Horst Gunkel: Die Jesus-Trilogie - Band 2: Jesus - die Jahre 30 - 96 - Kapitel 11 letztmals bearbeitet am 01.09.2025
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11 - Der Auferstandene
Die einzigen Anhänger Jesu, die bei der Kreuzigung anwesend waren, waren offensichtlich Jüngerinnen, darunter Maria Magdalena, Salome und eine weitere Maria (nicht die Mutter Jesu) außerdem „viele andere Frauen, die mit ihm hinauf nach Jerusalem gegangen waren.”
Auch der römische Hauptmann wunderte sich, dass Jesus schon gestorben sein soll, da die Information jedoch von Josef von Arimathäa kam, schöpfte dieser keinen Verdacht, denn dieser Josef war ein Mitglied des Hohen Rates, das war damals das höchste Gremium des jüdischen Klerus, den Vorsitz hatte der Hohepriester, also zu diesem Zeitpunkt Kaiphas. Außerdem gehörten dem Hohen Rat damals weitere Angehörige des Priesteradels, die Ältesten der Grundbesitzer des Laienadels sowie Schriftgelehrte an.1
Josef von Arimathäa war also für die Römer unverdächtig, andererseits sympathisierte er mit den Lehren Jesu, worauf ich im Gespräch zwischen Jesus und Judas bereits hingewiesen habe. Man kann davon ausgehen, dass die Übergabe des Leichnams und seine Aufbewahrung bis zur Auferstehung ein abgekartetes Spiel war, das mit einer relativen Wahrscheinlichkeit mit Jesu Wissen (oder von ihm evtl. zusammen mit Judas geplant) über die Jüngerinnen organisiert worden war, was auch erklärt, warum die Jüngerinnen das Geschehen beobachteten, nämlich um dafür zu sorgen, dass der Zeitablauf eingehalten wurde.
Den weiteren Verlauf schildert Markus so2: „Und der kaufte ein Leinentuch und nahm ihn ab vom Kreuz und wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in ein Grab, das war in einen Felsen gehauen, und wälzte einen Stein vor des Grabes Tür. Aber Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jesus, sahen, wo er hingelegt war.”
Das erwähnte Leinentuch soll übrigens das Turiner Grabtuch sein, das die Umrisse Jesu zeigen soll. Viel wichtiger ist aber, dass er nicht unter der Erde begraben wurde, wie das bei Amar Jadoo in Rājagṛha geschehen war. Jesus lebte zwar, aber er war in einem meditativ induzierten todesähnlichen Tiefschlaf. Anders als bei den entsprechenden Übungen während seiner Zeit in Rājagṛha war er aber verletzt. Er trug mit Sicherheit Verletzungen am gesamten Körper, die auf die Geißelungen zurückzuführen sind. Ob er wirklich ans Kreuz genagelt wurde, oder ob er, wie die beiden anderen Männer, die mit ihm hingerichtet wurden, ans Kreuz gefesselt war, wissen wir nicht. Beides waren durchaus übliche Verfahren. Es ist gut möglich, dass die Annagelung eine bald entstandene Zuspitzung war, die zur Dramatisierung des Kreuzigungsaktes erfunden wurde.
Über die sogenannte Auferstehung erfahren wir nichts Genaues, Markus schildert das, was an Ostern geschah so3: „Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.”
Wir wissen natürlich nicht genau, was wirklich stattgefunden hat, doch nehmen wir einmal an, dass diese Beschreibung, die auch von den anderen Evangelisten ähnlich erzählt wird, stimmt. Es gehen also bei Markus genau die Frauen zum Grab, die auch bei seiner Kreuzigung waren: Maria Magdalena, die andere Maria und Salome. Und sie hatten Salben und wohlriechende Öle dabei, um ihn zu salben. Dieses würde Sinn machen, denn bei der Art des Scheintodes, wie es die indischen Gurus machten, und wie es auch Richard von Garbe schilderte, kommt eine Salbung mit einer wiederbelebenden Salbe zum Einsatz: „Nun kamen zwei Schüler von Haridas und rieben ihm mit einer Salbe, Kopf, Augen, Hände, Füße und die Herzgegend ein. Nach gut einer Viertelstunde wurden erste Lebenszeichen festgestellt und nach etwa einer Stunde war er körperlich und geistig wieder hergestellt.”4
Doch Jesus ist inzwischen nicht mehr da. Statt dessen ist von einem Jüngling mit einem weißen Gewand die Rede. Gab es zwei unabhänigig voneinander beauftragte Helfergruppen? Oder wusste die eine nichts von der anderen? Oder war es so, dass Jesus ohne Salbung erwachte und aufstand? Es lässt sich schlicht nicht mehr feststellen.
