Eine Einführung in Paticca Samuppada (Bedingtes Entstehen)

TEIL II


von Jonathan Watts (Think Sangha)
Im ersten Teil des dreiteiligen Artikels stellte Jonathan Watts von der Think Sangha das System des Paticca Samupadda allgemein dar, in diesem zweiten Teil wendet er das System auf den Konsumismus an und im dritten Teil schließlich wird die Wirkung auf ein Produkt (Nike-Schuhe) und einen speziellen Käufer (einen Ghetto-Jugendlichen) untersucht werden.       DM

II. Bedingtes Entstehen und Konsumismus

Das Grundmodell von Paticca Samuppada (bedingtes Entstehen) werden wir im folgenden auf die Entwicklung unserer globalen Konsumentenkultur anwenden. Paticca Samuppada gibt uns nicht nur ein weiteres kritisches Werk-zeug in die Hand, um die Konsumentenkultur zu untersuchen, sondern enthält gleichzeitig eine Methodik zu deren Überwindung. Insofern können wir eine Brücke bauen zwischen unserer Kritik, der Entdeckung von Lösungen und einem allgemeineren Lebensentwurf jenseits der Konsumentenkultur.

1. Verblendung (avijja)

Im allgemeinen nehmen wir das Gefühl ei-nes "Selbst" als gegeben hin. In der modernen Gesellschaft können wir damit herumexperimentieren, indem wir uns zum Beispiel einen neuen Haarschnitt zulegen oder das Trinken von Alkohol aufgeben. Doch wir tendieren da-zu, es als Basis zu sehen, mittels derer wir unsere Lebenserfahrungen sammeln. Nicht-Selbst stellt diese Vorstellung in Frage, indem es uns zeigt, dass das, was wir als Kernfundament unseres "Selbst" oder unserer Seele betrachten - unser konventionelles Selbst also - ein sehr un-beständiges System ist, das aus Ursachen und Wirkungen besteht. Der Buddhismus lehrt uns, die Tiefen unseres konditionierten Selbst anzu-zweifeln und nichts als gegeben - wie unser Gefühl eines Selbst - und in Stein gemeiselt hinzunehmen. Dies kann eine extrem beängsti-gende Idee und Praxis sein, weil wir so viel Zeit damit verbracht haben, dieses "Selbst" aufzubauen. Auf der anderen Seite ist es jedoch eine zutiefst befreiende Idee und Praxis, weil es uns erlaubt, dem Käfig zu entfliehen, den wir selbst konstruiert und mit dem wir uns selbst eingeschränkt haben.

Diese Grundwahrheit des Buddhismus ist der Schlüssel zu unserer Konsumentenkultur, weil diese so sehr im Materiellen verwurzelt ist. Die Fetischisierung des Materiellen kondi-tioniert uns, das "Selbst" immer tiefer als eine konkrete Form zu objektivieren. Dieses Postulieren eines konkreten "Selbst" schließt auch die Ignoranz der Unbeständigkeit (anicca) mit ein. Der Konsumismus wurzelt in dem, was dem Buddha als extremer Realismus (atthika-vada) und Ewigkeitsglaube (sassatavada) erschien, in dem die Menschen Dinge und andere Lebewesen als getrennt, real, fixiert und dauerhaft betrachten. Das konsumistische Bestreben, Dinge - und Images - zu erwerben als Mittel, sein eigenes "Selbst" zu definieren und zu erfüllen, ist ein Beispiel für diesen extremen Realismus und Ewigkeitsglauben. Die jedem Artikel innewohnende Anfälligkeit, kaputtzugehen (Vergänglichkeit) enthüllt die Unmöglichkeit, bleibende Zufriedenheit zu schaffen (Dukkha) und den Trugschluß, ein vergängliches "Selbst" mit vergänglichen Dingen anzufüllen (Nicht-Selbst).
"Geistiges Brodeln/Verarbeiten" (mental stewing)

2.) Erfinden/sich ausdenken (sankhara)

3.) Bewusstsein (vinnana)

4.) Körper und Geist (namarupa)

5.) Sinneserfahrung (salayatana)

Diese Verblendung bedingt ein geistiges Verarbeiten, das die Realität in einen Rahmen des Materiellen einbettet. Geschehnisse und Prozesse, die instabil und permanent im Entste-hen und Vergehen begriffen sind, werden als statische Formen wahrgenommen, die in linearer Kausalität miteinander interagieren (so ent-steht z.B. eine Mode).

