Franz Gutmann  löchert seine Tausender

Diese Geschichte ist wie alle Geschichten von der Geschichte des Geldes wahr. Sie ist sogar noch etwas wahrer als die anderen Geschichten. Alle Geschichten haben sich so oder so ähnlich ereignet, die Details und die Namen wurden allerdings geändert. Nicht so bei dieser Geschichte. Die Geschichte ist in jeder Beziehung wahr. Die Grundlage der Geschichte ist wahr, die geschichtlichen Hintergründe sind wahr, die Details sind wahr und auch die Namen der Akteure sind wahr. Franz Gutmann ist mein Großvater.

Im Jahr 1890, im Alter von 13 Jahren, verließ Franz Gutmann sein Elternhaus in Groß Umstadt. Er floh von zu Hause mit seiner gesamten Barschaft von 50 Pfennig. Nachdem er einen Tag lang gelaufen war kam er an einen großen Fluss. Er sagte sich, dass er für seine Familie unerreichbar sei, wenn er diesen noch durchschwämme. Das tat er und er ließ sich am anderen Ufer nieder in der Nähe eines Dorfes. Der Fluss war der Main und das Dorf der heutige Hanauer Stadtteil Großauheim.

Franz suchte eine Lehrstelle und er fand auch in Großauheim eine. Er ging in die Lehre zu einem Barbier. Der Barbier war eine Art Friseur. In erster Linie rasierte er die Leute, aber er schnitt ihnen auch die Haare. Außerdem war er für Maniküre und Pediküre zuständig und auch bei Zahnschmerzen: er zog Zähne. Franz war ein eifriger Lehrling, er übte sich in optimaler Bemühung. Und Franz hatte auch eine Vision, eine optimale Perspektive: er wollte sich selbständig machen, aber nicht als einfacher Barbier, er wusste, dass das aufkommende 20. Jahrhundert das Zeitalter der Spezialisierung sein würde, statt des Allround-Berufs Barbier wollte er sich daher auf ein Tätigkeitsfeld spezialisieren: keine Fingernägel mehr schneiden, auch keine Fußnägel und keine Bärte, ja nicht einmal mehr Haare frisieren. Auf dem Gebiet, auf dem es den meisten technischen Fortschritt geben würde wollte er arbeiten, auf dem Gebiet der Zahnbehandlung. Dies, so war er überzeugt, sei eine optimale Lebensführung, denn er wollte die Menschen von den Zahnschmerzen befreien.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte Franz Gutmann seine eigene kleine Praxis als Dentist. In seiner Küche stand ein Stuhl mit Armlehnen, daneben lagen Zangen und kleine Spiegel und der krönende technische Höhepunkt seiner Praxis: ein elektrisch betriebener Zahnbohrer. In einer Ecke der Küche fertigte er Gebisse an. Aber seine Zukunftsvision ging noch weiter: er wollte ein eigenes Haus bauen mit einem Sprechzimmer nur für Kunden (ohne Küchenbetrieb dabei), einem eigenen Wartezimmer und einer eigenen Technik, also einem kleinen Raum, um Brücken und Gebisse zu modellieren. Ein Haus mit Grundstück war teuer: es kostete 20.000 Mark. Also war bei Gutmanns sparen angesagt. Anfang des Jahres 1914 war das eiserne Sparen so erfolgreich gewesen, dass das Geld fast zusammen war, den Sommer des Jahres 1914 verbrachte Franz Gutmann damit Baupläne zu konkretisieren und auf Grundstückssuche zu gehen.

Doch er hatte seine Rechnung ohne den kaiser und die Regierung gemacht. Gier, Hass und Verblendung regierten in Berlin. Es war die Gier des Imperialismus: der Kaiser wollte der mächtigste Herrscher der Welt sein und auch die deutschen Kapitalisten wollten eine führende Rolle spielen: es ging um Rohstoffbasen in Afrika und Asien, um globale Absatzmärkte und um die Kontrolle der Haupthandelsrouten. Das Mittel dazu war der Krieg. Dazu wurde die deutsche Bevölkerung von den herrschenden in Hass gegen die konkurrierenden Staaten getrieben und so herrschte allgemein die Verblendung in einem schnellen Krieg, den Sieg davon zu tragen. Bis Weihnachten, so glaubte man im Sommer 1914, sei der Sieg errungen, und freudig zogen die verblendeten Massen in den Krieg. Nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in Frankreich, in England in Russland usw.

Auch Franz Gutmann wurde eingezogen. Er war zwar Pazifist, aber Kriegsdienstverweigerung gab es damals noch nicht. Er musste allerdings kein Dienst an der Waffe tun, denn als Dentist war er im medizinischen Bereich tätig, er wurde Sanitäter, später im Lazarett eingesetzt. Wer eine Lehre beim Barbier hatte und wer inzwischen ein Spezialist im Zähneziehen war, der musste schließlich auch Beine amputieren können. Vier Jahre war Franz Gutmann im Krieg. Doch der Krieg hatte nicht nur die Folgen des unmittelbaren Leides, er hatte auch wirtschaftliche Folgen.

