Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 19 letztmals bearbeitet am 15.09.2025
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- Große Erfolge ... und dann die Krise
Am nächsten Tag fand erstmals das kleine Kolloquium für die Siedler statt. Yuva, Anups Tochter, hatte das hl. Paar gefragt, ob sie auch daran teilnehmen dürfe, die Genehmigung ihres Vaters habe sie. Yuz war zwar nicht allzu begeistert davon, wenn eine zweite Frau neben Amita mehr Einfluss gewönne, andererseits hatte er festgestellt, dass zwei Personen verschiedenen Geschlechts sich beim Unterrichten durchaus sinnvoll ergänzen können, und Amita würde sicher nachwuchsbedingt demnächst etwas zurücktreten müssen. Amita aber hatte noch eine andere Vermutung, warum Yuva häufiger mit den Siedlern zusammen sein wollte, und sie sollte Recht behalten!
Als Amita und Yuz eintrafen, schnitzte Yuva an der großen Buddha-Figur, die noch nicht sehr nach einem Buddha aussah, aber man konnte schon ahnen, dass es sich um eine mit verschränkten Beinen sitzende Person handeln würde. Vor dem Schrein saß – ebenfalls mit verschränkten Beinen – Kalenian und spielte auf einer Laute eine Melodie, die Yuz bekannt vorkam, die er früher in Pataliputra schon einmal gehört hatte.
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor”, sagte er.
„Ja, es ist eine sehr beliebte Weise, es ist ein Lied, in dem es darum geht, dass ein junger Mann seine künftige Frau so sehr liebt, dass er sie anbetet wie eine Göttin”, erklärte Kalenian.
„Und es ist wunderschön”, seufzte Yuva.
Amita sah sich in ihrer Vermutung bestätigt, das Yuva in dem Lautenspieler mehr sah, als einen musikalischen Siedler. Ihr kam eine Idee: „Was haltet denn ihr beide davon, wenn ihr dazu einen neuen Text macht. Zum Beispiel einen, der tatsächlich eine göttliche Gestalt verehrt, zum Beispiel Tara?”
Yuva war sofort Feuer und Flamme: „Du meinst einen Text der am Rande ihre Schönheit beschreibt, aber dabei immer auf ihre hervorragenden Eigenschaften, die von mitfühlender Liebe geprägt sind, anspielt. Das wäre eine tolle Aufgabe - für uns beide.”
„Ich kann auch noch andere Lieder spielen”, verkündete Kalenian nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme und vermutlich auch mit dem Hintergedanken, Yuva zu beeindrucken. „Wenn unser erster Tara-Song gut ankommt, könnten wir auch andere Lieder umtexten. Außerdem habe ich auch schon einige einfache Lieder selbst komponiert.”
Amita nickte: „Gute Idee. Ihr solltet euch aber erst einmal ganz besonders auf diesen Tara-Song konzentrieren. Wenn ihr euch also abends nach getaner Arbeit zusammensetzt, vielleicht unten am See, da ist es jetzt abends schon recht mild, könntet ihr es möglicherweise schaffen, bereits am nächsten Uposatha den Song zu präsentieren. Und wenn der richtig gut ankommt, könnte ich mir vorstellen, dass Kalenian abends künftig eine Stunde früher von der Arbeit freigestellt wird und ihr gemeinsam an neuen Texten oder neuen Melodien arbeitet.”
Amita hatte das formuliert, was Yuva ansatzweise in ihren kühnsten Träumen schon erhofft hatte, aber nie zu sagen gewagt hätte: „Das ist eine hervorragende Idee, was Kalenian, das machen wir!” Der war genauso begeistert: „Wir beide werden das musische Traum-Duo des Kaschmirtals!”
Yuz holte die beiden wieder in die Realität zurück: „Bevor ihr musische Heldentaten vollbringt, wartet aber jetzt erst einmal unser Kolloquium.”
Und wie nicht anders zu erwarten war, wurde auch hier mit den fundamentalsten Grundlagen jeder Religion begonnen, den ethischen Vorsätzen. Yuz sah sich kurz um, er hatte eine Idee, wie er Yuva aus dem siebten Himmel, in dem sie sich gerade mental befand, wieder in die Realität zurückholen konnte, ohne dass dies ein Bruch mit ihrem derzeit wichtigsten Thema darstellte: „Durch alle unsere Grundsätze, es sind nur fünf an der Zahl, zieht sich ein grundlegender Gedanke, der von Freundlichkeit, von Güte, ja von Liebe. Daher werden euch diese Vorsätze heute von einer jungen Expertin für Freundlichkeit, für Güte, ja: für Liebe vorgestellt, von Yuva!”
Die bekam einen roten Kopf, es war klar, worauf Yuz angespielt hatte, als er sie als Expertin für Liebe angepriesen hatte, aber sie fing sich schnell wieder, und noch bevor sie die fünf Grundsätze fertig rezitiert hatte, war sie wieder in ihren engagierten und feinfühligen Ton zurückgekehrt.
„Dies sind unsere fünf Vorsätze:
Sei freundlich und hilfsbereit zu jedem, verletze oder töte kein lebendes Wesen.
Sei großzügig! Gib von dem, was du hast, an Bedürftige. Nimm nichts, was dir nicht gegeben wurde.
Sei achtsam, worauf du deine Sinne richtest, vermeide alles, was Verlangen (Gier) und Abneigung (Hass) steigert, oder was den Geist verwirrt.
Deine Rede sei wahrhaftig, freundlich, hilfreich und harmoniefördernd.
Handle stets so, wie du möchtest, dass auch die anderen handeln.
Sie wiederholte dann jeden einzelnen und erläuterte ihn näher, sie leitete praktisch dieses erste kleine Kolloquium selbständig. Nach jeder dieser einzelnen Erläuterung bat sie um Fragen, Anregungen und Ergänzungen. Gerade die Tatsache, dass da kein älterer, ganz erfahrener Lehrer vorne stand und dozierte, machte es möglich, dass alle diese jungen Siedlerinnen und Siedler angstfrei und ohne irgend welche falsche Scham ihre Fragen, aber auch ihre Bedenken vortrugen. Und nach jeder Frage ließ Yuva erst einmal andere Siedler ihre Meinung oder ihre Antwort dazu vortragen. Nur wenn sich etwas in die falsche Richtung entwickelte, gab sie selbst Anregungen, manchmal auch Yuz oder Amita.
Die war ganz froh, wie alles lief und sagte nach der Veranstaltung zu Yuz: „Es könnte derzeit nicht besser laufen. Ich denke, wir beide können uns auf die wichtigsten Dinge konzentrieren. Wir haben einige wirklich schlaue Köpfe und engagierte Herzen in unserer Sangha. Als ich aus dem Kloster wegging, um dich zu treffen, war ich nicht sicher, wohin dies führt. Der derzeitige Stand der Entwicklung ist, dass es wesentlich besser läuft nicht nur, als ich es erwartet hätte, sondern sogar besser als ich es mir je hätte vorstellen können.”
„Wenn ich solche Jünger in Galiläa gehabt hätte”, seufzte Yuz und blickte dabei nach oben, sodass Amita unwillkürlich denken musste, das Yuz Abba persönlich dafür verantwortlich macht. Sie schalt sich aber gleich wieder dafür, denn sie wusste, dass Yuz´ Gotteskonzept im Wandeln begriffen war.
Nach dem kleinen Kolloquium begaben sich fast alle ins Haus der hl. Familie um bei einem Stück Obst oder einem Becher Wasser oder Tee noch über die ethischen Regeln weiter zu diskutieren. Nur zwei von ihnen waren ans Seeufer gegangen und dichteten einen Text zu Lautenklängen.
Der nächste Tag war der erste Arbeitstag der Siedler. Yuz war mit den Siedlern zum nahem Wald gegangen, und suchte passende Bäume für die Baumaßnahmen aus.
„Eins muss euch klar sein, Männer, was wir jetzt bauen ist nicht für die Ewigkeit, wir werden zwar mindestens die drei Einfamilienhäuser bis zum Herbst fertig errichtet haben, aber das Holz ist noch nicht abgelagert, das heißt es wird sich bald verziehen. Sowie alle Baumaßnahmen beendet sind, muss damit begonnen werden, weitere Bäume zu fällen und zu lagern, damit wir dann, wenn die Häuser, die wir jetzt bauen, Probleme bekommen, sukzessive die tragenden Elemente austauschen können.”
„Wann wird der Austausch sein müssen”, fragte Teja.
Yuz wiegte den Kopf hin und her: „Das Bauholz sollte mindestens fünf Jahre unter guten Bedingungen gelagert sein. Wir werden also immer nur dann etwas ersetzen, wenn es nötig ist. Mit der Generalsanierung können wir frühestens in sechs Jahren beginnen. Aber darüber sollten wir uns jetzt keinen Kopf machen. Ich habe das nur gesagt, damit ihr nicht glaubt, ihr baut ein Haus und das ist dann für den ganzen Rest eures Lebens, alles klar? So seht ihr diesen Baum hier? Den nehmen wir, fünf Männer bleiben hier: absägen, Äste abmachen, wenn ihr fertig seid, bringt ihn zum Bauplatz. Die andern kommen mit mir.”
Der Vormittag verlief wie geplant, die Holzfällarbeiten machten gute Fortschritte. Alle trafen sich dann zum warmen Mittagessen und es sah ganz so aus, als wollte sich gerade eine Routine einstellen. Die Männer aßen im Sitzen vor dem Haus der hl. Familie, als einer sagte: „Da ist doch etwas, dahinten auf dem Fernweg.” Jetzt sahen es auch die anderen.
Teja frohlockte: „Das ging rasch, die Karawane meines Vaters ist im Anmarsch!” Er eilte zusammen mit Mohana ihrem Vater entgegen. Damit war der Arbeitstag beendet, denn die Karawane brachte unter anderem für jeden persönliche Gegenstände mit. Da die Pilger bei ihrem Marsch hierher fast ohne Gepäck gekommen war, brachte die Karawane insbesondere für die Paare alles, was für den jungen Hausstand gebraucht wurde, für die Einzelpersonen zumindest einige Kleidungsstücke und meist auch ein paar persönliche Gegenstände. Das alles musste den jeweiligen Besitzern zugeordnet werden, die Männer von der Karawane wurden jetzt auch verköstigt, die Lebensmittel wurden zum Teil im Haus der hl. Familie eingelagert, teilweise auch im Herrenhaus, wohin sich jetzt Śiva, Amita, Yuz, Teja, Lalita und Mohana begaben.