Uta Ranke-Heinemann hält die ganze Szene für eine nachträgliche Erfindung5 und sie gibt als Grund dafür an, dass Paulus alle Belege für die Auferstehung Jesu aufführt, die ihm bekannt sind, das leere Grab aber nicht erwähnt,6 wohl aber die anschließenden Begegnungen mit Jesus, von denen auch die Evangelisten berichten. Soweit wie Ranke-Heinemann würde ich nicht gehen, denn die Geschichte mit dem leeren Grab ist recht gut verzahnt mit der ersten Erscheinung Jesu nach seiner „Auferstehung”.
Bleiben wir also beim Markus-Evangelium. Jesus weiß, wer sich die meisten Sorgen um ihn macht und dementsprechend geht er zuerst zu ihr: „Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria Magdalena”7. Die ist natürlich hoch erfreut und verkündet die frohe Botschaft seinen Anhängern, also vermutlich denjenigen Jüngern, von denen sie wussten, wo sie sie finden konnte: „Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren, die da Leid trugen und weinten. Und als diese hörten, dass er lebe und ihr erschienen sei, glaubten sie nicht.”8
Doch Jesus trifft selbst zwei seiner Jünger und offenbart sich ihnen und auch diese wollten den anderen davon berichten, doch auch denen glaubten sie nicht.9
Als nächstes erscheint er ihnen als sie sich zu einer gemeinsamen Mahlzeit versammelt haben und gerade dabei sind darüber zu diskutieren, dass zwei von ihnen Jesus gesehen hätten: „Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin’s selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm’s und aß vor ihnen.”10
Paulus berichtet übrigens im ersten Korintherbrief davon und gibt auch die Zahl der anwesenden Apostel an: zwölf, also incl. Judas.11 Johannes erläutert dazu noch, dass die Türen verschlossen waren aus Angst vor den Juden, man kann also von einem konspirativen Treff sprechen. Allerdings gibt Johannes die Zahl der Jünger anders an: „Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.”12 Als man ihm später von Jesu Erscheinen berichtet, will er es nicht glauben und sagt: „Solange ich nicht seine Wunden gefühlt habe, glaube ich nicht daran!”
Johannes erzählte dann weiter, dass sich die Apostel acht Tage später wieder trafen und dass Jesus abermals erscheint: „Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!”13
Es sei dahingestellt, ob sich das ganz genauso zugetragen hat, wie Johannes schreibt, wir wissen ja, dass er mitunter zu theatralischen Ausschmückungen neigt. Insbesondere der letzte Satz dürfte dazu angetan sein, die Hörer zu bedingungslosem Glauben zu veranlassen.
Ich finde es jedoch intressant, dass die Evangelisten von mehreren Begegnungen zwischen Jesus und den Aposteln berichten und Jesus keineswegs irgendwie als Geist auftritt, sondern dass er einen verletzlichen und verletzten Körper hat und auch – anders als ein Geist – etwas isst. Er hat also einen normalen Körper und läuft herum, beteiligt sich an konspirativen Treffen – aber wo ist er sonst? Keiner von den Aposteln scheint davon zu wissen. Dass er sich den ganzen Tag im Freien aufhält, gar am Ölberg schläft wie vor seiner Verhaftung, ist nicht anzunehmen. Er muss – unabhänig von den Aposteln – Unterstützer haben, die ihn beherbergen. Oder eben Unterstützerinnen. Wem fiele da nicht als wahrscheinlichste Person Maria Magdalena ein?
Ein weiteres Mal taucht Jesus auf, diesmal am See Genezareth, er trifft dort Petrus. Die beiden gehen zusammen zum Fischen, dann sagt Jesus: „Weide meine Schafe!” Das kann man als den Auftrag ansehen, dass jetzt Petrus und nicht mehr Jesus der „Gute Hirte” ist, der Jesu Jüngerinnen und Jünger führen soll. Schon bei früherer Gelegenheit soll Jesus gesagt haben: "Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen”.14 Das Wort petros bedeutet im Griechischen Felsen und in der Tat war „Petrus” nicht der wirkliche Name dieses Apostels, er hieß vielmehr Simon, Jesus nannte ihn aber Petrus. Gewissermaßen ist aus dem Auftrag „Weide meine Schafe” das entstanden, was heute das Papsttum ausmacht: eine Autorität, die die „Schafe” führt – gesteuert vom Petersdom, der Kirche des Papstes.