Gegen Ende des Jahres 1914 hatte sich herausgestellt, dass der Sieg wohl bis Weihnachten nicht errungen sei und Krieg führen kostete Geld. Zunächst einmal mussten die Soldaten ihren Sold erhalten. Dann waren große Mengen von Waffen gefragt, von Bajonetten über Giftgas bis hin zu Tanks (die man später Panzer nannte), Jagdflugzeugen und Kriegsschiffen. Und natürlich große Mengen an Munition, an Helmen, an Verbandsmaterial usw. Gleichzeitig waren weniger Menschen in der Produktion beschäftigt, denn viele der einstigen Arbeiter waren ja jetzt Soldaten. Auch wurden Fabriken umgestellt: statt Fahrräder wurden Kanonen produziert. Es gab als insgesamt viel weniger Konsumartikel, aber eine unverändert hohe Nachfrage. Bleibt aber die Nachfrage gleich und das Angebot sinkt, so steigen die Preise.

Außerdem brauchte die Reichsregierung ja Geld um all´ die Rüstungsgüter zu zahlen. Hierfür wurden Kriegsanleihen ausgegeben: die Regierung borgte sich bei der Bevölkerung Geld, um es nach dem Krieg zurückzuzahlen, mit Zinsen versteht sich, wobei man diese Zinsen aus der Kriegsbeute bezahlen wollte, denn man hatte ja vor zu gewinnen. Dummerweise wollte das der Feind auch. Es zeigte sich, dass Deutschland, Österreich und Italien nicht in der Lage waren, Frankreich, Russland und England niederzuringen. Als auch noch die USA in den Krieg gegen Deutschland eintraten war aus dem großen europäischen Krieg der Erste Weltkrieg geworden. 1918 musste Deutschland kapitulieren.

Aus den genannten wirtschaftlichen Gründen waren in Deutschland die Waren allgemein teurer geworden. Als Franz Gutmann aus dem Krieg zurückkehrte, war er entsetzt: 1919 konnte er für seine 20.000 Mark kein Haus mehr bekommen, sondern allenfalls noch ein Auto. Er wollte jedoch kein Auto, er wollte ein Haus. Also war weiteres Sparen angesagt. Zum Glück war ja jetzt der Krieg vorbei, also musste es wieder aufwärts gehen, vor dem Krieg ging´s ja auch. Während Franz weiter sparte, hatte die neue Reichsregierung andere Probleme: es gab jede Menge Kriegsinvaliden und Kriegerwitwen, die Anspruch auf ein Mindestmaß an staatlicher Unterstützung hatten, die Wirtschaft lag aber darnieder, ein Teil der Arbeiterschaft war im Krieg gefallen, die betriebe noch nicht wieder auf Friedensproduktion umgestellt, daher waren die Steuereinnahmen niedrig, aber die Staatsausgaben hoch. Auch konnte man sich bei der Bevölkerung kein Geld leihen, die wollten erst einmal die Rückzahlung der Kriegsanleihen. Die Reichsregierung sah unter diesen Bedingungen nur eine Möglichkeit, sie wies die Deutsche Reichsbank an, mehr Geld zu drucken.

Da nun die Geldmange stieg, die Warenmenge aber nicht, stiegen die Preise. Die Inflationsspirale drehte sich weiter. 1920 konnte Franz Gutmann für seine 20.000 Mark kein Haus kaufen, auch kein Auto mehr, sondern allenfalls noch ein Motorrad. Er wollte aber kein Motorrad, er wollte ein Haus. Er hoffte weiter auf eine wirtschaftliche Normalisierung. Irgendwann musste die Wirtschaft ja wieder vernünftig laufen und sein Sparen Erfolg haben.

Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg hatte jedoch noch eine weitere Folge. Die Sieger waren in der Lage, die Bedingungen des Sieges zu diktieren. Auch in  Frankreich waren Kriegsanleihen ausgegeben worden: die Regierung hatte sich bei der Bevölkerung Geld geborgt, um es nach dem Krieg zurückzuzahlen, mit Zinsen versteht sich, wobei man diese Zinsen aus der Kriegsbeute bezahlen wollte, denn man hatte ja auch dort vor zu gewinnen. Und Frankreich hatte gewonnen, also verlangte man jetzt von Deutschland "Reparationen", also Geld als Entschädigung für die Zerstörungen des Krieges, unter anderem um die Kriegsanleihen verzinst zurückzuzahlen. Die deutsche Reichsregierung sah keine andre Möglichkeit, als noch mehr Geld drucken zu lassen. So wurde die Inflation weiter gesteigert. 1921 konnte Franz Gutmann für sein Geld immer noch kein Haus kaufen, auch Autos und Motorräder waren im Preis gestiegen. Ein Fahrrad war für 20.000 Mark noch erhältlich. Franz Gutmann wollte aber kein Fahrrad, er wollte ein Haus. Er war der Verzweiflung nahe.

