Symbole und Erzählungen
in der buddhistischen Gefangenenarbeit
Buddhisten aller großen Traditionen engagie-ren sich heutzutage stark in Gefängnisarbeit und  bringen damit den Dharma zu den Insassen und dem Personal in so unterschiedlicher Art wie über Freiwilligenarbeit, Brieffreund-schaften, die Überlassung von Büchern und Devotionalien, das Praktizieren von workshops z.B. in Zendo, Besuche, Unterweisung in Medi-tation und AIDS-Hospizarbeit, außerdem durch Rechtsberatung soweit es das Praktizieren der religiösen Freiheit betrifft. Mit diesen Metho-den wird direkt an die Wurzeln des Buddhismus angeknüpft und an die Bekehrung von Angulimala, dessen Geschichte noch heute sowohl Gefangene als auch Gefängnispersonal begeistert. Die Art in der die Geschichte die Lehre vermittelt ist sowohl effektiv als auch wahr, was Inhalt und Intention betrifft. Die geschichtlichen Wurzeln von drei Geschichten, denen von Angulimala, Milarepa und der Königin Vaidehi werden ebenso verfolgt wie die von drei Bodhisattva-Figuren: Fudo, Kannon und Jizo. Der nachhaltige Wert und die Effektivität dieser Lehren wird durch Kommentare von Anstaltsgeistlichen immer wieder unterstrichen.

Man stößt auf große Probleme zunächst einmal die Erlaubnis zu bekommen, Kurse und Dienste in Gefängnissen anzubieten, anschließend ist da die harte Herausforderung, die die höllische Gefängnisumgebung für alle fühlenden Wesen bedeutet.

Die Lehre in diesem Umfeld zu vermitteln ist eine wirklich starke Herausforderung. Die Geschichte des Buddhismus in den letzten 2500 Jahren hat gezeigt, dass die Lehre weniger in Stein gehauen ist, als vielmehr in Wasser ge-schrieben. Gefängnisgeistliche verweisen auf den Geist der „Flower Ornament Scipture“, die erleuchteten Wesen rät, sich geschickter Mittel zu bedienen, wenn sie „tief empfundenes Mitleid für üble fühlende Wesen entwickeln wollen, die gemein und im Irrtum verhaftet sind“. Ken Kraft hat die Frage gestellt, ob einige Arten, den Dharma zu präsentieren, die Klar-heit des Wassers trüben könnten.: „Wir müssen uns, ohne dabei die Antwort präjudizieren zu wollen, fragen: Wann ist die Spannung zwischen engagiertem und traditionellem Budd-hismus zu stark?“ „Wann verzerren frische Interpretationen im Dienste des Engagements die Authenzität des Buddhismus?“ So fragt er die in der Gefängnisarbeit Stehenden, ob es in der Tat akzeptabel wäre, den Buddha-Schüler Angulimala, der ein Mörder war, als Patron einer modernen Gefängnisreform-Bewegung zu nehmen (gemeint ist die englische buddhistische Gefägnisgeistlichen-Organisation Angu-limala). Man kann diese Kritik dahingehend ausdehnen, dass man problematisiert, andere Leute mit krimineller Vergangenheit – wie Milarepa – und zornige Figuren (Fudo beispielsweise) entweder als Andachtsfiguren oder als Erzählungshelden zu benutzen.

Die Erfahrung von zahlreichen Gefängnisgeist-lichen, die über ihre Arbeit interviewt wurden, kann diese Frage einen zweischneidigen empi-rischen Test unterziehen: zum einen, ist der Gebrauch höllisch anmutender Bilder und Geschichten über kriminelles Verhalten effek-tiv in der Gefängnisumgebung; zum anderen werden sie in einer Art benutzt, die originalgetreu in Inhalt (in akkurater Übersetzung bzw. Nacherzählung) und Intention ist (sie werden so benutzt wie es der Vergangenheit des Budd-hismus und Buddhas Unterrichtsmethodik entspricht).

