Bodhisattva Avalokitesvara
ein Mythos aus dem Mahayana-Buddhismus
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-03

Vor unendlich langer Zeit lebte Avalokitesvara auf der Erde. Er praktizierte den Dharma, die Lehre aller Buddhas, die darin besteht, mit Mitgefühl und Weisheit die Wesen auf den Pfad zur Erleuchtung zu führen.

Avalokitesvara beschloss, ein Bodhisattva zu werden, ein Wesen, das nicht nur um der eigenen Verwirklichung Willen praktiziert, sondern zum Wohle aller Wesen. Ein Bodhisattva geht sogar so weit, die eigene Verwirklichung aufzuschieben, bis er allen anderen Wesen geholfen hat, ins Nirvana einzugehen, also zur vollen Erleuchtung zu kommen. Avalokitesvara ist der bekannteste Bodhisattva und in dieser Geschichte wird deutlich, was einen Bodhisattva ausmacht. Avalokitesvara bedeutet "der Herr, der herabblickt" und zwar blickt er mit Mitgefühl herab, um den Wesen zu helfen.

Als Avalokitesvara beschlossen hatte, ein Bodhisattva zu werden, begab er sich zu dem (nicht historischen) Buddha Amitabha, dem, der voll der Gnade ist. "Großer Amitabha," sprach Avalokitesvara, "ich habe beschlossen, ein Bodhisattva zu werden. Ich lege hiermit den feierlichen Eid ab, nicht eher zu ruhen, bis ich alle Wesen gerettet habe. Zur Bekräftigung dessen sage ich, dass mir der Kopf in zehn Teile zerspringen möge und dass mein Körper in 1000 Teile explodieren möge, wenn ich auch nur einen einzigen Augenblick zögere oder müßig bin, bevor mein großes Ziel erreicht ist." Amitabha hörte das mit Wohlgefallen.

Also machte sich Avalokitesvara an die Arbeit, mit Mitgefühl all denen zu helfen, die da mühsam und beladen waren, und sie zum Dharma zu bringen. Dies war ein schwieriges Unterfangen, denn natürlich konnte Avalokitesvara nicht überall zur gleichen Zeit sein. Also beschloss er, in eine tiefe Meditation der Metta Bhavana, der liebenden Güte zu allen Wesen, einzutreten. Er setzte sich auf den höchsten Gipfel des Himalaya und meditierte tief und mit voller Inbrunst zum Wohle aller Wesen. Seine Meditation währte 5000 Jahre lang.

Nach dieser unvorstellbar langen Meditationssitzung - manchen Menschen tun schon nach einer halben Stunde die Knie weh und nach einer Stunde halten sie es nicht mehr aus, ohne sich zu bewegen - beschloss Avalokitesvara nach dem Erfolg seines Wirkens zu sehen; er wollte wissen, ob dank seiner Bemühungen schon alle Wesen erlöst seien oder ob es noch einer Meditationszugabe bedürfe. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass noch nicht einmal ein Prozent aller Wesen erleuchtet waren.

Ebenso enttäuscht wie erschöpft rechnete er hoch, dass er noch über 500.000 Jahre meditieren müsse, um alle zu diesem hehren Ziele zu bringen. Da er aber total ausgelaugt war, beschloss er, lieber erst einmal einen Moment innezuhalten.

Natürlich geschah jetzt genau das, was er leichtsinnigerweise in seinem Eid mehr als 5000 Jahre zuvor angekündigt hatte: sein Kopf zersprang in zehn Teile und sein Körper explodierte in 1000 Stücke. Zum Glück brachte ihn dies jedoch wunderbarer Weise noch nicht ganz zu Tode, denn er konnte noch sprechen, und so rief er nach Amitabha, dem Gnädigen. Amitabha erschien und sah natürlich sofort, was geschehen war. Amitabha wäre nicht Amitabha, wenn er nicht in solchen Fällen voll der Gnade handeln würde. So schuf er aus den zehn Teilen von Avalokitesvaras zersprungenem Kopf zehn neue Köpfe und setzte seinen eigenen als elften oben drauf. Und aus den 1000 Trümmern seines Körpers schuf er ihm einen neuen Körper, einen mit 1000 Armen. So konnte Avalokitesvara zu der merkwürdig anmutenden Figur des 1000-armigen Bodhisattvas werden.
 

Der Vorteil diese Outfits ist, dass Avalokitesvara in alle vier Himmelsrichtungen und in die Mitte zwischen diesen (also Südost usw.) gleichzeigtig sehen kann und außerdem noch nach oben und unten, wo immer denn Wesen seiner bedürfen, und mit seinen 1000 Armen kann er gleichzeitig an 1000 Stellen helfen, ein Vorteil gegenüber dem Superman wie ein Stümper wirkt.



Und wenn ihr jetzt glaubt, dies sei zwar eine nette Story aber ohne jeden Realitätsbezug, wenn ihr glaubt Avalokitesvara gäbe es ebenso wenig wie Superman, dann irrt ihr gewaltig. Avalokitesvara gibt es!

Der Buddhistische Triratna-Orden versteht sich als eine Art Inkarnation Avalokitesvaras. Er möchte mit seinen vielen Armen, seinen Ordensmitgliedern, seinen Zentren und seinen Organisationen möglichst vielen Wesen gleichzeitug helfen. Avalokitesvara ist uns ein Vorbild und eine Verpflichtung!



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Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.