Die Rechte Rede

und die linke Rede, die unrechte Rede

von horst gunkel:

Gemeinhin werden wir in unserer Sozialisation unterschiedlich stark mit Verhaltensmustern geprägt, die unser ganzes Leben beeinflussen. So wurden mir als Kind Diebstahl und Lüge durch das Elternhaus als besonders verabscheuungswürdige Verfehlungen dargestellt und haben meine Wahrheitsliebe geprägt.

Zur Verdeutlichung mag ein Beispiel dienen: als ich ungefähr zehn Jahre alt war kam in einem Kinderbuch der Satz vor: "´Nein, da war ich nicht,´ log er." Dieser Satz erschien mir so ungeheuerlich fremd und erregend, dass ich ihn heimlich mehrmals las. Wie konnte ein Autor eine so ungemein schreckliche Aussage machen wie "log er", und wie konnte der Verlagslektor einen so furchtbaren Regelverstoß durchgehen lassen: Man lügt nicht, man schreibt nicht einmal, dass jemand lüge!

Und so orientierte ich mich auf Jahrzehnte an dem, was ich für Wahrheit hielt, beeinflusst von dem christlichen Imperativ: "Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten!" Und hätte ich den Begriff der Rechten Rede damals bereits gekannt, ich hätte ihn für
gleichbedeutend damit gehalten.

Obwohl ich jeder Unwahrheit abhold war, pflegte ich jedoch keine Rechte Rede, wie ich heute weiß. Ich benutzte vielmehr die Rede, die Sprache als Herrschaftsmittel: mit dem Versuch der überlegenen Argumentation, mit schwindelnder (!) Logik, wie ein Sophist. Natürlich machte ich mir damit nicht unbedingt Freunde, und das fand ich ungerecht. "Die können alle die Wahrheit nicht vertragen," dachte ich mir in meiner Verblendung.

Mein Engagement (denn es gab für mich auch ethisches Engagement vor dem Buddhismus) führte mich auch in die Politik, mich den Kämpfer für Gerechtigkeit und Wahrheit. Alsbald war ich Kreistagsabgeordneter, konsequenterweise machte man mich bald zum Fraktionsvorsitzenden, galt ich doch als scharfzüngigster Redner meiner Fraktion. Dort, wo andere logen, sagte ich die Wahrheit, die unerbittliche Wahrheit, um sie dem politischen Gegner wie Salz in die Wunden zu reiben. Auch in die Regionalsversammlung Südhessen (der erweiterten Rhein-Main-Region) wurde ich gewählt, auch dort bekleitete ich das Amt des Fraktionsvorsitzenden, des Oppositionsführers - für 10 Jahre: ein wütender Engel der Wahrheit. *)

Erst sehr spät, das 40. Lebensjahr lag be-reits hinter mir, kam ich zum Buddhismus. Die Vier Edlen Wahrheiten und der Achtfältige Pfad überzeugten mich auf Anhieb, ich erkannte meine eigene, in langer Zeit entwickelte Lebenseinstellung darin. Jedenfalls in 6 1/2 Pfadgliedern. Meditation war bis dahin nicht mein Thema; "das musst du probieren", sagte ich mir. Viel entscheidender und ernüchternder war jedoch das Pfadglied für mich, das ich bis-her nur halb beachtet hatte: die Rechte Rede. Dass Rechte Rede wahr sein muss, war klar, das hatte ich mein Leben lang praktiziert. Doch plötzlich wurden weitere, höhere Ansprüche an das Reden gestellt als die vergleichsweise simple Aufforderung: Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten. Die Rechte Rede sollte sein

Wenn meine Rede bisher etwas nicht war, dann harmoniefördernd. Wie oft hatte ich Zwietracht gesät im privaten Bereich, Menschen, die ich eigentlich liebte, verletzt; und das, was ich im Parlament brachte, war wirklich das Gegenteil von harmoniefördernd, es war eklatfördernd. Und da es so unharmonisch war, was ich da aus der Oppositionsrolle heraus forderte, sperrten sich die anderen Parteien dagegen; es war mithin auch nicht angemessen zur Verwirklichung meiner Ziele.
Nicht umsonst heißt das erste Pfadglied "Rechte Erkenntnis". Mein Redeproblem erkennend musste ich Abhilfe schaffen. Aber wie? Die Erwartung meiner Fraktionskollegen war klar: "horst, gib's ihnen!" Die Presse freute sich wenn ich ans Rednerpult ging, denn nur Zoff ist eine Nachricht, und der gunkel war immer für eine Meldung gut. Und dann gab es da das entscheidende dritte Hindernis: hörte ich im Radio eine Meldung, las ich in der Zeitung die Aussage eines politischen Gegenspielers, brachte das Fernsehen eine Nachricht, immer formulierte ich in Gedanken eine geschliffene Gegenrede oder eine Presseerklärung. Im Bundestagswahlkampf 1990 (ich war Direktkandidat meines Wahlkreises) hatte ich immer ein Diktiergerät im Auto dabei, damit ich auf jede Radiomeldung eine scharfe Antwort diktieren konnte - wie ein wütender asura, immer den Speer bereithaltend, ihn auf die verhassten devas abzuschießen.

