Bedürfnisse


Ich habe Hunger.


Dieser Satz gibt Auskunft über ein Bedürfnis. Allerdings nur mittelbar. Unmittelbar wird ein Mangelgefühl benannt: Hunger.

Wir können feststellen:

Mangelgefühl
Hunger
Bedürfnis
essen
geeignetes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung
Brot (oder Schokolade)

Hier ein Beispiel für eine Liste die eine Schulklasse aufgestellt hat, die gebeten wurde eine Liste von Bedürfnissen zu benennen:

 
 
Kebab trinken Schlaf Toilette gehen rauchen
Sauerstoff lernen duschen Musik hören Auto fahren
Sex Kleidung Computerspiele ausgehen arbeiten
fernsehen Hobbies Spaß haben einkaufen  Basketball spielen
Süßigkeiten tanzen Schwimmbad gehen Zeitung lesen gähnen (?)
zum Friseur gehen Urlaub sich bedienen lassen Sport treiben Nase putzen
auf die Uhr gucken ausruhen sonnen telefoniereen reden
Internet weinen  lachen Gesundheit jemanden schlagen

Dabei sind nachträglich korrigiert worden, was eigentlich keine Bedürfnisse sondern Mangelgefühle sind (dünn gedruckt) und was Mittel zur Bedürfnisbefriedigung sind (kursiv). Anschließend wurden die Schüler aufgefordert, kleine Tabellen zu erarbeiten, in denen (wie in der oberen kleinen Tabelle) Mangelgefühle, Bedürfnisse und zur Bedürfnisbefriedigung geeignete Mittel gegenüber gestellt werden. Hier fünf Beispiele aus dieser Aufgabenbewältigung.

 
Mangelgefühl
Durst
Bedürfnis
Trinken
geeignetes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung
Wasser


 
Mangelgefühl
Langeweile
Bedürfnis
Unterhaltung
geeignetes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung
Computerspiel


 
Mangelgefühl
sexuelles Verlangen
Bedürfnis
sexuelle Befriedigung
geeignetes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung
Partner


 
Mangelgefühl
Einsamkeit
Bedürfnis
reden
geeignetes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung
Telefon


 
Mangelgefühl
verstopfte Nase
Bedürfnis
Nase putzen
geeignetes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung
Taschentuch

Dabei zeigt sich, dass es für jedes Bedürfnis verschiedene Mittel der Befriedigung gibt.

Manche Bedürfnisse müssen unbedingt befriedigt werden, sie sind lebensnotwendig. Wir müssen z.B. essen. Bei Mitteln die zur Befriedigung dieser Bedürfnisse dienen sprechen wir von Primärbedürfnissen (manchmal auch von Grund- oder Existenzbedürfnissen). Vier materielle Grundbedürfnisse kann man  in allen Gesellschaften feststellen, es sind dies

Um dem Mangelgefühl "Durst" begegnen zu können ist "Trinken" das geeignete Bedürfnis. Trinken wir Wasser (aus der Wasserleitung) so begegnen wir dabei einem Grundbedürfnis.

