Zarte Blüten im Lotusteich
Engagierter Buddhismus im heutigen Vietnam und die Arbeit der Nonne Thich Nu Tri Hai

"Sozial- und gesellschaftlich engagierter Buddhismus" hat in Vietnam eine lange Tradition. Er gründet in einer besonders engen Beziehung zum Volk, zu seiner Geschichte und seinem alltäglichen Leben. Darüberhinaus ist er möglicherweise auch Frucht eines dort in der buddhistischen Welt einmaligen Zusammentreffens von Theravada- und Mahayana-buddhistischer Schulrichtung. Der Begriff selbst (nhan gian Phat Giao) ist allerdings erst in diesem Jahrhundert, in den Jahren um 1930 entstanden. Er ging hervor aus einer intensiven, kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung vietname-sischer Buddhisten mit der französischen Kolonialherrschaft im damaligen Indochina. Schließlich wurde er nach dem 2. Weltkrieg Ausdruck für eine breite vietnamesisch-buddhistische Erneuerungsbewegung, die heute insbesondere in der Person des inzwischen auch im Westen weit bekannt gewordenen Zen-Lehrers, Poeten und Friedensengagierten Thich Nhat Hanh fortlebt.

Während die Bewegung in ihrer ersten Phase von starken Bemühungen um eine geistige und soziale Erneuerung der vietnamesischen Gesellschaft geprägt war und sich dabei vor allem der Jugendarbeit widmete, ging sie bald dazu über, die unter dem Einbruch der westlichen Industriekultur schnell wachsende Verarmung der Landbevölkerung lindern zu helfen und wurde schließlich - angesichts des schleichend eskalierenden und verheerenden Krieges zwischen den USA und der vietnamesisch-kommunistischen Unabhängigkeitsbewegung - zur zeitweilig breiten und weltweit beachteten buddhistischen Friedensbewegung, die jedoch furchtbar unter der Verfolgung durch beide politische Lager zu leiden hatte.
 
 
 

Die vietnamesischen Kommunisten dankten den Buddhisten ihre Neutralität und Friedens-bemühungen nicht. Mit dem Sieg Nordviet-nams und des Vietcong wurde schlagartig alles soziale und humanitäre buddhistische Engagement verboten und verfolgt, alle noch vorhan-denen sozialen Einrichtungen und Ausbildungsstätten wurden geschlossen oder konfisziert. Der kommunistischen Partei sollte das alleinige Monopol auf gesellschaftliche Betätigung zustehen. Die Mönche, Nonnen und Laien, die sich zuvor viele Jahre unter großen Opfern für das Wohl der Menschen eingesetzt hatten, mussten nun entweder außer Landes fliehen oder wurden in "Umerziehungslagern" festgesetzt. Thich Nhat Hanh und zahlreiche seiner Mitarbeiter leben seither in Frankreich oder den USA im Exil. Die obersten Repräsentanten des vietnamesischen Buddhismus, die Mönche Thich Huyen Quang und Thich Quang Do und zahlreiche andere Mönche und Nonnen der nun verbotenen "Vereinigten buddhistischen Kirche Vietnams" werden bis auf den heutigen Tag in Haft gehalten.
Seit Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusam-menbruch des weltweiten sozialistischen Lagers und einer vorsichtigen Öffnung des Landes für ausländisches Kapital und westlichen Einfluss sind soziale Aktivitäten von Buddhis-ten wieder vorsichtig geduldet, werden schnell zahlreicher und öffentlicher.

An der Duc-Son-Pagode in Hué gibt es seit 1989 ein von Nonnen geführtes Waisenhaus und in dem sehr armen IV. Bezirk von Saigon existiert eine an die Linh Quang Tinh Xa Pagode angegliederte Schule für behinderte Kinder und Jugendliche. Wie sehr spirituelle und leibliche Gesundheit im vietnamesischen Buddhismus zusammengehören, zeigt sich in den zahlreichen ambulanten Einrichtungen, in denen sowohl östliche als auch westliche Heilungsmethoden praktiziert werden. An der Phap Hoa Pagode in Saigon besteht seit 1989 die Möglichkeit, eine dreijährige Ausbildung in östlicher Medizin zu absolvieren.