Selbstverständlich waren insbesondere Teja und Mohana begeistert ihren Vater wiederzusehen. „Was ist eigentlich mit eurer Mutter?”, fragte Amita Mohana.
„Die ist schon vor vielen Jahren gestorben, Kindbettfieber. Śiva hat dann erneut geheiratet und auch drei Kinder von seiner jetzigen Frau, aber wir haben keine enge Beziehung zu ihr.”
Teja erläuterte seinem Vater, welche Wekzeuge benötigt wurden, und der notierte alles auf einer Wachstafel. Dann gingen Jagan und Śiva in die Lagerhalle und begutachteten, welche landwirtschaftlichen Produkte und Felle Śiva erhalten sollte, lediglich für die wertmäßige Differenz wurde eine Ausgleichszahlung gegeben. Jagan betrachtete mit besonderer Sorge die beiden großen Schnapsamphoren, die Sita bei Śiva bestellt hatte, denn damit hatte sie früher schon einmal ein Problem gehabt. Leider konnte er ihr da nichts vorschreiben, denn sie war ja die Herrin und er nur eingeheiratet. Er hoffte nur, dass jetzt nicht wieder alles von vorn anfing.
Die Karawane lagert eine Nacht dort, wo die Bauplätze waren, am nächsten Tag brach sie wieder auf. Yuz und Amita verabschiedeten sich von Śiva. Der sagte: „Tut mir leid, dass das mit dem Werkzeug nicht so schnell geht, wie ihr euch das erhofft habt, aber ich komme frühestens in einem Monat wieder hierher, eher in zwei. Es kann aber sein, dass ich schon vorher einen Eselstreiber mit den Geräten herschicken kann, das kann ich aber nicht versprechen, zumal ich die Werkzeuge auch erst einkaufen muss. Aber wenn ich wieder herkomme, werde ich schauen, dass ich ein paar Tage bei euch sein kann, am besten über Uposatha!”
Die andern Siedler hatten sich schon beim Frühstück von Śiva verabschiedet. Sie hatten sich inzwischen die Arbeit so eingeteilt, dass jeweils ein Trupp mit einer Axt und der großen Säge Bäume fällte, ein weiter die Äste und Zweige entfernte, ein Trupp transportierte die Stämme mit einem Pferd zur Baustelle, wo der vierte Truppe die Teile bearbeitete. Der Rest der Woche verlief mehr oder weniger planmäßig, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als Sita ziemlich angetrunken zum Kolloquium im Herrenhaus erschien. Jagan war das ebenso peinlich wie ihren Kindern.
Raj schien offensichtlich darauf anzuspielen, als er Yuz bat, das Karma-Gesetz zu erklären. Der nahm den Ball gern auf: „Karma heißt handeln. Jedes Handeln hat Folgen. Wenn ich einen Tonkrug fallen lasse, wird er zerbrechen. Das ist die logische Folge davon, dass Tonkrüge zerbrechlich sind, dass ich ihn fallen ließ und dass der Boden aus Stein war. Das sind Folgen von Handeln. Und dieses Gesetz, dass Handeln Folgen hat, gilt auch im ethischen Bereich. Nehmen wir an, du Raj bist sehr wütend und schlägst deine Geschwister, das hat Folgen: deine Geschwister sind traurig, sie werden wütend auf dich und vielleicht bestraft dich auch dein Vater. Es gibt aber noch etwas Anderes, etwas tiefer Gehendes. Wenn du das öfter machst, werden dir deine Geschwister nicht mehr vertrauen, sie werden dich meiden, du wirst einsam. Und dein Handeln wirkt auch auf dich: es entwickelt sich ein Muster, nämlich das Muster, Probleme mit Gewalt zu lösen. Das wird dich früher oder später einholen, du wirst auf andere treffen, die auch Probleme mit Gewalt lösen. Vielleicht wirst du hingerichtet, weil du ein Gewalttäter bist. Solltest du ein Herrscher sein, bedeutet dieser Gewaltansatz Krieg, das hat Auswirkungen auf dich und andere.
Obwohl ich selbst gewaltlos in Taten bin, habe ich oft andere durch meine Worte verletzt. Das hat dazu geführt, dass ich zweimal zum Tode verurteilt wurde, einmal gar gekreuzigt wurde. Zum Glück hatte ich mir zuvor auch eine ganze Menge gutes Karma gemacht, sodass ich entkommen konnte.
Kurz: das Karma-Gesetz besagt, dass Hass zu Hass führt und Liebe zu Liebe. Jede Handlung hat Folgen, von denen ein Teil den Verursacher trifft. Dann sagt man: das ist das negative Karma, das er sich gemacht hat, jetzt muss er Karma Vipaka erdulden, er erntet die Früchte seines Handelns.”
Shanti fragte nach: „Und was ist, wenn ich im Garten entlang gehe und trete auf einen Käfer, der unter einem Blatt liegt, habe ich mir dann auch negatives Karma gemacht?”
Amita lächelte: „Nein, hast du nicht, das gilt nur für willentliche Handlungen. Hättest du also absichtlich auf den Käfer getreten, dann hättest du dir schlechtes Karma gemacht.”
Raj harkte nach: „Was ist denn, wenn ich von dem Schnaps meiner Mutter getrunken hätte, und danach den Shanti verprügele, weil ich nicht mehr genau wusste, was ich mache, wäre es dann absichtliches Handeln oder nicht. Ich hatte doch eigentlich gar keinen freien Willen mehr, um eine willentliche Handlung auszuführen?”
„Eine sehr kluge Frage Raj”, übernahm jetzt Amita die Gesprächsführung, „ab welchem Augenblick, warst du willensunfähig, warst du nicht mehr Herr deines Handelns?”
„Nun ja, nachdem ich den vielen Schnaps getrunken hatte.”
„Gut, Raj, und was war vorher, als du dich entschieden hattest, Schaps zu trinken?”
„Da ich wusste, dass viele Menschen, wenn sie Schnaps getrunken haben, nicht mehr Herr ihres Willens sind, und ich diese Situation bewusst herbeigeführt habe, habe ich willentlich in Kauf genommen, anderen zu schaden.”
„Ausgezeichnet Raj, und nun bewerte das im Lichte des Karma-Gesetzes.”
„Wer, obwohl er weiß oder vermuten kann, dass das Schnapstrinken bei ihm zu Bewusstseinstrübungen führen kann, die eine freie Willensentscheidung mindestens trüben, evtl. sogar ausschließen kann, Schnaps trinkt, nimmt etwaige negative karmische Auswirkungen billigend in Kauf.”
„Sehr gut, ganz prima, das hätte ein Rechtsgelehrter nicht eleganter ausdrücken können.”
Sita, die das Gespräch argwöhnig verfolgt hatte, schaute aggressiv auf ihren Sohn: „Das richtet sich doch gegen mich, du undankbarer Kerl. Niemals, nie und nimmer mache ich, egal wieviel Schnaps ich getrunken habe, etwas Schlechtes. Du aber greifst mich an, du verleumdest mich, du bist ein undankbarer Kerl! Offensichtlich hat dich das ganze Karma-Gequatsche gegen mich aufgebracht. So und jetzt ist Schluss! Weg mit euch, weg mit euch allen! Ich empfange euch in meinem Haus – und was macht ihr, ihr hackt auf mir rum! RAUS!”
Shanti weinte, sie sah ihre Mutter entgeistert an: „Bist das noch du, Mutter, oder ist das etwa wieder...” Da traf sie Sitas Schlag ins Gesicht. Jagan, nahm seine Tochter und lief mit ihr die Treppe herunter, die anderen beiden Kinder brachten sich selbst in Sicherheit. Alle verließen verstört das Haus.
„Bis gestern schien alles in schöner Ordnung und jetzt das”, sagte Yuva. Sonst sagte niemand etwas. Amita und Yuz ließen sich auf der Bank vor ihrem Haus nieder.
Amita war ganz entgeistert: „Ich fürchte, ich habe einen großen Teil der Schuld, ich muss die Situation falsch eingeschätzt haben. Ich hätte Raj nicht so loben dürfen, dadurch hat sie sich in die Ecke gedrängt gefühlt.”
Yuz schüttelte den Kopf: „Es war als hätte der Dämon wieder Besitz von ihr ergriffen!” Er dachte nach: „Das mit den Dämonen ist auch eine Sichtweise. Ich versuche gerade sie mit dem Karma-Gesetz in Einklang zu bringen.”
Amita ging drauf ein: „Ich bin überzeugt vom Karma-Gesetz. Wenn jemand in aller Regel karmisch heilsame Entscheidungen trifft, dürfte er kein Einfallstor für einen Dämon haben.”
„Das bedeutet doch, meine Liebe, dass es für einen Fall von Besessenheit zwei Auslöser gibt: die eigene karmische Unreinheit, die eine Einladung an den Dämon ist, sich einnisten, und den Dämon, der von außen kommt.”
„Ja, das ist eine mögliche Erklärung, Yuz, eine zweite ist, dass es gar keinen äußeren Dämon gab. Die eigene karmische Unreinheit hat das Bewusstsein so stark in Griff gehabt, die Bosheit, die Hinterlist, die Heimtücke, dass er von Dritten für Besessen gehalten wird.”
„Dann hätte aber meine Dämonenaustreibung nicht funktionieren dürfen.”
„Vielleicht doch. Keiner ist ja nur böse. Deine kraftvolle Intervention könnte dazu geführt haben, dass die gute Kräfte, die es auch in Sita gibt, die Chance bekommen haben, sich durchzusetzen. Sita konnte alles auf den Dämon schieben und dann die liebe Sita spielen. Der Alkohol hat dann zu Kontrollverlust geführt und die andere Seite wieder überhand nehmen lassen.”
„Jetzt haben wir zwei Modelle: das Nur-Karma-Modell und das Dämon-und-Karma-Modell, welches ist richtig?”
„Ist eigentlich egal, wenn ich an meinem Karma arbeite, ist das gut, und wenn es äußere Dämonen gibt, lade ich sie nicht ein, sondern bin eine feste Burg gegenüber ihnen. In jedem Fall ist es günstig sich gutes Karma zu verschaffen und schlechtes zu meiden.”
„Ja und für mein Unfeld ist es auch gut.”
Das klingt jetzt ziemlich nach einem happy-end, aber....
Was blieb war die Tatsache, dass Sita wütend war, dass diese Wut dazu führte, dass sie noch mehr trank, dass es zu Kontrollverlust kam und ...
Und sie war die Herrin, ihr gehörte das Land, das Herrenhaus, es waren ihre Arbeiter, die die Sangha bildeten. Sie konnte ihnen das verbieten, sie konnte die Veranstaltungen in der Versammlungshalle verbieten, das Kolloquium – das ja Sitas Idee war – war vermutlich zu Ende.