Der Wert von Erzählung und bildlicher Darstellung in der Gefängnisarbeit

Wie für jeden anderen Lehrer auch, so ist es auch für den Gefängnisgeistlichen unerlässlich, die Botschaft so zu vermitteln, dass sie die Schüler erreicht. Pema Chodron stellt heraus, dass die Lehren mitunter in sehr einfacher Art präsentiert werden müssen, damit die Kommunikation vital ist. Wir müssen lernen, uns so auszudrücken, dass andere uns auch folgen können und nicht so, dass eine Schranke herun-tergeht und die Ohren sich verschließen. Parabeln und Geschichten, die in den Geschichten vom Buddha in großem Maße enthalten sind, sind ein klassisches Mittel, das Publikum zu erreichen. Der Buddha selbst lehrte im Zwiegespräch. In der Lehrrede vom großen Dahin-scheiden erläutert der Buddha seinen Schülern, wie es ihm gelingt, mit jedem Auditorium zu verschmelzen: „Farbe von ihrer Farbe werden“ und „in einer Sprache wie ihrer Sprache“ sprechen. ... In Asien wurde Rhetorik konsequent als untrennbar mit den Problemen von Ethik, Psychologie, Politik und sozialen Beziehungen verbunden angesehen. Wenn solche Geschich-ten wie die des Serienmörders Angulimala im Kanon stehen, dann müssen sie ein gewisses Gewicht haben. Das Mysterium der Sprache in Symbolen ist eine der Grundlagen der buddhistischen Realitätssicht. Archetypische Bilder, benutzt unter der Anleitung eines ausgebildeten Geistlichen, können bei kulturkreisübergreifen-der Kommunikation sehr effektiv sein, solange sie ihre orginäre Bedeutung beibehalten.

Das Benutzen von Kunstbildern hat im Budd-hismus ebenso tiefe Wurzeln wie in einigen westlichen rhetorischen Schulen. So setzt die Ars-Memorativa-Technik Bilder als Eselsbrü-cken ein. Handbücher der Rhetorik unterstreichen, dass ein effektives Gedächtnis das visuelle Gedächtnis ist.

Auch Kunst kann offenbarend sein, wenn sie den Betrachter oder die Betrachterin veranlasst, sich seiner/ihrer dunklen Seiten bewusst zu werden. „Das spirituelle in der Kunst konfrontiert uns mit dem, was wir vergessen haben.“ Der Symbolgehalt einer Kunst wie die der unten diskutierten Bildnisse kann „wahrge-nommene Verbindungen oder Skizzen im Wunder des menschlichen Lebens und im Wunder des Universums, das unsere Heimat ist“ enthüllen. So ist die Wurzelbedeutung von ars (Kunst) „verbinden“ oder „zusammenfügen“. Die Geschichten und Bildnisse des Buddhismus von Wesen, die sich höllischer Umstände ausgesetzt sehen, kriminelle Energien entfalten und eingekerkert werden sind ein reicher Fundus, auf den sich alle Traditionen beziehen können, wenn sie sich an Menschen wenden, die gerade mit solchen Realitäten in Kontakt sind.

Ein Beispiel aus den Schriften: die Geschichte von Angulimala

Vielleicht gibt es keine andere so kräftig konfrontierende und vom Mitleid geprägte Illustration, die beide Aspekte, die Frage, solche Bilder zu verwenden und die zustimmende Antwort darauf, verbindet wie die rot-weiße Homepage von Großbrittaniens Angulimala Webseite. Angulimala krümmt sich in schmerzverzerrter Enttäuschung vor dem ruhevoll sitzenden Buddha, an den Angulimala sich zunächst herangepirscht hatte und den er dann stundenlang immer schneller verfolgt hatte um ihn zu töten und damit seinen Halsschmuck aus abgehackten Fingern (Angulimala heißt Fingerkette) zu vervollständigen, die sein falscher Lehrer von ihm verlangt hatte, um sein Wohlwollen wiederzuerlangen. Immer und immer wieder hatte er getötet, um seine Kette aufzufüllen und es fehlte ihm nur noch ein einziges Opfer. Blutige Fingerabdrücke umgeben ihn und man kann geradezu nachempfinden, wie sich sein Gehirn einem Blutegel gleich in seinem Schädel windet als er in tiefer Frustration herausschreit: Stop, Mönch, halte ein! Hier ist der Moment eingefangen, in dem der ruhige Reisende anhält, sich umwendet und wie ein für-sorglicher Vater zu seinem verlorenen Sohn sagt: „Ich habe gestoppt, nun ist es auch an dir einzuhalten!“

