So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Nalanda in
Pavarikas Mangohain auf. Zu dieser Zeit hielt sich auch der sogenannte
Furtbereiter der Jains, der Nacktasket Nataputta, den die Jains
Mahavira (großer Held) nennen, bei Nalanda auf. (Die von Nataputta - oder Mahavira - gelehrte Religion des Jainismus gibt es noch heute in Indien.
Außerhalb Indiens konnte sie jedoch, anders als der Buddhismus, niemals
Fuß fassen. Man nennt sie die "Nacktsaketen", weil Nattaputta einen
extremen Verzicht auf allen Luxus propagierte, u.a. auch auf Kleidung,
und daher nackt umherging, seine Mönche taten dies auch. Einer der
berühmtesten Aussprüche des Nataputta ist: Keine Gewalt - weder
gegen Menschen noch gegen Tiere, auch nicht gegen Pflanzen, nicht
einmal gegen Mineralien! Anmerkung von Horst)
Digha
Tapassi, einer dieser Nacktasketen, suchte den Buddha auf. Der Buddha
bot ihm einen Sitz an und - nach den üblichen Begrüßungsfloskeln - fragte er ihn: „Wie viele Arten der Handlung
beschreibt Nataputta, wenn es um üble Taten geht?“
„Freund
Gotama, bei uns gibt es drei Arten: das Handeln mit Körper, mit Rede
und mit Geist. Und wie lehrt ihr es, Freund Gotama?“
Der
Buddha antwortete: „Auch in meiner Lehre sind es drei Arten: das
Handeln mit Körper, mit Rede und mit Geist. Aber was lehrt Nataputta
als die verwerflichste davon?“
„Von
diesen drei Arten beschreibt Nataputta die körperliche Handlung als die
verwerflichste, nicht so sehr die sprachliche und die geistige. Und
wie ist das bei euch, Freund Gotama?“
Und
– vielleicht überraschender Weise – antwortete der Buddha: „Ich
beschreibe die geistige Handlung als die verwerflichste, nicht so sehr
die körperliche und die sprachliche Handlung.“
Nachdem
er das vernommen hatte und sich beim Buddha noch zweimal erkundigt
hatte, ob er sich da nicht verhört hätte, stand Digha Tapassi auf, ging
zu seinem
Meister und berichtete diesem von seiner Unterredung mit dem Erhabenen.
Dabei waren viele andere Menschen anwesend, unter anderem der
Haushälter
Upali, der einer der großzügigsten Unterstützer der Sekte der
Nacktasketen war. Upali sagte: „Was zählt die unbedeutende geistige
Handlung
schon im Vergleich zur körperlichen! Ich werde jetzt zu diesem Mönch
Gotama gehen und ihn auf der Grundlage dieser seiner Aussage
widerlegen.“ Dabei wurde er von Nataputta, dem Anführer der
Nacktsaketen, unterstützt.
Digha
Tapassi wandte dagegen ein, dass nicht Upali gehen solle, da der Buddha
ein bekannter Magier sei, der eine bekehrende Magie kenne und in der
Lage sei, seine Kritiker in Anhänger zu verwandeln, doch Nataputta ließ
diesen Einwand nicht gelten. Also
begab sich Upali zum Erhabenen, teilte ihm mit, dass er von seinem
Gespräch mit Digha Tapassi gehört habe und man kam überein, darüber
einen Disput zu führen.
Im
folgenden stellt der Buddha dem Haushalter eine ganze Reihe von Fragen,
die alle in die gleiche Richtung führen, so z. B. die folgende. (Anmerkung des Nacherzählers: Dazu
muss man jedoch zunächst wissen, dass die Nacktasketen, die Jains, einen
extremen Gewaltverzicht fordern, z. B. kehren sie den Weg vor ihren
Füßen, um sicherzustellen, dass sie kein Kleinstinsekt töten.)
