Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 30.1.2020

Szene 098 – Ein Projekt auf Zeit - MaO - 2009-2017



Ich war seit fast 20 Jahren Buddhist und wollte für die Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens (FWBO) ein Buddhistisches Zentrum im Rhein-Main-Gebiet etablieren. Dazu hatte ich zu Beginn des Jahrhunderts einen 4-Stufen-Plan aufgestellt (vgl. Szene 057 - 4-Stufen-Plan) und gehofft bis zum Ende des Jahrzehnts ein solches Zentrum in Frankfurt aufgebaut zu haben. Die erste dieser Phasen habe ich im Jahr 2002 in Hanau gestartet (vgl. Szene 062 – Dharma untern Dach), die dritte Phase 2004 in Frankfurt (vgl. Szene 074 – Habsburger) jedoch hatte sich in den Jahren 2007 und 2008 herausgestellt, dass mein Plan scheitern würde (vgl. Szene 090 – Krise in der Habsburger).

Ich wusste, dass meine Pensionierung im Jahre 2017 anstand, dann hatte ich vor in eines der bestehenden FWBO-Zentren in Deutschland zu gehen. Es blieben also noch acht, neun Jahre. In dieser Zeit wollte ich jedoch nicht ohne Aktivitäten zur Verbreitung des Dharma bleiben. So hatte ich die Idee, nunmehr eine kleine Meditations- und Dharmastudiengruppe in Gelnhausen zu gründen, wo ich seit 1977 arbeitete. So wie es zuletzt in Frankfurt in der Habsburger lief, so etwas würde mir in Gelnhausen auch gelingen, also einige wenige Menschen um mich zu scharen, die sich für Meditation und Buddhismus interessierten, sagte ich mir.

Bereits im Sommer 2008 hatte ich bei Immoscout eine Suchanzeige nach Räumlichkeiten in Gelnhausen aufgegeben. Ich wollte eine Wohnung in der Innenstadt, innerhalb der Stadtmauern haben, am liebsten mit drei Zimmern, einen großen Meditationsraum, einen kleinen Aufenthaltsraum und einem Zimmerchen, in dem ich wohnen, schlafen und arbeiten kann. Leider gab es in den folgenden Monaten das Gesuchte nicht. In einen Ortsteil außerhalb der Kernstadt von Gelnhausen wollte ich nicht, denn Menschen gehen lieber dorthin, wo sie sich auskennen. Alles andere scheint ihnen obskur, so jedenfalls war es mir in Frankfurt ergangen, wo ich Meditation im 6. Geschoss eines Hochhauses angeboten hatte und nur wenige Leute anlocken konnte. Am liebsten wäre mir ein Domizil direkt am Ober- oder Untermarkt, einem Ort den jeder im Umkreis von 20 km kennt. „Meditation am Untermarkt“ das wäre doch etwas – oder eben am Obermarkt.

In Frankfurt hatte ich in einer Wohnung mit zwei großen Zimmern gewohnt. Das größere war der Meditationsraum, im anderen lebte ich die ersten zwei Jahre mit Sandra, danach ging Sandra zu ihren Eltern zurück, um ihren Vater rund um die Uhr zu pflegen. Wir hatten jetzt nur noch eine lockere Beziehung. Ende Februar ergab sich ein Gespräch zwischen Dayanidhi, Sandra und mir, nach dem unsere Beziehung endgültig beendet war. Und dann plötzlich geschah es: in den darauffolgenden 14 Stunden (!) bekam ich drei Angebote in Gelnhausen, die alle meine Kriterien erfüllten. Ich entschied mich für die geeignetste davon, Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Hauses Obermarkt 2. Hier konnte ich meinen Wunsch, MaO „Meditation am Obermarkt“ zu etablieren, realisieren.

Anfang April kaufte ich mir ein Fahrzeug, das alsbald den Namen „Hinayana“ (kleines Farzeug) trug. Der Einzug sollte zum 1.6. sein, Mitte Mai konnte ich aber schon in die Wohnung und wann immer ich zur Arbeit fuhr – jetzt nicht mehr mit dem Zug, sondern mit dem Hinayana - transportierte ich etwas nach Gelnhausen. Unter anderem den Schrein und die Rupa. Eine wunderbare Meditation inspirierte mich dann zum Mythos von der Gelnhäuser Rupa (Szene 020).

