Bhikkhu Visalo:
Plädoyer für den Zölibat – gerade heute

Die naheliegendste aber auch engste Definition des Zölibat ist, sich des Missbrauchs bzw. der Ausbeutung seiner selbst und anderer zu enthalten. Unter diesem Blickwinkel bedeutet der Zölibat, der zu einem edlen Leben führt, als Single zu leben und sich jede eheliche oder sexuelle Beziehung zu versagen. Um so zu handeln, muss man frei sein von der Dominanz sinnlicher Genüsse, insbesondere solcher sexueller Art. Man hält den Zölibat dadurch aufrecht, dass man freiwillig einen Lebensstil verwirklicht, der auf Selbstvertrauen und Selbstgenügsamkeit gründet.

Die zweite und breiter angelegte Umschreibung von Zölibat, von Enthaltsamkeit, legt besonderes Gewicht auf die soziale Dimension. Sie bedeutet eine Absage an soziale Ausbeutung und die Freiheit vom Konsumismus. Beide Bedeutungen von Zölibat fördern die Entfaltung des edlen Lebens. Ein edles Leben zu führen bedeutet, den Edlen Achtfältigen Pfad zu gehen, der die Wichtigkeit des Zölibats widerspiegelt, insbesondere die Freiheit von der Versklavung durch Sinnesbegierden und Anhaftung an materiellen Dingen. Der Wert des Zölibats, der Enthaltsamkeit, offenbart sich uns bereits mit der zweiten, der breiteren Definition. Er erschließt sich uns weniger deutlich, wenn wir die engere Definition zugrunde legen, die nur von der Abwesenheit sexueller oder partnerschaftlicher Beziehungen ausgeht. Dann erscheint nämlich der Zölibat nur etwas für sehr beschränkte Personengruppen zu sein: für Mönche und Nonnen. Wenn man den Zölibat so missinterpretiert, sehen die Laien diese Haltung als unpassend für sie an und so erschließt sich ihnen ihr Wert nicht. Um es noch einmal zu unterstreichen: Grundlage des Zölibats, der Enthaltsamkeit, ist die Freiheit von Verlangen und Anhaftungen, die auf den fünf Sinnen beruhen, Sobald es uns gelungen ist, uns von diesen Fesseln zu befreien, indem wir freiwillig ein bescheidenes Leben führen, werden wir die größtmögliche Freiheit in unserem Leben erfahren.

In der gegenwärtigen Gesellschaft befinden sich die meisten Menschen in einer Haltung wachsender Faszination durch den Konsumismus und werden so immer mehr versklavt durch sinnliches Verlangen und Anhaftung an materielle Güter, sie sind blind für den Wert des Zölibats. Die wirtschaftliche Krise, die meine HeiHeimat, Thailand, heimgesucht hat, hat ihre Wurzeln nicht zuletzt im Versagen den Wert zölibatärer Lebensformen zu erkennen. Hier bedeutet der Verlust des Zölibatsgedankens, Beute von Konsumismus und Gier zu werden, eine Beute von Bereicherung an Geld und Reichtum zu einem sehr hohen Preis, nämlich unter Umständen sogar die Aufrichtigkeit, die menschliche Würde aufzugeben. Das ist die weite Bedeutung des Zölibats bzw. des Verlustes zölibatärer Geisteshaltung.

Mit anderen Worten, wenn wir die Essenz der Bedeutung des Zölibats, der Enthaltsamkeit, verstehen, erschließt sich uns sein voller Wert. Auf diese Weise erkennen wir auch, dass das Konzept des Zölibats, der Enthaltsamkeit, für Jede und für Jeden gangbar ist, keineswegs nur für Mönche und Nonnen. Der Zölibat wird meist gedanklich mit Mönchen in Verbindung gebracht, weil diese seine Grundgedanken niedergelegt haben, z.B. ohne Partner/in zu leben, keinen Geschlechtsverkehr auszuüben, sich nicht dem Verlangen hinzugeben usw. Wenn wir jedoch das Konzept des Zölibats nur mit Mönchen assoziieren, entsteht ein Problem. Wenn der Zölibat in der gegenwärtigen Gesellschaft an Wert verliert, werden nicht die Mönche dieses Schicksal teilen? Traditionell haben buddhistische Mönche zwei wichtige Aufgaben: erstens als Verkünder des Buddhismus und zweitens als Vorbild zölibatären Lebens. Beide Rollen werden in der gegenwärtigen südostasiatischen Gesellschaft unterminiert. Viele Laien kennen sich im Buddhismus ebenso gut aus wie Mönche und sind auch effektive Dharmalehrer. Der Pali-Kanon ist für immer mehr Menschen zugänglich, inzwischen sogar auf CD-ROM. Außerdem gibt es zahllose Magazine und Bücher über Buddhismus. Mit anderen Worten, die Laien sind keineswegs mehr allein auf die Mönche angewiesen, um den Dharma zu lernen. Es gibt in der Tat eine Laienversion des Buddhismus. In vielen Ländern der Welt ist dieser Laienbuddhismus inzwischen dominant und das schwächt natürlich die Rolle der Mönche.