Der nächste Schritt ist entscheidend in der Entstehung der Konsumenten-Mentalität: das Entstehen von Dualität, in der es einen Konsumenten (Subjekt) gibt, der durch Gefühl, Wahrnehmung, Gedanken und Erkennen zu konsumierender Formen (Objekt) Dinge kon-sumiert. Wenn sich diese Subjekt-Objekt-Konstruktion mit den Sinnen verbindet, entsteht Sinneserfahrung. Die Erfahrung des Sehens öffnet die Türen zu all den hellen Lichtern und strahlenden Bildern (Images) von Einkaufszentren, dem Entertainment in den Me-dien usw. Die Erfahrung des Hörens ermöglicht das Anhaften an Walkmans und Radios. Die Erfahrung des Schmeckens eröffnet uns die Welt von Coca Cola und McDonald's, Junk Food und exotischer Geschmäcker aus aller Welt. Die Erfahrung des Riechens öffnet die Türen zu der Welt von Parfüms, After Shaves, Gourmet-Feinkost usw. Die Erfahrung des Be-rührens eröffnet uns die Welt importierter Seidenstoffe, Kosmetik für Haut und Haar usw. Und am entscheidendsten eröffnet uns die von den Sinnen hergeleitete Geisteserfahrung die Welt von Konstruktionen der Konsumenten-identität wie "Berühmtheit" und "Stil".

6.) Sinneskontakt/Voller Kontakt (phassa)

Aus dieser Masse des "geistigen Brodelns" (mental stewing) entsteht der volle Kontakt. Die Grundlage der Unwissenheit/Ignoranz er-scheint hier im Geist als physische Formen; Persönlichkeiten und Institutionen werden als unveränderlich (nicca), konkret (atta) und oft auch angenehm (sukha/supa) wahrgenommen. Fernsehen, heute wahrlich ein weltweites Phänomen, ist vielleicht die reinste Form, Kontakt aufzunehmen und daraus den vollen Kontakt eines Konsumenten entstehen zu lassen. Wenn wir fernsehen, berühren uns Bilder von Ereignissen und Menschen und stellen den vollen Kontakt hauptsächlich über die Sinneserfah-rung des Ohrs, Auges und Geistes her. Die Schnelligkeit von Werbung und Hi-Tech-Medientechnologie spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Entwicklung einer extrem schnellen Präsentation von Bildern und der Transfer von Information, Produkten und Per-sonal ist der Schnelligkeit des Geistes, bewusst zu sein und dann die Bedeutungen und Implika-tionen des Kontakts zu verarbeiten, fast immer voraus. Insofern wird aus fast jeder Form des Kontakts ein voller Kontakt. Jenseits dessen, was als angenehmes oder unangenehmes Ge-fühl empfunden wird, drängen die Geschwin-digkeit und Gewalttätigkeit des Konsumenten-kontakts den Geist in ein weder-angenehmes-noch-unangenehmes Gefühl und in Verblendung.

7.) Gefühl (vedana)

Aus dieser Überdosis an vollem Kontakt entsteht Gefühl. Wenn wir fernsehen, können wir uns eine Menge an angenehmen und unan-genehmen Gefühlen zusammenspinnen. Wahrnehmungen (sanna) werden überhöht und ver-tieft etwa durch Special Effects, die ein Musikvideo "großartig" oder einen Horrorfilm "echt gruselig" machen. In der Konsumentenkultur ist jedoch das weder-angenehme-noch-unangenehme Gefühl vielleicht das vorherrschendste.