In den Sommerferien verteilte ich 10.000 Flyer an alle Haushalte in Gelnhausen und Umgebung. Das war mehr Arbeit, als es klingt, denn das meiste sind Einfamilienhäuser. Das lief dann so: Kein Briefkasten außen am Grundstück, durch einen großen Vorgarten von einer der Villen z. B. in Eidengesäß, bis zum Briefkasten, dann wieder runter vom Grundstück und auf das nächste, so waren die Abstände zwischen zwei Briefkästen häufig mehr als 50 m. Beim Einwurf rezitierte ich immer: „Sabbe satta sukhi hontu“, mögen alle Wesen glücklich sein. Das machte ich morgens etwa für drei Stunden und abends nochmals, mittags war es zu heiß. Dann arbeitete ich lieber daran, den Meditationsraum zu bemalen.

ffmIch war die ganzen Sommerferien damit beschäftigt, die Flyer zu verteilen, weitere Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und den Meditationsraum ansprechend herzurichten. Vor allem die Wandbemalungen und – beschriftungen benötigten Zeit. Ich setzte mich jeden Morgen in den Meditationsraum um zu meditieren, dann erschienen die Bilder, die ich malen würde, vor meinem geistigen Auge und insbesondere auch die Anordnung. Der Platz über dem Schrein blieb frei, hier war Raum für Präsentationen mit OHP oder Beamer. Links davon malte ich die Kette der zwölf zyklischen niddanas, der Kettenglieder des abhängigen Entstehens (paṭiccasamuppāda), und schrieb die Benennungen daran, rechts davon wurde der Spiralpfad, die upanisas, die progressiven Pfadglieder des Weges zum Erwachen, dargestellt. Ähnlich hatte ich das auch in Frankfurter Meditationsraum bereits gemacht (Bild links). Dort wurde dann das Ziel (Erwachen) durch die Aufreihung der fünf Jinas (der Aspekte von Vollkommenheit) dargestellt. In Gelnhausen jedoch hatte der untere Teil der Wand eine Holzvertäfelung, somit hätte das Bild viel kleiner sein müssen. In der Meditation kam mir der5 Einfall, dieses Bild einfach zweizuteilen und den oberen Teil, ab dem Pfadglied yathā bhūta ñāna dassana (Sicht und Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind), das für den Stromeintritt steht, an den rechten Teil der Wand zu malen (Bild rechts). Sangharaksita beschreibt diesen Punkt als denjenigen, bei dem der sich entwickelnde Mensch vom Gravitationsfeld des Samsara (des Weltlichen) ins Gravitationsfeld von Nirwana gelangt, ab hier wirken also die nirwanischen Anziehungskräfte stärker. Und in meiner bildlichen Darstellung geht es an dem Punkt yathā bhūta ñāna dassana praktisch durch die Decke. Im zweiten Teil ist dann der Rest des Edlen Pfades im Gravitationsfeld des Mandalas der fünf Jinas dargestellt.

Und nach einiger Zeit stellte sich fest, dass ich unwillkürlich meinen Meditationssitz genau gegenüber diesem Teil eingenommen hatte, was mir deutlich machte, dass ich mich auf diesen entscheidenden Teil des Pfades und auf das Ziel sowie auf meine Verbindung zu den fünf Jinas, zu den Aspekten von Vollkommenheit, mehr konzentrieren wollte oder sollte. Ich denke all dies geschah gelenkt von den Kräften des Transzendenten, die mir auch die Bilder für diesen Raum vorgaben.

Auf der gegenüber liegenden Wand stand im Zentum das achtspeichige Rad der Lehre, das die acht Baustellen, an denen der Übende zu arbeiten hat (Erkenntnis, Entschlossenheit, Sprache, Handeln, Lebenswandel, Unermüdlichkeit, Achtsamkeit und Meditation), symolisiert. Dieses Zeichen hatte bereits meinen ersten Tempel in Großauheim geziert (vgl. Szene 018 – Der Großauheimer Tempel).

Flankiert wurde das Rad der Lehre, ein typisches Zeichen der Hinayana-Tradition, von zwei Figuren aus dem Mahayana, die die beiden Hauptaspekte von Buddhaschaft, von Vollkommenheit, darstellten. Da war einerseits Manjughosa, der die Weisheit symbolisiert. Das flammende Schwert in seiner Rechten steht für den analytischen Scharfsinn, das Buch, das auf einem Lotus ruht, den er in seiner Linken hat, wird von ihm mit genau dieser Weisheit untersucht: führt es zu Gier, zu Hass und/oder zu Verblendung, so ist diese Lehre unheilig; führt sie aber zu Großzügigkeit, Liebe und Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind, dann ist sie der Dharma, die heilsame Lehre.

