Buddha und König Bimbisara
Eine
Geschichte aus dem Pali-Kanon, nacherzählt von Horst Gunkel (Dezember 2019)
Es war im ersten Jahr nach seiner Erleuchtung, kurz nachdem der Buddha die Flechthaarasketen überzeugen konnte, sich seinem Mönchsorden anzuschließen. Nun zog der Erwachte an der Spitze dieser ehemaligen Flechthaarasketen – immerhin nicht weniger als 1000 Mann – nach Rajagrha, der Hauptstadt des Fürstentums Magadha. Es wirkte fast wie der Triumphzug einer noch jungen Bewegung auf die Hauptstadt zu. Aber es war natürlich ein Zug der Friedfertigen, der Gewaltfreien, ein Zug der noch jungen Sangha des Buddha. Bei Rajagrha angekommen lagerten die Mönche im Latthi-Hain vor der Stadt.
Natürlich war der Marsch der 1000 frommen Männer und ihre Ankunft bei der Hauptstadt das Tagesgespräch; man war sich einig, dass da etwas Unerhörtes vorging und selbstverständlich war auch der Raja von Magadha, Bimbisara, informiert, was sich da zutrug. Überall in der Stadt erzählte man sich, der Mann, der sich der „Buddha“, der Erwachte, nannte und der im letzten Jahr begonnen hatte eine eigene Sekte zu schaffen habe sich mit der tausendköpfigen Gemeinschaft der Flechthaarasketen zusammen getan. Irgendetwas wollten sie in der Hauptstadt.
Nun aber lagerte diese große Nicht-Streitmacht direkt vor Magadha, diese neue religiöse Bewegung im Gangestal, dem Quellgebiet der indischen Religionen. Auch der Raja war beeindruckt von der Dynamik der jungen Bewegung. Klar, die Flechthaarasketen kannte man seit langem, doch die waren nicht umhergezogen, die lebten stationär in der Gegend um Uruvela, und dieser Buddha war bei ihnen – oder führte er sie sogar an? – der Buddha, von dem es hieß, er sei ein Heiliger, ein Vollendeter, ein Lehrer der Menschen und Götter gar, ein unübertroffener Führer der führungsbedürftigen Menschen, die zur Selbstmeisterung bereit seien, einer der den Dharma, das ewige Gesetz, verkündete.
Aus allen Teilen der Stadt machten sich die Menschen auf, um zu sehen, was sich da abspielte, und auch Bimbisara machte sich auf seinem Kriegselefanten auf den Weg zum Latthi-Hain; der Überlieferung nach sollen es 120.000 Menschen gewesen sein, die sich hier versammelten.
Die Menge teilte sich, um den Raja auf seinem Elefanten durchzulassen. Dieser stieg ab und ging auf die beiden bekannten religiösen Führer zu, auf den Buddha und auf Kassapa, der als Hohepriester der Flechthaarasketen einen Namen hatte. Die drei Herren tauschten die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus, dann nahm man Platz. Selbstverständlich stieg beim Publikum die Spannung: War dieser Buddha den Flechthaarasketen beigetreten, um der Bewegung neuen Schwung zu verleihen, oder war es so, wie einige wissen wollten, dass alle 1000 Flechthaarsaketen sich dem Erwachten angeschlossen hatten?
