Der Staat,

der Krieg,

die Steuer und

das Rechte Handeln

von horst gunkel (während des Kosovo-Krieges geschrieben) veröffentlicht im BuddhaNetz-Info Nr. 8

Mit den schräg gedruckten Sätzen oben greift Inge Sterk ein Thema auf, das alle Menschen angeht, die sich dem Krieg und der Kriegslogik verweigern möchten: unsere Rolle als Steuerzahler.

Auch ich habe mir über dieses Thema sehr häufig Gedanken gemacht, versucht mein Wollen (Nie wieder Krieg!) und mein Handeln als Steuerzahler in Einklang zu bringen. Aber Inges Schreiben hat mich erneut zum Nachdenken gebracht. Bei genauer Betrachtung habe ich noch eine Reihe von Aspekten entdeckt, die bisher meiner 8samkeit entgangen waren.

Dabei habe ich an mindestens einer Stelle ganz konkret Kriegssteuerboykott geübt. Im Januar 1991 begann der Golfkrieg, der mehr als eine Million Menschenleben forderte und an dessen Folgen noch jetzt jährlich Tausende von Menschen zugrunde gehen. Damals verlangten die USA auch einen deutschen Beitrag zum Krieg. Damals jedoch griff Deutschland noch nicht direkt in einen Krieg ein, aber es versprach, sich an der Finanzierung des Krieges zu beteiligen. Bundeskanzler Kohl verkündete im Fernsehen, dass die Mineralölsteuer um 22 Pfennig erhöht werde, um den deutschen Bei-trag zum Golfkrieg aufzubringen.

Schon seit Jahren war mir bewusst, dass Auto-fahren die Welt schädigt, dass es besser wäre auf das eigene Fahrzeug zu verzichten, aber aus Bequemlichkeit einerseits und aufgrund der Tatsache, dass ich meinen Urlaub schon seit 20 Jahren im Wohnmobil verbrachte, hatte ich mich bis dahin nicht überwinden können, meinen Lebenswandel diesbezüglich umzustellen. Die Tatsache jedoch, dass ich nunmehr Bomben auf die Kinder von Bagdad finanzieren sollte, gab mir den Rest. Noch selbigen Tages verfasste ich eine Verkaufsanzeige für mein Wohnmobil. Bis heute nenne ich kein Motorfahrzeug mehr mein eigen.

Doch Inge geht einen Schritt weiter: sie fordert den Lohnsteuerboykott. Die Überlegung ist insofern richtig, dass auch die Lohn- und Einkommenssteuer, wie jede Steuer nicht zweckgebunden ist. Daher muss davon ausgegangen werden, dass von jeder Mark für die Lohnsteuer ca. 20 Pfennig für Krieg und/oder Kriegsvorbereitung aufgewendet werden. Hier greift nur ein tatsächlicher Lohnsteuerboykott. Der lässt sich legal nur dann durchführen, wenn man entweder die erhaltene Lohnsumme (oder andere Einkommensarten) so weit senkt, dass der Jahressteuersatz Null ist, oder durch steuerlich abzugsfähige Quittungen den Steuersatz auf Null senkt. Inge Sterk empfiehlt nur einen Teil des Jahres lohnsteuerpflichtig zu arbeiten, die übrige Zeit gemeinnützige Arbeit zu leisten. Auch hierfür habe ich mich in der Vergangenheit entschieden, so arbeite ich nur montags bis mittwochs gegen Entgelt, die übrige Zeit aber unentgeltlich im ÖkoBüro, z. B. um das BuddhaNetz-Info zu erstellen.

Eine weitere Möglichkeit ist, einen Teil des Einkommens zu spenden.  Will man hierdurch auch Steuern sparen, so braucht man steuerlich abzugsfähige Quittungen. Steuerlich abzugsfähig sind Spenden an vom Finanzamt anerkannt gemeinnützige Vereine (bis 5 % der Einkünfte) und an mildtätige Vereine (bis 10 % der Einkünfte). Darüber hinaus Spenden bis DM 3000/Jahr (Ehepaare: DM 6000/Jahr) an politische Parteien oder Wählervereinigungen. Wir im ÖkoBüro Hanau haben eigens eine lokale Wählervereinigung gegründet, die politische Arbeit im Sinne des Dharma macht, und an die solche steuerlich abzugsfähigen Spenden geleistet werden können.

Aber das Schreiben von Inge Sterk veranlasste mich weiter nachzudenken, was bisher noch meinen Bemühungen, keine Kriegssteuern zu zahlen, entgangen war. Die direkten Steuern (wie die Lohn- bzw. Einkommenssteuer) machen inzwischen den kleineren Teil der Steuereinnahmen des Staates aus. Der größere Teil kommt aus indirekten Steuern, wie der Mineralölssteuer. Die Branntweinsteuer und die Tabaksteuer zu sparen ist für praktizierende Buddhisten sowieso eine gute Übung. Den höchsten Anteil aller Steuern aber macht die Mehrwertsteuer aus, die allein der Endverbraucher trägt - und da wird's für gutwillige Steuerverweigerer schwierig.