Wenn wir fernsehen, stumpft die Hi-Tech-Bombardierung mit Bildern unseren Geist so ab, dass er nur noch auf das reagiert, was be-sonders angenehm oder besonders schmerzlich ist. Da mehr und mehr Bilder diesen überhöh-ten Erwartungen nicht mehr genügen, scheint es so, als gebe es überhaupt nichts Interessantes mehr anzuschauen. In den USA gibt es einen neuen Begriff namens "Channel Surfing". Darunter versteht man, mit der Fernbedienung in kurzer Zeit sämtliche Sender (bis zu 100) anzuklicken, nur um schließlich festzustellen: "Es läuft nichts." Wenn wir versuchen, unter der Masse an Programmen ein bestimmtes heraus-zusuchen, schwankt der Geist hin und her bei dem Bemühen, das zu finden, was wir sehen wollen. Es gibt Momente eines positiven Gefühls, wenn ein angenehmes Bild vorbeiflim-mert, und auch negativer Gefühle. Doch in der Geschwindigkeit des "Surfing"-Prozesses wer-den die allermeisten Bilder überhaupt nicht verarbeitet und lösen lediglich ein weder-angenehmes-noch-unangenehmes Gefühl aus, was zu einer noch stärkeren Abstumpfung des Geistes gegenüber allem führt, das nicht beson-ders positiv oder negativ hervorsticht. Dieser Prozess findet auch statt, wenn wir Kontakt mit Waren in einem Laden oder einem Einkaufszentrum aufnehmen. Unter den Myriaden von Geschäften und Markennamen das eine zu finden, was wir wollen, zwingt den Geist, einen großen Teil der Realität wegzudrücken, der nichts mit unserer Suche zu tun hat, aber dennoch nach unserer Aufmerksamkeit heischt.

Auf diese Weise verbringen Menschen in Konsumentengesellschaften eine Menge ihrer Zeit in einem tauben Zustand. Sie drücken mögliche negative Gefühle weg, während sie durch schwach positive waten auf ihrer Suche nach den ganz besonders positiven. Ein großer Teil der Realität wird gar nicht verarbeitet (z.B. läuft der Fernseher, aber niemand sieht hin oder in einem Laden spielt Musik, die aber nicht gehört wird). Was weder besonders anziehend noch bedrohlich ist, wird weggedrängt, und der Geist entwickelt eine Unfähigkeit, auf das auf-zupassen, was nicht besonders positiv oder negativ ist, sich darauf zu konzentrieren oder es zu fühlen. Die ständig wachsende Intensität an Konsumentenbildern (consumer images) ver-stärkt noch die dualistische Natur des Geistes. Indem der Geist nach immer stärkeren positiven Gefühlen sucht und im Gegenzug immer tiefere Wellentäler negativer Gefühle erlebt, nimmt die Fähigkeit, sich auf Feinheiten und Grauzonen zu konzentrieren, ab (...).

8.) Begierde (tanha)

Während wir weiter von einem Fernsehka-nal zum nächsten hin und her schalten, finden wir schließlich etwas, das uns anzieht. Im Fernsehen gibt es zahllose Bilder, die Begierde entstehen lassen, und vor allem Sinnesbegierde. Diese Sinnesbegierde geschieht oft dann, wenn wir mit Werbung in Kontakt kommen, die sinnliche Formen (kama) im Mittelpunkt ihrer Verkaufsstrategie hat. Da gibt es für jeden etwas: Shampoos und Designer-Kleidung für die Schwester, Sportschuhe und knappbekleidete Mädchen für den Bruder, Autos und Bier für Papi, Waschmittel und exotische Ferienziele für Mami. Die Botschaft hinter all diesen Arti-keln lässt die Daseinsgier (Craving for Being) über die positive Identifikation mit den Werbeträgern - wie Models, Sportstars und andere Berühmtheiten - entstehen. Das Fernsehen hin-gegen bietet tiefergehende Bilder der Daseins-gier in seinen tragischen Geschichten, Komödien und Nachrichten. Eine gute Geschichte kann informativ für den Geist und stimulierend für die Vorstellungskraft sein. Die Mehrheit der Fernsehserien zeichnet jedoch ein Bild von ü-bertrieben dramatischen Leben, voll mit anhal-tend positivem und/oder negativem Gefühl. Diese Gefühle lassen die Daseinsgier in den aufregenden und erfüllten Leben der Liebes- und Abenteuergeschichten entstehen, während Horrorfilme und Krimis die Gier, nicht zu sein nach sich ziehen.