Wir hatten uns unlängst gefragt, wo Jesus eigentlich Unterschlupf finden konnte. In Jerusalem hielt er sich offensichtlich eine Zeit lang versteckt, als er den Aposteln an Ostern und eine Woche später erschien. Inwischen ist er jedoch weitergereist, denn der See Genezareth liegt etwa 150 km nördlich von Jerusalem. Es ist die gleiche Strecke, die Jesus als dreizehnjähriger Knabe ging, als er von En Gedi über Jerusalem und Nazareth an den See Genezareth ging. Jetzt hatte er zum letzten Mal in diesem Leben diese Strecke zurückgelegt.
Und dann war da noch die Sache mit Saulus. Der war damals noch ein junger Mann, vermutlich kaum älter als zwanzig, geboren in Tarsus, eine damals bedeutende Handelsstadt in der heutigen Türkei. Die Stadt liegt keine 300 km von der damaligen Metropole Antioch entfernt. Saulus war der Sohn eines Pharisäers und wie sein Vater von Beruf Zeltmacher, außerdem erbte er von seinem Vater das Römische Bürgerrecht, damals ein nicht zu unterschätzendes Privileg. Saulus wird selbst auch Pharisäer genannt, und er bezeichnete sich als radikalen Kämpfer gegen das Christentum. Jetzt jedoch, zu dem Zeitpunkt als unsere Geschichte spielt, befindet er sich auf dem Weg nach Damaskus, wo er eine christliche Gemeinschaft gefangen nehmen soll, wie aus der Apostelgeschichte hervorgeht.15
Damaskus, das wissen wir, war auch bei Jesu erster Reise nach Indien das Zwischenziel, das Jesus auf dem Weg vom See Genezareth nach Antioch ansteuerte. Da bewegen sich also einer der schärfsten Christenverfolger und Jesus auf den gleichen Punkt zu. Es ist anzunehmen, das Jesus einen Hinweis darauf hat, wo und wann dieser Saulus, sein Widersacher, auftauchen würde, denn er spricht ihn, den er nie zuvor gesehen hatte, gezielt an: Als Saulus „aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.”16
Der ist von dieser Nachricht wie erschlagen: da verfolgt er die Anhänger eines Scharlatans, wie er glaubt, der angebliche Wunder gewirkt haben soll und wegen Hochverrates vor wenigen Wochen hingerichtet worden war. Und jetzt steht der Hingerichtete putzmunter vor ihm und stellt ihn zur Rede – völlig unaufgeregt, er fragt einfach: „Warum verfolgst du mich?”
Und natürlich erfolgt jetzt wieder etwas ebenso Wunderbares wie Verstörendes: Jesus sprach nämlich weiter: „Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. - Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemanden. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.”
Dass es Jesus gelingt, von den anderen als dem Angesprochenen weder gesehen noch gehört zu werden, mag verwundern, das ist aber etwas, das wir auch vom Buddha kennen.17 Viel interessanter finde ich die Tatsache, dass Saulus nichts sehen kann. Saulus war ein fanatischer, ein verblendeter Christenverfolger, plötzlich sieht, hört und versteht er den vermeintlich Toten – und urplötzlich wird er sich seiner Verblendung bewusst („er bemerkt, dass er nicht sehen kann”).
Jesus weiß genau, was er macht, er weiß um die drei Wurzelübel, die der Buddha in jedem Menschen diagnostiziert hat: Gier, Hass und Verblendung. Er macht dem Saulus seine Verblendung klar und die Botschaft kommt bei Saulus an: ja, er ist verblendet, er sieht die Dinge nicht wie sie sind. Gleichzeitig wird er mit seinem Hass konfrontiert: derjenige den er für tot hielt, und dessen Anhänger er töten wollte, ist ganz anders: dieser Jesus tritt ihm nicht im Kampfmodus gegenüber, er fragt einfach: „Warum verfolgst du mich?” Saulus ist seiner Grundüberzeugung beraubt, er ist in seinen Grundfesten erschüttert.