Auf der anderen Seite des Rades der Lehre erschien die Grüne Tara, der andere Hauptaspekt von Buddhaschaft: grnzenloses Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen. Tara zeigt mit ihrer rechten Hand die Geste der Wunschgewährung und ihr rechter Fuß tritt gewissermaßen aus dem Bild heraus, sie verlässt die Meditationshaltung, um bedürftigen Wesen zu helfen.

welzAls ich den Raum gestaltete, war gerade der 30. Jahrestag der ersten Mondlandung, jenes Ereignisses, das den Menschen erstmals unseren herrlichen blauen Planeten aus der Weltraumperspektive zeigte: Ein wunderbares Juwel in der kalten Weite des Universums. Und die Verantwortung für dieses Juwel, der Sphäre in denen unendlich viele fühlende Wesen leben und sich entwickeln, dies zu erhalten und zu schützen, ist die Aufgabe des Taraaspektes in allen praktizierenden Buddhisten. Aus diesem Grund malte ich auf die dritte Seite des Raumes unsere Erde. Die Bilder aus dem Weltraum wurden damals dominiert von den Farben weiß und blau. Ich stellte die Erde also aus einer ungewöhnlichen Perspektive dar, aus einer, bei der möglichst viel blau (Meer) und weiß (arktische Regionen) zu sehen sind. Das wäre rund um die Antarktis am besten gewesen, allerdings befürchtete ich, dass dann kaum jemand dies als unsere Erde erkennt, daher wählte ich die Nordhalbkugel und färbte die arktischen Regionen Weiß ein – im Unterschied dazu dann die gemäßigte Zone in Grün und die Wüstenregionen in Gelb.

So blieb nur noch ein kleiner Wandteil rechts neben der Tür übrig, hierhin malte ich das Emblem von Triratna – und das mehrere Monbate bevor die FWBO (Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens) in Triratna umbenannt wurden!

bm-gnDie Bilder in diesem Raum hatten eine doppelte Funktion. Erstens sind sie so etwas wie das „Tafelbild“ für meine Vorträge, in denen ich auf die dargestellten Symbole und geschriebenen Begriffe in der Pali-Sprache eingehe. Andererseits sind es auch diejenigen Symbole, die mich – in dieser Zeit in Gelnhausen – am meisten beschäftigten und mich in meiner Meditationspraxis unterstützten, unter anderem ist die ErDa-Meditationsreihe mit der Erdkugel verbunden.

Am 28. August 2009 weihte Bodhimitra (links) unseren Meditationsraum in einem festlichen Akt.

weih-gnZur Weihung waren auch Gäste aus den drei damals bestehenden FWBO-Zentren in Deutschland gekommen: Dharmapriya aus Berlin, Dayanidhi aus Essen und Maitricarya  aus Minden.

In Gelnhausen bot ich jeweils donnerstags Offene Meditationsabende an, genau wie zuvor in Frankfurt. Für Erstbesucher gab es eine Einführung in Sitzhaltung und Meditation von 18.15 h bis 19.00 h. Um 19.00 h wurden die anderen Teilnehmer bei Tee und Keksen begrüßt. Die Meditation begann um 19.15 h und dauerte etwa 40 Minuten, danach gab es eine Teepause. Um 20.15 h hielt ich einen Vortrag oder erzählte eine buddhitsische Geschichte, die anschließen besprochen wurde. War noch Zeit bis zum planmäßigen Ende um 21.30 h, so wurde noch eine geleitete Meditation eingeflochten oder wir vollzogen ein kleines Ritual.

Mit Beginn des Jahres 2010 gab es auch hin und wieder einen Studienkurs, über (in der Regel) sechs Abende. Das konnten grundlegende Dinge sein, wie z. B. die Besprechung des bhava cakra (sog. Tibetisches Lebensrad) oder des Spiralpfades, aber mit der Zeit gab es für die Erfahrenen auch anspruchsvollere Themen, z. B. das Bardo Thödol (sog. Tibetisches Totenbuch) oder „Christliche Mystik aus buddhistischer Sicht“.

