Mallika - Girlandenmädchen, Königin und ...
eine Geschichte aus dem Pali-Kanon, den ältesten buddh. Schriften
erzählt von Horst Gunkel
(c) Copyright by Horst Gunkel - letzte Änderungen 2015-02-01

 
Zur Zeit des Buddha lebte in Indien ein Mädchen namens Mallika, Tochter eines Girlandenmachers. Noch heute schenken die Menschen in Indien ihren Freunden gerne Blumengirlanden zum Willkommensgruß, aber auch vor 2500 Jahren gehörten solche Blumenkränze zu den beliebtesten Dekorationen. Natürlich ist der Beruf des Girlandenmachers nicht gerade der allerangesehenste Beruf, und das bedeutete, dass er in Indien von Menschen aus einer niederen Kaste ausgeübt wurde. Mallika war also ein einfaches Mädchen, und die sozialen Schranken, die das Kastensystem darstellten, sollten vermuten lassen, dass Mallika Zeit ihres Lebens diese Kaste nicht verlassen sollte.
Mallika war ein besonders schönes Mädchen von 16 Jahren. Ich bin nicht ganz sicher, ob Malika wirklich 16 Jahre alt war, wie es in den Texten steht. Wann immer von besonderer jugendlicher Schönheit im alten Indien berichtet wird, sind die entsprechenden Personen 16 Jahre alt. Auch die Bodhisattvas werden meist als 16-jährige Jünglinge oder Jungfrauen beschrieben. Dann wissen die indischen Hörer (oder Leserinnen) schon, dass es sich um eine besonders knackige Schönheit handelt.

Auf jeden Fall war Mallika eine Frau in der Blüte ihrer Jugend, und sie wollte mit ihren beiden Freundinnen draußen vor der Stadt ein Picknick machen, denn es war ein schöner, warmer, sonniger Tag. Für das Picknick hatte sie drei Portionen Pilaw dabei.

Als Mallika gerade das Stadttor ihrer Heimatstadt Savatthi passieren will, kommt ihr eine Gruppe von Mönchen entgegen. Besonders einer dieser gelbberobten Männer sticht Mallika ins Auge: ein älterer Mann der eine ungeheure Ruhe und Erhabenheit ausstrahlt. Mallika ist ungemein beeindruckt, vielleicht so ähnlich wie Teenager unserer Zeit von einem Popstar, der ihr Idol ist. In ihrer Begeisterung geht Mallika auf diesen Mann zu – es war niemand anderes als der Buddha – verneigt sich vor dem Heiligen und schüttet ihm alle drei Pilaw-Portionen in die Almosenschale. Dann wirft sie sich dreimal vor dem Buddha in den Staub nieder, um ihre Verehrung kundzutun. Allerlei Volk steht herum und betrachtet diese Szene.

Der Buddha sagtnichts. Er lächelt.

Ananda, der Freund und Helfer des Erhabenen, wundert sich, denn es ist ungewöhnlich, dass der Buddha so lächelt: „Was erfreut euch derart, Meister?“

„Es erfreut mich, Ananda,“ sagt der Buddha, „dass dieses junge Wesen noch heute die Früchte des guten Karma ernten wird. Wahrlich, ich sage dir, noch heutigen Tages wird sich dieses Mädchen in eine Königin verwandeln.“

Ananda war erstaunt, aber er hatte es sich längst abgewöhnt, sich über die Prophezeiungen des Buddha wirklich zu wundern. Die Umstehenden hingegen waren um so verwunderter, doch war man einhellig der Meinung, dass dies nicht sein kann. Ein Mädchen aus solch einer niedrigen Kaste würde niemals eine Königin werden. Manche hielten den Buddha einfach für einen Sprücheklopfer. Andere waren der Ansicht, das habe der Buddha im übertragenen Sinne gemeint: Mallika sei den Rest des Tages glücklich wie eine Königin, wegen der für sie so wichtigen Begegnung. Auch Mallika neigte zu dieser Ansicht und sie ging frohen Herzens spazieren, sie war so glücklich, dass sie lauthals ihre Lieblingslieder trällerte.