Der Buddha fragt also: „Was
meinst du, Haushälter, da könnte ein Nacktasket Gehmeditation üben, und
trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kommt es dabei zur Tötung vieler kleiner
Insekten, Was hätte das für Folgen für ihn, auf der Basis der Regeln
der Jains, versteht sich?“
„Ehrwürdiger Herr, der Nacktasket Nataputta beschreibt das, was unbeabsichtigt geschieht, als nicht besonders verwerflich.“
„Ach so, Haushälter, und wie wäre es, wenn er das absichtlich getan hätte?“
„Dann ist es besonders verwerflich, ehrwürdiger Herr!“
„So
Haushälter, und unter welche der drei Gruppen fällt der Wille, die
Absicht? Unter körperliches, sprachliches oder geistiges Handeln.“
„Unter geistiges Handeln, ehrwürdiger Herr.“
„So,
Haushälter, das widerspricht aber eindeutig Nataputtas Aussage, dass
die körperliche Handlung verwerflicher sei als die geistige!“
So
ging es noch mit einer ganzen Reihe von Beispielen weiter, dann sagte
Upali: „Großartig, ehrwürdiger Herr, ich habe es eigentlich schon beim
ersten Beispiel eingesehen, aber es war einfach wunderbar, wie ihr eines
ums andere Male in zahlreichen Beispielen bewiesen habt, dass die
geistige Handlung die verwerflichste unter den dreien ist. Möge der
Erhabene mich von heute an als Laienanhänger, der für sein ganzes Leben
Zuflucht genommen hat, betrachten.“
„Nicht
so schnell, Haushälter, untersuche sorgfältig, bevor du Zuflucht
nimmst, ein kluger Mann wie du sollte sich genau umsehen, bevor er
irgendwo Zuflucht nimmt.“
„Ehrwürdiger
Herr, ich bin glücklich, dass ihr das sagt, denn das habe ich noch von
keinem religiösen Führer gehört, ich bitte trotzdem als Laienanhänger
angenommen zu werden.“
„Mein lieber Upali, deine Familie hat lange die Nacktasketen unterstützt, ich möchte, dass ihr ihnen weiter Almosen gebt.“
„Wunderbar,
Erhabener, wunderbar, so soll es geschehen, eure Güte ist
unübertroffen, aber bitte nehmt mich als Laienanhänger an.“
Der
Buddha erläuterte Upali jetzt die Grundlinien des Dharma, damit er sich
genau überlegen konnte, ob er wirklich Zuflucht nehmen möchte. Das
wollte er, und er wurde als Laienanhänger aufgenommen. Während der
Belehrungen des Buddha soll er außerdem den Stromeintritt erreicht haben.
Dann
nahm Upali Abschied vom Buddha und ging nach Hause. Dort wies er seinen
Torwächter an: „Von heute an ist das Betreten meines Anwesens den
Nacktasketen verboten, stattdessen haben jetzt die Bhikkhus und
Bhikkhunis sowie die Laienanhängerinnen und Laienanhänger des Buddha
Zutritt. Frage aber die Nacktasketen und ihre Anhänger, wenn einer von ihnen kommen sollte, ob sie Almosen
benötigen, dann würde man ihnen etwas ans Tor bringen.“
Als
Digha Tapassi hörte, was vorgefallen war lief er zu seinem Chef
Nataputta und rief: „Der Haushälter Upali ist in die Schülerschaft des
Mönchs Gotama übergetreten!“ Dieser wollte das zunächst nicht glauben,
und schickte Digha Tapassi weg, um Näheres herauszufinden. Der ging zum
Anwesen des Haushälters Upali, wo ihm der Torwächter mitteilte,
Nacktasketen hätten jetzt keinen Zutritt mehr, aber wenn er Almosen
brauchte, solle er etwas warten, dann würde man ihm es bringen.
„Ich
brauch` keine Almosen!“ schrie Digha Tapassi und eilte zurück zu
Nataputta, um Bericht zu erstatten. Der wollte es zwar immer noch nicht
glauben, rief dann jedoch alle erreichbaren Nacktasketen zusammen und
sie zogen zum Anwesen Upalis.
Dort
ging es ihnen wie zuvor Digha Tapassi, aber Nataputta sagte:
„Torwächter, geh zu deinem Herrn und sage ihm, Nataputta selbst steht hier mit
zahlreichen Anhängern, er wünscht dich zu sehen.“ Der Torwächter tat, wie ihm aufgetragen wurde.
Als Upali von der Ankunft der Nacktasketen hörte,
sagte dem Torwächter, er solle die mittlere Eingangshalle mit
Sitzplätzen ausstatten. Dann nahm er, Upali, selbst den höchsten und
vornehmsten Sitzplatz ein und sagte: „So Torwächter, jetzt kannst du
die Nacktasketen einlassen.“ Das war natürlich nicht nur gegen alle
Etikette, sondern stand auch in diametralem Gegensatz zu seinem früher
unterwürfigen Verhalten gegenüber Nataputta, der immerhin ein ähnlich
angesehener Religionsstifter war wie der Buddha.
Nataputta
war außer sich: „Haushälter, du bist offensichtlich verrückt geworden.
Du wolltest die Lehre des Mönchs Gotama widerlegen und nun hast du dich
in dessen Lehrmeinung verfangen. Du bist ganz eindeutig vom Mönch
Gotama mit einer bekehrenden Magie verhext worden.“
Upali entgegnete, indem er sich auf seinen Stromeintritt bezog:
„Glücksverheißend ist jene bekehrende Magie. Ehrwürdiger Herr, ich würde
mich glücklich schätzen, wenn alle meine Familienmitglieder auch von
dieser Bekehrung erfasst würden. Herrlich wäre es, wenn alle Adligen
von diese Bekehrung erfasst würden, wenn alle Händler davon erfasst
würden, wenn alle Arbeiter davon erfasst würden!
Dann stand er auf und sang eine Lobeshymne auf den Buddha, hier nur die letzte Strophe daraus:
Getilgt hat er´s Begehren, wurde der Erleuchtete,
Vertrieben hat er alle Wolken, völlig fleckenlos,
Am allermeisten wert der Gaben, mächtig wie ein Gott,
Vollkomenster der Menschen, greifbar nicht durch Urteilskraft;
In Herrlichkeit der Größte, Ruhmesgipfel schon erreicht;
Man nennt ihn den Erhabenen, und sein Schüler bin ich jetzt!