Mara im PC

von horst gunkel - veröffentlicht im BuddhaNetz-Info Nr. 10 - Frühling 2000


Die Anwendung der neuen Technologien verändert unser Leben immer mehr. Veränderung - Unbeständigkeit - ist eines der Prinzipien der Welt, das von uns Buddhisten immer erkannt wurde, dem wir uns immer zu stellen bereit waren.

Diese Veränderlichkeit bezieht sich auf die Formen. Die wichtigsten Grundprinzipien hingegen sind erstaunlich beständig. Eines dieser Grundprinzipien ist, dass wir – solange wir in der Welt des Samsara gefangen sind – den drei Wurzelübeln unterliegen: Gier, Hass und Verblendung gelangen in immer neuen Verkleidungen an uns heran. Wie der Wolf im Schafspelz so versucht sich Mara im Computer zu tarnen.

Besonders deutlich wurde mir das unlängst am Beispiel von Videospielen. Ich spreche hier keineswegs von den brutalstmöglichen Ab-scheulichkeiten, die nur allzu oft den menschlichen Aggressionstrieb aufgreifen, den Baller-spielen, die entweder offen gewaltverherrlichend sind oder aber dies dadurch zu kaschieren versuchen, dass mehr oder weniger unverfängliche „Ziele“ abzuschießen sind. Nein, ich rede von den so genannten „sauberen Spielen“, Geschicklichkeits-, Denk- oder Strategiespielen ohne offensichtlich aggressiven Hintergrund, Computerspielen wie Tetris, Solitaire oder Mah Yongg, Spiele also, die vermeintlich nur an unsere Spielfreude appellieren, die uns Entspannung nach anstrengender Tätigkeit ver-sprechen.

Wie viele andere PC-NutzerInnen auch habe ich versucht, mich diesem unschuldigen Vergnügen gelegentlich hinzugeben. Doch wie üblich stellte sich heraus: wir kaufen etwas, wo „Fun“ draufsteht – und dann ist Dukkha, das Unbefriedigende, das Leidvolle, drin.

In den meisten dieser Spiele gibt es eine Leistungsmessung, entweder in erreichten Punkten (je mehr, desto besser) oder aber in der Zeit, die man benötigt um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (je weniger, desto besser). Meist ist dies verbunden mit einer Bestenliste (high score), in der die höchsten erreichten Werte und der Name des Spielers, der diesen Wert erreicht hat, eingetragen werden. Natürlich wird hier die Spielfreude noch durch die Freude an der Eintragung in die Bestenliste und eine gewisse Faszination der Zahlen (so viele Punkte!) gesteigert. Genau das ist der Punkt, an dem die Gier von mir Besitz ergreift. Die Gier nach besseren Werten nimmt mich gefangen. (Allein schon das Wort „Werte“ ist hier eine Perversion: welchen Wert soll es denn haben wenn eine arithmetisch größere Zahl auf der Festplatte meines PC gespeichert ist?) Diese Gier ist prinzipiell die gleiche Gier wie die des Aktienspekulanten, in kürzerer Zeit immer mehr „Werte“ anzuhäufen ohne danach zu fragen, welchen sozialen und ökologischen Preis die Welt (wir alle!) dafür zu zahlen hat.

Während ich so in der Gier nach besseren „Werten“ gefangen bin, beginne ich diese also für wichtig zu nehmen. Und während mich so schon nicht mehr die Spielfreude, sondern die Spielwut gefangen hält, bemerke ich kaum, wie die Zeit verrinnt – oder will es nicht bemerken. 10, 15 Minuten wollte ich nach einer getanen Arbeit spielen, doch das Spiel hielt mich ge-fangen und läßt mich erst nach zwei oder drei Stunden wieder los. Inzwischen habe ich Gier eingeübt, Gier nach Zahlen, die ich in meiner Verblendung für „Werte“ gehalten habe. Und noch etwas kommt dazu. Neben den Kampf (!) um die höheren Zahlen ist da noch das Problem mit den zwei oder drei anderen Leuten, die sich in meine Liste eingetragen haben. Mindestens einen davon will ich heute noch rausschmeißen. Und wenn ich nächstes Mal spiele, den nächsten. Alle Fremden auf meiner Liste sollen ausgemerzt werden, bis sie völlig rein ist, sauber von diesen Eindringlingen! Nein, so habe ich es beim Spiel nicht offen gedanklich formuliert, aber der Einsatz für eine „reine Liste“ und das, was wir mit der oben getroffe-nen Wortwahl an Schrecklichem assoziieren, kommt aus der gleichen Denke. Es ist Ablehnen, Aversion, Hass, zurückweisen in verschieden starken Merkmalsausprägungen, letztlich aber auf jeden Fall eine – zumindest subtile – Form des Wurzelübels Hass. Übrigens, so musste ich feststellen, steigt diese Aversion mit ausbleibenden Erfolgen. Nachdem ich meinen Namen oft genug in die Bestenliste eintragen konnte, erreiche ich die Bestenliste nur noch auf Grund von Kombinationen aus Geschick-lichkeit und hohem Glück. Und jedes mangelnde Glück, jedes Pech, das mich hindert ein weiteres Mal in die Liste zu kommen führt zu Aversion gegen das Programm oder den Programmierer. Von daher wundert das Ergebnis einer Umfrage in den USA nach der Person des 20. Jahrhunderts, die sie am meisten hassen, nicht: auf Platz 2 der Liste der meistgehassten Männer lag Adolf Hitler – auf Platz 1 Microsoft-Gründer Bill Gates.

So gelingt es mit einem vermeintlich ganz unschuldigen Programm zur Entfaltung von Spielfreude alle drei Wurzelübel zu kultivieren, einzuüben, zu verstärken: Gier, Hass und Verblendung.

Mara im PC! Mara im PC? Das erschreckende ist nicht einmal die Tatsache, dass Mara, das Böse, im PC wohnen kann – das ist klar, das sieht man an den Ballerspielen – nein, dass Mara sich zeigt, dass Gier, Hass und Verblen-dung sich manifestieren mittels eines vergleichsweise harmlosen Spielchens, das ist das Erschreckende. Es zeigt nämlich einmal mehr auf, wo Mara wohnt. Mara sitzt nicht im Computer. (Dort vielleicht auch, aber das ist nicht so wichtig.) Gier, Hass und Verblendung wohnen nicht im PC, sie wohnen in mir. Es kommt nicht darauf an die Computertechnik oder die Software zu ändern, sondern den Menschen. Daher sollte ich mir den nächstlebenden Menschen greifen und umzuwandeln beginnen: mich selbst.


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