Häuptling Vier Messer sucht ein haltbares Pferd
Stand: 2000-07-20
Die Geschichten von der Familie O´huahua scheinen in einer sehr weit vergangenen Zeit zu liegen. Tatsächlich aber verläuft die wirtschaftliche Entwicklung in verschiedenen Teilen der Welt ungleichmäßig. Brasilianische Indios befanden sich Ende des 20. Jahrhunderts noch auf der Stufe des Tausches Ware gegen Ware, wie er in der Geschichte von Tante O´huahuas Lampe beschrieben wird. Wir bezeichnen diese erste Stufe der Marktwirtschaft als Tauschwirtschaft ohne feste Wechselkurse. Diese Bezeichnung macht deutlich, dass es auch eine Tauschwirtschaft mit festen Wechselkurse geben könnte.

Eine solche Tauschwirtschaft ist historisch jünger. Aufgrund der geschilderten Probleme aus dem Vollmondmarkt war es sinnvoll, dass bestimmte Güter, die allgemein begehrt waren, in einem festen Kurs getauscht wurden (z.B. 20 Hühner = 1 Ziege). Auf diesem Stand des Zahlungsverkehrs befanden sich die nordamerikanischen Indianer zu dem Zeitpunkt, als die Europäer den Kontinent eroberten (um 1800). Ein Reisender berichtet:

Die Indianer leben in Zelten, den Tipis oder Wigwams. Hier spielt sich das häusliche Leben ab. In einer dörflichen Gemeinschaft finden wir vielleicht 20 oder 30 Tipis. Da die Männer sich der Jagd widmen und die Büffelherden umherziehen, ist es sinnvoll eine solche nichtsesshafte Wohnweise zu haben.

Während die Männer auf der Jagd sind, befinden sich Frauen und Kinder in ihrem Dorf. Die Frauen (Squaws) sind beinahe immer mit irgendeiner Arbeit beschäftigt: sie beaufsichtigen die Kinder, bereiten die Nahrung, bessern etwas an ihrem Besitz aus oder beschäftigen sich mit Handarbeiten.

Während die Männer am Abend am Lagerfeuer die Jagderlebnisse austauschen, sind die Squaws dabei, Decken zu produzieren. Wann immer sie Zeit übrig haben, sind sie mit dem Erstellen der Decken beschäftigt, die unterschiedliche Muster haben, aber praktisch immer eine Standardgröße. Diese Decken sind sehr praktisch und dienen dem Stamm zu allem möglichen: als Sitzfläche, als Tisch, als Unterbett und als Bettdecke, mit einem Loch darin als Poncho, aber auch als Reitdecke und als Wickeltuch für Säuglinge, die von ihren Müttern so überall hin getragen werden können. Darüber hinaus aber haben die Decken noch eine weitere wichtige Funktion: sie dienen als allgemeines Tauschmittel, die Decke ist praktisch die kleinste Währungseinheit für alle Tauschgeschäfte sowohl innerhalb des eigenen Dorfes, als auch bei den ein oder zweimal jährlich stattfindenden Stammestreffen.

Die Indianer kleiden sich meist in Hosen aus Leder. Diese sind sehr strapazierfähig und daher für das Leben in der Wildnis gut geeignet. Sie bieten auch Schutz gegen Dornen und Insektenstiche. Auch die Hosen werden von den Squaws gefertigt, jedoch beherrschen nicht alle diese Fertigkeit gleich gut, so dass sich eine gewisse Arbeitsteilung herausgebildet hat: ein Teil der Frauen fertigt Hosen, der größere Teil Decken. Da die Hosen schwieriger zu fertigen sind und mehr Arbeitszeit in ihre Produktion investiert werden muss, ist ihr Wert höher als der der Decken. Es hat sich im Laufe der Zeit ein allgemeiner Tauschkurs zwischen Decken und Hosen herausgebildet, der erstaunlich stabil ist und von allen Dörfern respektiert wird, der Kurs ist