Der Geist wird damit an das Hin und Her negativer und positiver Vergleiche gewöhnt. Die Lebensrealität, in der keine "Action" statt-findet, wird nicht gezeigt und wenn man - oft unbewußt - Vergleiche zum eigenen Leben zieht, entsteht ein Gefühl des Mangels. Unser Leben erscheint uns langweilig, unser Alltag hat wenig Bedeutung im Vergleich zu der kon-stanten "Action" in diesen Programmen. Auf dieser Stufe wird unsere Identität verhärtet durch Abgrenzung und Differenz, d.h. was je-mand hat oder nicht hat im Vergleich zu ande-ren. Je mehr man fernsieht, desto mehr wird unser tatsächliches Leben zu einem einzigen großen weder-angenehmen-noch-unangenehmen Gefühl, weder besonders aufregend noch unglaublich tragisch, und umso größer wird unsere Begierde nach dem Leben, das wir im Fernsehen präsentiert bekommen. Durch die machtvollen Werbe- und sonstigen Bilder im Fernsehen wird der Geist seiner eigenen räumlichen und zeitlichen Existenz immer mehr entfremdet. Auf dieser Stufe wird die I-dentität fließend, aber nicht auf eine gesunde Art und Weise, indem wir die Illusion von Formen und eines "Selbst" durchschauen, uns dabei aber ein Gefühl für soziale Normen erhal-ten. Stattdessen ist es ein neurotischer Vorgang, indem die Illusion durch das Aufheben der Un-terscheidung zwischen Fantasie und Realität immer mehr vertieft wird.

9.) Anhaften (upadana)

Aus dieser Art der Begierde erwächst eine vertiefte Dualität in Form des Anhaftens mit der Entstehung eines "Ichs". Dieses "Ich" denkt sich allerlei Objekte (sinnliche, einstellungs- und verhaltensmäßige) aus, um sich zu definieren.

Unsere Gier nach sinnlichen Objekten ver-stärkt sich auf dieser Stufe, indem das "Selbst" beginnt, sich direkter darauf zu beziehen. "Mit ihrem neuen Finanzierungsplan könnten wir uns dieses Jahr ein neues Auto anschaffen"; "Hawaii... Ich brauche wirklich Urlaub!", "Ich brauche unbedingt ein Shampoo, das meine Haare nicht ruiniert." (Anhaften an Sinnesobjekte)

Unsere Ansichten über diese Güter, deren tiefere Bedeutung und die Leben der TV-Figuren werden zu erhärteten Objekten, nach denen das "Selbst" greifen kann. "Diese neuen Heim-Videokameras sind wirklich beliebt geworden. Vielleicht sollten wir uns auch eine kaufen." "Warum haben die Filmpartnerinnen von Tom Cruise immer blonde Haare? Vielleicht sollte ich auch mal meine Haarfarbe ändern?" "Nach diesem Bericht über Angola werde ich bestimmt nie nach Afrika fahren. Was für ein rückständiges Land!" (Anhaften an Ansichten).

