Sulak Sivaraksa:
Der Dalai Lama - ein einfacher Mönch

S. H. der Dalai Lama stellt sich oft und gerne als einfacher Mönch vor - trotz der Tatsache, dass er allenthalben als der „Ozean der Weisheit“ bekannt ist - ebenso als Staatsoberhaupt wie auch als ein spiritueller Führer des Vajrayana-Buddhismus, ganz abgesehen von seiner einzigartigen Position als Emanation von Chenezi, dem Bodhisattva des Mitgefühls, Avalokiteshvara.

Ich finde die Art, in der sich Seine Heiligkeit vorstellt ebenso bedeutungsschwer wie anrührend.

Vor einigen Jahren wurden bei einem großen Kongess in der Diamanthalle in Honolulu vor dem Veranstaltungsgebäude Flugzettel von Christen verteilt, die die Tatsache herausstellten, dass der Dalai Lama sich selbst als einfachen Mönch ausgibt. Sie schlossen die Frage an, was er schon erreichen könne, warum Leute von ihm angezogen werden könnten oder ihn auch nur respektieren könnten. Statt dessen sollten sich die Leute lieber Jesus zuwenden, der nicht nur Gottes Sohn sondern auch der Erlöser der Welt wäre.

Andererseits hat S.H. sowohl öffentlich als auch in Privatgesprächen oft Jesus, Mohammed und die anderen religiösen Führer gepriesen. Er ermutigt Christen und Juden ihre eigenen Religionen weise und mit Bedacht zu praktizieren. Wenn sie ihre Tradition durch Meditation bereichern wollten, sei das in Ordnung und täte ihrer Religion keinen Abbruch.Das erinnert mich an einen anderen einfachen Mönch, meinen früheren Lehrer Buddhadasa Bhikkhu, den S.H. ebenso bewunderte. Er forderte alle seine Anhänger auf, drei wichtige Punkte zu beherzigen:

Versuche die wesentlichen Lehren des Buddha zu verstehen und sie so selbstlos wie möglich in die Praxis umzusetzen, Respektiere und ehre die Religionen unserer Freunde und setze sie nicht gegenüber unserer herab, Vereine dich mit Gläubigen anderer Religionen und Ungläubigen, um mit ihnen zusammen, Gier, Hass und Verblendung zu überwinden. Diese Wurzelübel werden in wachsendem Maße manifestiert durch den Konsumismus, Machtkonzentration und moderne Erziehung, die sich auf den  Intellekt konzentriert und die der Weisheit und des Mitgefühls entbehrt.

Buddhadasa Bhikkhu bezeichnete sich selbst als den Diener (dasa) des Buddha und in der Tat war auch der Buddha ein einfacher Mönch. Als der Buddha noch ein Prinz war, war er in alle weltlichen Genüsse involviert und hatte sich vom Leiden der Welt abgeschirmt. Erst als er eines Alten, eines Kranken, eines Toten und eines Mönchs gewahr wurde, eröffnete sich ihm die Tatsache, dass Krankheit und Tod Teil des Leidenswegs sind. Daher entschied er sich, den weltlichen Genüssen und dem Familienleben zu entsagen, um als einfacher Bettelmönch den weg zur Überwindung des Leidens zu finden. Und tatsächlich war der angehende Buddha sechs Jahre lang ein Wandermönch, bevor er wirklich aus der Welt der Gier, des Hasses und der Verblendung erwachte. Sein Verständnis war dann derart umfassend, dass kein Rest von Selbst mehr in ihm war und so wurde seine Weisheit in allumfassendes Mitgefühl transformiert. Daher bezeichnen wir ihn als den vollständig Erwachten und den Mitfühlenden.

Für uns Buddhisten ist es ganz essentiell, ein einfacher Mönch (oder eine einfache Nonne) zu sein, um das höchste Ziel des Lebens zu erreichen: das Leiden zu überwinden und so das vollkommene Glück zu erfahren, das in Freiheit von sinnlichen und externen Bedingungen ruht.

Wenn wir uns nicht für ein einfaches Leben entscheiden, hängen wir in einem solchen Maße von einer Vielfalt anderer Faktoren ab, dass wir weder die Zeit noch die Energie haben für die tiefe Konzentration aus der die Achtsamkeit erwächst mit der wir die Realität der physischen Phänomene ebenso durchschauen können wie das Mysterium des Universums. Wissenschaftliche Erkenntnisse helfen uns im Gegensatz dazu nur, einzelne Aspekte des Universums völlig isoliert zu verstehen. Die tiefe Meditation ohne Egoismus wird uns andererseits helfen die Wahrheit ganzheitlich zu erfassen.

Wenn man ein einfacher Mönch ist, hilft das uns selbstloser zu sein, als dies ein Laie kann, der in Familienbanden und in sinnlichem Vergnügen verhaftet ist, die ein zweischneidiges Schwert sind: Jeder Gewinn, jede Ehrung, jedes sinnliche Vergnügen und jede Anerkennung wird von ihrem Gegenpol aufgewogen, von Verlust und Schande von Leiden und Denunziation. Der Buddha bezeichnet dies als die acht weltlichen Winde. Wer von diesen umgetrieben wird, ist nicht frei von Rad des Lebens und Sterbens.

Leider sind auch einige Mönche, die der mondänen Welt den Rücken gekehrt haben, um der Wahrheit zu folgen, dem ein oder anderen dieser weltlichen Winde ausgesetzt. Indem sie ihre Einfachheit verloren haben und mitunter gar von Ruhm und Vermögen besessen sind, sind sie nur noch dem Namen nach Mönche. Einige Mönche sind so Heuchler geworden, die sich selbst und anderen etwas vormachen. Diese sogenannten Mönche sind schlimmer als irgendein Laie.