Erfreulicherweise tauchten viele Leute aus der Frankfurter FWBO-Gruppe wieder auf, auch diejenigen mit denen es zwei Jahre zuvor Probleme gegeben hatte. Allerdings war es den meisten davon zu umständlich für die Meditationsabende donnerstags zu kommen, und so führten wir das „Sonntagsstudium“ ein. Zunächst studierten wir den „Essential Sangharaksita“, den ich dafür ins Deutsche übersetzen musste, immerhin einige hundert Seiten.

Leider gab es im Herbst einen Konflikt. Aus irgendeinem – mir noch immer unverständlichen – Grund wurde ich nicht ordiniert und sollt auch meine Aktivitäten in Gelnhausen einstellen – nur zwei Monate, nachdem unser „FWBO-Zentrum“, wie es in einem offiziellen Schreiben aus Essen hieß, eingeweiht worden war (vgl. auch eine später zu schreibende Szene zum Thema „Ordination?“). Wir durften auch nicht mehr den Namen „FWBO“ verwenden. Also mussten alle Plakate und sonstigen Druckerzeungnisse eingestampft werden, wir nannten uns jetzt nur noch „Meditation am Obermarkt“. Einige Jahre später hat sich das Ordensmitglied, das mir damals einen 10-Punkte-Katalog über das, was ich zu unterlassen hätte, schriftlich ausgehändigt hatte, bei mir dafür entschuldigt.

In den Folgejahren haben wir unter anderem Wanderungen durchgeführt, um zu so etwas wie einer Sangha (Gemeinschaft der Dharmapraktizierenden) zu werden.

dlWeiterhin haben wir im Laufe der Zeit auch Vorträge in der Gelnhäuser Zehntscheune abgehalten oder Wesak, den Feiertag anlässlich des Erwachens des Buddha, gemeinsam in Gelnhausen gefeiert.

links: Dhammaloka bei einem Vortrag über Karma und Wiedergeburt in der Zehntscheune

Doch wie heißt der Titel dieser Szene? Er heißt: „Ein Projekt auf Zeit – MaO – 2009-2017“. Wir erinnern uns, ich hatte eingangs geschrieben, dass ich dieses Projekt durchführen wollte bis zu meiner Pensionierung im Jahre 2017, genauer: am 31. Januar 2017. Daher hatte ich bereits Anfang 2013 auf unserer Webseite angekündigt: „Das Ende kommt 2016“. Wenn es nicht bis 2016 gelänge, einen Sangha aufzu-bauen, der in der Lage sei, das Projekt selbstständig fortzusetzen, würde zu diesem Zeitpunkt Meditation am Obermarkt eingestellt. Ich arbeitete zielstrebig darauf hin, einen solche Sangha aufzubauen. Hierzu bot ich zunächst den „Grundkurs Buddhismus“ von Triratna an, um bei den KursteilnehmerInnen eine Triratna-Identität aufzubauen.

SDAnschließend gab es einen Kurs „Was ist der Sangha?“. Hier studierten wir Texte von Sangharaksita und – um uns besser kennen zu lernen - erzählten wir uns unsere Lebensgeschichten. Am Ende des Kurses machten wir ein gemeinsames Wochenend-retreat im Meditationshaus Vimaladhatu im Sauerland nur für unserer Gruppe, es wurde geleitet von Bodhimitra und Dharmadipa. So war alles vorbereitet für die Gründung eines Sangha-Teams im Jahre 2015. Dieses übernahm die Funktion eines Leitungsgremiums des Vereines Koordnation e. V. (vgl. hierzu Szene 060 – EnergieWende). Inzwischen war aus einem derer, die ganz zu Anfang zu unseren Gelnhäuser Kursen gekommen waren, und der als erster Gelnhäuser zum Mitra von Triratna wurde, das Ordensmitglied Satyadhara (Bild rechts) geworden. Im Jahr 2016 konnte ich mein Amt als Vorsitzender der Koordination e. V. damit in neue Hände legen. Seitdem jwird das, was ich als „Meditation am Obermarkt“ gegründet hatte unter dem neuen Namen „Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen“ vom Sangha-Team unter Leitung von Satyadhara weitergeführt. Planmäßig beendete ich damit mein Projekt auf Zeit und zog am 31. Januar 2017 nach Essen.

Die Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen wird nunmehr vom Sangha-Team geleitet, hier die personelle Zusammensetzung im Jahr 2017.

Die Leitung des Vereins haben Satyadhara und Jessica (links). Sie werden unterstützt von vier weiteren Mitgliedern des Sangha-Teams, nämlich von  Bärbel, Mila, Heidrun und mir.


Zurück zu  Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen.
Zurück zur Heimatseite