Aus solch erhärteten Ansichten entstehen erhärtete Methoden/Verhaltensweisen. "Jim sagt, wir können auch einen Finanzierungsplan für die Videokamera bekommen. Laß mal sehen, die Abzahlung für das Auto, Versicherung, Hypothek, Kreditkarten - ich glaube, wir könnten es schaffen." "Wenn wir die Kinder zu Hause lassen, können wir uns bestimmt zwei Wochen auf Bali leisten." "Diese Mädchen haben ihre Esprit-Kleider und ihre Bräune als Begleiterinnen für Geschäftsmänner bekommen. Klingt schrecklich, aber vielleicht..." "Das zeigt wieder einmal, dass unsere Marktwirtschaft einfach am besten ist." (Anhaften an Verhaltensformen)

Wenn wir an diese Ansichten und Verhaltensweisen anhaften, stellen wir uns keine Fragen wie: "Wieviele Leute haben sich durch ih-ren Konsum total verschuldet?", "Wieviele die-ser sonnengebräunten Mädchen kommen aus zerbrochenen Familien?" "Wieviele Amerika-ner leiden genauso wie Afrikaner unter Armut und Gewalt?" Statt dessen helfen wir dabei, die Grundlagen zu legen für die nationale Verschuldung, das Zerbrechen von Familien und das Opfern unserer persönlichen. (Anhaften an das "Selbst")

DIE REIFUNG DES SELBST

10.) Werden (bhava)

11.) Geburt (jati)

Da der Geist inzwischen ein ganzes Set mentaler Objekte (sinnliche, die Einstellung und das Verhalten betreffende) fabriziert hat, an das er anhaftet, schmückt er die Verwirkli-chung dieser Begierden immer weiter aus. Das Darübernachdenken, Planen und Visualisieren wird tiefer und es kommt zu einer voll ausge-reiften Identifikation mit bestimmten Orten und Situationen. "Jim hat eine Sony-Kamera, Ich mag ihre Ausrüstung auch sehr." "Jill war die-ses Jahr schon zweimal in Urlaub. Ich habe mir diesen Trip verdient." "Wir haben ja so ein Glück, Amerikaner zu sein." Diese Identifikationen verhärten Einstellungen in Begierden, blenden wichtige Teile der Realität aus und vertiefen Vergleiche, Gefühle des Mangels und der Entfremdung. Die ganze Familie verliert sich in ihrer eigenen Welt des Anhaftens: Papa will das materielle Drum und Dran eines er-folgreichen Lebens, Mama will die angeneh-men Seiten eines solchen Lebens, das andere Frauen auch genießen, die Schwester muss unbedingt in die Welt von Mode und Schönheit eintauchen. In ihrem Geist können ihre gegenwärtigen Leben sich nicht mit den selektiven Bildern aus dem Fernsehen messen. Durch die Hi-Tech-Bilder des Fernsehens hat unsere Fa-milie diese "Konsumenten"-Ichs fabriziert. Ihre aufregenden und unterhaltsamen neuen Pläne bilden eine Energie, die das innere Gefühl des Mangels letztlich nur noch verstärkt.

12. Altern und Sterben (jaramarana)

Wenn das Programm zu Ende ist und die Werbung wechselt, zeigt die Vergänglichkeit wieder ihr hässliches Gesicht. Sehr schnell verwandelt sich ihre Aufgeregtheit in Lange-weile angesichts des gegenwärtigen Moments. Papa schaltet wieder ohne Ergebnis durch alle Kanäle: "Es läuft nichts." Mama schlappt wie-der in die Küche, um das Abendessen zu machen, und die Schwester geht in ihr Zimmer mit all ihren nicht mehr topmodischen Kleidern. Wieder einen großartigen Tag in Amerika vor dem Fernseher verbracht.

Aus einer solchen Langeweile kann Furcht entstehen. Papa hat Angst, dass eine Entlassungswelle und seine Schulden die Familie in eine plötzliche finanzielle Krise stürzen könn-ten. Mama fürchtet, dass sie wieder anfängt zu trinken, wenn sie nicht endlich eine Pause von all ihren Belastungen bekommt. Die Schwester hat Angst, dass ihr Körper sich nicht so entwickeln wird, wie sie es erhofft.