Der radikalste Weg wäre der der radikalen Konsumverweigerung. Wer nicht konsumiert, zahlt keine Mehrwertsteuer, finanziert mithin nicht den Krieg. Dummerweise wird er diese radikale Konsumverweigerung vermutlich nicht überleben. Es ist dies die gleiche Überlegung, die auch der Buddha machte, als er über radikale Konsumverweigerung nachdachte. Eine der 40 vom Buddha Gautama empfohlenen Meditationsübungen, die Kontemplation über die Abscheulichkeit, sich ernähren zu müssen, hat hier ihren Ursprung. Auch Ernährung tötet. Sie tötet nicht nur Pflanzen. Selbst für die Ernährung der Vegetariers muss das Feld gepflügt werden, Würmer und andere Kleinlebewesen werden dabei lebendigen Leibes geteilt, kommen aus der schützenden Erde heraus an die Erdoberfläche, wo die Vögel der Pflugschar folgen, um die an die Oberfläche geworfenen Insekten und Weichtiere zu fressen. Unsere heutige Art der Ernährung ließe massenweise weitere Grausamkeiten hinzufügen, von barbarischer Milchviehhaltung über Insektizid- einsatz und dessen Folgen für den Nahrungskreislauf bis hin zur Banane, an deren chemischer Be-handlung in Mittelamerika Zehntausende von Menschen zu Invaliden wurden - außerdem werden für den Bananentransport hierher per Schiff toxische Stoffe auf die Schiffsrümpfe aufgetragen werden, die die Meereslebewesen vergiften. Ganz zu schweigen von dem massenhaften Transport von Lebensmitteln mittels Flugzeugen und Lkws, die schwerste Schäden an der Ökosphäre anrichten - und damit an uns und unseren Mitwesen.

Der Buddha entwickelte daher die Lehre vom Mittleren Weg zwischen radikaler Askese und Völlerei. Er wurde wegen dieser "halbherzigen" Haltung kritisiert, zunächst von seinen Mitasketen, später von der konkurrierenden Glau-bensrichtung der Jains, aber auch innerhalb der Sangha kam es zu Auseinandersetzungen über dieses Thema; für die von Devadatta herbeigeführte Spaltung der buddhistischen Sangha war dies ein wichtiger Grund. Auch nach dem Tod Buddha Gautamas hielten die Diskussionen über dieses Thema an.

Für uns Buddhisten ist es nun naheliegend, sich zu Buddhas Mittlerem Weg zu bekennen. Konsumeinschränkungen ja - Konsumverweigerung nein. Auch ich entscheide mich so. Aber ich ertappe mich, wie ich geneigt bin unter Berufung auf den "Mittleren Weg" fast keine Änderungen meines Konsumverhaltens anzugehen. Nur allzu leicht wird das Verweisen auf den Mittleren Weg zur billigen Ausrede, das Leben nicht wirklich umzustellen. Hier hilft der Gedanke an die Mehrwertsteuer und den Krieg. Ein Wareneinkauf von DM 100,-- be-deutet DM 16,-- Mehrwertsteuer, 20 % davon für den Krieg sind DM 3,20. Vielleicht genau der Teil einer Granate, der einen Menschen tötet oder verletzt.

Was wir nicht vergessen sollten, ist die Tatsache, worin denn der Mittlere Weg des Buddha bestand. Er bestand nicht darin, sich die meisten Konsumgüter seiner Zeit "in Maßen" zu leisten. Er bestand vielmehr in einem radikalen Aussteigen aus den Konventionen der Mehrheitsgesellschaft. Er bestand daraus in die Hauslosigkeit zu gehen. Er bestand daraus kein Geld anzunehmen und sich keine Gedanken über die finanzielle oder soziale Absicherung über den Tag hinaus zu machen. Er bestand daraus mit nichts als den Kleidern auf dem Leib, einer Bettelschale in der Hand und zwei oder drei weiteren Gegenständen sein restliches Leben zu fristen. Dies ist es, was der Buddha unter "Mittlerem Weg" verstand.

Das ganz Entscheidende aber hatte der Buddha erstens verstanden und zweitens praktiziert. Er hatte verstanden und praktiziert, dass es der Greifreflex ist, das Habenwollen, die Gier, die diesen ganzen Leidenskreislauf hervorruft. Nur durch die radikale Emanzipation von diesem Wurzelübel der Gier, durch die Emanzipation vom Greifen nach Gütern, die wir nicht wirklich brauchen, von der Emanzipation vom Konsumismus in unseren eigenen Köpfen werden wir das Leiden überwinden und damit vom Reich des Samsara ins Reich des Nirwana übergehen.

Mir hat die Kontemplation über den Krieg, die Mehrwertsteuer, den Greifreflex und den Konsumismus zu einem Stück mehr Einsicht in Dukkha verholfen. Vielleicht gelingt es mir. indem ich mir diese Überlegungen gegenwärtige halte, auch den Greifreflex selbst zu überwinden. Ich weiß: der Weg bis dahin ist weit und schwierig, aber er ist klar sichtbar.



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