Spiritueller Materialismus und die Sakramente des Konsumismus

Betrachtung aus thailändischer Sicht

In unseren Tagen werden die Unterschiede zwischen religiösem Vertrauen und Konsumismus immer geringer. Heutzutage hat sich religiöses Vertrauen dahingehend geändert, dass es nichts anderes bedeutet, als religiöse Glücksbringer und Amulette zu kaufen. Die Gläubigkeit (sraddha) eines Menschen wird nicht mehr daran bemessen, wie jemand praktiziert, sondern daran, wieviele Devotionalien jemand besitzt.

Viele Bangkoker Klöster - aber auch solche in der Provinz - haben sich in Einkaufszentren für Glücksbringer verwandelt. In diesen Tempeln werden nicht nur einfache Fotografien, Amulette und Yantras (Textilien mit frommen Motiven) gehandelt, sondern eine unglaubliche Vielfalt von Erzeugnissen wie Schutzmedaillons, die am Autorückspiegel baumeln sollen, mattierte Fantasiebilder, kleine Statuen und Zeichen mit magischen Sprüchen (wie: "Das Haus des Reichtums"). Sicher wird man dort bald auch speziell gesegnete Armbanduhren und geweihte Taschenrechner anbieten; kein Zweifel auch dafür stehen Kaufwillige schon bereit, es ist nur eine Frage, wer dies als erster anbietet.

Konsumismus basiert auf dem Prinzip, dass Glück und Erfolg durch den Kauf oder Konsum von Dingen erworben wird, nicht durch Kreati-vität oder Vergegenwärtigung. Dieser Irrglaube führt dazu, dass die Leute Religion bloß als eine andere Form des Konsum ansehen, nichts, was man wirklich anwendet und praktiziert. Das Ergebnis ist, dass Religion zum Aberglau-ben verkommen ist, sogar zu einer besonders banalen Form von Aberglauben.

Es gibt viele Leute, die nach Religion "suchen" und sich dabei von diesem ganzen Devotionalienhandel belästigt fühlen, aber unglücklicherweise sind auch sie vom Konsumismus beeinflusst. Einige gehen zu Tempeln um Geistesruhe zu suchen; betrachtet man deren Erwartungen, so verhalten sie sich jedoch eher wie Touristen, die eine Sehenswürdigkeit besuchen. Wenn sie feststellen, dass man regelrechte Anstrengungen auf sich nehmen muss um zu innerem Frieden zu gelangen, wie z. B. in einer einsamen winzigen Hütte ohne fließend Wasser und Strom mitten in einem Wald zu bleiben, und dass man dahin außerdem erst nach einem hübsch langen Marsch kommt, schwindet ihre Entschlossenheit rasch: sie kneifen den Schwanz ein, gehen zurück in ihre Autos und fahren heim.

Eine andere Art religiösen Konsumismus ist der Wunsch, sich spirituelle Erfahrungen zu erschließen, wie Visualisierungen, der Besuch himmlischer oder höllischer Gefilde oder in Zustände tiefster Meditation zu gelangen. Dabei besteht jedoch kein Unterschied zum Verhalten von Touristen, die alle berühmten Nationalparks abklappern, die aber vollauf damit zufrieden sind, einfach durchzufahren, ein Blick durch die Windschutzscheibe zu erhaschen und alsdann in ihren klimatisierten Hotels zu verharren, anstatt im Wald zu wan-dern, ein Zelt aufzuschlagen und so Ruhe und Frieden wirklich zu erfahren. Solche Leute suchen nur nach neuen und exotischen Erfahrungen; es käme ihnen nie in den Sinn, an der Überwindung der Illusion des "Selbst" zu arbeiten. Sie haben Interesse an einer Religion, die beschaffen ist wie "Instantkaffee", bei der die Resultate sich umgehend einstellen. Sie sind nicht in der Lage, sich einem Langzeitprozess anzuvertrauen oder bei einem einzelnen Lehrer zu verharren, sondern hüpfen von diesem Tempel zu jenem Buddhistischen Zentrum, bis sie schließlich von einem charismatischen Scharlatan irregeleitet werden, der ihnen die schnelle Befreiung verspricht.

Ein oberflächlicher Vergleich dieser Art Leute mit jenen, die sich in erster Linie mit Geld beschäftigen, die Woche über die Aktienkurse verfolgen und am Wochenende einkaufen, scheint zu zeigen, dass diese beiden Gruppen völlig gegensätzlich sind, dass die erste streng religiös sei, während die zweite materialistisch sei. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch, dass beide der gleichen Religion huldi-gen, dem Konsumismus. Die erste Gruppe betreibt Religion in kosumistischer Weise, die zweite führt ihren Konsum in religiöser Weise durch, in der tat betreiben sie diesen so rituell, dass wir von einer neuen Religion sprechen können, der Religion des Konsumismus.

Im weitesten Sinne betrachtet ist nämlich Religion ein System von Gedanken und Absichten, die tiefe menschliche Bedürfnisse befriedigen, insbesondere das nach Sicherheit. Jede Religion hat die zentrale Aufgabe, den Leuten die Hoffnung zu verschaffen oder das Versprechen zu geben, dass sie ein langes Leben, einen guten Ruf, Macht, Gesundheit und Wohlstand haben, wenn sie Gutes tun, sich Verdienste erwerben, Almosen geben, an Gott glauben und ihn anbeten oder in anderer angemessener Weise verehren. Auf einer höheren Ebene betrachtet helfen Religionen den Menschen, die Sinnfrage zu lösen oder helfen ihnen zumindest zu wissen, wer sie sind, wie sie ihr Leben führen und in welche Richtung sie sich entwickeln sollen. Mit anderen Worten, Religionen helfen den Menschen ihre Verwirrung und ihre Zweifel zu überwinden. Diejenigen, die gläubig sind und ihrer Religion vertrauen, haben nor-malerweise Tatkraft und Stärke.

