Familie O´huahua und die Kommunisten
Stand: 2000-07-18
Unsere Geschichten von der Geschichte des Geldes beginnen in der Steinzeit vor mehr als 10.000 Jahren irgendwo in Europa. Die Menschen wohnen noch in Höhlen. Eine dieser Höhlen wird von den O´huahuas bewohnt. Die O´huahuas sind eine Sippe von fast 60 Leuten. An der Spitze dieser Sippe steht die älteste Bewohnerin der Höhle, die von allen ehrfürchtig "Große Mutter" genannt wird. Man sagt, sie sei über 100 Jahre alt. Bei allen wichtigen Entscheidungen leitet die Große Mutter O´huahua die Versammlung. Dann sitzen alle in der großen Halle der Höhle um das Feuer, beten zunächst zur Sonnengöttin, opfern der Erdgöttin und diskutieren dann das anstehende Problem. Wenn alle Argumente ausgetauscht sind, fällt die Große Mutter O´huahua die Entscheidung, die von allen respektiert wird. Kein Wunder: die Große Mutter bemüht sich stets eine gerechte Entscheidung zu treffen, die alle vorgebrachten Argumenten berücksichtigt.

Heute geht es wieder einmal um die Arbeitsverteilung. Diana, eine junge Frau von fast 20 Jahren, ist unzufrieden mit den ihr zugeteilten Arbeiten. Normalerweise gehen die Männer auf die Jagd: Hasen, Rehe, Hirsche und Elche sind das bevorzugte Wildbret, daneben allerlei Vögel. Ältere Männer, die nicht mehr flink genug sind, und Ka´oan, der einen Unterschenkel von einem Schneetiger zerrissen bekam, sammeln die Kräuter und Beeren an den Berghängen und an der Flussaue. Die Frauen sind meist im Bereich der Höhle oder kurz davor, passen auf, dass das Feuer nicht ausgeht, hüten die Kinder, die meist etwa zwei Jahre lang gestillt werden, bis die Frauen wieder schwanger sind, garen Essen, trocknen Kräuter und fertigen die Kleidung. Diese Arbeitsteilung hat sich als zweckmäßig erwiesen, denn weder Schwangere noch stillende Mütter sind gut bei der Jagd zu gebrauchen, andererseits haben es gerade die älteren unter ihnen zu erstaunlicher Fertigkeit bei den Handarbeiten gebracht und sie geben dieses Wissen an die Mädchen weiter.

Genau das ist es, was Diana stört. Sie ist kein Mädchen mehr, das Handarbeiten lernen muss. Vor einem Monat kam ein Luchs und hat ein kleines Kind angefallen, es wäre verloren gewesen, hätte Diana nicht eingegriffen: nur mit einem Knüppel und einem Stein in der Hand hat sie sich dem Luchs entgegengestellt, der merkwürdigerweise auch jetzt nicht von seinen Angriffen abzubringen war. Es war ein kurzer aber heftiger Kampf und Diana hatte gewonnen. Riesig stolz war sie gewesen, als sie dem Luchs den Knüppel mit der Rechten in den Rachen gerammt hatte und dann mit einem Schlag mit dem Stein, den sie in der Linken hielt, das Tier bewusst los geschlagen hatte. Mit einigen weiteren Hieben tötete sie die Großkatze, dann schnitt sie ihr die Ohren als Trophäe ab, um sich daraus einen Halsschmuck zu machen, wie es die Jäger taten. Sie wusch sich im Fluss die Kampfspuren ab, nur einige tiefe Kratzer am rechten Unterarm und über der linken Brust waren jetzt noch zu sehen. Dann nahm sie den Luchskörper, brachte ihn zur Höhle und begann ihn zu häuten. Sie würde die einzige Frau sein, die ein Umhang aus Luchsfell trug. Denn nur die tapferen Jäger, die ein Raubtier erlegt hatten, durften dessen Fell tragen, die übrigen waren in Hirsch-, Reh- oder Ziegenleder gekleidet.

Als die Männer am Abend von der Jagd heimkamen, gab es Streit: eine Frau dürfte so etwas nicht tragen. Es kam zur Auseinandersetzung und K´funta, der Anführer der Jäger, wollte sogar das Fell zerschneiden, wäre nicht die Große Mutter eingeschritten und hätte von ihrem Recht Gebrauch gemacht, jedes bei der Jagd erbeutete Stück für sich zu beanspruchen. Da war allen klar, dass die Sache sehr ernst war, denn seit über 20 Jahren hatte die Große Mutter dieses Recht nicht mehr eingefordert. K´funta war wütend aber er sagte nichts. Er hatte erwartet, dass die Große Mutter eine Versammlung einberufen würde, um über eine Strafe für Diana zu beraten, doch sie tat nichts dergleichen.