Moral und Ethik stellen die Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung des menschlichen Potentials dar. Wenn man die Selbstverpflichtungen, die der Buddha lehrt, einhält, also lebende Wesen nicht durch handeln oder reden zu schädigen, Moral und Ethik stellen die Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung des menschlichen Potentials dar. Wenn man die Selbstverpflichtungen, die der Buddha lehrt, einhält, also lebende Wesen nicht durch handeln oder reden zu schädigen, nicht zu lügen, nicht zu töten, nicht zu stehlen usw., dann befindet man sich auf dem effektivsten Weg, die positive karmische Energie der Tugend anzusammeln: buchstäblich ein Aufbau positiver Gepflogenheiten im Denken, Reden und Handeln.

Gelübde oder Selbstverpflichtungen werden dabei nicht als moralische Restriktionen gesehen, sondern als praktische Lebenshilfe.

Ein einfacher Mönch bemüht sich stets, Gleichmut (uppekha) zu entwickeln und aufrecht zu erhalten, was leider in unserer äußerst gewalttätigen Welt sehr selten geworden ist. Gleichmut ist das vierte Stadium der Erhabenen Weilungen (Brahmavihara), das man auch als Selbstsicherheit oder Neutralität bezeichnet. (...) Dabei muss ganz klar herausgestellt werden, dass Gleichmut keineswegs Weltabgewandtheit, Apathie, Unsensibilität oder Nachlässigkeit gegenüber Hindernissen bedeutet. Gleichmut bedeutet vielmehr die achtsame Loslösung von Parteiklichkeit um Weisheit zu erlangen, was die Vorbedingung dazu ist, anderen durch Mitgefühl und Verständnis zu helfen.

Im Theravada gibt es ein System von zehn Vollkommenheiten, und dem Individuum wird empfohlen, diese zu üben. Die letzte Stufe davon ist Upekkha. Hier die neun vorhergehenden Stufen:

Im Theravada teilt man die zehn Vollkommenheiten noch in jeweils drei Ebenen der Perfektion ein. Die erste Ebene ist die Ebene der normalen Perfektion (Parami). Angewandt auf Upekkha bedeutet das, dass man sich nicht von Lobeshymnen und Schmähungen beeindrucken lässt. Die zweite Ebene ist die höhere Perfektion (Upaparami), in dieser Stufe verlässt man den Gleichmut auch nicht mehr, wenn man physisch gequält wird. Schließlich gibt es auch noch die höchste Perfektion, in der man den Gleichmut auch dann beibehält, wenn man zu Tode gefoltert würde. Mit anderen Worten, in dieser Stufe würde man das Stadium des Erwachtseins von der Ichbezogenheit zur Ichlosigkeit erreicht haben – das „Ich“ ist seiner zentralen Stelle in unserem Bewusstsein völlig verlustig gegangen. Wie bereits oben erwähnt, ist Upekkha die letzte der Vollkommenheiten, denn sie setzt die umfassende Entwicklung von Metta voraus.

Dies bedeutet, ein einfacher Mönch ist jemand, der immer bescheiden, enthaltsam und achtsam ist und grenzenlose Nächstenliebe praktiziert. Er führt ein edles und zölibatäres Leben. Er wünscht nur so wenig für sich, dass er seine ganze Zeit und Energie aufwendet für das Glück und das Wohl der anderen fühlenden Wesen. Sein Lebensstil wird dadurch auch den Lebensstil der Laienschaft beeinflussen, denn er ist Vorbild. Darüber hinaus beeinflusst er seine ganze Umwelt in Richtung auf ein Mehr an Harmonie und Ganzheitlichkeit, diese Auswirkungen erfassen alle Bereiche, bis hin zu wild lebenden Tieren und Bienen. Auf diese Weise kann das einfache Leben eines Mönchs viel zu sozialer Wohlfahrt und ausbalancierter Ökologie beitragen. (...)

Manche soziale Missstände sind entsetzlich und zerstörend, z.B. die chinesische Invasion in Tibet und all die schrecklichen Ereignisse, die hieraus folgten. Aber gerade an diesem Beispiel zeigt es sich wie wundervoll erhellend das Beispiel ist, das uns ein einfacher Mönch, der Dalai Lama, und seine Anhänger geben, die darauf bestehen, dass wir unsere liebevolle Zuwendung dem chinesischen Volk geben sollen und der chinesischen Regierung vergeben sollen, die die schrecklichen Akte der Aggression aus Ignoranz und Verblendung, aus Hass und Gier begangen haben. (...)

Ich glaube, der Einfluss seiner Heiligkeit in der Welt ist nicht darauf zurückzuführen, dass er ein Bodhisattva, ein Staatsoberhaupt oder der spirituelle Führer einer Glaubensgemeinschaft ist. Ebenso wenig gelingt ihm dies durch irgendwelche übernatürlichen Kräfte. Nein, dies kommt viel mehr aus er Tatsache, dass er ein einfacher Mönch ist, der so wenig für sich selbst will und seine Zeit und seine Energie aufwendet; den Völkern der Welt zu helfen, die gefangen sind von den Kräften der Gier, des Hasses und der Verblendung.

Mit den inneren Saaten des Friedens ist ein einfacher Mönch wie seine Heiligkeit in einer ausgezeichneten Lage, andere anzuleiten, die sich für eine Welt in Frieden, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit einsetzen.



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