In dieser Nacht konnte Amita nicht einschlafen. Sie machte sich große Verwürfe, sie, die sonst so überlegt war, die sich in andere herein versetzen konnte, sie, die Meisterin des Perspektivwechselns. Warum nur hatte sie dies nicht bemerkt? Die einzige Antwort, die ihr dazu einfiel, war, dass sie keinerlei Erfahrung mit Betrunkenen hatte. Aber war das nicht nur eine Ausrede? Obwohl sie wusste, das Selbstvorwürfe jetzt das Falscheste war, etwas, dass mit Sicherheit nicht weiterhalf, machte sie sich welche.
Yuz versuchte sie zu trösten, aber das half nicht, jedenfalls ihr nicht. Für Yuz war es etwas Neues, sie als nicht vollkommen anzusehen. Seit ihrer ersten Begegnung hier im Kaschmirtal hatte er sie als überlegen empfunden, manchmal gar vermutete er, sie sei eine Arahant, eine Heilige, eine Vollendete.
Er selbst hatte sich während ihrer Darlegungen im Kolloquium gefragt, ob sie nicht überzöge, ob sie nicht eine offensichtlich nicht ganz zurechnungsfähige Person unnötig provoziere. Er war sich sicher, dass sie, hätte er so auf Amita Einfluss genommen, sie relativierend eingegriffen hätte. Und er fragte sich jetzt im Nachhinein, ob er das nicht auch hätte tun sollen. Vermutlich hatte er es nur nicht für nötig empfunden, weil er irgendwie an ihre Vollkommenheit glaubte. Jetzt aber konnte er sich ihr wieder als gleichwertig empfinden, was eine gewisse Genugtuung in ihm ausloste, derer er sich aber schämte.
Irgendwann
schlief
Amita aber doch in seinen Armen
ein. Es war allerdings kein ruhiger Schlaf, immer wieder
schreckte sie auf und weckte damit auch ihn. Die Sonne war
noch nicht aufgegangen, da stand sie auf und ging langsam
auf und ab, ihre Hände lagen auf dem Bauch.
Yuz wachte auch auf: „Was ist mit dir, Liebes?”
„Ich fürchte, die Wehen haben vorzeitig eingesetzt.”
„Das Kind soll doch erst nächsten Monat kommen.”
„Vielleicht war die Aufregung zu groß. Ich versuche mich zu beruhigen – und das Kleine auch. Vielleicht gelingt es ja.”
Jetzt konnte auch Yuz nicht mehr schlafen: „Wie kann ich dir helfen, mein Schatz?”
„Ich weiß nicht... Nimm mich vielleicht einfach mal in den Arm.”
Er tat es und flüsterte ihr Zärtlichkeiten zu, wie sehr er sie liebe und wie er sich aufs Kind freue. Er versuchte sie von den Vorkommnissen des Tages abzulenken, aber es gelang ihm nicht. Sie waren zwar außerhalb des Hauses, aber als es dämmerte kam auch Ajala zu ihnen: „Stimmt etwas nicht?”
„Amita hat wohl Wehen, sie hat sich gestern über etwas sehr aufgeregt, das scheint sie ausgelöst zu haben.”
„Verstehe, das war bei einem meiner Kinder auch. Es kam einen Monat zu früh und war bei der Geburt etwas leichter und kleiner als die anderen, hat sich dann aber ganz normal entwickelt.”
Das tröstete Amita etwas und sie fragte: „Du hast mehrere Geburten gehabt, kannst du mich während des Geburtsprozesses betreuen?”
„Aber selbstverständlich, Amita. Ich habe auch schon mit Reena gesprochen, sie ist zwar noch sehr jung, hat ihrer Mutter aber schon bei zwei Geburten geholfen. Beim zweiten Mal waren alle anderen außer Haus und sie war die einzige, die ihrer Mutter beistehen konnte. Ich bin ganz sicher, dass wir das Kleine sicher auf die Welt bringen, sicher für Mutter und Kind.”
„Sagt mir, wie ich euch helfen kann”, bat Yuz.
„Das machen wir, Yuz, das Wichtigste, was du machen kannst, ist sie festzuhalten, bei ihr zu sein, ihr Zuversicht, Vertrauen und Mut zu geben. Ihr braucht beide keine Angst zu haben, wir sind bei euch.”
Als die Wehen eine Pause einlegten, nutzte Amita die Gelegenheit für ein Gebet zur Grünen Tara, die sie als eine Art persönliche Schutzgöttin betrachtete. Obwohl sie genau wusste, dass das Bild, das sie sich von Tara machte, eine Projektion ihres Geistes war, war sie jetzt sehr glücklich, eine scheinbar weibliche transzendente Ansprechpartnerin zu haben. Am Nachmittag kamen die Wehen dann in immer kürzeren Abständen und Reena sagte: „Lass uns ins Haus gehen, eine gewisse Abgeschiedenheit ist jetzt wichtig.” Sie folgten ihrer Empfehlung.
Noch bevor die Sonne unterging, war die Geburt völlig komplikationsfrei erfolgt. Reena hat das kleine Mädchen, nachdem sie es abgenabelt und die Wunde verbunden hatte, der Mutter gegeben, und die hielt jetzt das kleine, erschöpfte Wesen auf ihrem Körper. Da es jetzt im April noch sehr frisch war, war das nackte kleine Menschlein mit einem Schafsfell bedeckt, als es sich an seine Mutter schmiegte. Amita lächelte ihren Mann glücklich an: „Ich möchte es Taracitta1 nennen.”
Yuz hatte Freudentränen in den Augen: „Einen schöneren Namen hättest du dir nicht ausdenken können. Amita, Taracitta und ich – wir sind jetzt eine Familie. Als ich in Galiläa war, hatte ich nie gedacht, einmal Familienvater zu werden. Aber es fühlt sich prächtig an.”
„Und ich bin so froh, dass ich Ajala, Reena und dich, Yuz, zur Seite hatte, das hat mir die Angst genommen und Zuversicht gegeben, ich danke euch allen dreien von ganzen Herzen, ihr seid wahre Freunde!”
Und obwohl jetzt alle glücklich waren, war ihnen doch im Hintergrund klar, dass ein Damoklesschwert über ihnen schwebte: Rita, die Herrin des Landes, mit ihrer unberechenbaren Wut. Wohin diese Wut führte, sollte sich bereits in den nächsten Tagen erweisen.
An diesem Abend, an dem das Kind geboren wurde, versäumten Amita, Yuz, Reena und Alaya natürlich die Abendandacht, die wie selbstverständlich von Yuva geleitet wurde. An diesem Abend wurde erstmals das Tara-Lied bei einer Abendandacht von Yuva gesungen und von Kalenian auf der Laute begleitet. Alle waren so gerührt davon, dass sie Yuva und Kalenian baten, dies künftig jeden Abend zu machen. Kalenian sagte: „Wir sollten das erst einmal einige Zeit so machen, aber Yuva und ich arbeiten auch noch an weiteren Songs.”
Das wurde freudig aufgenommen. - Doch in diesem Moment öffnete sich die Tür und Raj trat ein. Erst jetzt fiel den meisten auf, dass Raj bei der Andacht gefehlt hatte. Er flüsterte Yuva etwas ins Ohr. Sie nickte und sagte: „Raj hat etwas Wichtiges zu verkünden!”
In diesem Moment breitete sich lähmendes Entsetzen aus. Raj war schließlich Sitas Sohn, ihr Erstgeborener und demnach später einmal ihr Herr. Sie fürchteten die Rache Sitas, denn der Zwischenfall vom Abend zuvor war natürlich das Tagesgespräch gewesen. Raj sah die entsetzten Gesichter, hörte das ängstliche Gemurmel im Raum, winkte aber mit der Hand ab, als wieder Ruhe eingekehrt war, rief er: „Fürchtet euch nicht! Seht nur, ich verkünde euch große Freude, die unserer Sangha widerfahren ist, denn es ist ein Kind geboren, von unserer Amita, ein Kind, welches den Namen Taracitta tragen wird.”
Jetzt war der Jubel allenthalben groß, aber Raj hob nach einigen Augenblicken erneut die Hände. Als sich die Leute etwas beruhigt hatten und wieder in der Lage waren ihm zuzuhören, sagte Raj: „Was könnte ein schöneres Geburtstagsgeschenk für die hl. Familie sein, als wenn wir jetzt gemeinsam vor deren Haus zögen und das Tara-Lied für Taracitta, Amita und Yuz sängen?!”
Es erklang ein lauter Applaus, dann gingen alle gemeinsam zum Haus der heiligen Familie. Als sie vor diese angekommen waren, sagte Raj: „Ihr wartet hier draußen. Yuva, Kalenian und ich gehen hinein. Wenn Kalenian zu spielen anfängt singt ihr möglichst alle, soweit ihr den Text beherrscht, mit.”
Dann gingen die drei hinein. Sie fanden Amita im Bett, ihr zur Seite saß Yuz, während Ajala und Reena dabei waren aufzuräumen.
Raj ergriff das Wort: „Wir sind gekommen, um euch für alles zu danken, was ihr bisher für uns getan habt – und natürlich um euch zu dem wunderbaren Kind zu beglückwünschen und um Taracitta mit einem Ständchen das Beste für ihr ganzes Leben zu wünschen.”
Und dann begann Kalenian die Laute zu spielen und Yuva sang mit ihrer kräftigen Stimme, unterstützt von einem Großen Chor von draußen:
Verehrung für Tara(citta), den Mitternachtsstern
Herz aus Mitgefühl,
Gedanken an ein Selbst
steigen in dir nie auf;
ganz dem Wohl der Welt verpflichtet,
ermutigst du deine Anhänger,
allen Wesen zu dienen,
als Ausdruck ihrer Liebe zu dir.
So bringe ich aus Hingabe zu dir
allen Wesen die Früchte deines Herzens dar:
Jedem einzelnen Wesen schenke ich
unaufhörlich kühle Seen und Flüsse,
damit sie in deinem Mitgefühl baden können;
labende Speisen und Getränke,
damit dein Mitgefühl sie nährt;
Sonne, Mond und Sterne,
damit dein Mitgefühl sie entfacht;
köstlich duftende Brisen,
damit sie dein Mitgefühl atmen können;
Vogelgezwitscher und schöne Klänge,
damit dein Mitgefühl ihren Herz-Geist2 erfüllt.
Alle waren zu Tränen gerührt. Zum Abschied sagte Raj zu Amita: „Hab keine Angst vor Sita, ich werde immer auf deiner Seite sein!” Amita richtete sich auf und umarmte ihn.