Auch Diana war furchtbar wütend: auf K´funta, auf die Männer und überhaupt. Fünf Tage lang verzog sie sich auf ein Nachtlager in der hintersten Ecke und weinte. Sie aß nichts und trank nichts. Und als sich in der dritten Nacht der junge Jäger Sngema zur ihr legen wollte, kratze sie ihm so fest sie konnte über das Gesicht. Die Große Mutter tat als sei nichts geschehen, doch sie beobachtete die junge Frau genau. So bemerkte sie, wann es Zeit war, dass Diana endlich wieder etwas zu sich nehmen musste und sei es nur Wasser. Als am sechsten Tag alle Männer zur Jagd waren, nahm sie ein Gefäß mit Wasser und ein zweites mit Hirsebrei und ging zu Diana. "Du isst und trinkst dies jetzt", sagte die Große Mutter. Diana wollte lieber verdursten, als dass sie je wieder aus ihrer Ecke gekommen wäre, aber der Großen Mutter widersprechen durfte man nicht. Gefügig nahm sie die Nahrung zu sich, dann legte sie sich an die Schulter der Großen Mutter und weinte laut.

"Es ist alles so ungerecht!" stöhnte Diana. "Nein", sagte die Große Mutter; "wir vollziehen nur, was die Versammlung beschlossen hat. Und jeder Beschluss kann durch einen anderen ersetzt werden. Es gibt nichts Beständiges, alles auf der Welt ist unbeständig und vergänglich. Wer immer einen Vorschlag zu machen hat, kann ihn auf der Versammlung stellen, dann wird diskutiert, dann entschieden." Doch Diana war untröstlich: "Genau das ist es ja, Große Mutter, jeder Jäger und jede Frau darf etwas sagen, ich bin aber kein Jäger und als Frau gilt nur, wer Kinder hat, ich aber bekomme keine Kinder." "Du vergisst eines", antwortete die Große Mutter, "ich erteile bei der Versammlung das Wort, darüber solltest du nachdenken und dann mache weise Gebrauch davon." Die Große Mutter küsste Diana auf die Stirn, strich ihr über das lange braune Haar und ging zurück zum Feuer. Tagelang hatte Diana nachgedacht, wie sie weise Gebrauch von der Versammlung machen sollte, dann hatte sie einen Plan.

Und heute war der Tag der Versammlung. Das Gebet zur Sonnengöttin war verklungen und man wartete darauf, dass die Große Mutter wie üblich Korn ins Feuer werfen würde, um die Erdgöttin freundlich zu stimmen. Doch sie nahm kein Korn sondern die Luchsohren und warf sie in das Feuer. Jeder erwartete, das Diana aufschreien würde vor Protest, doch sie stand da und rührte keine Miene - zum Erstaunen aller. "He Diana, willst du nicht wieder losflennen?" rief ihr K´funta zu. Noch immer verzog Diana keine Miene.

"Sie wird nicht losheulen, heute nicht morgen nicht und auch in den nächsten Monaten nicht", sagte die Große Mutter. "Sie hat gelernt ihre Gefühle im Zaum zu halten wie ein Jäger, es wäre gut, wenn auch du dies noch lerntest, K´funta, und nur dann sprechen würdest, wenn dir die Große Mutter das Wort erteilt". Dieser lief rot vor Wut und vor Scham an: so war lange niemand mehr vor der Versammlung bloßgestellt worden.

Alle setzten sich und warteten, dass die Große Mutter ein Thema vorschlagen würde, das zu diskutieren sei, doch niemand traute sich, sich zu Wort zu melden, offensichtlich war mit der Großen Mutter heute nicht gut Kirschen essen. Erst nach geraumer Zeit begann die Große Mutter zu sprechen: "Es ist mir nicht verborgen geblieben, dass nicht alle mit der Arbeitsverteilung zufrieden sind. Mütter müssen aus naheliegenden Gründen mit ihren Säuglingen in der Nähe der Höhle bleiben, Mädchen werden von den Frauen unterrichtet, Jungen dürfen entweder zum Kräutersammeln oder als gehen Jagdgehilfen mit. Jäger gehen auf die Jagd, so ist das Gesetz der Natur, so ist es gut." Alle stimmten zu: "Ja, so ist es gut, so soll es bleiben. Diana hatte aufmerksam zugehört: die Große Mutter hatte von Jungen und Mädchen gesprochen, das waren Kinder vor der Pubertät, sie hatte von Müttern und von Jägern gesprochen. Die Worte Frauen und Männer waren nicht gefallen, obwohl alle so taten, als wären Mütter und Frauen einerseits und Jäger und Männer andererseits genau dasselbe.

"Mir ist aufgefallen", fuhr die Große Mutter fort, "dass Diana in den letzten Wochen bei keiner Gruppe mitgearbeitet hat, wir müssen sie einer Gruppe zuteilen, wo soll sie wohl hingehören, zu Jungen, zu Mädchen, zu Müttern, zu Jägern oder zu alten Leuten?"

Der erste, der das Wort ergriff war der junge Jäger Sngema, der noch wütend auf Diana war, weil sie in letzthin nachts so schmerzhaft zurückgewiesen hat: "Zu Mädchen natürlich, dass sie nicht alt ist sieht man und Kinder hat sie auch keine, soll sie doch mit den 7-jährigen Mädchen unterrichtet werden, wo sie hingehört!" Zustimmendes Lachen unter den Jägern.

