Das Jahr 2000 
die guten Vorsätze 
und die weniger guten Vorsätze

von horst gunkel
veröffentlicht im BuddhaNetz-Info Nr. 9 - Winter 1999/2000

Es mag verwundern, dass sich dieses Buddha-Netz-Info (BNI) mit dem Schwerpunkt Jahr 2000 (nach Christus!) auseinandersetzt - und jetzt auch noch in dieser Un8samkeits- kolumne. Es wird daher zunächst zu klären sein, welchen Sinn dies für ein buddhistisches Mitteilungsblatt macht. Alsdann werde ich erläutern, warum mir das Thema "Vorsätze" wichtig genug erscheint, Gegenstand einer Kolumne zu sein und anschließend wird zu erläutern sein, welche Vorsätze denn nun die "guten" und welche die "weniger guten" sind. Und natürlich werde ich - wie immer - darüber reflektieren, welche Fehler - Un8samkeiten - ich bislang begangen habe und mich zu meinem Stand des Lernprozesses "outen".

Das "Jahr 2000", der Beginn eines neuen Jahrtausends ist keineswegs mehr das "Jahr 2000 nach Christus". Ginge es um diesen Aspekt, dann müsste man sich in der Tat fragen, was denn dieser zeitliche Bezug zu Christus mit uns als Buddhisten zu tun hat. Aber wo immer über das Jahr 2000, das Millenium-Ereignis, gesprochen wird, christliche Bezüge vermag ich darin nicht zu erkennen. Zwar feiert die römische Kirche ein "heiliges Jahr", weil sie den zeitlichen Bezug zu Christus sieht, aber was die Kirchen machen interessiert doch - fast - niemanden mehr. Europa ist zwar unterschwellig noch von der christlichen Kultur und insbeson-dere von der Kirchengeschichte geprägt, aber die christliche Religion hat sich als maßgeblich gestaltende Kraft längst verabschiedet. Europa - und nicht nur Europa - ist längst in einer anderen Glaubenswelt gefangen: der materialistisch-konsumistischen Religion. Gerade in der Weihnachtszeit wird deutlich, dass dieses ehedem christliche Fest vom Konsumismus neu interpretiert wurde und dieser die Deutungshoheit über Feiertage erlangt hat. Gerade das BNI setzt sich immer wieder mit diesem Thema auseinander.

Das Jahr 2000 ist keinerlei christliches Phänomen mehr. Es ist nicht mehr das "Jahr 2000 n. Chr.", sondern das "Jahr 2000 u. Z. (unserer Zeitrechnung). Es geht nur noch um ein abstraktes Zählen in einer Zeitrechnung, insofern ist das Jahr 2000 eher ein statistisches als ein christliches Phänomen. Die Erdumläufe um die Sonne werden mittels des Dezimal- systems gezählt, wobei der Anfangspunkt - das Jahr 0 - gewillkürt bzw. von einer früher bestehenden Autorität festgelegt wurde. Die Faszination des Y2K (wie man das Jahr 2000 auf neudeutsch auch nennt) ergibt sich aufgrund einer Zahlenfaszination, früher sprach man auch von "Zahlenmystik". Es stellt beim Zählen einen wichtigen Einschnitt dar, macht uns damit die Zeit bewusster: Vergänglichkeit wird an solchen Punkten deutlicher. Und gerade dadurch wird es wieder zu einem religiösen Phänomen, denn Vergänglichkeit ist ein Erkenntnisobjekt der Religion. Insbesondere im Buddhismus ist Vergänglichkeit (anicca) ein wichtiges Schlüsselwort, daher ist die Aus-einandersetzung mit dem Phänomen "Jahr 2000" ein wichtiges buddhistisches Anliegen. Vergänglichkeit nährt Ängste und so werden Ängste - aber auch Hoffnungen - in dieses magische Datum projiziert. Die Ängste resultieren natürlich nicht aus dem Datum selbst, sondern kommen aus uns, das Datum ist nur die Projektionsfläche unserer inneren Ängste im Zusammen- hang mit der Idee "Vergänglichkeit".