Auch die französische Regierung hatte keine Lust mehr, sich von Deutschland die Reparationen in Reichsmark auszahlen zu lassen, die täglich weniger wert wurden. Frankreich verlangte die Bezahlung in harter Währung (in Dollar z.B., die Deutschland nicht hatte) oder in Gütern. Deutschland war damals führend in der Kohle- und Stahlproduktion. Kohle war der führende Energieträger. Als verlangte Frankreich die Bezahlung in Waren. Als deutschland dazu nicht bereit war, rückten französische Truppen ins Rheinland ein, um die Zahlung von Reparationen in Form von Kohle und Stahl sicherzustellen. 1922 konnte man für die 20.000 Reichsmark kein Haus kaufen, kein Auto und kein Motorrad, nicht einmal mehr ein Fahrrad. Ein Kilo Rindfleisch kostete 20.000 Reichsmark, aber franz Gutmann war die Lust auf den Sonntagsbraten vergangen. Er träumte weiter von einem Haus und befürchtete ganz allmählich, dass dies ein Traum bleiben würde.

Deutschland war nicht bereit, nun auch noch seine Kohle und Stahl an Frankreich zu geben. Es rief die deutschen Arbeiter zu passivem Widerstand auf. Das hieß, dass der Arbeiter dann wenn ein französischer Soldat daneben stand brav die Kohlen auf den französischen Waggon schippte. Sobald der Franzose sich aber umdrehte oder weiterging, schippte er die Kohlen wieder herunter. Das wäre zwar ein lustiges Spielchen für einen Slapstick-Film, aber die Produktivität stieg so nicht, vielmehr wurde inzwischen noch weniger produziert, andererseits mussten die Löhne für die Arbeiter gezahlt werden, egal in welche Richtung die gerade Kohlen schippten. Auf diese Art sank die Produktion weiter, die Nachfrage blieb aber gleich und die Arbeiter hatten auch Löhne um zu kaufen. Also stiegen die Preise weiter. Im Frühjahr 1923 bekam man für 20.000 Reichsmark kein Kilo Fleisch mehr, aber noch ein Kilo Brot.

Die Inflation stieg so schnell, dass die Arbeiter ihre Löhne zweimal täglich ausgezahlt bekamen, denn sonst war der Lohn für die Arbeit des Morgens abends nichts mehr wert. Immer mehr Deutsche verbrachten ihre Zeit damit, für die knappen Güter vor den Läden anzustehen - und für den Transport. Ein Kilo Brot zu transportieren ist zwar nicht allzu schwer, aber das viele Geld, das man brauchte, um ein Kilo Brot zu zahlen, erforderte evtl. den Einsatz eines Schubkarrens. Im Sommer 1923 war für die 20.000 Reichsmark nämlich auch kein Brot mehr. erhältlich sondern gerade noch eine Streichholzschachtel. Und im Herbst wusste Franz Gutmann endlich, was er mit seinen 20 Tausend-Markscheinen machen sollte. Er bohrte Löcher hinein und hängte sie auf der Toilette auf. Inzwischen war nämlich ein Stück Klopapier teurer als 1000 Mark geworden.

Franz Gutmann hatte noch immer kein Haus. Er wohnte weiter zur Miete. Monatlich wurde die Miete neu festgesetzt. Im Dezember 1923 nannte der Mietfestsetzungsbescheid die Miethöhe von 51.458.000.000.000,-- Reichsmark.



Das Verhängnis in dieser Geschichte war natürlich einerseits der Krieg, dieser Zustand, in dem Gier, Hass und Verblendng gemeinsam und in höchster Form auftreten. Das wirtschaftspolitische Verhängnis aber war, dass es dem Staat möglich war, praktisch nach Gutdünken die Geldmenge zu erhöhen. Es musste also eine Regel gefunden werden, wie dies zu umgehen sei.

Daher sind heute in den wirtschaftlich hochentwickelten Staaten die Notenbanken (das sind die, die die Banknoten herausgeben dürfen), nicht mehr an Weisungen der Regierungen gebunden, Sie sind vielmehr gesetzlich verpflichtet, der Geldwertstabilität höchste Priorität einzuräumen. So ist es Aufgabe der Europäischen Zentralbank in Frankfurt sicherzustellen, dass die Geldentwertungsrate möglichst nicht höher ausfällt als 2 %. Eine Geldentwertungsrate von weniger als 2 % gilt als Geldwertstabilität.


Mietrechnung des Franz Gutmann: Hyperinflation
Noch ´ne Rechnung des Franz Gutmann


Zurück zur Heimatseite

Zur Übersicht  Kurs 2: Zahlungsverkehr

Zur Übersicht Geschichten von der Geschichte des Geldes

Copyright by horst gunkel, ÖkoBüro Hanau

Fragen ? horst.gunkel@oekobuero.de.