Jedoch – und dieser Punkt muss mit allem Nachdruck betont werden – die zweite Aufgabe der Mönche ist unersetzbar. Mönche bleiben ein wichtiges Modell des Zölibats, des Lebens in Enthaltsamkeit. Ich glaube nicht, dass Laien diese Rolle genauso gut übernehmen können. Diese Rolle ist ganz essentiell für die ganze globale Gesellschaft. Hierbei nehme ich Bezug auf die ganze Breite des Begriffs des Zölibats, der Enthaltsamkeit, nämlich Zufriedenheit, Einfachheit, Selbstvertrauen, Freiheit von sinnlichem Verlangen und Absage an eheliche oder andere sexuelle Beziehungen. Mönche können der Welt, die überwältigt wird vom Konsumismus, zeigen, dass ein Leben, das frei ist von sinnlichem Verlangen und materiellen Anhaftungen nicht nur möglich ist, sondern darüber hinaus auch erfüllend und lohnend. In vieler Hinsicht wird der Konsumismus rationalisiert, verwissenschaftlicht. Einige Wissenschaftszweige betonen spitzfindig die Wichtigkeit von Sachgütern, dies geht auf Kosten moralischer und geistiger Entwicklung. Glück – und zwar das einzig erhältliche Glück, so wird uns vorgegaukelt – wird gemessen im „mehr haben“; ein gutes Leben sei nur eines, das reichhaltig mit materiellem Besitz ausgestattet ist. Mönche sind eine Herausforderung für diesen Irrglauben und sie repräsentieren eine andere Art von Glück, das viel tiefer geht als das rein oberflächliche Glück, das uns der Materialismus verheißt. Dieses Glück beruht auf Heiterkeit des Herzens, Achtsamkeit und Weisheit. Dieses Glück steht notwendigerweise im Zusammenhang mit dem Zölibat, dem enthaltsamen Leben. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Das zölibatäre Leben ist ein Gegenmittel zum Gift des Konsumismus. Ohne Mönche würden sich viele Mensche ungleich schwerer dem Kampf gegen den Konsumismus stellen, es würde eine offensichtliche und lebensfähige alternative Form von Glück fehlen, ein alternativer Lebensentwurf.

Der Zölibat ist daher sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene wichtig. Wenn die meisten Menschen in einer Gesellschaft frei sind von sinnlichem Verlangen und materiellen Anhaftungen, prosperiert die Gesellschaft. Sie prosperiert in Bezug auf die wahren Werte: die Heiterkeit des Herzens, die Achtsamkeit, die Weisheit. Dies bedeutet auch, es gibt nicht die Notwendigkeit massenweise Staudämme zu errichten, ganze Netze von Gaspipelines zu konstruieren, die Urwälder zu roden usw. Wenn wir zufrieden sind brauchen wir nicht mehr elektrischen Strom – und auch keine Atomkraftwerke. Glück ist möglich ohne all diese Materiellen Güter des Anhaftens. Aber es scheint, dass Thailand darin versagt hat, diesen Gedanken des Zölibates, der Enthaltsamkeit und Bescheidenheit hochzuhalten.

Um den Gedanken des Zölibats, der Enthaltsamkeit, zu bewahren oder neu zu finden, ist es nötig, Disziplin in unser Leben zu bringen, besonders was Konsum und Technologie angeht. Der Begriff „Technologie“ kling zunächst einmal neutral, vielleicht sogar attraktiv. Aber mit „Technologie“ meine ich auch Indoktrination und Gedankenkontrolle z.B. durch Radio, Fernsehen, Computer usw. Wenn wir nicht sehr sorgfältig mit Technologie umgehen, werden wir ihr verfallen und uns von unserem Leben entfremden. Und letztendlich bedeutet dies Abhängigkeit, dass wir mehr Geld verdienen müssen, um sie uns leisten zu können.

Ich möchte zur Verdeutlichung mit einer kurze Parabel abschließen:

Es war einmal ein junger Mann, der auszog, bei einem Weisen die Meditation zu erlernen. Er war auch recht erfolgreich und so erlaubte der Weise ihm zu gehen. Der junge Mann baute sich eine Hütte am Waldrand, weit abseits von jedem Dorf, und er gedachte hier die Meditation zu üben. Er war arm und führte ein bescheidenes Leben. Eines Tages bemerkte er eine schadhafte Stelle in seinem Hemd und er nähte sie. Doch am nächsten Tag fand er schon wieder ein Loch in seinem Hemd. Bald fand er heraus, dass nachts eine Maus an seinem Hemd nagte. Um das Problem zu lösen besorgte er sich eine Katze, die die Maus fangen sollte. Da die Katze aber noch jung war, brauchte sie täglich Milch. Anfangs ging er zum nächstgelegenen Dorf um nach Milch zu fragen. Da der Weg jedoch sehr weit war, wollte er nicht täglich gehen, denn eigentlich wollte er seine Zeit ja der Meditation widmen, also legte er sich eine Kuh zu. Allerdings brauchte die Kuh Gras zum Fressen. Er wandte eine Menge Zeit auf, Gras für die Kuh zu schneiden und er bemerkte, dass ihm immer weniger Zeit für die Meditation blieb. Daher stellte er eine Frau vom Dorf an, die das Gras für die Kuh besorgen sollte. Um sie zu bezahlen, bettelte er in den Dörfern um Geld, was ihn allerdings viel Zeit kostete. Da kam ihm die Idee, dies könne er sich sparen, wenn er die Frau heiratete. Die Ehe hatte jedoch erhebliche Folgekosten und so sah er sich gezwungen, einen kleinen Einzelhandelsladen zu eröffnen. Er kam nie wieder zum Meditieren.

Das Hemd in unserer Parabel ist eine Metapher für Technologie und andere Konsumgüter.
deutsch von Bert Brauns



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