2 Decken = 1 Hose
Ein ganz wichtiges Hilfsmittel der Indianer bei der Jagd, vor allem, wenn es um das Häuten und Zerteilen der Beute geht, ist das Messer. Für uns Europäer stellt das Messer ein ganz alltägliches Gerät dar, das in Manufakturen oder den neuen Industrien in großen Massen erstellt wird. Da die Indianer über eine solche Technik nicht verfügen, tauschen sie Messer bei Weißen ein. Dadurch ist das Messer unter den Indianer vergleichsweise teurer. Der Marktkurs, der sich in den letzten 20 Jahren herausgebildet hat beträgt
2 Hosen = 1 Messer ( = 4 Decken)
Ich habe oben schon darauf hingewiesen, dass die Indianer in Tipis wohnen. Jede Familie hat mindestens ein solches Zelt, das an der Spitze 15 bis 20 Fuss hoch ist und vom Wohnraum einem mittleren Zimmer, wie wir es in unseren englischen Häusern haben, entspricht. Die Tipis bestehen aus Baumstämmen als Gerüst, das eigentliche Zeltmaterial ist Leder, meist vom Büffel, dadurch ist es wasserundurchlässig. Die einzelnen Büffelfelle sind mit Lederriemen zusammengenäht. Da für ein solches Tipi mehrere Büffel erlegt worden sein müssen und außerdem einige Bäume gefällt, entastet und bearbeitet werden mussten, wird deutlich, dass es sich bei dem Tipi um ein relativ wertvollen Gegenstand handelt, der gleichwohl sehr nützlich und allgemein beliebt ist. Da ein solches Tipi sehr haltbar ist, schadet es nicht, ein zweites (oder drittes) in Reserve zu haben, es dient also gewissermaßen auch als Kapitalanlage. Daher hat sich auch hierfür ein fester Kurs herausgebildet:
2 Messer = 1 Tipi ( = 8 Decken)
In den letzten Jahrzehnten ist die Büffeljagd zu Pferde immer mehr aufgekommen. Die Indianer sind mit Pferden wesentlich beweglicher und praktisch jeder Mann möchte ein Pferd haben, nicht nur der Mobilität wegen und der besseren Jagdmöglichkeiten, das Pferd ist vielmehr zum Statussymbol geworden, entsprechend hoch ist der Preis.
1 Pferd = 2 Tipi   ( = 16 Decken)
Damit gehört das Pferd zu den begehrtesten Gütern. Ist der Indianer so also mit einem kleinen Vermögen an Decken ausgestattet, besitzt er eine Hose und möglichst noch eine zwei zum Wechseln, nennt ein Tipi sein eigen und ein Pferd, mit dem er über die Prärie galoppiert, so fehlt ihm zum Glück, und um ein anerkanntes Mitglied der Stammesgemeinschaft zu sein eigentlich nur noch ein Gut, es ist allerdings das teuerste, für das Standardkurse existieren:
1 Frau = 2 Pferde ( = 32 Decken).
Nachdem wir nun den Wert der Frau marktwirtschaftlich ermittelt haben (eine Frau ist immerhin 16 Hosen wert), können wir uns der Vor- und der Nachteile dieses Kurssystems widmen. Die Vorteile gegenüber dem zuvor aufgezeigten System des Marktes ohne feste Wechselkurse liegen auf der Hand: für Tante O´huahua und Kmeschise wäre es wesentlich einfacher gewesen, Töpfe gegen Decken, Hosen und Messer einzutauschen und mit diesen dann auf Lampenkauf zu gehen. Knut hätte den Kurs für seine Lampe in diesen anerkannten Tauschmittel ausdrücken können, also z.B.: diese Lampe kostet 1 Messer und eine Hose.

Beim Tipi haben wir schon einen weiteren Vorteil dieses Systems benannt: Tipis sind haltbar, ma kann sie jahrzehntelang nutzen. Allerdings sind auch Jahrzehnte eine begrenzte Zeit. Die Überschrift dieser Geschichte macht das Problem deutlich: "Häuptling Vier Messer sucht ein haltbares Pferd". Pferde sind nicht beliebig haltbar. Die Lebenserwartung eines Pferdes liegt bei 20 Jahren, es ist damit also alles andere als eine Zukunftsinvestition. Aber auch ein 15-jähriges Pferd sieht zwar noch aus wie ein Pferd, es genügt jedoch nicht den Erfordernissen der Indianer: das Pferd muss schnell und wendig sein, es muss die Kommandos seines Besitzers respektieren, erst so wird das Pferd zum Inbegriff moderner Mobilität und zum Statussymbol. Diesen Wert jedoch verliert das Pferd nach einigen Jahren. So ist es kein Wunder, dass aus den Büchern Karl Mays zwar die Gewehre des Helden Old Shatterhand jedem eingefleischte Karl-May-Leser bekannt sind (der Bärentöter und der Henrystutzen), der Name des Pferdes jedoch nicht. Kein Wunder, die Pferde haben nichts so lange gehalten.

Es gibt allerdings eine Möglichkeit, auch das Pferd als Zukunftsinvestition zu betrachten, es hat nämlich die Möglichkeit, sich zu reproduzieren. Aus jeweils einem Hengst und einer Stute lassen sich viele Pferde machen, wenn man bereit ist entsprechend Arbeit und Zeit zu investieren, gerade die aber sind (nicht nur für die Indianer) knappe Güter.