Vor 1000 Jahren, an der Schwelle zum ersten Millenium, projizierten die Menschen in Europa ihre Ängste auf die Kraft, von der sie sich damals abhängig sahen: auf Gott. Weit verbreitet war die Annahme, dass Gott dieses Datum zum Anlass nähme, die Welt zu vernichten. Die ängstlichen Menschen suchten nach allerlei Belegen zur Rationalisierung dieser diffusen Ängste und sie entnahmen diese Belege der damals kulturell stärksten lebensgestaltenden Kraft, der Bibel. Ganz ähnlich sieht es heute aus. Wieder wird das Phänomen der Vergänglichkeit erkannt, wieder ist Rationalisierung angesagt. In unserem (informations-) technischen Zeitalter wird natürlich nicht mehr in der Bibel nachgeschaut, sondern in der Programmierung von Chips. So wie damals die Priester, die allein des Herrschaftsmittels "Kenntnis der lateinischen Sprache" mächtig waren die Gefahren- interpretationshoheit hatten und ihre Ängste auf die unwissenden Massen übertrugen, so sind es heute die hohen Priester der Technik, die alle möglichen Probleme mit dem Umspringen von 99 auf 00 entdeckt zu haben glauben und so ihre Ängste gegenüber der von ihnen entfesselten technischen Revolution auf die gläubigen Menschen übertragen, die dankbar diese scheinbare Rationalisierung ihrer Zukunftsängste, ihrer Verunsicherung gegenüber dem immer rasender werdenden Phänomen "Vergänglichkeit" annehmen. Dabei möchte ich gar nicht leugnen, dass es einen durchaus gesunden Aspekt hat, sich dieser Technologieabhängigkeit bewusst zu werden und sie kritisch zu hinterfragen.

Das Jahr 2000 ist also für uns ein - vielleicht unbewusstes - Symbol der Vergänglichkeit. Mit Vergänglichkeit, mit Unbeständigkeit verbinden wir in erster Linie Ängste; aber natürlich können wir damit genau so gut Hoffnungen verbinden, denn Unbeständigkeit kann ja auch die Wende zum Besseren bedeuten. Als Buddhisten sind wir davon überzeugt, dass nicht ein außenstehender Gott diese Veränderungen bewirkt, sondern dass die Veränderungen Produkt unserer Handlungen sind. Absichtliche Handlungen (kamma) führen zu Folgen (kamma vipaka). Wenn man sich die kollektiven Handlungen der Menschen im letzten Jahrtau-send und insbesondere im letzten Jahrhundert ansieht, dann ist allerdings eher die Frucht der zahlreichen unheilsamen Handlungen (akusala-karma) als das Ergebnis der - wie ich meine - weniger zahlreichen heilsamen Handlungen (kusala-karma). Die Lehre vom Karma hat jedoch einen ungeheuer positiven Aspekt: ich kann durch neues positives Handeln dazu beitragen, altes negatives Handeln zu neutralisie-ren, umzudrehen. Ich muss nicht nur die Er-gebnisse vergangenen individuellen und kollektiven Karmas fürchten, ich kann durch positives Handeln die Zukunft positiv gestalten. Und gerade an einem Zeitpunkt, an dem Vergänglichkeit so deutlich wird, wie an der Schwelle eines neuen Jahres, Jahrzehntes, Jahrhunderts, Jahrtausends, bietet es sich an Handeln zu überprüfen und zum Positiven zu wenden. Dies ist der Grund der vielen guten Vorsätze, die wir uns immer einmal wieder vornehmen, besonders zum Jahreswechsel und sicher ganz besonders zu diesem Jahreswechsel.

Ein Vorsatz ist mithin der feste Wille die Zukunft nachhaltig so zu gestalten, dass wir erwarten können, dass sie besser wird, als wenn wir das aus diesem Vorsatz resultierende Handeln unterließen.

Gerade für Menschen, wie Buddhisten, die fest davon überzeugt sind, dass Handlungen Folgen zeitigen, ist es naheliegend, positive Vorsätze zu fassen (Kusala kamma-cetana) und umzusetzen.

So habe auch ich in der Vergangenheit bereits Vorsätze für die Zukunft gefasst. Häufig habe ich dies anlässlich des Jahreswechsels getan. Rückblickend muss ich jedoch feststellen, dass es mit der Umsetzung meiner Vorsätze nicht immer zum besten bestellt war.

"Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert", sagt ein deutsches Sprichwort und wie viele Sprichwörter hat auch dieses einen wahren Kern, wenn nicht sogar einen tiefen Wahrheitsgehalt. Denn es sind die absichtlichen Handlungen (kamma), die karmische Folgen zeigen. Die bloße Absicht, aus der keine Handlung erfolgt führt nicht in diesem Maße zum Erfolg. (Die bloße Handlung, der keine Absicht zugrunde lag übrigens noch weniger.) Wer sich lediglich in Absichten ergeht, jedoch nicht in der Lage ist, sie umzusetzen, wird kaum positives Karma schaffen. Und es sind unsere dann wohl eher ungeschickten, unheil-samen Handlungen (akusala kamma), die uns in schlechtere Daseinszustände ("Hölle") führen. Wenn ich also erstens von der Tatsache überzeugt bin, dass Handeln Folgen hat, zweitens weiß, dass Jahreswechsel ein guter Zeitpunkt ist, ansichtlich der Vergänglichkeit über mein künftiges Handeln nachzudenken und ich drittens weiß, dass die Umsetzung meiner Vorsätze in der Vergangenheit ganz sicher nicht das Prädikat "vollkommen" verdient hat, dann ist der bevorstehende Jahreswechsel Anlass meine bisherigen Probleme bei der Umsetzung von Vorsätzen zu überprüfen, um - hoffentlich - zu einer geschickteren Vorsatzplanung zu kommen.

Drei Arten von Problemen gibt es bei den Vorsätzen. Welche drei? Es gibt Probleme in der Menge der Vorsätze, in der Art der Vorsätze und in der Beschaffenheit der Vorsätze.

Da ist zunächst das Problem der Menge der Vorsätze. Wenn ich mir überlege, was ich in Zukunft alles anders - besser - machen will, dann fällt mir vielleicht eine ganze Menge ein. Auch ich neige dazu, gerade anlässlich des besonderen Jahreswechsels zu einer Vielzahl von Vorsätzen zu kommen. Gerade als Buddhisten wissen wir aber, dass nur Konzentration auf das Wesentliche zu höheren Erfolgen führt. "Einspitzigkeit des Geistes" (citt´ekaggata) ist nicht umsonst ein zentraler (oft sogar mit sa-madhi gleichgesetzter) Jhana-Faktor. So wie wir in der Meditation Erfolg haben werden, wenn unsere Sammlung völlig einspitzig auf das Meditationsobjekt fokusiert ist, so ist auch die Konzentration auf einen Vorsatz sicher der erfolgversprechendste Weg, diesen umzusetzen. Versuche ich mich stattdessen auf ein Dutzend Vorsätze zu konzentrieren, werde ich sicher bald den einen oder anderen aus den Augen verloren haben. Und wenn ich mir auf diese Art erst einmal die mäßige Verbindlichkeit dieser Vorsätze eingestanden habe, dann besteht die Gefahr alsbald noch mehr Absichten zur Disposition zu stellen. Mein Vorsatz für den bevorstehenden Jahreswechsel ist also, mich in der Anzahl meiner Vorsätze deutlich zu beschränken, mich zu bemühen, das wichtigste Ziel in den Mittelpunkt meines Strebens (vayama) zu stellen.

Das zweite Problem ist das der Art der Vorsätze. Ich habe oben von heilsamen Vorsätzen gesprochen. Die Einteilung in heilsame, geschickte (kusala) und unheilsame, ungeschickte (akusala) entstammt der buddhistischen Ethik. Daneben gibt es selbstverständlich auch Vorsätze, die wesentlich weltlicherer Art sind, also karmisch neutral, z. B. die Absicht einmal wöchentlich ins Schwimmbad zu gehen. Daneben gibt es auch Vorsätze, die ich vielleicht primär aus weltlicher Sicht mache, die aber auch einen karmischen Aspekt haben. So ist z. B. der Vorsatz das Rauchen aufzugeben möglicherweise primär egoistisch motiviert (den Raucherhusten loswerden, keinen Krebs bekommen, Geld sparen), er hat jedoch auch einen karmischen Aspekt, denn er dient der Entsüchtung (5. sila) und die Überwindung des Raucherhustens bzw. die Vermeidung des Krebses gehört sicher auch zur Empfehlung (an die Praktizierenden), die Reinheit des Besitzes (nämlich des eigenen Körpers) zu pflegen. Als rein spirituell würde ich z. B. den Vorsatz zur Aufnahme einer täglichen Meditationspraxis ansehen. Erst wenn ich mir so der karmischen Wertigkeit meiner möglichen Vorsätze bewusst bin, kann ich entscheiden, welchen Vorsatz (oder welche Vorsätze) ich umsetzen möchte.

