Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 22.1.2020

Szene 101 – Von Tücken und von Türken - 2014



Auszug aus meinem Pilgertagebuch während meiner Wanderung Richtung Indien, es war der 122. Tag meiner Wanderung, ich war inzwischen in der Türkei und nahm gerade meine Wanderung im Sommer 2014 wieder auf. An diesem Tag war ich von Mara geplagt und von äußerst unangemessenen Gedanken, aber sieh selbst:


Am Tag zuvor war ich in Lüleburgaz angekommen, wohin mich die Wanderung des 123. Tages bringen soll. Da alle dortigen im Internet vertretenen Hotels nicht meinen Preisvorstellungen entsprachen, hatte ich mir vorgenommen, bereits gegen Mittag einzutreffen, um nach einem preiswerten Hotel zu suchen und außerdem die Möglichkeiten für den ÖPNV zu ermitteln. Obwohl mir die Hitze von deutlich über 30 Grad schwer zusetzte, verlief dies erstaunlich gut. Nur mein Navi kam mit der Hitze weniger zurecht, er zeigte mit dem Pfeil wie immer in die Zielrichtung, doch je weiter ich fuhr, desto mehr entfernte sich das Ziel, wenn ich rechts abbog, zeigte es dass ich links fuhr und bisweilen drehte er die Ansicht um einen durch 90 teilbaren Winkel, sodass ich mich schließlich in der Hitze zu Fuß auf die Suche machte, was sogar funktionierte. Ich fand ein Hotel für 20 € und die Busbahnhöfe von Babaeski und Lüleburgaz. Ich glaube sogar jetzt zu wissen, wie man sie mit Google findet, wenn das Tablet gerade nicht streikt, was es seit gestern aber gerne macht, dem ist es eben auch zu heiß.

Am Morgen fuhr ich mit dem Hinayana zurück nach Havsa, an die nämliche Stelle, an der ich im Vorjahr meine Pilgerwanderung unterbrochen hatte, an einen Springbrunnen, bei dem sich das Wasser über künstliche Tiere wie Kühe ergießt. Türkische Springbrunnen sind immer für eine Überraschung gut!

Da ich früh aufgestanden war, nämlich als der Muezzin kurz vor fünf (entspricht 4 h MESZ) erstmals zum Gebet rief, war ich damit (man könnte es auch Meditation nennen) schon beschäftigt und hatte die mir derzeit wichtigsten Buddhas und Bodhisattvas bereits in meinem Zimmer versammelt. Frühstück gibt's erst ab 7 h, doch bereits vor 6 h hatte ich das Hotel verlassen, die morgendliche Kühle von 22 Grad auszunutzen ist für den vorausschauenden Pilger wichtiger als eine Mahlzeit!

In der Morgendämmerung war ich zum Denkmal der nassen Kuh von Havsa gefahren und als die Sonne schlaftrunken über die Hügel blinzelte, schritten meine Wanderstiefel bereits über den Asphalt des leider nur sehr mäßig idyllischen Pilgerpfades, der etwa so aussieht wie woanders eine sechsspurige Autobahn mit zusätzlich rechts, links (und als Un-Grünstreifen auch in der Mitte) jeweils eine drei Meter breite Betonplatte, gewinkelt, zur Aufnahme von Regenwasser und Fahrzeugen, die die Straße nicht getroffen haben. Das Schöne daran: der jeweils äußere Fahrstreifen ist nur für Pilger, Radfahrer und Pferdewagen. Radfahrer gab es heute drei, Pferdewagen etwas mehr, Pilger weniger.

Der Tag verlief recht unspektakulär: 19.000 Mal den linken Fuß voransetzen, in etwa genauso oft den rechten, dann habe ich mein körperliches Tagespensum abgearbeitet, ergibt 29 km, eben die Strecke von Havsa nach Babaeski. Insgesamt muss man die Nummer mit dem linken Fuß während der ganzen Pilgerwanderung rund 10.000.000 Mal in die richtige Richtung machen, dann sieht man nicht mehr die Gelnhäuser Marienkirche vor sich, sondern den Maha Bodhi Tempel, alles sehr unspektakulär - wenn nix dazwischen kommt jedenfalls.

Einen kleinen Schreck bekam ich heute, als ein relativ großer Hund sich mir von hinten näherte. Die wilden Hunde sind in der Regel völlig ungefährlich, morgens gehen sie auf die Straße und ernähren sich von dem Aas, das tags zuvor die Autos zur Strecke gebracht haben, und in der Regel verschwinden sie, sowie sich ein Mensch nähert, verbellen ihn auch nicht, sondern kneifen ihren Schwanz ein, eine Feigheit, die sicher nicht ohne Grund entstanden ist.

Der heutige Hund war aber anders, er verbellte mich. Ich hatte mich kurz umgedreht: ein großer brauner Hund, Dogge oder so. Nun hörte ich, wie er sich laut bellend von hinten näherte. Nicht fixieren, dachte ich mir, nicht stehen bleiben, nicht schneller werden. Da ein zweites Gebell, ein ebenso großer schwarzer Hund lief mir von links entgegen. Hoffentlich haben die hier nicht noch mehr Freunde, die den „Club der geschundenen Rächer“ aufgemacht haben, dachte ich so bei mir und blickte rechts neben mich. Eine freundliche männliche Person mit grüner Haut ging neben mir, die rechte Hand wie zum Gruße erhoben, die Abhaya-Mudra, die Geste der Furchtlosigkeit. Amoghasiddhi hatte ich letztmals in der letzten Nacht während meiner Meditation getroffen. Es ist schön, Freunde zu haben. Ich versuche die - eigentlich recht vernünftigen - Zweifel abzuschütteln, ob alle Hunde Amoghasiddhi sehen können und ob alle so antworten wie diese beiden, die einfach verstummt waren und - wie ich vermute - auch stehen geblieben sind.