Was für das Pferd gesagt wurde, gilt natürlich auch für die Frau: sie ist von begrenzter Haltbarkeit. Angenommen der junge Häuptling Vier Messer würde Ersparnisse für seine alten Tage bilden wollen, und sich dafür zwei Ersatzfrauen kaufen (Alter bei der Investition: 20 Jahre). Wenn er dann betagt ist - gehen wir einmal vom hiesigen Rentenalter von 65 Jahren aus - wollte er die Frauen wieder verkaufen, so erkennen wir deutlich, dass der Gebrauchswert der dann 60-jährigen Squaws deutlich geringer ist, als der von 20-jährigen Frauen, und mit dem Gebrauchswert sinkt natürlich auch der Tauschwert, möglicherweise bis zur 0-Decken-Marke. Genau wie für die Pferde gilt allerdings auch für den Besitz der Frau, dass er reproduktionsfähig ist. Sicher ist unser Häuptling Vier Messer in der Lage mit seiner Squaw für Nachwuchs zu sorgen, neue Squaws zu produzieren die ihrerseits dann nach 15 bis 20 Jahren einen schönen Ertrag an Hosen und Messern abwerfen. Außerdem verzinst sich die Investition in Frauen: als Zinsen wirft die Frau alle vier bis fünf Monate eine Decke ab.

Ähnlich wie in dem Abschnitt über die Sklavenhaltergesellschaft wird auch hier deutlich, wie anders das Wertesystem zu unterschiedlichen Zeiten ist. Für uns ist die Frau ein Wesen mit den gleichen Rechten wie der Mann, sie zum Objekt des Tauschs zu machen und unter Gesichtspunkten wir Investition, Haltbarkeit, Gebrauchs- und Tauschwert sowie Verzinsung zu sehen, widerstrebt uns.

Wie zeitabhängig ein solch grausames Verhältnis gegenüber empfindsamen Wesen ist sollten wir uns jedoch in zweierlei Richtung verdeutlichen: unter den Umständen der nordamerikanischen Gesellschaft vor 200 Jahren schien es als normal angesehen zu werden, übrigens nicht nur bei den Indianern sondern auch bei den Weißen in den Südstaaten, die mit ihren Sklaven oftmals wesentlich unmenschlicher umgegangen sind als die Indianer mit ihren Frauen. Wir können dies aber auch in eine andere Richtung betrachten: vielleicht fanden wir den Warencharakter des anderen fühlenden Wesens in der obigen Schilderung als ganz normal: des Pferdes.

Und wenn wir uns Indianerfilme oder Western ansehen, so stellen wir fest, dass der Umgang mit Pferden häufig nicht anders ist als der mit Sachen, sie werden gehetzt und verschlissen. So gingen übrigens nicht nur die Indianer vergangener Jahrhunderte mit Pferden um, sondern auch die Filmindustrie bis in unsere Tage. Und wenn wir an der Kinokasse für einen Film zahlen, in dem möglicherweise Tiere geschunden werden, so finanzieren wir und ermöglichen damit erst diese Grausamkeiten. Und das obwohl unumstritten ist, dass Pferde genauso empfindsam sind (was körperliche und psychische Vorgänge angeht) wie Menschen.

Das gleiche gilt übrigens auch für andere hochentwickelte Lebewesen, das Schwein z.B., das in der Geschichte mit dem Lampenkauf getötet wurde, war Opfer der Gier (nach einem Geschmackserlebnis). Auch  die drei Männer die Opfer des Tontopfräuber wurden waren Opfer der Gier (nach Besitz). Und auch die Erzählerin der Geschichte von dem Tontopfraub war ein Opfer der Gier (einer Vergewaltigung).

Häufig aber identifizieren wir uns mit dem Opfer nur dann, wenn es uns ähnlich ist und empfinden nur dann die Tat als schlimm. Mit dem Opfer einer Tötung identifizieren wir uns häufig nur dann und bedauern die Tat, wenn das Opfer ein Mensch ist. Mit dem Opfer einer Vergewaltigung identifizieren wir uns häufig nur dann, wenn wir eine Frau sind.

Zurück zum Tauschmittel. Das Prinzip der festen Warenkurse wurde praktisch zu Beginn aller Hochkulturen eingeführt, und galt z.B. auch in den Anfängen des Römischen Reiches (vor 2500 Jahren). Das Wort "pecunia" steht im Lateinischen sowohl für "Vieh" wie auch für "Geld". Das ist der Grund, warum im Eingangsbereich des Geldmuseums der Deutschen Bundesbank in Frankfurt eine (künstliche) Kuh steht. Die Worte "pekuniär" (geldlich) und "Penunzen" (umgangssprachlich für Geld) sind davon abgeleitet.



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