Yuz nahm ihr jetzt den Säugling ab, wickelte ihn in Tücher und brachte ihn nach draußen, um ihn der Sangha zu zeigen: „Das ist Taracitta, möge Taras Geist allzeit über unserer Sangha schweben.” (Und er verkniff sich sogar in diesem Zusammenhang sogar auf Abba zu verweisen, obwohl ihn zunächst dieser Gedanke gekommen war.)
So verklang ein Tag, der mit großem Kummer und Sorgen begonnen hatte, mit Zuversicht. Und das, obwohl allen natürlich klar war, dass sie jetzt zwar Raj auf ihrer Seite hatten, einen inzwischen vierzehnjährigen Jüngling – aber was konnte der schon gegen seine Mutter ausrichten, die Herrin ihres Dorfes?
Noch aber war diese ereignisreiche Woche nicht zu Ende. Bis zum Uposatha hatte sich hinsichtlich des Konfliktes zwischen Sita und der Sangha nichts Neues ergeben. Wie üblich versammelte man sich an diesem Tag in der Halle, Amita ging sogar mit dem Baby dort hin. Das Kind trug sie in einem Tuch am Körper, wie das in Bhārat Gaṇarājya schon damals und auch heute noch üblich ist. Beim Gehen und Stehen, wird es auf dem Rücken getragen, was die Wirbelsäule entlastet, beim Sitzen nach vorn genommen, Amita hatte mit dem Baby auf der Bank Platz genommen, wo sonst üblicherweise Sita saß, mit der aber an diesem Abend niemand rechnete. Yuz leitete die Veranstaltung, wobei er von Yuva unterstützt werden. Jagan kam gemeinsam mit seinen drei Kindern an, er sah sich um, dann ging er zu Amita: „Meinen herzlichen Glückwunsch zu der wunderschönen Tochter!” sagte er und bewunderte das Baby, das Amita stolz vorzeigte. Sie antwortete ihm, wobei ihr sehr bewusst war, dass sie auf der Bank saß, die sonst von Jagan und Sita benutzt wurde: „Nimm doch bitte Platz, Jagan”, womit sie ihn eigentlich großzügig einlud, auch auf seiner eigenen Bank Platz nehmen zu dürfen. Als er sich gesetzt hatte, fragte sie ihn: „Wie geht es ihr?”
Er schüttelte zunächst den Kopf, aber dann antwortete er ihr doch: „Es ist die ganze Zeit schlimm mit ihr, sehr schlimm. Erst hatte ich gehofft, dass sie sich wieder fängt, dass sie sich vielleicht sogar entschuldigt. Aber heute ist es wieder ganz schlimm, seit drei Stunden kennt sie nur noch sich selbst – und die Schnapsamphore. Es ist mit ihr defintiv nicht auszuhalten.” Und nach einer Pause ergänzte er: „Ich warte eigentlich nur noch auf den Eintritt eines Ereignisses, das gemäß Karma-Gesetz fällig wäre.”
Amita schüttelte den Kopf: „Das Karma-Gesetz wirkt – allerdings meist nicht so, wie wir das in unserer Einfalt erwarten.” Beide sollten recht bekommen.
Die Uposatha-Feier wurde an diesem Tag leider mehrmals dadurch beeinträchtigt, dass Sitas Schreie und Flüche, die sie vom Fenster ihres Wohnzimmers im Obergeschoss des Hauses ausstieß auch im Versammlungsraum zu hören waren: „Ich verfluche dieses ...3 Versammlung ... blöde Sangha ... elende Mistkerle ... Feuer ... Zerstörung ... seid verflucht!”
Yuz, der die Versammlung leitete, flocht ein Gebet ein: „Wir bitten dich, Abba, nimm dich dieser im Dickicht von Hass und Verblendung verirrten Frau an und gib ihr Bedingungen, unter denen sie sich läutern kann. Svaha!”
Kurz darauf verstummten die Schreie und wurden während der ganzen Versammlung nicht mehr gehört. `Sicher ist sie eingeschlafen und schläft jetzt ihren Rausch aus. Ich sollte die Nacht nutzen und die zweite Amphore mit Schnaps noch heute Nacht vernichten. Vielleicht hätte ich das schon unmittelbar nach der Kolloquiumssitzung tun sollen´, sagte sich Raj.
Im letzten Teil der Uposatha-Feier wurden wieder drei Dharmamitta-Zeremonien durchgeführt, diesmal für Teja, Lalita und Mohana. Yuz, der diese Zeremonien leitete erklärte nochmal die Bedeutung dieser Weihung und wies die Siedler darauf hin, dass sie sich bei Interesse dafür an Amita wenden könnten. Er war sicher, dass fast alle Siedler in den nächsten Wochen in einer solchen Zeremonie offiziell der Metta-Sangha beitreten würden.
An diesem speziellen Uposatha aber wurde noch eine Weihungszeremonie durchgeführt, die von Yuva geleitet wurde, eine Zeremonie, die es zuvor noch nicht gegeben hatte. Nämlich die Namensgebungszeremonie für Neugeborene. Yuva rief die glücklichen Eltern auf, mit dem Kind nach vorn zu kommen. Dann sprach sie: „Liebe Eltern, liebe Mitglieder und Freunde unserer Sangha, wir werden heute erstmals ein kleines Mädchen den Drei Juwelen weihen. Wenn es mit zwölf Jahren alt genug ist, sich selbst dafür zu entscheiden, kann sie die Dharmamitta-Zeremonie machen. Heute aber erhält diese kleine Mädchen seinen Namen, und ich muss sagen, es ist wirklich der schönste Name, den ich kenne. Es wird Taracitta heißen, `die mit dem Bewusstsein Taras ausgestattete´. Mit diesem Namen wird der Wunsch der Eltern ausgedrückt, wohin sie sich entwickeln sollte: zu einer Frau, die so denkt, fühlt, redet und handelt, wie das Tara auch tun würde. Und wir bitten heute die Vier Großen Elemente, die Mahabhutas, ihr zu Diensten sein. Ich übergebe dir, Taracitta, die vier großen Elemente, ich übergebe dir das Luftelement.” Jetzt blies sie dem Kind leicht ins Gesicht.
„Ich übergebe dir, Taracitta, das Wasserelement.” Nun tröpfelte sie ein wenig Wasser auf das kleine Köpfchen.
„Ich übergebe dir, Taracitta, das Erdelement.” Sie nahm etwas Erde und rieb sie auf eines der kleinen Füßchen.
„Und ich übergebe dir, Taracitta, das Feuerelement.” Sie nahm eine Lampe und hielt sie nahe an das Kind, so dass es die Wärme spüren konnte.
„Mögen die vier Mahābhūtas dir dienstbar sein, von jetzt an bis zu deinem Tode, Taracitta.” Dann wandte sich Yuva an die Zuhörerschaft: „Und jetzt werden wir Taracitta auch akustisch unseren Segen ausdrücken, mit einem dreifachen Sadhu!”
„Sadhu! – Sadhu! – Sadhu!” drang der Ruf aus Dutzenden von Kehlen. Dann gingen Kalenian mit seiner Laute und Mohana nach vorne und trugen ein lustiges kleines Lied vor, in dem besungen wurde, wie Taracitta als Kind in Taras Sinne handelt.
So wurde aus dieser Uposatha-Feier, die zunächst von Sitas Flüchen überschattet wurde, noch eine richtig schöne, rundherum wohltuende Veranstaltung, nach der alle recht zufrieden nach Hause gingen, trotz Sitas Schatten, der über ihnen hing und um den ein jeder wusste.
Auch Jagan, Raj, Sunay und Shanti gingen nach Hause, also ins Herrenhaus. Doch kaum hatten sie die Haustür geöffnet, bot sich ihnen ein ebenso überraschender wie erschreckender Anblick: am Fuße der Treppe lag Sita in etwas verkrümmter Haltung, sie regte sich nicht. Sunay eilte als erster auf seine Mutter zu, beugt sich über sie. Dann dreht er sich um: „Sie atmet!”
„Also ist sie vermutlich volltrunken die Treppe herabgestürzt”, vemutete Jagan. „Wir tragen sie nach oben und legen sie auf ihr Bett. Ich steige jetzt über sie und nehme sie unter den Armen und Raj und Sunay nehmen je ein Bein.” So wurde Sita nach oben ins elterliche Schlafzimmer gebracht.
Jagan betrachtete seine Frau, dann schüttelte er den Kopf: „Ich bin mit dieser Frau fertig. Von heute an werde ich nicht mehr neben ihr schlafen, ich lege mich nebenan in den Salon.” Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Tatsächlich waren die beiden von diesem Tag an geschieden, wie sich noch erweisen sollte.
Die drei jungen Leute standen jetzt ums Bett ihrer Mutter und sahen etwas ratlos drein. Raj, war der erste, der in der Lage war, wieder zu reden: „Wir sollten Amita und Yuz fragen, was zu tun ist, aber besser erst morgen. Wir sollten ihnen nicht die Nacht verderben, jetzt nach der Zeremonie, aber morgen früh müssen wir sie holen.”
„Ich weiß aber nicht, ob wir Sita jetzt in ihrem Zustand allein lassen können. Was wenn sie irgendwelche Hilfe braucht?” das waren die Bedenken von Shanti.
„Sita ist ein Scheusal!”, sagte Sunay ungewöhnlich heftig, wurde aber dann gleich milder: „Aber sie ist auch unsere Mutter. Ich werde heute Nacht bei ihr bleiben und wenn sie Hilfe braucht, werde ich ihr helfen – wie auch immer.”
„Soll ich bei dir bleiben?” fragte Shanti ihren Zwillingsbruder.
„Nein, Shanti, das ist nicht nötig, das schaffe ich schon allein. Vielleicht ist sie morgen schon wieder ganz die Alte.”
„Dann gehe ich jetzt und zerstöre die zweite Schnapsamphore”, sagte Raj mit Entschiedenheit und ging, um seinen Entschluss sofort umzusetzen. Auch Shanti ging in ihr Zimmer. Sunay aber legte sich neben seine Mutter, dort wo sonst immer Jagans Platz war. `Sie stinkt aus dem Mund´, stellte er fest und schlief dann doch überraschend schnell ein.
In der Nacht erwachte Sunay davon, dass seine Mutter stöhnte. Besorgt fragte er: „Wie geht es dir, Mutter?”
Sie schien ihn nicht verstanden zu haben: „Hä, du Schwachkopf, ich bin nicht deine Mutter. Und du bist nicht länger mein Mann! Hau ab!” Sie schien die Lage noch nicht begriffen zu haben und wähnte Jagan neben sich, wie früher.
