Horst Gunkel
Engagierter Buddhismus
(nicht nur)
beim Nichtessen von Schokoküssen

Buddhismus ist das Praktizieren des Dreifachen Pfades aus Sittlichkeit (Ethik), Meditation und Weisheit, den der Buddha lehrt. Er lehrte diesen Dreifachen Pfad nicht umsonst in dieser Reihenfolge. Sehen wir uns die drei Begriffe an und sehen wir weiter, warum eine andere Reihenfolge keinen Sinn macht.

3. Weisheit

Aus Büchern kann bestenfalls enzyklopä-disches Wissen erlernt werden. Bücher-wissen ist immer second-hand-Wissen. Bücherphilosophie ist der Denkersatz der Nichtselbstdenker, wie es Arthur Schopenhauer drastisch formuliert. Wer Buddhismus (nur) nach Büchern studiert, ist wie der, der die Mona Lisa in ihrer Schönheit erfassen will, ohne sich das Bild jemals anders als unter dem Elektronenrastermikroskop angesehen zu haben. Wie aber entsteht Weisheit? Weisheit entsteht weder durch die Übernahme von instant-Denken aus Büchern noch durch rein formallogische Abstraktion des Denkens; Weisheit entsteht durch Einsicht in das Wesen der Dinge. Zentrales Mittel hierzu ist die Meditation. Vor dem dritten Schritt kommt der zweite:

2. Meditation

Meditation ist für viele Menschen das Anziehendste am Buddhismus. Die Unschärfe des Begriffes "Meditation" im alltäglichen Sprachgebrauch, eine gewisse Wundergläubigkeit und der Wunsch nach Selbstverwirklichung sind es, die diesen Begriff so attraktiv machen. So wird - dem Wunsch nach Verwirklichung des "eige-nen Selbstes" wegen - die buddhistische Meditation zu einem weiteren Angebot im esoterischen Supermarkt, was eigentlich besonders abstrus ist, da der Buddhismus die Nichtexistenz eines Selbst lehrt. In Wirklichkeit ist die buddhistische Meditation die Entwicklung von Geistesruhe (samatha) und Einsicht (vipassana) im Rahmen einer Religion, einer ethischen Philosophie. Bestenfalls ein gewisses Maß an Konzentration läßt sich erreichen, wenn die Grundlage religiöser Meditation fehlt, die Ethik. Vor dem zweiten Schritt kommt der erste:

1. Sittlichkeit

Was aber versteht man unter Sittlichkeit, was versteht man unter Ethik? Die erste Sittlichkeitsregel, die der Buddha empfiehlt (und auf diese möchte ich mich in dieser Betrachtung beschränken), ist die Regel von der Nichtschädigung der Lebewesen.


Ich möchte ein Beispiel bringen, aus dem klar wird, wie unsinnig, ja widersinnig Medi-tation ohne Ethik ist. Letztes Jahr besuchte ich ein kleines buddhistisches Meditationszentrum in einer deutschen Großstadt. Es wurde die metta bhavana (die Meditation zur Entfaltung liebender Güte) geübt, in der gleiche Liebe zu allen Wesen entwickelt werden soll: Freunden, Feinden, Menschen, Tieren. Anschließend verteilte eine Teilnehmerin Schokoküsse an die Teilnehmer - aus liebender Güte versteht sich. Hauptbestandteil von Schokoküssen ist Hühnereiweiß aus der tierquälerischen Massentierhaltung, von Batteriehennen, die pro Huhn gerade einmal ein DIN A 4-Blatt "Lebensraum" haben, von Hennen die derartig unter Streß stehen, voll lebenslänglicher Angst sind, in Panik einander die Federn aushacken, gebrochene Flügel und Kannibalismus sind an der Tagesordnung.
Tierquälerische Schokoküsse im Rahmen einer Übung zur liebevollen Güte für alle Lebewesen: widersprüchlicher, unbuddhistischer geht es nicht mehr.

Wie aber übt der Engagierte Buddhist Sittlichkeit, wie übt er die Nichtschädigung von Lebewesen? Wie verhält er sich im Alltag, z. B. in bezug auf Schokoküsse?

Nach innen übt er. Nach außen übt er. Abwechselnd nach innen und außen übt er.

Wie übt er nach innen? Achtsam erkennt er das Problem, sobald er ein Produkt (z. B. den Schokokuß) sieht, achtsam versteht er das Problem, achtsam reflektiert er das Problem. Achtsamkeit, Ethik, Meditation und Weisheit, alles kommt hierbei zum Tragen. Aufgrund dieser Rechten Acht-samkeit gelangt er zur Rechten Einsicht (Essen von Schokoküsse schädigt Lebewesen), gelangt er zum Rechten Entschluß (wie er sich zu verhalten hat), gelangt er zum Rechten Handeln.

Wie übt er nach außen? Aufgrund der Rechten Achtsamkeit, der Rechten Einsicht und des Rechten Entschlusses kommt er zum Rechten Reden (ohne diejenige zu tadeln, die guten Willens Schokoküsse besorgt hatte), gelangt er zum Rechten Handeln und zum Rechten Verhalten (Lebenswandel) und entwickelt so Vorbildfunktion.

Wie übt er abwechselnd nach innen und außen? Er übt dies, indem er beides tut: sein eigenes Verhalten im Rahmen der Ethik zu optimieren, und er engagiert sich, um diese Ethik, diese Sittlichkeit, diese political correctness auch in die Gesellschaft zu tragen. Dies kann durch Aktionen eines Einzelnen, besser jedoch durch Engagement in Gruppen erfolgen. Dabei ist es von sekundärer Bedeutung, ob es sich um buddhistische Gruppen handelt, wie das NEB oder um an be-timmten Themen arbeitende Gruppen (wie z. B. animal peace).
Bekanntlich besteht das Leben nicht nur aus (Nicht-)Essen von Schokoküssen. So in jedem Detail die Vollkommene Achtsamkeit entwickelnd, übt der Engagierte Buddhist nach innen, übt er nach außen, übt er abwechselnd nach innen und außen.



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