Inzwischen ist der erblindete Saulus nach Damaskus geführt worden und auch Jesus ist dort eingetroffen. Dieser sucht einen seiner Jünger auf, Hananias. Jesus beauftragt den Hananias, zu Saulus zu gehen, dieser weigert sich zunächst, da er weiß, wie gefährlich Saulus war. Doch Jesus gibt ihm Zuversicht: „Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich."18
Man kann sich vorstellen, wie verzweifelt der erblindete Saulus war, er war gerade sehend geworden, was die angemessene Sicht auf die Sekte der Christen anging, da scheint er physisch zu erblinden. Aber Jesus begegnet dem, er wendet das an, was er gepredigt hatte: du sollst nicht nur deinen Nächsten lieben, sondern auch deinen Feind. Aber Jesus weiß auch, was das für diesen jungen Karrieristen bedeutete: seine Verblendung in einem wichtigen Punkt war beseitigt, auch sein Hass war besiegt, so wie es der Buddha lehrt: Hass wird niemals Hass besiegen, nur Liebe ist in der Lage, Hass zu besiegen19. Zwei starke Wurzelübel sind bekämpft, eines noch nicht: die Gier. Aber Jesus hat keineswegs vor, diese Gier des eifrigen jungen Mannes zu besiegen, die Gier nach Einfluss, die Gier eine wichtige Persönlichkeit zu sein. Jesus will diese Gier vielmehr instrumentalisieren, er will und wird Saulus zum wichtigsten Missionar des Christentums machen.
„Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei. Alle aber, die es hörten, entsetzten sich und sprachen: Ist das nicht der, der in Jerusalem alle vernichten wollte, die diesen Namen anrufen, und ist er nicht deshalb hierher gekommen, dass er sie gefesselt zu den Hohenpriestern führe? Saulus aber gewann immer mehr an Kraft und trieb die Juden in die Enge, die in Damaskus wohnten, und bewies, dass dieser der Christus ist.“ 20
Wir
wollen
diese Geschichte hier nicht weiterverfolgen. Dieses Buch befasst sich
nicht mit dem Christentum, es hat vielmehr diese schillernde Gestalt
des Jesus von Nazareth zum Thema. Und Jesus war nach Galiläa zurückgekehrt, um den Menschen zu zeigen,
dass nicht JHWH, dieser zornige alte Mann und Kriegsgott,
ihr geistiger Führer sein soll, sondern Liebe, Agápē,
mitfühlende
Liebe
und tätige Hilfsbereitschaft. Deus
caritas
est:
die mitfühlende Liebe ist das Göttliche. (`Deus
caritas
est´ ist auch der Titel einer
päpstlichen Enzyklika von Papst Benedikt XIV. aus dem Jahr
2005).
Jesus selbst war als religiöser Anführer in Galiläa gescheitert, meiner Meinung nach, weil er seinen Jähzorn-Problem noch immer nicht im Griff hatte. Aber er hatte daraus gelernt. Und er hatte das Beste getan, was er tun konnte: er hatte sich einen sagenhaften Abgang durch die Sache mit der Kreuzigung und der Wiederauferstehung geschaffen, er hatte zahlreiche Jüngerinnen und Jünger, die im besten Fall als Multiplikatoren der Agápē, der mitfühlenden Liebe, auftreten würden. Und er hatte ganz zum Schluss noch zwei Männer beauftragt: Petrus, den Felsen, auf dem einst die Kirche errichtet würde, und Paulus – den fanatischen Eiferer – jetzt für die Botschaft der Liebe.
Für Jesus war es höchste Zeit, das Römische Reich zu verlassen, um nicht am Mythos von Kreuzigung und Auferstehung zu kratzen. Aber er war ja schon auf dem Weg, er war schon in Damaskus. Eines musste er hier nur noch erledigen. Von Hananias hatte er etwas gehört, was ihm nahezu unglaublich schien. Hananias hatte ihm von Samuel erzählt, und Jesus suchte diesen Mann auf.
Samuel war ein sehr alter Mann, er öffnete die Tür, als Jesus an seiner Hütte anklopfte. Jesus begrüßte ihn: „Namaste!”21
Sofort hellte sich dessen Gesicht auf und er antwortete auf Prakrit: „Wie schön, dass du kommst, du musst dieser Jesus von Nazareth sein. Ich habe von dir gehört, dass du bei unseren jüdischen Brüdern und Schwestern im Kaschmirtal warst?”