Der Buddha wusste natürlich, was diese Menschen hier am meisten interessierte, also stand er auf und fragte laut und vernehmlich den früheren Anführer dieser Asketen, den Feuerpriester: „Kassapa von Uruvela, du warst der Anführer der Flechthaarsaketen, derjenigen, die das Feueropfer durchführten. Warum hast du das aufgegeben?“
Da stand Kassapa auf und sprach ebenso laut, wie zuvor der Buddha: „Die Feueropfer versprechen schöne Sinnenreize, schöne Empfindungen und hübsche Gespielinnen. Ich habe erkannt, dass dies ein niedriges Ansinnen ist. So konnte mich das Feueropfer nicht mehr begeistern. Dann erkannte ich den Hort des Friedens, der frei ist von Sinnenlust, ich hatte eine Vision des Absoluten.“
Nunmehr verneigte sich Kassapa von Uruvela tief vor dem Buddha und sprach: „ Erhabener Buddha, Sie sind mein Lehrer, ich bin Ihr folgsamer Schüler.“
Die Sensation für das Publikum war perfekt, man erkannte, wer aus diesem spirituellen Wettstreit sieghaft hervorgegangen war: Der Buddha mit seiner kleinen jungen, kaum hundertköpfigen Sangha hatte die zehn Mal so große Gemeinschaft der Flechthaarasketen übernommen. Und selbstverständlich begehrte die Menge zu wissen, was denn diese neue Lehre sei, die die Asketen reihenweise zum Buddha überlaufen ließ. Nun war es am Buddha die Grundzüge des Dharma darzulegen, er schloss mit den Worten: „Alles was entstanden ist, ist zwangsläufig vergänglich.“
Alle waren beeindruckt, manche Menschen waren selbstverständlich skeptisch, zumal die meisten von ihnen der Kaste der Brahmanen angehörten, aber viele von ihnen waren von der Logik des Dargelegten überwältigt und mehrere Zehntausend Menschen, so heißt es wurden daraufhin Laienanhänger des Buddha.
Nunmehr trat der Raja Bimbisara vor die Menge und sagte: „Als junger Mann hatte ich fünf Wünsche. Der erste war, einst Raja von Magadha zu werden; wie ihr alle wisst ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Aber jetzt werde ich euch auch verraten, was die anderen vier Wünsche waren:
Der zweite Wunsch war: Möge doch in Magadha ein voll Erwachter erscheinen.
Der dritte Wunsch: Möge ich Gelegenheit haben, diesen Erhabenen aufzusuchen.
Der vierte: Möge mir der Erhabene die Lehre verkünden.
Diese drei Wünsche sind heute in Erfüllung gegangen. Und jetzt zu meinem fünften Wunsch, der war: Möge ich diese Lehre verstehen. Und ich muss sagen, ich hatte heute ein Erlebnis, das war gerade so, als wäre etwas, das auf dem Kopf gestanden hat, auf die Füße gestellt worden, als wäre Licht in der Dunkelheit erschienen, als wäre mir, einem Verirrten, der Weg gewiesen worden.“
Und damit wandte sich der Herrscher direkt an den Buddha, allerdings mit so lauter Stimme, dass die Menge ihn vernehmen konnte: „Erhabener, Sie haben mir den Weg gewiesen, ich habe Ihre Lehre verstanden, möge mich der Erhabene für alle Zeiten als seinen Laienanhänger annehmen.“
Anschließend lud der Raja den Buddha und die gesamte Mönchsgemeinde für den nächsten Tag zum Essen in die Gärten des Palastes ein. Es folgte ein geschäftiger Abend bei Hofe und eine lange Nacht der Vorbereitungen. Am kommenden Vormittag schickte Bimbisara einen Boten in den Latthi-Hain: „Das Mahl ist zubereitet.“
So gingen der Buddha und die gesamte tausendköpfige Sangha in den Fürstenhof und speisten dort. Als das Mahl beendet war stieg Bimbisara der Gedanke auf: Wo könnte der Erhabene hier weilen? Es müsste ein Platz unweit der Siedlung sein, aber doch so weit entfernt, dass die Mönchssangha nicht gestört wird, eine Stelle mit wenig Lärm, in Abgeschiedenheit.
Also stand Bimbisara auf, nahm einen goldenen Wasserkrug und überreichte ihn dem Erhabenen mit den Worten: „Von nun an soll der Bambushain im Park dem Orden des Erhabenen gehören!“
Zum Dank hielt der Buddha noch eine Lehrrede, dann sagte er: „Mönche, gehen wir in unseren Bambushain.“