Als Vorbild gilt der Mönch Thich Tue Tinh aus dem 14. Jahrhundert, der die Heilkraft der Kräuter beschrieben und systematisiert hatte. "Die Mönche und Nonnen genießen ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Sie sind Arzt, Berater, Wunderheiler und Glücksbringer zugleich", meint die Nonne Thich Nu Tri Hai aus Saigon. Gerade im ländlichen Bereich ist die Armut sehr groß und die Bevölkerung besonders stark den Folgen der Umweltzerstörung (aufgrund der amerikanischen Agent-Orange-Einsätze im Vietnamkrieg und der heutigen Abholzung der Wälder) ausgesetzt.

Thich Nu Tri Hai ist eine außergewöhnliche Nonne: unermüdlich reist sie seit vielen Jahren in Vietnam umher, um zu helfen, wo Hilfe am nötigsten ist. Anfang der sechziger Jahre, im Alter von 25, trat sie in Hué in ein Nonnenkloster ein. Als Mitglied einer Gruppe engagierter Buddhisten leistete sie in den vom Vietnam-krieg besonders hart betroffenen Gebieten Zentral-Vietnams direkte Hilfe und erlebte das immense Leiden der Bevölkerung hautnah mit. Durch Auslandsstudien in Paris und den USA kam sie dann mit Ansätzen der modernen Sozialwissenschaft in Berührung.

1965 gründete Thich Nhat Hanh in Saigon die an die buddhistische Van-Hanh Universität angeschlossene School of Youth for Social Service (SYSS). Diese hatte zum Ziel, in drei bis sechsmonatigen Kursen junge Männer und Frauen in Sozialarbeit und Community Development auszubilden. Thich Nu Tri Hai arbeitete im Ausbildungsprogramm mit. Die Teilneh-merinnen und Teilnehmer erlernten Techniken der Gruppendynamik, die Erstellung von Fallstudien und Prinzipien sozialer Entwicklung, um später in die Dörfer und Slums zu gehen, die Situation zu analysieren und adäquate Hilfe zu ermöglichen.

Nach dem Sieg der Kommunisten 1975 wurde Thich Nu Tri Hai wie viele andere Opfer der nun einsetzenden kommunistischen Willkür-herrschaft. Von 1984 bis 1988 wurde die Non-ne in einem Saigoner Gefängnis festgesetzt. Die Regierung fürchtete ihren großen Einfluss unter der Bevölkerung. "Die Kommunisten gestatten zwar heute wieder soziale Einrichtungen, aber sie wollen nicht, dass die Menschen von den Mönchen und Nonnen beeinflusst werden", meint sie. Über ihre Zeit im Gefängnis sagt sie: "Seit ich im Gefängnis war, fürchte ich nichts mehr. Es war der beste Ort zum Meditieren. Seitdem verstehe ich, dass Samsara und Nirvana nicht zwei getrennte Welten, sondern eins sind".

Inzwischen ist soziales Engagement wieder begrenzt möglich, aber es ist vom Wohlwollen der lokalen Behörden abhängig. Sie sind mäch-tiger und häufig korrupter als die Regierung in der fernen Hauptstadt Hanoi. "Manchmal werden wir gestoppt und weggeschickt, und manchmal arbeiten die Behörden sehr gut mit uns zusammen. Wir tun, was wir können". "Letztendlich sind die persönlichen Kontakte am wichtigsten," meint sie. "Darüber können die großangelegten Aktionen der internationa-len Hilfsorganisationen, die oft viel Geld aber wenig Herz bringen, nicht hinwegtäuschen."

Martin Petrich / Franz-Johannes Litsch

Die Arbeit der Nonne Thich Nhu Tri Hai in Vietnam wird vom deutschsprachigen Netzwerk engagierter Buddhisten unterstützt. Geldspenden werden durch Besucher direkt zu ihr nach Vietnam gebracht und von ihr dort eingesetzt, wo sie es für notwendig und nützlich hält.

Wenn Sie die Arbeit von Thich Nhu Tri Hai mitfördern wollen, wenden sie sich an unseren Franz-Johannes Litsch von der Geschäftsstelle des NEB in Berlin.



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