Jesus war perplex: „Ich verstehe nicht was du meinst? Aber du sprichst Prakrit, wenn auch einen merkwürdigen, mir sehr fremden Dialekt. Wir sprechen also über Bhārat Gaṇarājya?”
„Natürlich sprechen wir über Bhārat Gaṇarājya, genauer über Kaschmir, dort wo Teile der Zehn Verlorenen Stämme Israel abgeblieben sind.”
„Die sollen in Bhārat Gaṇarājya sein? Davon habe ich noch nie etwas gehört.”
Jetzt schaute Samuel enttäuscht drein: „Und ich dachte, du wärest dorthin gegangen, um unsere Brüder und Schwestern zu besuchen, sie vielleicht dazu zu bekommen, sich wieder mehr unserer Religion zu widmen, denn ich musste feststellen, dass kaum noch jemand sie praktiziert.”
„Nein”, sagte Jesus, „davon wusste ich nichts, aber ich bin gerade wieder auf der Reise nach Bhārat Gaṇarājya, wo ist denn dieses Kaschmir?”
„Ich nehme an, du reist über die Seidenstraße, dann kommst du doch über den Chaiber-Pass.”
„Genau, und in der ersten Stadt hinter dem Chaiber-Pass, in Puruschapura war ich eine zeitlang in einem buddhistischen Kloster.”
„Ach du warst bei den Anhängern des Buddha, aber du bist doch Jude, oder?”
„Mein Glaube liegt zwischen dem Judentum und der Lehre des Erwachten, aber schildere mir bitte, wie es dann weitergeht.”
„Ganz einfach, du gehst von Puruschapura zwei Wochen in Richtung der aufgehenden Sonne, dann bis du da.”
„Ich danke dir, Samuel, ich wusste bislang nur, dass ich zurück will nach Bhārat Gaṇarājya, aber ich wusste nicht, wohin. Jetzt weiß ich das, ich werde nach Kaschmir gehen und die Zehn Verlorenen Stämme Israel suchen. Vielleicht kann ich mit ihnen dort besser zurande kommen, als mit den Juden hierzulande.”
Sie unterhielten sich noch einige Zeit über Bhārat Gaṇarājya. Selbstverständlich bat Jesus den Samuel, nicht weiterzusagen, dass er bei ihm war und wo er hinwollte, am besten auch gar nicht, dass er noch lebe. Er übernachtete bei Samuel, dann ging er weiter Richtung Antioch, hier schloss er sich einer Karawane an.
Während dieser Reise versuchte er nirgendwo zu missionieren. Er übte sich darin zuzuhören. Und immer, wenn er merkte, dass in ihm Zorn aufstieg betrachtete er seinen Zorn, umarmte er seinen Zorn. Er schwieg viel und meditierte viel. Er übte die Brahma Vihāras. Er hatte beschlossen, dass diese Reise seine Transformationsreise war. Wann immer er früher unterwegs war, dann um die Menschen auf den richtigen Pfad zu bringen. Auf dieser Reise aber wollte er niemanden anders missionieren als sich selbst. Manchmal dachte er an seine zornigen Anfälle zurück, aber er betrachtete sie jetzt als etwas Unreifes. Und er freute sich, wie er mit dem Gegenteil von Zorn, wie er mit Liebe und Verständnis den Saulus zum Paulus bekehrt hatte. Und so hatte er beschlossen, auch den Jesus zu bekehren. Und so wie Saulus zum Paulus wurde, so wurde Jesus zu Īsā, wie er sich in Bhārat Gaṇarājya nennen wollte.
Die
Reise
war für ihn beschwerlicher als die erste als Jüngling, er
war nicht mehr der Jüngste und die Tortur der Kreuzigung
hatte Spuren in ihm hinterlassen. Es dauerte volle zwölf
Monate bis er in Puruschapura
ankam, was allerdings auch
daran lag, dass die Pässe im Winter unpassierbar waren.
