Leseprobe aus BuddhaNetz-Info Nr. 3 (Sommer 1998):

Fernsehen verunglimpft Dalai Lama

von Dr. Christian Schwarz-Schilling, MdB, Bonn

Es ist sehr schade, dass der konstruktive Menschenrechtsdialog, den der Bundespräsident, der Bundesaußenminister und zuletzt der Unterausschuß für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages bei seiner Reise im September 1997 in Peking und in Tibet mit chinesischen Amtsträgern geführt haben, durch die Relativierung der Situation in Tibet und die Verächtlichmachung des Dalai Lama großen Schaden nimmt. Jetzt davon zu sprechen, dass die "tibetische Kultur aus einer Religion hervorgeht, die noch viel brutaler war und die Menschen in Tibet wie in der schlimmsten Diktatur unterdrückte", sowie vor der "unkritischen Gefühlsduselei für den Dalai Lama und die tibetischen Mönche" zu warnen, wie es Ulrich Wickert in seiner Sendung am 12. Oktober und bald darauf seine Panoramakollegen getan haben, ist weder berechtigt noch politisch zielführend. Dass die tibetische Kultur in früherer Zeit nicht demokratisch organisiert war, ist keine Neuigkeit. Diese Tatsache gilt für Gesamtostasien einschließlich Japan in den früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Sie gilt im übrigen in differenzierter Form auch für Europa. Die tibetische Kultur hatte aber einen einzigartig religiös bestimmten Akzent und prägte damit die ganze Region, in der auch erstaunliche menschliche Errungenschaften sichtbar werden, die man in anderen Religionen so nie kennengelernt hat. Dass in der tibetischen Kultur besondere Grausamkeiten im Vergleich mit anderen Kulturen vorgekommen sein sollen, kann in keiner Weise festgestellt werden. Wir werden in der Vergangenheit überall hierarchische Verhältnisse feststellen, welche nicht dem heutigen allgemeinen Bewußtseinsstand der wünschenswerten gesellschaftlichen Organisation entsprechen. Die Horrorszenarien von Knechtschaft, Unterdrückung und Unmenschlichkeit als einer spezifisch tibetischen Cha-rakteristik sind also völlig aus der Luft gegriffen.

Auf die Person des Dalai Lama bezogen, ist eine solche Bewertung besonders niederträchtig und grotesk, weil dieser Mensch zur damaligen Zeit, als kleiner Junge von den Mönchen ausgesucht, im Kloster auf seinen geistlichen Lebensweg vorbereitet und eingeführt wurde und auch nicht für eine einzige Unrechtstat, so sie in dieser Zeit geschehen ist, verantwortlich gemacht werden kann. Heute jedoch, wo er für die Menschen Tibets aufgrund seiner Funktion Verantwortung trägt, ist er pausenlos unterwegs, um das Schlimmste zu verhindern, dass nämlich die gesamte tibetische Kultur mit ihren religiösen Traditionen ausgelöscht wird.

Die Methode, die tragische Situation Tibets zu relativieren und zu verharmlosen und die Mission des Dalai Lama zu verunglimpfen, ist kein Ruhmesblatt für den deutschen Journalismus. Man kann es noch verstehen, dass die amtliche Politik Chinas ein solches Szenario entwirft, um ihre Einmischung in die tibetische Kultur als ein positives Kontrastprogramm im Sinne von Fortschritt und Zivilisation darzustellen. Dass aber ausgerechnet hier diese Sprache übernommen und dies mit Angriffen auf den Dalai Lama verbunden wird, wirft nicht nur Stilfragen auf, sondern stellt auch die tiefere Frage nach dem journalistischen Selbstverständnis. Am 26. und 27 April ging die indische Polizei gegen die Hungerstreikenden vor. Die Streikenden hatten angekündigt, bis zum Tode weiterzuhungern, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Dies lieferte den indischen Behörden den Vorwand für ihr Eingreifen, da Selbstmord nach indischem Recht verboten istständnis. Nach unseren Erfahrungen ist ein offener und ehrlicher Dialog mit Peking auch im Sinne guter Beziehungen sehr viel konstruktiver und zielführender als solche Verrenkungen.


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