Mitunter klappt aber nicht alles so gut, nämlich immer dann wenn mein ärgster Widersacher auftritt. Vielleicht ist es Mara, ihn habe ich aber noch nie gesehen, aber den Ort, wo mein Widersacher auftritt, den kann ich genau ausmachen, er sitzt in meinem citta, meinem Herz-Geist, und dort meldete sich einmal mehr eine garstige Stimme. Und das kommt so: Immer wieder fahren Autos an mir vorbei und hupen. Das war schon seit Österreich so, und praktisch immer - so schien mir jedenfalls - handelte es sich dabei um türkisch aussehende Männer.

Es schien mir nicht immer ein wirklich freundliches Grüßen zu sein, manchmal schien mir der Blick zu sagen: „Was willst denn du hier, wenn du kein Auto hast, dann hau ab von der Straße!“ Ein oder zwei Mal hat man mir auch schon vorgeworfen, ich sei auf der falschen Straßenseite unterwegs, weil ich links gehe. Im Einklang mit meinen früheren Beobachtung und meinen daraus resultierenden Vermutungen, hat sich die Häufigkeit des Angehuptwerdens vermehrt, seit ich in der Türkei bin. Jeder Zehnte hupt mich an, was dem Erfolg meiner Versuche im Gehen zu meditieren eindeutig keinen Vorschub leistet.

Und dann meldet sich der Widersacher in meinem Geist und sagt mir. „Naja, hat mit der Evolution zu tun, auf einer bestimmten Stufe ist das eben so: dann bellt der Hund und der Türke hupt.“ Selbstverständlich weiß ich sofort, dass das kein Rechtes Denken ist (eher rechtsgerichtetes!) und ich versuche das abzuschütteln, aber dann kommt wieder dieser Widersacher in meinem citta und dem fallen dauernd vorurteilsbestätigende Dinge ein. Und wieder versuche ich dem entgegen zu treten, vielleicht eine kleine metta bhavana einlegen? „Ja!“, ruft mein Widersacher: „Mit einer eigenen Phase für Türken und Hunde - und als Sahnehäubchen noch eine Phase für doppelt geschädigte türkische Hunde.“ Irgendwie fallen mir plötzlich lauter Dinge ein, die erheblichen Zweifel auslösen, ob meine Versuche, mich in der Meditation mit Manjusri (Weisheit) und Tara (Mitgefühl) zu beschäftigen von dauerhaftem Erfolg bekrönt seien.

Auf diese Weise mit den Dämonen kämpfend, die wohl auch schon Herrn Sarrazin zu schaffen machten, erreiche ich durstig, auf der Suche nach einer Toilette und hochrot, ob der Hitze (34 Grad im Schatten aber seit Stunden kein Schatten) und der Kämpfe mit meinen inneren Dämonen, Babaeski.

Da, eine Gaststätte, sie sieht relativ einladend aus. Bestimmt haben die dort eine Toilette. Ich habe heute schon zwei Liter Wasser getrunken, einen ziemlich warmen Liter aus meinem Rucksack und einen kalten an einer Tankstelle.

Ich will aber nicht, wenn ich in einer Gaststätte zur Toilette gehe, nur ein billiges Wasser bestellen (kostet hier nur zwischen 15 und 35 Cent), will lieber dem Wirt etwas mehr zu verdienen gaben. Also bestelle ich eine Cola. Als ich zahlen will, wollen die Wirtsleute jedoch von mir kein Geld. Ich muss sehr abgekämpft ausgesehen haben. Wer in der Türkei zu Fuß unterwegs ist, wo der Bus für die gleiche Strecke nur umgerechnet ein bis zwei Euro kostet, der muss wirklich arm sein, so glaubt man hier. Ich fühle mich beschämt ob meiner vorigen Gedanken, weiß aber auch, dass der Himmel mir auch diesmal wieder ein Zeichen zur rechten Zeit gegeben hat.

Zum Vergleich: Vor zwei Wochen hatte ich im reichen Frankfurt auf einem Straßenretreat als obdachloser Buddhist um 50 Cent lange vergebens für ein Frühstück bei der Caritas gebettelt. An diesem Tag bekam ich kein Frühstück und auch kein Mittagessen. Ich glaube ich habe beim Betteln einen Fehler gemacht: ich hatte türkisch aussehende Leute nicht angebettelt, das war wohl wieder so ein Vorurteil von mir. Es ist gut zu wissen, dass der Ozean der Unendlichkeit immer bereit ist, uns Lehren zu erteilen. Ich nehme mir vor, in Zukunft noch offener für die Schule der Leerheit zu sein.


Inzwischen glaube ich auch zu wissen, warum die mich anhupen, sie wollen mir zu verstehen geben, dass ich auf der rechten Fahrbahn gehen soll, damit mildtätige Menschen die Chance haben, mich mitzunehmen!

Ich lerne! Eigentlich ist das alles eine tolle Erfahrung und ein sehr gutes Zeichen!

C.G. Jung nennt die negativen Aspekte des eigenen Selbst den "Schatten". An diesem Tag verfolgte er mich.



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