Fußnoten
1 Quelle: https://www.bibelstudium.kaththeol.uni-muenchen.de/hintergruende/politik1/synedrium/index.html (26.03.2024)
2 Mark 15,46-47
3 Mark 16,1-7
4 Quelle: Calcutta Medical Journal, 1835
5 Ranke-Heinemann a.a.O. S. 162: „Das leere Grab Jesu am Morgen des Ostersonntags ist eine Legende.“
6 vgl. 1 Kor 15,14
7 Mark 16,9
8 Mark 16,10-11
9 vgl. Mark 16,12-13
10 Luk 24,36-43
11vgl. 1 Kor 15,4
12 Joh 20,24
13Joh 20,26-29
14 Mt 16,18
15 „Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, dass er Anhänger dieses Weges, Männer und Frauen, wenn er sie fände, gefesselt nach Jerusalem führe." (Apg 9,1-2)
16 Apg 9,3-5
17 Mahavagga 7,27 (Die Erzählung vom Hinausziehen des Yasa)
18 Apg 9,17-19
19 In dieser Welt hat Hass noch niemals Hass aufgelöst. Nur Liebe löst den Hass. Dies ist das Gesetz, uralt und unerschöpflich. (Dhammapada 5)
20 Apg 9,19-22
21
Eine indische
Grußformel, die aus der Rigveda stammt und in etwa
bedeutet: Ich verbeuge mich vor dir.
Erläuterungen
Agápē – (griech.) eine allumfassende, göttliche Liebe die unanbhängig ist von den Eigenschaften dessen, auf den sie sich richtet, gleichbedeutend mit mettā (auf Pali)
Antioch – war eine der Hauptstädte des Seleukidenreiches, Neugründung im Jahre 300 v.u.Z. (nach einem Erdbeben). Die Stadt heißt heute Antakya und liegt im äußersten Süden der Türkei an der syrischen Grenze (nahe Aleppo). 64 v.Chr. verleibte sich das Römische Reich die Reste des Seleukidenreiches ein, Antioch wurde zur Hauptstadt der Provinz Syrien (neben Ägypten die reichste Provinz des Römischen Reiches). Zu Jesu Zeiten hatte Antioch 500.000 Einwohner und war damit eine der vier größten Städte des Reiches (neben Rom, Alexandria und Karthago).
Bhārat Gaṇarājya – (Sprache: Hindi) indische Bezeichnung für Indien
Brahma
vihāras -
„göttliche Weilungen“ oder „erhabene Geisteszustände“,
Oberbegriff für mettā, mudita, karunā und upekkhā
mettā –
(Pali) eine sehr positive Emotion: Wohlwollen, Zuneigung,
(nichterotische) Liebe, oft als „liebende Güte“ übersetzt.
Mitunter wird sie auch als „Allgüte“ bezeichnet, denn mettā
soll allen Wesen in gleicher Weise entgegen gebracht
werden. Es ist das, was beispielsweise Jesus meint, wenn
er sagt, man solle nicht nur seinen Nächsten lieben wie
sich selbst, sondern sogar seinen Feind
muditā –
Mitfreude, eine der brahmā vihāras
karunā =
Mitgefühl ist
das
Gefühl, wenn mettā auf
ein leidendes Wesen trifft. Es ist etymologisch verwandt
mit caritas
(lat.: Barmherzigkeit) und mit to
care (engl.: sich
kümmern um)
upekkhā –
Gleichmut (nicht Gleichgültigkeit!), eine von mettā
getragene Emotion, die ein Wesen als Produkt seiner
Bedingungen, seiner Umwelt und seiner individuellen
(genetischen, sozialisatorischen und karmischen)
Dispositionen sieht
Chaiber-Pass – ist der östlichste Teil des Hindukusch, eines Hochgebirges in Afghanistan. Das Wort Hindukusch bedeutet “Hindumörder”, denn in der Frühzeit kamen hier die meisten Hundus (Inder) um, sie waren die Kälte nicht gewohnt.
Erwachter – Synnonyn für den Buddha, einer der Erwachen erreicht hat.
Galiläa
- Region westlich des See Genezareth, das Wort bedeutet
"Bezirk der Völker. Ganz im Süden von Galiläa liegt Nazareth,
wo Jesus aufwuchs.
Guru – spiritueller Lehrer und/oder Anführer
JHWH – ist der Eigenname des Gottes im Tanach. Da es in der hebräischen Schrift keine Vokale gibt enthält er keine Konsonanten. Ausgesprochen wird er Jahwe, oder auch Jehova.