Sunay merkte, wie sie sich abmühte irgend etwas zu machen, konnte aber in der Dunkelheit nicht erkennen, was. Als er hörte, dass sie wieder schnarchte, beruhigte er sich, konnte aber nicht mehr einschlafen. Sobald die Sonne aufging stand er auf und betrachtete seine schlafende Mutter. Ihr Haar hing ihr wirr ins Gesicht, ihr Atem ging röchelnd. Sie schien noch genauso zu liegen, wie sie gestern Abend hingelegt worden war. Er selbst hatte sie dann mit einer Decke zugedeckt. Selbstverständlich trug sie noch das gleiche Kleid wie am Tag zuvor, das schöne gelbe mit roten und grünen Stickereien, das sie gern an Uposatha trug. Auch er hatte noch die Kleidung vom Vortag an, hatte sich nicht für die Nacht ausgezogen, das wäre völlig unschicklich gewesen, wo er bei seiner Mutter übernachtete. Er ging in den Salon, dort wo bislang das Kolloquium getagt hatte. Hier lag sein Vater und schlief, außerdem herrschte hier eine Menge Unordnung: die Sitzkissen waren verstreut, Teller mit Essensresten standen herum. Offensichtlich war das Zimmermädchen gestern nicht mehr hochgekommen, wohl weil sie ihrer betrunkenen Herrin nicht über den Weg laufen wollte. Er schaute in die Schapsamphore. Es war noch so viel drin, wie in drei Teebecher ging. Sollte er den Rest auch wegschütten, wie die ganze andere Amphore, die Raj gestern vernichtet hatte? Vielleicht konnten Yuz und Amita etwas davon für einen Heiltrank gebrauchen, oder um Kräuter darin einzulegen, sagte er sich. Warum sollte er die Amphore eigentlich nicht gleich zum Haus der hl. Familie tragen, vielleicht war ja dort schon jemand auf.
So tat er es: er ging mit der fast leeren Amphore dorthin. Amita sass auf der Bank vor dem Haus und säugte Taracitta.
„Nanu, Sunay, so früh schon unterwegs, und mit einer Amphore. Wie geht es Sita?”
„Guten Morgen, Amita, also zuerst zu der Amphore, das ist eine der beiden Schnapsamphoren, die Sita sich mit der Karawane kommen ließ. Die andere hat Raj gestern abend ausgeschüttet, weil wir nicht wollten, dass unsere Mutter wieder säuft. Jetzt habe ich entdeckt, dass in dieser noch etwas drin ist, nicht viel, aber ich dachte, ihr könntet es vielleicht für eine Medizin gebrauchen, also bevor ich es wegschütte...”
„Das hast du richtig gemacht Sunay, aber jetzt zu Sita, wie geht es ihr?”
„Wir haben sie gestern Abend gefunden, sie ist wohl die Treppe herabgestürzt und war bewusstlos. Wir haben sie ins Bett gebracht. Jagan hat erklärt, er sei fertig mit ihr und hat dann im Salon geschlafen. Ich habe die Nacht bei meiner Mutter verbracht. Sie ist heute Nacht aufgewacht und hat über irgendetwas geschimpft, ist aber nicht aufgestanden. Heute morgen lag sie noch genauso im Bett wie gestern Abend.”
„Das klingt nicht gut”, sagte Amita und lehnte das Baby an ihre Schulter, damit es Bäuerchen machen konnte. Sunay war etwas verunsichert, da Amita so auf die Nachrichten über Sita fixiert war, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass ihre Brust noch entblöst, war. Als sie erkannte, warum Sunay plötzlich so nervös war, zog sie das Kleid wieder über die Brust, als sei nichts gewesen und sagte: „Ich glaube ich werde gleich nach ihr sehen, warte hier einen Moment, ich schaue nach Yuz.” Sie ging ins Haus, und berichtete Yuz, der von den Stimmen vorm Haus schon aufgewacht war, was sie von Sunay gehört hatte. Auch Reena stand jetzt auf und fragte, was los sei.
„Ich versuche es herauszufinden, Reena. Kannst du solange auf Taracitta aufpassen, ich denke, dass ich in einer Stunde wieder da bin. Ach ja, die Kleine hat gerade schon getrunken.”
„Sicher, Amita, mach ich, auch kein Problem wenn´s etwas länger dauert.” Inzwischen war Yuz angezogen und sie gingen zu dritt zum Herrenhaus. Sunay brachte sie zum Schlafzimmer. Als sie die Treppe empor gingen, wachte auch Jagan auf: „Was ist los?”
„Das versuchen wir gerade herauszufinden”, antwortete Yuz.
Jetzt betraten alle das Schlafzimmer, auch Raj und Shanti. Sita, die jetzt gerade erwachte, starrte sie mit verwirrtem Blick an: „Was untersteht ihr euch! Raus aus meinem Schlafzimmer!” schrie sie und fuchtelte mit den Armen, als wollte sie ihre Besucher herauswerfen, aber sie blieb liegen.
„Steh auf Sita!” befahl Yuz.
„Ich kann nicht, weil du mich verhext hast, Verruchter!”
Mit einem Ruck zog Amita ihr die Bettdecke weg. Sita hatte sich offensichtlich eingenässt, was vor allem ihre Kinder schockierend fanden.
„Seid ihr alle verrückt geworden? Noch heute haut ihr hier alle ab, ihr seid mit Mara im Bunde!” schrie Sita und versuchte nach ihrer Bettdecke zu greifen, die sie allerdings nicht erreichen konnte, weil Amita sie schwungvoll außerhalb ihrer Griffweite gelegt hatte. Yuz sah sich um. Er fand eine große Haarnadel, nahm sie in die rechte Hand. Amita sah es und nickte ihm zu. Raj hatte es auch gesehen, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Sita versuchte sich aufzusetzen, dabei musste sie sich aber mit beiden Händen abstützen. Amita machte mir ihrer Hand eine Bewegung nach oben mit dem alleinigen Ziel, die Patientin abzulenken. Jetzt stach Yuz ihr mit der Nadel zum Entsetzen von Raj in die Wade.
Sita aber schrie: „Warum machst du das da mit der Hand in der Luft, Amita, ist das wieder eine deiner Hexenkünste?” Yuz und Amita warfen sich einen raschen Blick zu, Amita nickte und lenkte Sita wieder mit einer Handbewegung ab, währen Yuz ihr doppelt so heftig wie zuvor mit der Haarnadel in den halb entblößten Oberschenkel stach. Sita reagierte wieder nur auf die Handbewegung.
„Gehen wir alle in den Salon zu einer kurzen Besprechung”, ordnete Amita ziemlich bestimmt an. Sie gingen dorthin und schlossen die Türen, lediglich Sita folgte nicht.
„Sie ist die Treppe heruntergestürzt?” fragte Yuz.
Jagan nickte: „Ja gestern abend, sturzbetrunken. Ihr erinnert euch doch an ihr Geschrei während der Uposatha-Feier. Plötzlich war es still, zu diesem Zeitpunkt muss sie die Treppe herabgestürzt sein. Als wir wieder heimkamen, haben wir sie gefunden. Sie war bewusstlos aber atmete. Daraufhin haben wir sie zusammen nach oben getragen und ins Bett gebracht.”
Yuz fragte nach: „Da war sie aber noch immer bewusstlos?” Die anderen nickten. „Und was geschah dann, war jemand über Nacht bei ihr?”
„Ich war bei ihr, mein Vater hat gesagt, sie seien jetzt fertig miteinander, es hat sich so angehört, als seien sie jetzt geschiedene Leute.” Jagan nickte zustimmend und Sunay erzählte weiter: „In der Nacht ist sie aufgewacht, hat unverständliches Zeug gelabert, ist aber nicht aufgestanden. Dann bin ich heute morgen zu euch rüber gegangen.”
„Ihr habt gesehen, was ich mit der Haarnadel gemacht habe?”
Sunay nickte: „Ja, es sah übel aus, als wolltest du sie verletzen, sie scheint aber gar nichts gespürt zu haben.”
Amita sah Jagan und die Kinder nacheinander eindringlich an: „Was jetzt kommt ist nicht leicht zu ertragen. Sita hat eine sehr schwere Verletzung an der Wirbelsäule, daher kann sie nur noch die Teile ihres Körpers bewegen, die sich oberhalb der Verletzung befinden. Yuz und ich haben das beide vermutet. Wenn diese Diagnose stimmt, muss sie unterhalb dieser Stelle schmerzunempfindlich sein. Daher hat Yuz den Test mit der Haarnadel gemacht, zuerst vorsichtiger, dann beim zweiten Mal so stark, das ein Zweifel ausgeschlossen ist.”
„Aber sie wird doch wieder gesund?” fragte Shanti.
Amita schaute sie an: „Wie man es nimmt. Ihr Körper wird nie wieder gesund. Die Lähmung wird bis zu ihrem Tod bleiben. Sie hat aber nicht nur diese Krankheit, sie leidet außerdem an der Alkoholkrankheit. Wenn sie aber nie wieder Alkohol bekommt, wird sich das Problem in etwa einem halben Jahr gelegt haben, aber sie darf auch danach keinen Alkohol mehr bekommen, sonst geht alles von vorn los, nur schlimmer. Und sie hat eine dritte Krankheit. Diese Krankheit haben wir aber alle, alle Menschen, die keine Buddhas oder Arahants sind. Es ist die Krankheit, die Gier, Hass und Verblendung auslöst, es ist die spirituelle Unwissenheit. Sie scheint mir bei Sita stärker ausgeprägt zu sein, als bei uns anderen. Aber theoretisch ist es möglich, dass sie diese Krankheit völlig überwindet und sogar zur Arahant wird, die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar sehr gering, aber ausgeschlossen ist das nicht. Aber was mit Sicherheit möglich ist, ist diese Krankheit zu lindern. Das aber würde eine lebenslange gute Betreuung durch eine erfahrene spirituelle Person sein.”
„Einer Person wie du?” fragte Sunay.
„Eine spirituell erfahrene Person – und eine Person, die sie wirklich liebt, von ganzen Herzen liebt, auch wenn Sita sie demütigt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es eine solche Person gibt, aber es ist möglich.”
„Ich bin das definitiv nicht!” verlautete von Jagans Seite.
„Dafür habe ich Verständnis”, schaltete sich Yuz ein. Aber ihr müsst noch etwas anderes regeln, ihr vier, du Jagan, du Raj und auch ihr beide Sunay und Shanti. Und das ist ein weltliches Problem. Sita ist die Herrin. Ich denke, sie ist nicht mehr in der Lage diese Rolle wahrzunehmen.