Völlig unglücklich jedoch war an diesem Tage König Pasenadi, der Herrscher des vereinigten Königreiches von Benares und Kosala, denn das Kriegsglück war ihm nicht hold gewesen. Kosala befand sich damals im Krieg mit Magadha, und König Ajatasattu von Maghada, der seinen eigenenVater getötet hatte um sich früher die Königswürde zu sichern, hatte eine Schlacht gegen Pasenadi gewonnen.

Ein völlig bedrückter König Pasenadi reitet also durch das Stadttor von Savatthi, als er eine Stimme hörte, die so lieblich, so entzückend klang, dass er kaum glauben konnte, dass dies die Stimme eines menschlichen Wesens sein sollte. Es war natürlich Mallika, die frohen Herzens nach der wunderbaren Begegnung mit dem Buddha aus voller Leibeslust sang.

König Pasenadi vergisst augenblicklich sein Kriegsunglück, als er des schönen Mädels ansichtig wird. Der König geht auf das wunderhübsche Wesen zu und fragt sie direkt, ob sie bereits verheiratet oder noch zu haben sei. Nachdem Mallika ihm gestand, noch Jungfrau zu sein, hielt er sofort um ihre Hand an und noch selbigen Tages nahm er sie zu seiner Frau – seiner Hauptfrau sogar, denn Könige hatten damals gewöhnlich mehrere Frauen.

Das ungewöhnliche Ereignis spricht sich in Savatthi herum wie ein Lauffeuer – und auch die Tatsache, dass der Buddha bereits am Morgen diese Sensation vorhergesagt hatte, dass er etwas von Karma gesagt hätte, nachdem Mallika ihm drei Portionen Reis gespendet hatte. Dies hatte übrigens sehr günstige Auswirkungen für die Sangha, für den Mönchsorden des Buddha, denn die Menschen fühlten sich zu Dana, zu Gebefreude angespornt, und noch nach Jahrzehnten wurden die buddhistischen Mönche hier immer reichhaltig von den Stadtbewohnern versorgt – völlig uneigennützig natürlich…

Da Mallika eine realistische junge Frau ist, weiß sie, dass der König gewiss nicht um sie gefreit hätte, wenn sie hässlich gewesen wäre, selbst wenn sie dem Buddha 30 Portionen Reis gespendet hätte. Diese Tatsache geht Mallika immer wieder in ihrem Kopf herum, und als der Buddha das nächste Mal in der Stadt ist, fragt sie ihn, warum manche Frauen schön sind und andere hässlich, warum manche dieses und andere jenes Schicksal hätten.

„Das ist keine Frage des Schicksals,“ antwortet der Erhabene, „es ist auch keine Sache des Zufalls und auch Vererbung spielt hier nicht die entscheidende Rolle, sondern es ist eine Frage des Karma. Wer sich durch Geduld und Freundlichkeit auszeichnet, der wird Schönheit bekommen. Wer sich durch Großherzigkeit vortut – wie du damals Mallika, als du mir den ganzen Reis gabst – der wird Reichtum ernten, und wer eine Meisterin der Neidlosigkeit ist, diese wird mächtig werden.“

Ich bin nicht ganz sicher, ob dies für das nächste Leben zutrifft. Aber dass solches Karma mittel- bis langfristig in diesem Leben wirkt, das habe ich schon oft beobachten können. Warum also nicht, wenn es Wiedergeburt gibt, auch über dieses Leben hinaus?

Mallika ist beeindruckt von den Worten des Buddha, und sie beschließt all´ das zu üben, was der Buddha ihr empfohlen hat: Geduld, Freundlichkeit, Großherzigkeit und Neidlosigkeit. Und Mallika bekommt schon bald Gelegenheit, all dies zu üben. König Pasenadi nimmt sich nämlich eine zweite Hauptfrau und diese gebiert ihm einen Sohn, während Mallika "nur" Mutter eines Mädchens wird, was nach damaliger indischer Ansicht nur ein mäßiges Verdienst war. Mallika aber übt Geduld, Freundlichkeit, Großherzigkeit und Neidlosigkeit und die beiden Frauen vertragen sich so wie gute Freundinnen – was gewiss in solchen Fällen nicht unbedingt der übliche Gang der Dinge ist.