 In der Unsicherheit ihrer Leben erfahren sie Nicht-Selbst als die Unfähigkeit, ein er-wünschtes "Selbst" zu schaffen und zu erhalten. Aus Langeweile und Furcht können Depressio-nen und Verzweiflung entstehen. Papa ist de-primiert wegen seiner fehlgeschlagenen Versu-che, den wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen, den er vor 15 Jahren vor Augen hatte. Mama fühlt sich leer in einem ermüdenden Leben oh-ne konkrete Belohnungen. Das wirklich De-primierende besteht hier darin, wie die Familie Jahr für Jahr vor dem Fernseher sitzt und von Dukkha durchtränkt wird angesichts all der Bilder, welches Leben sie führen sollten, an-statt die kreative Gestaltung ihres eigenen Lebens selbst in die Hand zu nehmen.

DIE STRUKTUREN DES KONSUMISMUS

Eine Ausweitung von Paticca Samuppada auf den größeren Bereich von Handlungen und Strukturen hat durchaus eine Basis in den direkten Belehrungen des Buddhas. In der Mahanidana Sutta (Der großen Lehrrede von der Entstehung) weicht der Buddha selbst von seiner üblichen Erklärung des Kreislaufes ab und sagt folgendes:

"Hör zu, Ananda, durch diese Bedingungen entsteht aus Gefühl Begierde, aus Begierde ent-steht ein Suchen, aus dem Suchen entsteht Er-werben, aus dem Erwerben entsteht das Fassen von Entschlüssen, basierend auf diesen Ent-schlüssen entsteht lustvolles Verlangen, aus dem lustvollen Verlangen entsteht Anhaftung/Begeisterung, aus dieser Begeisterung entwickelt sich Besitzdenken, aus dem Besitz-denken entsteht Geiz, aus dem Geiz entwickelt sich das Wachen über den Besitz, daraus ent-stehen das Ergreifen von Stock und Schwert, Streit, Zank, Missbrauch, Lüge."

Der Ort der Aktion liegt hier im Begehren und dem, was sich daraus entwickelt. Diese Darstellung zeigt, wie mentales Fabrizieren zu Handlungen führt und wie solche Handlungen zu sozialen Problemen werden. Auf dieselbe Weise möchte ich den Geist der Mahanidana Sutta anwenden, um die größeren Handlungen und Strukturen der Konsumgesellschaft zu un-tersuchen..

Begierde (tanha)

Durch all den vollen Kontakt und das Gefühl, das in der Konsumgesellschaft aufgewühlt wird, entsteht Begierde. In unseren Konsumgesellschaften manifestiert sich das Begehren nach Sinnesobjekten als Begehren nach allen möglichen Waren. Diese Waren enthalten auch Erfahrungen, in denen verschiedene Sinne schwelgen können. So nimmt z.B. die Reise-branche die verschiedenen und oft wahllosen Erfahrungen des Reisens und verpackt sie in ein Objekt der Begierde. Der "Urlaub", objekti-viert in Gruppenreisen und Reiseführern, bietet auf diese Art vorhersehbare und berechenbare Formen der Sinnesbegierde. Unsere Marktsystem nutzt die Neigung des Geistes zu Objektivierungen aus, indem es jede nur denkbare Ware und Erfahrung als verpacktes Objekt oder "Selbst" anpreist, das gekauft und konsumiert werden kann.

Im Begehren zu sein beziehungsweise nicht zu sein beginnt der Geist mit ersten Identifikationen. Wenn er mit sinnlichen Formen in Kontakt kommt, beginnt er Zustände zu begehren, in denen diese sinnlichen Formen kontrolliert und genossen werden können wie etwa eine Woche auf Hawaii in einem hübschen Hotel oder einfach nur ein bisschen mehr Zeit zum Einkaufen. Auf einer tieferen Ebene entspricht dieses Begehren zu sein dem Begehren nach Festigkeit, Konkretheit (atta), Stabilität.

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