Die Geschichte steht im Majjhima Nikaya, den Reden von mittlerer Länge des Pali-Kanons, der grundlegenden Sammlung buddhistischer geschichtlicher Tradition. Die Homepage stellt fest: „Die Geschichte lehrt uns, dass die Möglichkeit der Erleuchtung auch unter extremsten Bedingungen erweckt werden kann.“ Der Text verbindet diesen Gedanken mit der Auswahl des Datums seiner Gründung (Februar 1985), als der Buddha seine Lehre in seiner einfachsten und universellsten Form erläuterte: „aufhören Übles zu tun, das Gute lernen und den eigenen Geist reinigen. Dies erinnert uns daran, dass jenseits des Exotischen und des Intellektuellen die Notwendigkeit eines praktischen Herangehens besteht an all das, was das Herz-stück des Buddha-Dharma ist.“

Angulimala, nachdem er einmal durch die einfachen Worte und die erhabene Gegenwart des Buddha bekehrt war, war tief reumütig und unerschütterlich, obwohl er die Früchte seiner üblen Taten nahezu täglich zu spüren bekam. Die Dorfbewohner misstrauten ihm, sie verweigerten ihm jede Unterstützung auf seinen Almosengängen und verletzen ihn statt dessen mit Steinwürfen. Er entschied sich, nicht mit Gewalt zu antworten und wurde schließlich zum Heiligen.

Die Geschichte ist voller Symbole, die für uns alle hilfreich sind, ganz besonders aber für Leute, die Gewaltakte begangen haben. Er wurde rehabilitiert und zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft, der zum Wohlerge-hen der Gemeinschaft beitrug, der er angehörte. Außerdem zeigt die Geschichte ganz klar auf, dass Taten Folgen haben. Ein anderes Thema der Geschichte ist spirituelle Transformation und hier liegt das Kernstück der Botschaft. Sein Geburtsname war Ahimsaka (der Harmlose) und schließlich erkannte er, dass dies in der Tat seine wahre Natur, seine Buddha-Natur war:

„Harmloser“ ist der Name, den ich trage,
der ich ein Übler in der Vergangenheit war,
der Name. den ich trage, heut´ ist er wahr,
keinen verletz´ ich jemals mehr.

Nichtverletzen oder Gewaltlosigkeit (ahimsa) ist, wie bekannt, auch eine der zentralen Bot-schaften des Buddha. Dass dies sein Geburtsname war symbolisiert die Buddhanatur, die wir von Geburt an haben, dass wir so etwas wie „Erbsegen“ haben, keine Erbsünde. Diese Lehre ist besonders wichtig für Gefangene, die sich selbst als fehlerhaft empfinden und hier bietet der Buddhismus eine Botschaft, die merklich buddhistisch ist. Die christliche Ethik postuliert ein äußeres Wesen, das notwendig ist, um auf den rechten Weg zu kommen und wenn man diesem nicht gehorcht und es nicht anerkennt, ist man für alle Zeiten zur Hölle verdammt. Ein solcher Dualismus wird von den Gefangenen tief empfunden, denn sie fanden sich häufig in Situationen wieder, in denen andere die Gewalt hatten, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, wenn sie nur gehorchten (missbrauchende Eltern, die Schulverwal-tung, soziale Regeln, die Gefängnisverwaltung). Sie gehorchen diesem äußeren „Wesen“ so lange, bis es entweder ihre Bedürfnisse nicht mehr befriedigen kann oder bis die Angst vor der Gewalt, die dieses Wesen ausüben kann, überwunden ist. Der Buddhismus hingegen zeigt ihnen einen inneren Moralkodex auf und die Lehre, dass wir alle wechselseitig voneinander abhängig sind. Dies führt dazu, zu erkennen, dass die Kraft nicht zu verletzen in ihnen selbst liegt, dass es eine Entscheidung auf der Basis der Erkenntnis dieser wechselseitigen Abhängigkeit ist, von der Umwandlungserfahrung zum Fühlen von bodhicitta, der Identität mit allen Lebewesen. Anthony Shultz, der als Zen-Geistlicher zehn Jahre gedient hat, formuliert den zweiten buddhistischen Sittlichkeits-vorsatz in seiner Liturgie im Blue Mountain Zendo in Harrisburg, Pennsylvania, so: „Wir übernehmen die volle Verantwortung für unser eigenes Leben und für alle unsere Handlun-gen.“ Den dritten Vorsatz definiert er so: „Wir bestätigen unser eigenes Wesen und erkennen uns als ein Weg zu Erwachen und Freiheit.“ All das erkennt auch Angulimala, als er die Wahr-heit seines wirklichen Namens erkennt, seine Buddha-Natur, gut und rein. Für Gefangene ist diese Erkenntnis eine unglaubliche Erfahrung.