„Dann musst du das machen Vater!” rief Raj.
„Ich bin nur angeheiratet, ich habe hier gar nichts zu sagen.”
„Das ist richtig”, erklärte Amita, „und hier sind wir im Bereich der rechtlichen Fragen. Wenn wir den Fall dem Raja von Kaschmir vortragen würden, würde der vermutlich sagen – ich sage vermutlich, weil er könnte ja vielleicht auch Eigeninteressen verfolgen – dass Sita für geistig unzurechnungsfähig erklärt wird. Dann ginge das Eigentumsrecht an allem hier auf Raj über, wenn er geschäftsfähig ist, das wäre er aber erst mit sechzehn Jahren. Bis dahin würde der Raja einen Vormund einsetzen, der statt Raj entscheidet.”
„Und wenn der eigennützig handelt?” fragte Jagan.
Amita nickte: „Damit ist leider zu rechnen, daher empfehle ich, kein Gericht einzuschalten.”
„Sondern?”
Amita wusste, dass sie etwas weit vorgeprescht war, Yuz war bei alledem gar nicht um seine Meinung gefragt worden, sicher wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt, ihm den Vortritt zu lassen: „Yuz, du bist ein Mann von Welt, kennst dich sowohl mit dem Recht in vielen Nationen, als auch mit den Abgründen der menschlichen Seele aus, was würdest du empfehlen?”
Der atmete auf, nickte und erklärte dann, nachdem er sich nachdenklich den Bart gerieben hatte: „Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich auch sagen: die Sache mit dem Gericht lassen wir, das ist zu gefährlich. Jagan hat schon darauf verwiesen, dass er als Leiter nicht in Frage kommt. Was wäre also das Vernünftigste für uns alle? Ich meine es wäre am vernünftigsten, wenn in der Tat Raj sofort das Erbe antreten würde, und da er ebenso klug wie auch vorsichtig ist, würde er vor jeder wichtigen Entscheidung seinen Vater um Rat fragen. Da er weise ist, würde er, wenn sein Vater anderer Meinung ist als er, sich den Rat von anderen holen.”
„Von anderen Weisen meinst du, also von Amita und dir” warf Shanti ein.
„Das hatte ich nicht gemeint, ich hatte eher an Sunay und dich gedacht, an die anderen Mitglieder der weltlichen Herrschaftsfamilie. Wenn es um Dinge geht, die die Sangha betreffen, davon bin ich überzeugt, würde er auch Amita und mich fragen, vielleicht auch noch Yuva. Und bei weltlichen Dingen kann es auch nicht schaden einen anderen Älteren mit mehr Erfahrung zu fragen, Anup beispielsweise.”
„Das klingt toll!” antworteten die Zwillinge wie aus einem Munde, und auch Jagan stimmte zu: „Genau sollten wir es machen.”„Jetzt solltest du dich erklären, Raj”, ermunterte ihn Amita.
„Gut”, sagte er, „wenn ihr das so wollt, machen wir es so. Ich möchte aber feierlich erklären, dass ich niemals etwas durchsetzen werde, wenn Jagan dagegen ist. In diesen Fällen werde ich die Zwillinge mit an den Tisch holen, auf dass wir gemeinsam entscheiden. Und in allen spirituellen Fragen werde ich mich selbstverständlich mit Yuz und Amita abstimmen.”
„Hervorragend, damit ist das geklärt. Das andere Problem bleibt, es heißt Sita. Wir sollten jetzt zu ihr gehen und nachsehen, ob sie sich beruhigt hat”, das war Yuz Vorschlag.
„Und wenn nicht?”, fragte Jagan.
Yuz erklärte: „Dann ist es wichtig alle gefährlichen Gegenstände aus ihrer Umgebung zu entfernen, damit sie sich nichts antut, wir müssen auch verhindern, das sie zum Fenster oder zur Treppe kriechen kann, um sich hinabzustürzen. Sollte sie jetzt noch nicht kooperieren wollen, dann werden wir heute Nachmittag und ggfs. morgen früh noch einmal zu ihr gehen. Ich denke, wenn Hunger, Durst und Ausscheidungen sie plagen werden, kann sie zur Vernunft kommen und kooperieren.”
Alle nickten. Sie gingen zu Sita, die sich aber keineswegs beruhigt hatte. Amita und Yuz verließen schweigend das Haus. Jagan und Shanti räumten gefährliche Gegenstände weg und verschlossen dir Tür. Sie hörten Sitas Geschrei noch einige Zeit. Dann versiegte es. Sunay bekam Angst, er schlich sich in Sitas Zimmer und stellte fest, dass sie schlief. Etwas beruhigt zog er sich zurück, blieb aber in Rufweite. Er setzte sich in den Salon, wo sonst niemand war, und meditierte.
Raj und Shanti saßen in Shantis Zimmer im Erdgeschoss. Früher schliefen die drei Kinder in einem Zimmer. Vor zwei Jahren hatten ihre Eltern ihnen ein weiteres Zimmer gegeben, in das Shanti zog, die beiden Brüder teilten sich ein Zimmer. Erst war es etwas ungewohnt, denn vorher waren die Zwillinge immer zusammen. Aber nachdem Jagan damals mit allen drei Kindern, die allmählich keine Kinder mehr waren, gesprochen hatte, hatten sie die neue Regelung akzeptiert. Jetzt aber war Raj in Shantis Zimmer gekommen, was er sonst nicht tat.
Raj hatte das Gespräch eröffnet: „Mutter ist dauerhaft krank, sie muss gepflegt werden – für den Rest ihres Lebens.”
Er machte eine Pause. Shanti, das einzige Mädchen unter Ritas Kindern, wusste worauf er hinaus sollte. Sie schlug aber vor: „Ja, das ist schlimm. Ich weiß, du bist jetzt der Herr im Haus. Ich weiß aber, dass ich weder kann noch möchte, was ihr von mir erwartet. Sunay ist ein junger Mann, der fällt wohl auch aus. Das beste wäre, wie machten es ähnlich wie im Fall Jeevan, der wird in erster Linie von Reena gepflegt, die dabei von Ajala unterstützt wird. Vielleicht wäre es eine Option, Ajala, Jeevan und Reena hierher ins Haus zu holen. Die könnten im Obergeschoss wohnen, dann hätten wir dort eine Pflegestation. Vielleicht wäre es für die Sangha ganz gut, so ein soziales Projekt hier zu haben.”
Raj dachte nach. In diesem Moment hörten sie Sunay die Treppe herunter kommen. Raj stand auf, ging zur Tür und sagte: „Komm rein, Sunay, wir besprechen gerade etwas!”
„In Shantis Zimmer?” wunderte er sich, dann ging er doch in den Raum, den er noch nie betreten hatte. Das war jetzt, so hatte es ihm sein Vater erklärt, ein „Frauengemach”, worin Männer nichts verloren hätten. Und als er jetzt seine Zwillingsschwester in diesem Zimmer sah, sah er sie auch mit anderen Augen – tatsächlich, sie war jetzt eine Frau, eine ziemlich hübsche junge Frau.
Raj brachte seinen Bruder auf den Stand der Diskussion und fuhr dann fort: „Das klingt erst einmal nicht schlecht. Das könnte die Pflegeproblematik lösen. Aber es gibt ja auch diese andere Krankheit in ihr, diese spirituelle Unwissenheit, die bei ihr sehr stark ist und zu Gier, zu Hass und zu Verblendung führt. Und dazu hatte Amita gesagt: `das aber würde eine lebenslange gute Betreuung durch eine erfahrene spirituelle Person sein´. Und dann hat Amita hinzugefügt, wer dafür in Frage käme und das waren drei Personen, wir drei. Unsere Mutter muss gepflegt werden, sie nässt sich ein und sie wird sich auch einkoten, da sie eine Frau ist kommt dafür eigentlich nur eine andere Frau infrage. Sunay und ich sind Männer. Ich habe mich außerdem um die weltlichen Belange zu kümmern, sodass ich nur eine optimale Lösung sehe.”
Shanti schüttelte den Kopf: „Nein, meine Brüder, ihr wollt nur wieder alle Dreckarbeit der einzigen Frau hier aufbürden, das lässt sich nicht machen.” Dabei sah sie Sunay an, der noch gar nichts gesagt hatte, sie hoffte ihr Zwillingsbruder würde ihr zur Seite spingen, der aber sah die Sache differenzierter.
„Amita hat recht. Wenn wir Mutter nicht spirituell ganz abschreiben möchten, muss es einer von uns dreien machen – oder wir alle drei gemeinsam. Ja, Mutter hat gewaltige Fehler. Aber jeder Mensch hat das Potential, sich zum höchsten zu entwickeln, und das hängt stark von seinem Umfeld ab. Mutter ist ein Scheusal, aber ein Scheusal mit Potential. Und sie ist unsere Mutter, sie hat uns neun Monate unter ihrem Herzen getragen, sie hat uns gesäugt. Sie hat uns aufgezogen.”
Raj schüttelte den Kopf: „Aufgezogen hat uns Vater, unterstützt von Svetha, dem Hausmädchen, Sita war ja fast die ganze Zeit von dem Dämon besessen. Ich stehe dafür defintiv nicht zur Verfügung.”
Sunay wandte sich jetzt an seine Schwester: „Ja, es ist alles andere als eine schöne Arbeit. Ich kann verstehen, dass du das nicht willst. Ich will es auch nicht. Aber sie muss gepflegt werden. Und sie braucht spirituelle Betreuung. Wir beide sind Dharmamittas, wie haben Zuflucht genommen, jetzt ist der Zeitpunkt das mit Inhalt, mit Leben zu erfüllen. Daher bin ich bereit, mir mit dir die Arbeit zu teilen.”
Shanti sah sich in die Enge getrieben: „Das läuft doch darauf, dass ich mich um ihre Exkremente kümmern soll, weil ich weiblich bin, und du zu ihrer spirituellen Erbauung beiträgst, da mache ich nicht mit.”
„Nein, Shanti, das meine ich nicht, wir sollten alles gemeinsam machen. Völlig gleichberechtigt.”
„Ich will das aber nicht!”
Raj wusste, dass er jetzt seiner neuen Führungsrolle gerecht werden sollte: „Das ist ein sehr weitreichendes Angebot von dir, Sunay, dafür bin ich dir dankbar. Aber ich kann auch Shantis Bedenken verstehen. Und da ist noch der andere Lösungsvorschlag von Shanti, nämlich im Obergeschoss eine Pflegestation einzurichten und dazu Jeevan, Ajala und Reena dazuzuholen. Ich schlage daher vor, wir greifen Shantis Vorschlag auf und richten diese Pflegestation ein. Die Pflege aber sollte vorübergehend von einem Team bestehend aus Alaya, Reena, Sunay und Shanti wahrgenommen werden.”