Mallika übt auch auf König Pasenadi einen guten Einfluss aus, sie gewinnt ihn nämlich für den Dharma, die Lehre des Buddha. Als der König in einer Nacht mehrere höchst beunruhigende Träume hat, schickt sie ihn zum Buddha, um sich die Träume deuten zu lassen. Der Erhabene deutet ihm die Träume und erläutert ihm, dass er, König Pasenadi, dabei sei, sich sehr schlechtes Karma zu machen mit dem bevorstehenden Opferfest. Es sollen nämlich beim Brandopfer zahlreiche Tiere und auch vier Menschen den hinduistische Göttern geopfert werden. König Pasenadi sieht ein, dass er die alten hinduistischen Rituale überwinden muss, lässt die zu opfernden Tiere und Menschen frei, lässt den Opferaltar zerstören und wird Laienanhänger des Buddha. Er bittet den Buddha weiterhin um einen Lehrer, der seinen Hauptfrauen und auch den anderen Frauen in seinem Harem den Dharma darlegen soll. Der Buddha beauftragt seinen Freund Ananda mit der Aufgabe, denn Ananda ist sowohl äußerst beliebt bei Frauen als auch völlig integer.

Jahre später stehen Pasenadi und Mallika auf dem Balkon des Palastes und Pasenadi fragt sie: „Sag, Mallika, gibt es einen Menschen auf der Welt, den du mehr liebst als dich selbst?“ Er hat diese Frage schon oft Frauen gestellt, und selbstverständlich hat er immer diese Antwort gehört: „Es gibt nur einen Menschen auf dieser Welt, den ich mehr liebe als mich selbst, und das seid Ihr, König Pasenadi.“

Doch Mallika gibt nicht die Standardantwort. Sie ist genauso widerborstig wie das Spieglein an der Wand in Märchen von Schneewittchen und enttäuscht den Frager: „Nein, König Pasenadi, es gibt niemanden auf der Welt, den ich lieber habe als mich selbst.“

Der König starrt in die Landschaft. Dann sagt er: „Komisch, Mallika, mir geht es genauso, ich kenne auch niemanden, den ich lieber habe als mich selbst. Aber ob das richtig ist? Ist es nicht unmoralisch, sich selbst an die erste Stelle zu setzen? Wir sollten die Meinung eines Weisen dazu einholen. Lass´ uns zum Buddha gehen.

Gesagt, getan. Die Antwort des Buddha ist uns von Ananda überliefert worden. Der Erhabene sprach:

„Wer mit seinem Geist alle Welten durchwandert hat,
              findet nirgendwo jemanden,
             der ihm lieber wäre als er selbst.


             Weil auch andere sich selbst am meisten lieben,
             deshalb sollte einer, der sich liebt,
             niemals anderen Schaden zufügen.“

Der Buddha lässt also alles falsche Moralisieren. Er nimmt die Selbstliebe so an, wie sie ist, und lässt auf dieser Basis eine sittliches Selbstverpflichtung erwachsen.

Dennoch ist das Leben von Pasenadi und Mallika nicht frei von Konflikten. So ärgerte sich Pasenadi einst über seine Frau und er behandelte sie daraufhin wie Luft. Als der Buddha am nächsten Tag erschien und das angespannte Verhältnis bemerkte erzähle er die Geschichte von den liebenden Göttern:

„Einst lebten zwei Götter im Himmel, sie liebten sich über alle Maße. Das Leben dieser Götter währt tausend Jahre. Sie verbrachten die Tage miteinander und nur zum Schlafen trennten sie sich, um einander nicht zu stören. (Anmerkung: diese Götter sind adrogyn, geschlechtslos.) In einer Nacht jedoch kam eine Überschwemmung und trennte die beiden, und sie brauchten einen ganzen Tag um einander wieder zu finden. Da sagten sie sich: Wie schrecklich, unser Leben ist nur ganze 1000 Jahre lang und durch unsere Fehler haben wir einen Tag ohne den Liebsten verbringen müssen - ein ganzer Tag, von den kurzen 1000 Jahren ist verloren!“

Da begriff König Pasenadi, dass er durch den Streit mit Mallika sich selbst eines Teiles seines Lebens berauben würde und die beiden versöhnten sich wieder.