"Du strafst dich selber Lügen," antwortete die Große Mutter, "oder schleichst du dich öfter nachts in das Bett 7-jähriger Mädchen?" Diesmal lief Sngema rot an, die Große Mutter hatte ihn gesehen und vor allen bloßgestellt. Aber die große Mutter hatte dies nicht in erster Linie gesagt um den jungen Jäger zu blamieren. Sie wollte einerseits zeigen, dass es ihr heute bitter ernst ist, andererseits eine Diskussion unterbinden, ob Diana nicht doch zu den Mädchen gehört. Jeder wusste jetzt, Diana ist wie eine Frau zu behandeln.

"Wo würdest du dich selbst einordnen," fragte die Große Mutter nun Diana. "Nun, dass ich nicht zu den Kindern gehöre hat Sngema selbst bewiesen, dass ich keine alte Frau bin kann jeder sehen, dass ich keine Mutter bin weiß jeder. Und dass ich tapfer genug bin, mich dem Kampf wilder Tiere zu stellen, habe ich bewiesen." Geschickt hat Diana vermieden zu sagen, sie wolle Jäger werden, sie hatte nur gezeigt, wo zu sie nicht gehört und ihre Eignung als Jäger nachgewiesen.

K´funta war entsetzt - alles lief darauf hinaus, dass die junge Frau genau so behandelt würde wie ein Mann, ein Jäger. "Du kannst niemals ein Jäger sein," rief er. "Ja, siehst du denn nicht, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem Mann und einer Frau?" Niemand würde sich dieser Logik entziehen können, war sich K´funta sicher. Alle sahen Diana an, die lachte jedoch bis über beide Ohren: "K´funta", kicherte sie und zeigte auf den Punkt, an dem sich seine beiden Beine trafen, "wie willst du denn damit einen Hirsch jagen?" Diesmal hatte Diana alle Lacher auf ihrer Seite, selbst die Jäger forderten jetzt K´funta auf, doch mal zu zeigen, wie er das mache. Noch am selben Abend wurde Diana in die Gruppe der Jäger aufgenommen.

Ihr erster Jagdtag lief wunderbar. Diana wollte den Männer beweisen, dass sie genau so mutig und schnell war wie diese und die Männer wollten Diana ihre besondere Tapferkeit und Erfahrung zeigen, so strengten sich alle doppelt an und am Abend hatten sie so viel Wild, wie sie nur tragen konnten. Sie kamen zurück zur Höhle und die Freude über die reiche Beute war groß. Von Stund´ an zweifelte niemand mehr daran, dass in Ausnahmefällen auch Frauen zur Jagd gehen könnten.


Nach Diana ist die Göttin der Jagd benannt worden.


In dieser Geschichte ist von einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Rede. Es gibt Jäger, es gibt Feuerhüter, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Lehrer, eine Politikerin, Sammler, Leute, die mit der Nahrungsveredlung befasst sind und solche, die Kleidung produzieren. Dennoch kommt in der Geschichte kein Geld vor. Es gibt auch zwischen den Sippenmitgliedern offensichtlich keinen Tausch von Ware gegen Ware. Die Sippe hat augenscheinlich keine Außenbeziehungen zu anderen Sippen, sie erhält ihre Güter von der Natur. Es wird gearbeitet, aber es wird kein Lohn gezahlt. Jeder erhält offensichtlich das, was er braucht von der Sippe. Ein Konflikt, der auftritt, nämlich, wie eine Person ihren Fähigkeiten nach am besten eingesetzt werden kann, wird durch die Vermittlung einer anerkannten Schiedsstelle gelöst.

Das Wirtschaften erfolgt nach dem Prinzip: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." Dies ist das Wirtschaftsprinzip des Kommunismus. (Nicht das was in sog. kommunistischen Staaten wirklich gemacht wird, sondern so, wie es die Theoretiker des Kommunismus vorsahen). Das Prinzip "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" wurde in dieser Form von W. I. Uljanow, genannt Lenin (dem ersten Staatschef der Sowjetunion) formuliert. Schon vor ihm hatte der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Friedrich Engels (neben Karl Marx einer der beiden grundlegenden Theoretiker des Kommunismus) die Sippengesellschaft in der Steinzeit beschrieben und als "primitiven Urkommunismus" bezeichnet.

Nach diesem Prinzip wurde in der Steinzeit in Sippen (Clans) gelebt. Auch später gab es immer wieder Gruppen, die sich nach diesem Prinzip zusammentaten und wirtschafteten. Ähnliche Zusammenschlüsse gibt es auch heute noch, wobei diese Gruppen jedoch meist Außenbeziehungen haben und mit anderen Gruppen oder der "normalen" Wirtschaftsgesellschaft im Austausch stehen und so die Güter erhalten, die sie zu brauchen glauben.



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