Kaiphas - Informationen über Kajaphas finden sich im Werk des jüdischen Historikers Flaviua Josepus. Kaiphas wurde im Jahr 18 n. Chr. durch den römischen Präfekten Valerius Gratus zum Hohepriester berufen. Das Amt des Hohepriesters war seit der Regierungszeit Herodes des Großen kein erbliches, lebenslang ausgeübtes Amt mehr, sondern wurde von den jeweiligen Machthabern nach politischer Opportunität an ein Mitglied der Priesteraristokratie vergeben. Da die jüdisch-religiösen Ämter in dieser Zeit wesentlich vom Wohlwollen der römischen Besatzungsmacht in Judäa abhingen, wird Kajaphas in erheblichem Maße auf römische Belange Rücksicht genommen haben. Nach dem Zeugnis des Flavius Josephus erfolgte die Absetzung des Kajaphas durch den Lucius Vitellius im zeitlichen Kontext der Abberufung des Pontius Pilatus als Präfekt von Judäa im Jahr 36/37 u.Z., was auf enge Verflechtungen zwischen Kajaphas und dem römischen Statthalter hinweist. (Quelle: Wikipedia am 23.3.2024)
Kaschmir – Ein zwischen Indien, Pakistan und China umstrittenes Land. Als mit dem Ende der britischen Kolonie Indien das Land in Indien und Pakistan aufgeteilt wurde, blieb Kaschmir zunächst unabhängig. Der damailge Maharaja Hari Singh versuchte den Anschluss an einen der beiden neuen Staaten zu vermeiden. 1948 forderte die UN den Beitritt Kaschmirs zu Indien oder Pakistan. Dieser wurde bislang nicht umgesetzt. Vielmehr lieferten sich Indien und Pakistan mehrere Kriege um die Region. Das Land ist heute geteilt zwischen Pakistan und Indien.
Pharisäer – (altgr.: Φαρισαῖος pharisaios) waren eine theologische, philosophische und politische Schule im antiken Judentum. Sie wurden nach der Zerstörung des Jerusalmer Tempels 70 u. Z. die einzige bedeutende überlebende jüdische Strömung. Vielfach werden sie auch als „Schriftgelehrte“ bezeichnet. Ihre spirituellen Führer wurden als Chachamim („Weiser“) bezeichnet. Sie waren auch Prediger. Im Neuen Testament werden Vertreter der Pharisäer als Heuchler kritisiert und herabgewürdigt. (nach Wikipedia 19.3.2024)
Prakrit (Sanskrit, प्राकृत, n., prākṛta) ist die Bezeichnung für diejenigen indoarischen Sprachen, die in der sprachgeschichtlichen Entwicklung auf das Altindische folgten. Sie wurden etwa in der Zeit vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis zum 11. Jahrhundert n. Chr. gesprochen. Natürlich gab es auch im Prakrit regionale Unterschiede.
Rājagṛha – zu Buddhas Zeiten die Hauptstadt des nordostindischen Königreichs Maghada. Hier fand kurz nach Buddhas Tod das erste buddhistische Konzil statt. Heute ist die 50.000 Einwohner zählende Stadt relativ unbedeutend, sie heißt jetzt Rajgir und liegt im indischen Bundesstaat Bihar. In unmittelbarer Nähe lag die größte buddhistische Universität, wo gleichzeitig etwa 15.000 Studierende von 1000 Professoren unterrichtet wurden (Diese Zahlen beziehen sich aufs 5. Jhd. u.Z.)
Puruschapura - Heute heißt die Stadt am östlichen Ausgang des Chaiber-Passes Peschawar und hat 2 Mio. Einwohner; zu Jesu´ Zeiten war die Stadt erst vor wenigen Jahrzehnten von den buddhistischen Königen Gandharas gegründet worden.
Zehn Verlorene Stämme Israel – Das israelitische Nordreich wurde von den zehn Stämmen der insgesamt zwölf Stämme Israels bewohnt. Nach der Eroberung durch die Assyrer im Jahr 722/21 v.u.Z. wurde ein großer Teil der Einwohner umgesiedelt. (2 Kön 17,6). Im Laufe der Geschichte verlor sich die Spur der Deportierten. Bisher wurden vom israelischen Rabbinat zwei Gruppen als Nachfahren der zehn Stämme anerkannt, nämlich die Falascha aus Äthiopien (anerkannt 1973) und Bnei Menashe aus dem Nordosten Indiens (anerkannt 2005). (Quelle: Wikipedia am 27.3.2024)
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