Mutter, mein Vater, mein Sohn, meine Tochter, ja dies bin ich selbst. Wie ich selbst von allen Leiden gänzlich frei sein möchte, so möchten alle Wesen frei sein." (Prajnaparamita Sutra)



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