Umgekehrt ist das Gelöbnis des Nichtverlet-zens und sein Effekt auf Angulimala das Herz-stück der Relevanz dieser Geschichte für heute und die Wurzel seiner Effizienz vor dem Hin-tergrund der Gefängniserfahrung. Wie Shultz bemerkt ist in dieser Umgebung und bei diesen Leuten genau dieses Gelöbnis der Klebstoff, der den Rest zusammenhält. Ein Gefangener schrieb: „Kürzlich wurde ich Opfer eines tätli-chen Angriffs, und ich entschied mich nicht zurückzuschlagen, nur mir Deckung zu geben. Dies ist ein großer Schritt zur Umsetzung meines Gelöbnisses, niemanden zu verletzen.

Shultz fühlt, welch großes Beispiel Angulimala für die Gefangenen ist. Zunächst verging er sich, dann war seine Antwort auf seine Angst die Hindernisse zu beseitigen, Leute umzubringen, um sein Ziel zu erreichen. Was noch stärker ist, er ist ein Beispiel für jemanden, der nicht mehr zu retten schien, jenseits aller Rehabilitationsmöglichkeiten. Ein wahrer Gefängnisheiliger muss jemand sein, der ein Problem gemeistert hat, das Image eines Schutzpatrons sollte niemanden ausschließen. Es sollte jedem die Möglichkeit geben, auf den rechten Weg zurückzufinden. Die negativen Reaktionen der Leute könnten dazu geführt haben, ihn wieder zum Mörder werden zu lassen. Das ist sicher das Gefühl, mit denen viele Menschen die Gefängnisinsassen betrachten. „Resozialisiert sie, aber haltet sie von meinem Hinterhof fern“, „führt sie zurück in die Gesellschaft, aber ich würde so einen nicht einstellen“ oder „meine Tochter verabredet sich nicht mit so einem“. Er verdeutlicht die harte Tatsache, dass obwohl er erwacht ist, keineswegs alle Leute ihn plötzlich lieben, eine Realität, die entlassene Strafgefangene täglich erfahren. Er litt, aber ließ dieses Leiden nicht sein Handeln beeinflussen geschweige denn, es an andere weiterzugeben. Die Lehre des Buddha an Angulimala und Angulimalas Botschaft an die Leute von heute, die Straftaten begangen haben ist: „Ich kann aufhören. Ich kann die Art ändern, wie sich mir die Dinge offenbaren und wie ich darauf antworte. Von jetzt an möchte ich Liebe und Kreativität weitergeben statt Schaden und Zerstörung.“

Gefangene suchen nach einer neuen Identität, einem neuen Selbstverständnis. Sie verab-scheuen sich selbst und die Gesellschaft hat sie als verabscheuenswert abgestempelt. Die Geschichte von Angulimala zeigt, dass man seine Identität positiv verändern kann und frei wäh-en kann, aufgrund dieser neuen Identität zu handeln. In der langen Erfahrung des Geistlichen Shultz wird deutlich, dass Rückfälligkeit mehr davon abhängt, ob eine Person sich für eine neue Identität entschieden hat als von Erziehungs- oder sonstigen Programmen. Die Entscheidung, sich zu ändern ist es, die diesen Menschen geholfen hat, mit dem fertig zu werden, was auf sie nach ihrer Entlassung zukam.

Virginia Cohn Parkum, Assistentin von J. A. Shultz, und J. Anthony Shultz, Direktor der Blue Mountain Meditation Society; Übersetzung: Lothar Lehmann



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