„Das ist ein guter Vorschlag”, fand Sunay.
„Das finde ich nicht, denn meine Bedürfnisse werden nicht wahrgenommen!” ärgerte sich Shanti.
„Aber das stimmt doch nicht, Shanti! Deinen Vorschlag der Einrichtung einer Pflegestation habe ich eins zu eins übernommen. Außerdem habe ich gesagt, dass das vorübergehend sein sollte, zum gegebenen Zeitpunkt bewerten wir, ob es sich bewährt hat, und wenn nicht ändern wir etwas.”
Shanti war jedoch noch immer nicht einverstanden: „Du sagst `vorübergehend´ und `zumgegebenen Zeitpunkt´, das kann alles oder nichts heißen.”
Raj nickte: „Gut sagen wir ein Jahr!”
„Viel zu lang!”
„Moment mal”, warf jetzt Sunay ein, „erst einmal haben wir soeben eine ganze Reihe guter Ideen entwickelt. Aber wir haben noch keine Einigung und sind gerade dabei uns zu verharken. Daher schlage ich vor, dass wir Yuz, Amita und Vater dazu holen. Mehr Sachverstand kann nicht schaden, vor allem wenn die Sachverständigen nicht selbst betroffen sind.”
Raj nickte: „Die wollten doch heute nachmittag vorbeikommen, um mit uns gemeinsam nach unserer Mutter zu sehen. Das wäre ein guter Zeitpunkt!” Jetzt nickten alle.
Zwei Stunden später kamen Amita und Yuz. Jetzt gingen alle, auch Jagan zu Sita. Sie lag mit verweintem Gesicht in ihrem Bett und hatte die Decke wieder über sich gelegt. Es stank nach Urin und Kot.
Amita sagte: „Wir sind gekommen nach dir zu sehen, Sita, können wir dir irgendwie helfen?”
„Raus!” sagte Sita bestimmt, doch sie schrie nicht mehr.
„Ja, geht alle raus!” ordnete Amita an. Die Angesprochenen gingen in den Salon, nur Amita blieb im Schlafzimmer.
„Es tut mir sehr leid, was dir passiert ist, und du weißt es ja inzwischen auch. Du bist von den Lendenwirbeln abwärts gelähmt, das ist unheilbar. Du wirst entweder hier verdursten und in deine Exkrementen liegen bleiben, dein Unterleib wird wund werden und sich entzünden und du wirst innerhalb weniger Tage unter entsetzlichen Qualen sterben. Oder du lässt dir helfen.”
Sita schwieg.
„Ich hole dir jetzt einen Becher Wasser!”
„Nein, einen Krug Wasser und einen Becher”
„Das ist sicher besser, da hast du recht, Sita.”
Amita kam kurz darauf mit einem Becher Wasser und einem Krug Wasser, der so groß war, dass Sita ihn wohl gerade noch vom Bett aus anheben konnte, und reichte Sita das Wasser. Die trank es in einem Zug aus. Amita schenkte ein zweites Mal ein.
„Stell´s hin!”
„Möchtest du jetzt gesäubert werden?”
„Nein!!!” das war eindeutig.
„Gut, dann schlaf noch eine Nacht drüber, ich werde morgen zur zweiten Stunde wieder da sein.
Sita schwieg. Amita wartete noch einen Augenblick, dann ging auch sie, ohne sich zu verabschieden. Amita begab sich ins Arbeitszimmer. Dort wurde sie von Raj auf den Stand der Diskussion von Sitas drei Kindern am Nachmittag gebracht.
„Das scheint mir eine ausgezeichnete Idee zu sein. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass ihr Jeevan, Reena und Ajala verplant habt, ohne sie einzuweihen. Ich kann mir vorstellen, dass die gar nicht aus ihrem Haus herauswollen”, sagte Amita.
Yuz nickte: „Und da ist noch die Zeitspanne; ein Jahr ist offensichtlich für Shanti nicht zumutbar. Ich schlage daher eine deutlich kürzere Zeit vor: einen Monat!”
„Nein, nein!” rief Shanti, das mache ich nicht mit, zwei, drei Tage allerhöchstens eine Woche.
Raj erhob sich, und machte damit deutlich, dass er jetzt ein Machtwort zu sprechen gedenke: „Es wird gemacht wie geplant, ich selbst werde gemeinsam mit Amita und Yuz zu Ajala und den anderen gehen, um den Vorschlag zu unterbreiten. Alles andere bleibt wie besprochen. Die Probezeit für das Pflegeteam beträgt zehn Tage.”
„Nach denen ich aussteigen kann!” ergänzte Shanti. Raj kommentierte das nicht.
Alle standen auf, Raj, Amita und Yuz schickten sich an, zu Ajala und den anderen Betroffenen ins Haus der hl. Familie zu gehen. Sunay bat mitkommen zu dürfen, was akzeptiert wurde.
Dort setzten sie sich also mit Jeeva (der allerdings zwangsläufig lag), Ajala und Reena zusammen. Amita erläuterte den Vorschlag, dann ergänzte sie: „Das hat für euch beide, Reena und Ajala, den Nachteil, dass ihr eure gewohnte Umgebung verlassen müsst. Andererseits habt ihr dort ein ganzes Team, in das ihr eingegliedert seid, was sicher von Vorteil ist, wenn Ajalas Kräfte altersbedingt nachlassen. Außerdem könnt ihr jederzeit zurückkommen.”
Reena ergänzte: „Ich bin ja nur noch ein Jahr da, dann heirate ich und für dich, Ajala ist die Pflege deines Mannes dann allein zu anstrengend. Wir tun uns ja jetzt schon schwer, wenn wir ihn auf den Topf setzen.”
Ajala nickte: „Das stimmt. Aber wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es eine zehntägige Probezeit. Die könnten wir doch mitmachen und sehen, ob sich die Regelung bewährt.”
Jetzt stimmte auch Jeevan zu, der sich vorher bedeckt hielt. Reena ihrerseits war von der Idee, ins Herrenhaus umzuziehen ausgesprochen angetan. So trennte man sich mit dem guten Eindruck, die richtige Lösung gefunden zu haben.
Sunay hatte etwas Angst vor der kommenden Nacht. Einerseits wollte er seine Mutter nicht allein lassen. Andererseits ekelte es ihn neben seiner eingekoteten Mutter im Bett seiner Eltern zu liegen.
Also holte er sich eine Unterlage und legte sich bei der Tür ins Schlafzimmer. Sita schlief noch nicht. Zunächst sagte keiner etwas, doch dann brach Sita das Schweigen: „Warst du das, der gestern neben mir gelegen hat?”
„Ja.”
„Und jetzt willst du nicht mehr neben mir liegen?”
„Mutter es stinkt fürchterlich, alles ist voller Kot und Urin.”
„Kann mich jemand waschen?”
„Morgen früh kann das geschehen, wenn Amita und die anderen wieder da waren.”
„Sunay, ich bin so verzeifelt. Ich bin ein Krüppel, schlimmer als der Jeevan. Ich werde nie wieder zur Latrine gehen können, nicht einmal auf eine Topf wie Jeevan. Ich wünschte ich wäre tot.”
Sunay schwieg.
„Kannst du mir ein Messer bringen?”
„Das werde ich nicht tun, Mutter. Du bist momentan deprimiert und ratlos, das kann ich verstehen. Aber wir haben einen Plan, wie wir das Problem lösen können.”
„Einen Plan? Welchen Plan?”
Dann erzählte Sunay seiner Mutter alles, was am vergangenen Tag besprochen und beschlossen worden war.
„Ihr seid so gut zu mir, und ich bin eine so schreckliche Mutter!”
„Ja, Mutter, du warst eine sehr schreckliche Mutter. Aber jede kann sich ändern, und wir werden dir dabei helfen, dich zu ändern.”
„Das ist lieb von euch. Das habe ich gar nicht verdient.”
„Gute Nacht, Mutter.” - „Gute Nacht, Sunay.”
Als Sunay am nächsten Morgen aufwachte, schlief seine Mutter noch. Er ging zur Morgenandacht und anschließende zum Frühstücksimbiss zu den Siedlern, die sich – wie jeden Morgen – vor dem Haus der hl. Familie trafen und wo er Amita und Yuz von seinem Gespräch mit Sita berichtete. Die beiden waren erwartungsgemäß erfreut über den neusten Stand der Dinge. Dann holte Amita Reena und Ajala dazu und erklärte:
„Sita
ist reumütig zurück in der Realität angekommen, aber sie
lag zwei Tage im Bett und konnte sich nicht bewegen, dem
entsprechend hat sie eingenässt und eingekotet. Sie muss
gesäubert werden. Sunay
und Shanti
kennen sich mit Pflege noch nicht aus. Es wird wohl
darauf hinauslaufen, dass ihr das heute macht. Die
anderen beiden sehen euch zu, und ihr könntet ja auch
sagen, wie ihr es macht und warum, sodass die beiden das
in Zukunft alleine können.”
„Sie kann nicht auf den Topf?”, fragte Ajala.
„Das nicht, aber ich habe da eine andere Idee. Keine Angst, das, was ihr heute macht, ist keine Arbeit, die ihr in Zukunft immer machen müsst.”
„Dann gehen wir jetzt los”, seufzte Reena und wartete, dass sich Amita wie immer an die Spitze stellte.
„Nein, nein, ich kann nicht mitkommen, ich muss ja bei Taracitta bleiben.”
„Ach so”, Reena war enttäuscht.
Amita war aber schon anderweitig beschäftigt: „Hier, Yuz, vergiss nicht die mitzunehmen”, sagte sie und reichte ihm ihre Bettelschale.
„Was soll ich denn damit?” fragte Yuz völlig konsterniert.
„Die brauche ich nicht mehr, bin ja keine Nonne mehr, aber dir fällt bestimmt etwas Sinnvolles ein” sprach´s und verschwand im Haus.
Die anderen gingen ins Herrnhaus. Yuz kam sich mit der Bettelschale etwas albern vor. Er stellte sie im Salon auf den Tisch, dann versammelten sich alle außer Jagan, der im Salon blieb, in Sitas Zimmer.