Die wenigsten Menschen geben sich allerdings heute mit einfachem Wasser aus der Wasserleitung zufrieden. Wir trinken Mineralwasser, Cola, Kaffee, Bier oder Wein. Befriedigen wir unsere Bedürfnisse auf diese Weise, so sprechen wir von Sekundärbedürfnissen. Auch diese können noch einmal unterschieden werden in Kulturbedürfnisse und Luxusbedürfnisse. Wenn ich Champagner gegen meinen Durst trinke, so handelt es sich um ein Luxusbedürfnis. Gier (übersteigertes Verlangen) ist die Grundlage für diese Art der Bedürfnisbefriedigung. Greife ich weder zum Leitungswasser noch zum Champagner, sondern zu Mineralwasser oder Apfelsaft, so sprechen wir nicht von Luxusbedürfnis sondern von einem Kulturbedürfnis. Auf einer bestimmten kulturellen Stufe (in der EU zu Beginn des 21. Jhd.) ist es üblich, das Bedürfnis so zu befriedigen. Nicht die Gier nach dem ganz besonderen, sondern das Verlangen, sein Bedürfnis kulturell normal zu befriedigen ist die Grundlage. Diese Einteilung ist nicht unveränderlich. Vielmehr ist Unbeständigkeit eine wesentliche Grundlage von allem, was existiert. So wäre vor 100 Jahren in der Arbeiterschaft Deutschlands die Bedürfnisbefriedigung mit Mineralwasser oder Apfelsaft als Luxus angesehen worden. In manchen Teilen der Welt gehört auch heute das Trinken von Leitungswasser noch nicht zu den Grundbedürfnissen. Dort wird vielfach noch Flusswasser getrunken. In Indien oder Afrika würde dies als Grundbedürfnis angesehen, das Trinken von Leitungswasser als Kulturbedürfnis und Cola als Luxusbedürfnis. Allerdings gibt es auch in Indien oder Afrika soziale Schichten, die eine ähnliche Bedürfnisstruktur haben, wie wir.

Bei allen solchen Einteilungen wie die in Grund-, Kultur- und Luxusbedürfnisse müssen wir also sehen, dass diese nur in einem bestimmten Umfeld und zu einer bestimmten Zeit gelten, ansonsten aber veränderlich sind.

Werbung und Enttäuschung.
Die Wirtschaft stellt den Menschen Güter zur Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung. In der heutigen Wirtschaft sind erheblich mehr Güter vorhanden, als den Primärbedürfnissen der Menschen entspricht. Daher versucht die Werbung in uns Verlangen, auch Gier zu erzeugen und so Sekundärbedürfnisse entstehen zu lassen. Die Werbung verspricht uns Befriedigung, nachdem sie erst das Verlangen in uns erzeugt hat. So wirbt z.B. eine Firma für weißen Rum mit fröhlichen, jungen Leuten am Strand in Badekleidung. Es wird den Menschen, die diese Werbung sehen, suggeriert, das bestimmte positiv besetzte Begriffe (Sommer, Sonne, Spaß, Urlaub, Freunde, Sex) etwas mit dem Produkt zu tun haben. In dem Kunden wird Verlangen nach Sommer, Sonne, Spaß, Urlaub, Freunden und Sex angestachelt und da er das Produkt "weißer Rum" damit gedanklich verbinden greift er das nächste Mal im Supermarkt nach diesem Rum. Vielleicht hofft er (unbewusst), demnächst Freunde einzuladen und all dieses in ihm entstandene Verlangen befriedigen zu können. Er wird feststellen, dass eine Menge von diesem Verlangen nicht befriedigt wurde. Die Party auf der Terrasse ist natürlich nicht die Südsee. Zwar hat es nicht geregnet, aber die Gäste sind in Jeans erschienen und nicht im Bikini, mit Sex war auch nichts und am nächsten morgen hatte er einen Kater. Selbstverständlich glaubt niemand bewusst wirklich, wenn ich nur weißen Rum kaufe erscheinen auf meiner Terrasse Palmen und Bikinimädchen, aber unterschwellig wurde dieses Verlangen angestiftet. Auf diese Art führt unsere Art des Wirtschaftens und der Werbung häufig zum genauen Gegenteil dessen, was sie uns suggeriert: zu Enttäuschung statt zur Bedürfnisbefriedigung.

Bedarf

Ein Teil unserer Bedürfnisse, vor allem die Luxusbedürfnisse, kann der Mensch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln (Geld) nicht befriedigen. Er kann sich vermutlich eine Flasche Weißen Rum kaufen, aber vielleicht keine Reise in die Karibik, keine Südseeinsel mit hübschen Bewohnerinnen und keine Hochseeyacht. Daher bietet ihm die Werbung ja den weißen Rum an und nicht die Yacht. Wir sprechen in der Wirtschaft nur dann von Bedarf, wenn es sich um eine am Markt tatsächlich auftretende Nachfrage handelt, also:

                         Bedarf = Bedürfnis + Kaufkraft.


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