Der Tag an dem ich das erkannte, war der Tag an dem ich meinen politischen Freunden mitteilte, dass ich mitten in der Legislaturperiode alle politischen Ämter abgeben würde. Es war der Tag, an dem ich wirklich zum Buddhisten wurde, zum ernsthaft Übenden auf dem Edlen Achtfältigen Pfad. Und noch heute muss ich üben: im privaten Bereich und im beruflichen Bereich: Meine Kinder und meine Schüler finden meine Rede häufig noch immer nicht genügend harmoniefördernd, aber ich bin ja auch noch ein Übender.

Update 1998

Meine politische Karriere hatte ich beendet, konsequenterweise hatte ich auch meine Partei verlassen, denn der Dharmaübende kennt ein Sowohl-Als-Auch, erwägt die Argumente bei-der Parteien, erkennt den Wahrheitsgehalt unterschiedlicher Positionen; Parteilichkeit hingegen funktioniert nach dem Prinzip "right or wrong - my country".

Als ich vor einem Jahr von verschiedenen Seiten gefragt wurde, ob ich - ein parteiloser Buddhist - nicht wieder in die Regionalversammlung Südhessen einziehen wollte, sagte ich nach einiger Bedenkzeit zu. Mich reizte der Gedanke, nachdem ich Rechte Rede erkannt hatte und begonnen hatte, sie zu üben, dorthin zurückzukehren und es erneut zu versuchen, diesmal ganz anders.
Mein erster Kontakt mit dem Rednerpult war ein Desaster, noch auf dem Weg ans Pult empfingen mich die wütenden Schreie der früheren politischen Gegner. Verunglimpfende, intolerante Zwischenrufe begleiteten meine Rede. Schließlich erwartete das Auditorium das, was sie von mir gewohnt waren. Das selbstgeschaffene Karma, mein Handeln in der Vergangenheit hatte Folgen. Doch diejenigen, die neu in diesem Parlament waren, hatten kein Verständnis für die unwirsche Reaktion ihrer Fraktionskollegen und stellten diese zur Rede, man solle mir doch erst einmal zuhören, Zwi-schenrufe könne man immer noch machen, aber bitte erst dann wenn sich ein Anlaß dazu böte.
Ein völlig anderes Bild bot sich bei meiner Rede in der nächsten Plenarsitzung. Wieder hatte ich eine Rede vorbereitet, die Brücken baut, hinter der sich eigentlich jeder Abgeordnete wiederfinden können müsste. Und in der Tat: man lauschte aufmerksam, vielleicht habe ich diesmal sogar Denkprozesse inganggesetzt, die in die erwünschte Richtung gehen, dann wäre diese Rede nicht nur wahr und harmoniefördernd sondern auch noch angemessen gewesen.

Und was mich am meisten überraschte: meine (Rechte) Rede gefiel sogar meinen früheren (linken) Parteifreunden.



*)  In der Mahayana-Darstellung des Rades des Lebens gibt es die fünf Bereiche, in denen Wiedergeburt erfolgen kann: Menschen, Tiere, giergeplagte Hungergeister, Hölle, Devas (Göt-ter) und Asuras (Titanen). Am meisten irritierte mich früher darin die Welt der Asuras, kämpfen-de Gestalten, die beständig die Devas attackie-ren. Heute bin ich überzeugt, dass ein Aspekt aller dieser sechs Daseinsbereiche in jedem von uns schlummert, der eine stärker, der andere schwächer. Und inzwischen bin ich mir bewußt, dass der Asura-Bereich in mir zu jener Zeit ganz stark entwickelt war. Heute bemühe ich mich dies zu überwinden und "der Mensch" zu sein.


Zurück zur Meditation am Obermarkt

Zurück zur Übersicht  BuddhaNetz-Info

Zurück zur Übersicht Un8samkeit