Ich für meinen Teil habe mich entschieden, aus dem Bereich der eindeutig spirituellen Vorsätze einen zu nehmen und zu versuchen, mich darauf zu fokusieren. Aus den anderen beiden Gruppen können noch Vorsätze dazukommen (wenige!), aber mir muss immer die Wertigkeit dieser Vorsätze bewusst sein. Der eine spirituelle Vorsatz ist durchzuhalten! Um die (vielleicht zwei) teils weltlichen aber auch mit karmischen Aspekten verbundenen Vorsätze möchte ich mich auch kümmern. Sollte noch ein rein weltlicher Vorsatz dazu kommen, wäre es ganz schön, wenn es gelänge, diesen umzusetzen, entscheidend ist aber die Umsetzung nach der Prioritätenliste der Wertigkeit.

Die letzte und vielleicht komplizierteste Art der Probleme ist die der Beschaffenheit der Vorsät-ze. Häufig sind Vorsätze so diffus, so wenig explizit formuliert, dass mir gar nicht auffällt, wenn ich mich von ihrer Umsetzung löse. Ich möchte ein Beispiel nennen. Die Aufnahme einer regelmäßigen Meditationspraxis ist sicher ein lobenswerter Vorsatz; ein Vorsatz, den wohl die meisten Leser dieser Zeilen schon einmal gefasst haben. Einmal, als ich diesen Vorsatz fasste - es war zu Beginn eines neuen Jahres - hatte ich zwar ungefähre Vorstellungen davon, was ich beabsichtigte, doch wann ich jeweils meinen Vorsatz erfüllt hätte (und wann nicht), war mir selbst nicht ganz klar, da nicht hinreichend definiert. Ich wollte möglichst zwei Mal täglich meditieren und hatte auch eine ungefähre Vorstellung über die Dauer (jeweils etwa 45 Minuten) und über die Art der Meditation. Unterschwellig hatte ich mit regelmäßig wohl auch täglich gemeint. Zunächst gelang es mir zweimal täglich zu meditieren - aber wenn es an einem Tag nur einmal vorkam, so war das ja auch noch regelmäßig und sogar täglich. Als erstmals an einem Tag etwas dazwischen kam, sagte ich mir, ich hätte ja gestern zweimal meditiert, also wäre ich im Durchschnitt noch bei einem Mal täglich. Auf ähnliche Art ging ich im Laufe der Zeit auch mit der Dauer und der Art der Meditation um.

Um dieses künftig zu vermeiden, halte ich es für wichtig, hinsichtlich der Zielerreichung die Ziele hinreichend konkret zu benennen. Statt diffuse Vorsätze zu haben, ist es wichtig einen Vorsatz hinreichend operationalisierbar formuliert zu haben. So könnte ein solcher Vorsatz so aussehen: mindestens einmal täglich die Atemachtsamkeit zu üben und zwar für mindestens 30 Minuten. Daneben soll (wenn möglich) noch eine zweite Meditations- übung geübt werden. Besonders zu achten ist auch auf eine hinreichend gut opertionali- siertes Maß an Beständigkeit. Wenn mir einmal aus irgendeinem Grund der Vorsatz nicht einhaltbar erschien, so gestand ich mir ein versagt zu haben. Und statt dies als Ansporn zu nehmen, mich noch mehr um die künftige Umsetzung des Vorsatzes zu kümmern, habe ich das Gefühl: jetzt ist der Vorsatz gescheitert. Oder aber ich versuche zwar weiter an dem Vorsatz zu arbeiten, habe aber das Bewusstsein: einmal bin ich schongeschei- tert, sicher wird es noch öfter der Fall sein - und bei einer solchen Haltung wird es mit Sicherheit öfter der Fall werden. Daher ist es ganz gut in den Vorsatz eine Ausnahme- regelung aufzunehmen, die dennoch als Zielerfül-lung gilt. So gibt es im Beispiel regel- mäßiger Meditation immer wieder eine Gefährdung durch äußere Umstände, habe ich allerdings eine Notfallregelung getroffen, die besagt im Falle einer Verhinderung in jedem Fall eine zehnminütige "Notmeditation" einzulegen (danke, A., für den Tipp), so kann ich meinen Vorsatz noch erfüllen, habe also nicht das Stigma des zeitweiligen Scheiterns zu tragen, das erfahrungsgemäß häufig zum endgültigen Scheitern führt.

Ich auf jeden Fall werde das neue Jahr mit einem dreifach gefestigten Vorsatzkonzept angehen: Beschränkung in der Menge, Klarheit in der Art und hinreichend operationali- sierbar in der Beschaffenheit.

Und wenn's wieder nicht klappt? Dann sehe ich das alles als Generalprobe an, denn das neue Jahrtausend beginnt ja eigentlich erst am 1. Januar 2001. Aber es wird klappen - mit etwas mehr Achtsamkeit.



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