Mallika und Pasenadi waren beide Laienanhänger des Buddha. Sie praktizierten, aber sie waren keine Heilige, sie waren auch keine Stromeingetretene (eine untere Stufe der Heiligkeit). Sie machten noch Fehler. Mallika machte sogar einen folgenschweren Doppelfehler.

Mallika war zum Baden an den königlichen Pool gegangen. Sie schwamm nackt und glaubte sich allein, denn dieser Pool ist nur von einem Zimmer des Palastes einzusehen, wo um diese Zeit niemand zu sein pflegte. An diesem Tag jedoch stand König Pasenadi da und genoss den Anblick seiner schönen nackten Frau beim Bade. Mallika entstieg dem Wasser und begann sich abzutrocknen. Der König liebte es, die nackte Anmut seiner Hauptfrau zu betrachten.

Da näherte sich ein Hund der Szene, was den König noch belustigte: ob dies wohl Mallika erschrecken würde? Sie schien den Hund nicht zu bemerken. Er näherte sich ihr von hinten und beschnüffelte ihre Beine, bis hinauf zum Gesäß. Den König durchlief es heiß und kalt: jetzt musste sie den Hund doch bemerken und sich seiner erwehren!

Doch Mallika ließ den Hund gewähren. Sie ließ ihn auch gewähren, als er sie von hinten bestieg.

Der König war außer sich: seine Mallika, die Frau des Königs und … ein Hund, EIN HUND! Als Mallika in den Palast kam, stellte er sie zur Rede. Mallika jedoch leugnete alles ab: „Ich mit einem Hund! Du tickst ja wohl nicht richtig! Du wirst alt, deine Augen taugen nichts mehr, du siehst irgendwelche Dinge und dann geht deine eigene geile Phantasie mit dir durch.“

Es war hart für den König: nicht nur diese in seinen Augen widerwärtige Intimität gesehen zu haben, sondern jetzt auch noch mitzubekommen, dass seine Frau in belog und beschimpfte!

Es heißt, Mallika sei nach ihren Tod in einer Hölle wiedergeboren worden, in der sie sieben Tage schwere Qualen erleiden musste, bevor sie erneut starb und in der Menschenwelt wiedergeboren wurde. Es heißt, sie habe in dem dann folgenden Leben Stromeintritt erreicht, denn um den Edlen Spiralpfad zur Erleuchtung zu gehen ist beides nötig: Dharmakenntnis, die sie in ihrem Leben als Mallika erworben hatte, und dukkha, Leiden, das ihr in der Hölle widerfahren ist.

Egal, wie wir zu Wiedergeburt und Hölle stehen. Dieses Ende ist interessant, denn

  • es wird geschildert, dass Taten Folgen haben, sei es nach dem Tod oder noch in diesem Leben (sicher wird ihr Handeln gegenüber dem König Folgen gehabt haben)
  • es zeigt, dass die Hölle, die in der budddistischen lehre als einer der sechs möglichen Lebensbereiche angesehen wird, ein zeitlich begrenztes Phänomen ist und dass relativ ungeschicktes Verhalten (der kränkende sodomistische Seitensprung, das Lügen und das ungerechtfertigte Beschimpfen Pasenadis) relativ milde karmische Folgen hat
  • dass wir zum spirituellen Wachstum beides brauchen: den Dharma und dukkha (Leiden, Unvollkommenheit), das erste Glied des zwölfgliedrigen Weges zum Nirvana.


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    Das Blatt (ficus religiosa) im Hintergrund dieser Seite stammt vom Bodhi-Baum aus Anuraddhapura in Sri Lanka. Dieser ist ein direkter Abkömmling des Baumes, unter dem der Buddha seine Erleuchtung hatte.