Konsumismus funktioniert insoweit in der gleichen Weise, wie dies Religionen tun, und zwar zunächst, indem er physische Bedürfnisse befriedigt. Die Leute sind heutzutage davon besessen, Wohlstand und Reichtum anzuhäu-fen. Dabei ist es völlig egal, wieviel sie bereits besitzen. Es gibt zahlreiche Leute die Tausende von Euro für eine Rolexuhr zu zahlen bereit sind und Zigtausende für einen Mercedes Benz. Und zwar einzig und allein wegen ihrer Unsicherheit.

Konsumismus gibt dem Leben auch einen Sinn. Leute, die vom Konsumismus voll eingenom-men sind, werden nicht zögern oder zweifeln, denn sie haben eine klare Richtung, nämlich nach neuen Konsumgütern zu suchen. Diese Leute sind von allen möglichen Dingen beses-sen, bis hin zu dem Punkt, an dem sie so viel arbeiten, dass sie weniger schlafen als ein Mönch in strikter Meditationspraxis. Wie anders als mit "Religion" sollte man einen derart unerschütterlichen Glauben wie den Konsu-mismus bezeichnen?

Wir müssen auch berücksichtigen, dass es nicht nur Verlangen ist, das die Menschen zum Kon-sumismus treibt. Die Weltanschauung dieser Leute ist vielmehr der entscheidende Punkt. Einer der Gründe für die Macht des Konsumismus liegt in der scheinbar rationalen An-nahme, dass Glück durch Konsum verursacht wird; je mehr Konsum, desto mehr Glück. Gleichzeitig wird auf diese Art vermittelt, dass es für alle Probleme materielle Lösungen gibt. Probleme mit dem Stadtverkehr? Dann muss die Stadtverwaltung nur ein computergestütztes Verkehrsmanagementsystem kaufen! Du nimmst zu? Kauf die Cola light! Oder suchst du Respekt und Bewunderung? Du brauchst einen Mercedes! Die geheiligte Macht der Technologie basiert nicht nur auf der Fähigkeit, Materialismus und Konsumismus einen rationalen Hintergrund zu verschaffen und sie mit dem Prädikat "wissenschaftlich" zu versehen, viel-mehr wird die Technologie selbst in eine der Komponenten umgewandelt, die in den Ritua-len des Konsumismus verwandt werden.

Neben der vermeintlichen Sicherheit haben Menschen jedoch ein noch tieferes Bedürfnis, nämlich sich in einen "neuen Menschen" zu verwandeln. Die Religion des Konsumismus verfügt über Rituale und Praktiken, diese Transformation durchzuführen. In der Vergangenheit wurden junge Thai-Männer Mönche auf Zeit und damit als "kohn sook" (reife Men-schen) anerkannt. Der Konsumismus nimmt sich diesem Bedürfnis an. Sehr, sehr viele Leute benutzen den Konsumismus als einen Weg, ein neues Ego zu entwickeln, ein neuer Mensch zu werden, indem sie Produkte kaufen, die ihr Selbstbild aufbauen. Es ist nicht nur der Geschmack, der Jugendliche dazu bringt, Cola zu trinken, sondern auch das Verlangen der Konsumenten einer "neuen Generation" anzugehören, wie die Werbung verheißt, oder aber um sich mit dem Popstar aus den Werbespots zu identifizieren.

Der Konsumismus hat somit mehr als nur einen materiellen Aspekt; vielmehr spielen auch Glaube, Hoffnungen und Wünsche eine Rolle. Betrachtet man den Konsumismus unter einem funktionalen Aspekt und unter dem Verhaltensaspekt seiner Gläubigen, so ist er nicht sehr verschieden von anderen Religionen. In der letztendlichen Analyse zeigt sich jedoch, dass die Religion des Konsumismus die tiefen menschlichen Bedürfnisse nicht wirklich befriedigen kann: er wird seinen Anhängern niemals das Gefühl vollkommener Zufrieden-heit vermitteln können. Jemand, der niemals das Gefühl kennenlernt, genug zu haben, wird niemals das Streben und sich Abmühen beenden und völligen Frieden finden können. Schlimmer noch, wer sich der Doktrin des Konsumismus unterwirft, wird nicht einmal in der Lage sein zu erkennen, dass Friede das Wichtigste im leben ist. So überdeckt das Ver-langen nach materiellen Gütern den tiefsten und edelsten Wunsch und lässt unwissend über die wahren Bedürfnisse des Lebens. Das letzt-endliche Geheimnis des Lebens ist eben nicht, ein neues Ego zu erzeugen, sondern sich so stark zu verfeinern, dass man erkennt, dass "Ego" eine Illusion ist.

Ven. Phra Paisan Visalo, sozial engagierter Thaimönch, INEB-Mitglied
Übersetzung: LL
Zurück zur Meditation am Obermarkt

Zurück zur Übersicht  BuddhaNetz-Info