Raj fragte: „Stimmt das, Sita, dass du kooperierst, dass du deiner Pflege zustimmst?” Es war das erste Mal, dass er seine Mutter mit ihrem Namen ansprach und nicht mit `Mutter´. Er war der Meinung, sie habe die vertrauliche Anrede nicht verdient und außerdem war er jetzt der Herr im Hause – und das hieß auch, dass er nicht als `Sohn´ angesehen werden wollte.
„Ja, Raj!”
Gut, dann werden Yuz und ich mich zurückziehen, damit du von den Frauen gesäubert werden kannst. Sunay wird bleiben und zusehen, denn er wird dich später auch pflegen.”
Sowohl Sita als auch Sunay bekamen einen ziemlich roten Kopf. Die anderen Männer waren inzwischen gegangen, als Ajala, die Bettdecke wegzog. Was dann kam war für alle sehr peinlich. Ajala schüttelte den Kopf: „Schade um das schöne Kleid, aber das kriegen wir so nicht herunter, wir werden es aufschneiden müssen. Sie schritt sofort zur Tat. Sunay war es unendlich peinlich, seine völlig nackte und eingekotete Mutter vor sich sehen zu müssen und er schaute an die Decke. Doch Reena holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück: „Schau zu, Sunay, ich mache das nur heute, wichtig ist auch, dass alle Falten und Ritzen fein sauber sind, damit sich nichts entzündet. Das nächste Mal sind Shanti oder du gefragt. Und stell dich nicht an, weil deine Mutter eine Frau ist. Ich muss sonst auch Ajalas Mann säubern, und zwar überall.”
„Ja,” stimmte Ajala zu, „und sie macht das sehr geschickt. Jeevan hat sich anfangs auch geniert, sich aber dann ganz gut in der Situation arrangiert.” Beide kicherten, Sunay aber wäre am liebsten im Boden versunken, obwohl er jetzt brav dort hinsah, woran die beiden Frauen arbeiteten.
Schließlich sagte er: „Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, dass sie sich gar nicht erst so verschmutzt.”
Ajala zuckte die Schultern: „Keine Ahnung. Bei Jeevan haben wir das so gelöst, dass wir ihn auf einen Topf setzen, aber er ist auch nicht völlig gelähmt.”
Shanti sagte: „Also das, was ihr heute macht, Ajala und Reena, das werde ich defintiv nicht machen.”
Sunay, der so viel guten Willen hatte, war jetzt ziemlich bestürzt: Das alles jeden Tag, jahraus, jahrein, das sollte seine Zukunft sein. Und er blickte wieder nach oben, allerdings diesmal nicht aus Scham, sondern mit dem Gedanken: `Himmel hilf!´
In diesem Moment erschien Yuz in der Tür: „Jetzt weiß ich, was Amita meinte, als sie mir das hier gab!” und er präsentierte Amitas Almosenschale.
„Das ist die Lösung!” frohlockte Sunay, nahm ihm die Schale ab und schob sie unter Sitas Gesäß.
Alle lachten auf und Sita rief es aus: „Ich bin ja so froh!”
„Und ich erst”, sagten Sunay und Shanti unisono.
„Naja, wir können es ja einmal probieren.”
Damit waren die ärgsten Probleme gelöst. Anschließend holte Raj drei Arbeiter, die beim Umräumen helfen mussten. Im Obergeschoss wurden zwei Zimmer freigeräumt, eines für Ajala und Jeevan. Und eines in dem ein Pfleger oder eine Pflegerin wohnen konnte.
Am Nachmittag zogen Ajala
und Jeevan
ins Herrenhaus, in ihr neues Zimmer. „Wer kocht
eigentlich in diesem Haus?” erkundigte sich Ajala
bei Shanti.
„Das hat früher Mutter gemacht, zusammen mit Svetha,
dem Hausmädchen.”
„Du hast nicht geholfen?”
„Mit meiner Mutter konnte man nicht auskommen, sie schimpfte und schlug, wenn nicht alles genauso war, wie sie wollte.”
„Dann hast du gar keine Ahnung von Hausarbeit?”
„Nein”, war Shantis ehrliche Antwort.
„Gut, dann wird es ja Zeit, dass du es lernst. Ich bin ab jetzt die Küchenchefin und Svetha und du, ihr unterstützt mich in der Küche und bei der Gartenarbeit.”
Shanti nickte. Das war zwar eine Degradierung für sie, die Tochter des Hauses, aber wenn sie hier half, konnte sie sich nicht gleichzeitig um ihre Mutter kümmern, sagte sie sich.
Fußnoten
1 Taracitta heißt „Die mit dem Geist und dem Herzen Taras“
2 Was hier mit Herz-Geist übersetzt ist, ist in Pāḷi das Wort „citta“, das Lied besingt also gewissermaßen Taracitta!
3 „...“ steht für: unverständlich
Erläuterungen
Abba
–
Wenn
Jesus Gott anbetete,
verwendete er dieses
aramäische Wort für
„Vater“.
Er nahm nicht die
Anrede JHWH,
die
im Judentum
verwendet
wurde. Während JHWH
den
alttestamentarischen
strengen Gott, der
ursprünglich der
Kriegsgott der Juden
war, bezeichnet,
interpretiert Jesus
das Göttliche neu
und sieht darin eine
milde,
verständnisvolle und
unterstützende
Vaterfigur.Ashram
–
bezeichnet
ursprünglich die Einsiedelei eines
indischen Asketen, heute jedoch ein
klosterähnliches Meditationszentrum
einer hinduistisch beeinflussten Sekte
an dem Anhänger einer spirituellen
Lehre leben und sich unterweisen
lassen. Den
spirituellen Leiter und Führer eines
Ashrams nennt man Guru.
Arahat (Arahant) – Heiliger, vollkommen Erleuchteter
Bhārat Gaṇarājya
– (Sprache: Hindi) indische
Bezeichnung für Indien
Bodhisattva – Figur im Mahāyāna-Buddhismus. Bodhisattvas sind Wesen, die Erleuchtung nicht nur für sich selbst anstreben, sondern zum Wohl aller Wesen. (Im Theravāda wird das Wort nur für den späteren Buddha vor seiner Erleuchtung verwendet.)
Brahmanen – eine der Kasten im
Hinduismus, nur Brahmanen dürfen religiöse Rituale vollziehe
Dharmamitta – in diesem Buch die Bezeichnung für eine Person der Metta-Sangha, die eine Zeremonie der Zufluchtnahme gemacht hat
Drei Juwelen – die drei höchsten Kostbarkeiten im Buddhismus: der Buddha (unser Ideal), der Dharma (die von ihm begründete Wissenschaft) und der Sangha (die Gemeinschaft der erfolgreich Praktizierenden), der Sanskrit-Terminus hierfür ist Triratna.
Grüne Tārā – Bodhisattva,
die für grenzenloses Mitgefühl zu allen Wesen steht. Sie
wird immer sitzend dargestellt, im Begriff aufzustehen,
um den leidenden Wesen aktiv zu helfen, ihre rechte Hand
zeigt die Geste der Wunschgewährung. Sie hat grüne Haut,
denn sie gehört traditionsgemäß zu einer Gruppe von
grünen Wesen, genannt die Karmafamilie.
Karma – im Buddhismus jede absichtlich ausgeführte Handlung. Es wird davon ausgegangen, dass Handlungen Folgen haben, die (auch) auf den Verursacher zurückwirken. Im Hinduismus hingegen wird meist davon ausgegangen, dass es karmisch heilsam sei, sich an die Regeln und Beschränkungen seiner Kaste zu halten und die Brahmanen (bezahlte) Opfer für einen bringen zu lassen.
Karma Vipāka – Folge absichtlich ausgeführten Handelns, wörtlich: die „Früchte des Handelns“ verhindern werden.
Kaste – die indische Gesellschaft wird gemäß der hinduistischenReligion in streng voneinander abgetrennte Kasten eingeteilt, diewichtigsten Kasten sind die Brahmanen (Sanskrit: ब्राह्मण, brāhmaṇa = Priester), kṣatriya (Sanskrit: क्षत्रिय, Adel, Krieger, Beamte) und die vaiśya (Sanskrit: वैश्य = Kaufleute, Händler, Großgrundbesitzer) und śūdras (Sanskrit शूद्र, = Arbeiterklasse incl. Handwerker), darunter stehen die Dalits (Kastenlose, Unberührbare). Auf diese Art schuf der Hinduismus eine Apartheidsgesellschaft mit einerarischen Mittel- und Oberschicht, und einer indigenen Bevölkerung, die man nicht einmal berühren durfte; so sollte eineRassenvermischung Tārā – siehe Grüne Tārā
Mahābhūtas
-
„Große Geister“ eine in Indien geläufige Bezeichnung
der vier klassischen Elemente der antiken Philosophie
(Erde, Wasser, Feuer/Hitze und Luft/Wind)
Mettā-Sangha – Bezeichnung für die von Yuz und Amita gestiftete Spirituelle Gemeinschaft
Pataliputra – Die Stadt (das heutige Patna) an der Mündung des Son in den Ganges wurde zu Buddhas Zeit von König Ajatasattu (unter dem namen Pataligama) gegründet worden. Ajatasattus Sohn Udayin machte sie dann zur Hauptstadt des Königreiches Maghada. Sowohl der Buddha als auch Mahavira besuchten die Stadt mehrfach und im Jahr 253 v.u.Z. fand hier dasdritte buddhistische Konzil statt.
Sangha – spirituelle Gemeinschaft, meist für die Gemeinschaft der Schülerinnen und Schüler des Buddha. (Zur Sangha in engeren Sinn gehören nur Mönche und Nonnen, zur Sangha im engsten Sinn nur Erleuchtete.)
Śūdras - (Sanskrit: शूद्र) = Arbeiterklasse incl. Handwerker, vierte (und niedigste) derGroßkasten, darunter gab es sog. „Unberührbare“
Tārā
–
siehe Grüne
Tārā
Uposatha – heißt wörtlich Fastentag. Alle sieben Tage ist Fastentag: bei Neumond, bei Vollond und bei Halbmond (es galt der Mondkalender). An diesen Tagen waren die Laienanhänger der Jains dazu aufgerufen zu leben wie die Mönche an den übrigen Tagen, die Mönche aber fasteten. Die Regeln bei den Buddhisten sind anders, dort sollen zwar die Laien auch enthaltsam leben und auf alle Unterhaltung (Musik, Gesang, Theater) verzichten. Die Mönche machen an diesem Tag das „Eingeständnis von Fehlern”, eine Art Beichte.
Zufluchtnahme – Akt, mit dem sie ein/e Buddhist/in zu Buddha, Dharma und Sangha bekennt, mitunter auch als dreifache Zufluchtnahme bezeichnet.
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