Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 30.1.2020

Szene 092 – Gehen in Begleitung von Bodhisattvas - 2013


Auszug aus meinem Pilgertagebuch während meiner Wanderung Richtung Indien, es war der 94. Tag meiner Wanderung, ich war inzwischen in Bulgarien:

Am Morgen ließ ich mich von einem Taxi nach Brusartsi fahren, um von dort zum Hinayana, das so freundlich war, in Archar auf mich zu warten, zurück zu gehen. Auf diese Weise hatte ich dann gut die Hälfte der rund 100 km langen Strecke zwischen meinen beiden Unterkünften in Vidin bzw. Montana überwunden, für den Rest hatte ich mir einen ganz ähnlichen Trick ausgedacht. Für die Taxifahrt auf der genau 50 km langen Strecke habe ich 40 Lewa gezahlt, ein Lew ist genau eine DM, der Wechselkurs in EUR beträgt also genau 1 zu 1,95883 - erinnert ihr euch noch? (vgl. Szene 078 - Bulgariens Wilder  Westen)

Von der Ortsmitte aus ging ich also zurück Richtung Archar, heute glücklicherweise nicht auf der schrecklich schwerverkehrsintensiven Straße N 1, sondern teilweise auf deren Nebenroute N 12 und teils auf wiederum deren Nebenstrecke N 112. Diese Möglichkeit werde ich leider nicht immer haben - im Balkangebirge gibt es teilweise nur eine Straße, eben die N 1, aber wo immer ich auf kleineren Routen gehen kann, mache ich das natürlich.

Das hatte den ungeheuer tollen Effekt, dass ich zunächst, also auf der N 112, die Begleitung der "glorious company of Buddhas and Bodhisattvas" teilhaftig werden konnte, angeführt wurde diese von Tara, die wie üblich leichtfüßig voranschlenderte, und dann direkt vor mir die kraftvolle Figur von Manjusri, dem Bodhisattva der Weisheit. Da ich ihn also an die drei Stunden lang vor mir ausschreitend bewundern konnte, war das eine gute Möglichkeit über ihn und sein Bild zu reflektieren. Dummerweise viel mir jedoch als erstes ein, dass er auch bei starkem Sonnenschein völlig ohne Sonnencreme auskommt, seiner Hautfarbe wegen (gelbbraun). Natürlich braucht auch die Grüne Tara kein Sonnenschutzmittel, ein Baum bekommt ja auch keinen Sonnenbrand.

Allmählich konnte ich mich jedoch auch ernsthafteren Betrachtungen widmen. Manjusri wird mit dem flammenden Schwert der Weisheit in der rechten Hand dargestellt, was normalerweise recht imposant wirkt, denn üblicherweise wird er in Meditationshaltung sitzend abgebildet. Wenn wir gemeinsam pilgern, sitzt er jedoch nicht, sondern schreitet kraftvoll einher, wobei sich seine rechte Hand mit dem Schwert logischerweise im Takt des Ganges auf und ab bewegt. Dieses Bild kenne ich nun schon seit gut zwei Jahren, aber ich fand immer, dass es etwas albern aussieht, wie da das Schwert immer wieder in die Luft stößt, es wirkte auf mich irgendwie so wie Imponiergehabe und erinnerte mich daran, wie früher mein Sohn im Garten mit irgendeiner Latte, die ein Leuchtschwert darstellen sollte, in der Luft herumstocherte, um irgendwelche Extraterrestrichen zu bekämpfen, die in einem komischen Kinofilm mitgespielt hatten. Daher hatte ich mich gewöhnlich schnell von dieser in meinen Augen albernen Szene abgewendet und lieber einem der anderen Bodhisattvas zugesehen. Heute jedoch war das nicht möglich, denn dieser hervorragende Manjusri ging ja drei Stunden lang sichtbar vor mir.

Als erstes kam mir dann die Idee, dass das daran erinnert, wie man sich mit einer Machete den Weg durch den Dschungel bahnt, den Dschungel des Samsara vermutlich. Doch auch diese Interpretation fand ich nicht sonderlich befriedigend, irgendwie war auch das noch zu aggressiv. Wer jetzt meint, ich hätte ihn einfach fragen können, der versteht nicht ganz wie eine Kommunikation mit Bodhisattvas funktioniert, diese antworten nämlich niemals verbal, oder besser gesagt, sie antworten mir niemals verbal, vielleicht haben ja andere Menschen oder andere Wesen einen anderen Zugang zu ihnen, mir gegenüber haben sie jedenfalls noch nie mit Worten geantwortet, sondern immer durch Schweigen, durch Gesten oder direkt von Geist zu Geist.

Doch dann wurde mir allmählich klar, dass das Schwert bei jedem Schritt kraftvoll nach oben gerichtet wird und dass seine flammende Spitze die Weisheit, den dritten Teil des Dreifachen Pfades, symbolisierte, also aufwärts zur Weisheit, dem Dreifachen Pfad aus Ethik, Meditation und Weisheit entlang, den Spiralpfad empor, vimukti, Befreiung, Freiheit, entgegen. Und im selben Moment erinnerte ich mich an die andere kraftvolle Figur, die mir als Kind ungemein imponierte und die auch immer so ein Ding mit Verve und im Takt in die Luft streckte: der Tambourmajor in den Festzügen der 50er Jahre in meinem Heimatort Großauheim, und ich bekam unbändige Lust in dieser Musik mitzuwirken, über den Pfad zu frohlocken und ein Mantra laut herauszuschmettern; nein, nicht so eines der alten östlichen Mantras, sondern ein neues, westliches, der Situation angemessenes und also sang ich im Takt, den mir der große Tambourmajor vorgab, aus vollem Herzen: "Brüder zur Sonne zur Freiheit, Schwestern zum Lichte empor - hell aus dem Dunklen, Vergangnen - leuchtet Nirvana hervor." Das war die Stelle, an der der weise Bodhisattva seinen Kopf umwandte und mir zulächelte.

RICHTIGSTELLUNG.

Manjusri hat nicht den Kopf umgewendet und mir zugelächelt, ich hatte nur das sehr deutliche Gefühl, dass er mit meinem Tun einverstanden ist.

Anlass der Richtigstellung war übrigens ein knapp halbstündiger Wolkenbruch, der aus heiterem Himmel und bei strahlendem Sonnenschein niederging, genau in dem Moment, wo ich den nicht ganz richtigen Satz niederschrieb. Ich konnte gerade noch das Tablet, auf dem ich das am Ufer der Donau in Vidin schrieb, retten und sah dann aus wie der sprichwörtliche begossene Pudel. Ich gelobe künftig noch exakter mit den Sprachvorsätzen umzugehen. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass ich außer dem einen Satz nix richtig zu stellen habe!

Noch eine weitere Überlegung kam mir, als ich Manjusri so energiegeladen und kraftvoll vor mir einherschreiten sah, nämlich der körperliche Unterschied zwischen diesem und mir. Es gibt da Dinge, die nicht zu ändern sind, so haben diese Bodhisattvas den Körper eines sechszehnjährigen Jünglings, mein Alter ist derzeit genau der Kehrwert davon.

Andererseits habe ich in der Tat deutliches Übergewicht, was zwar teilweise Veranlagung ist, teilweise aber auch selbst verschuldet. Ich kann mich erinnern, dass ich während meiner Winterklausur die feste Absicht hatte, zum Motto dieses Jahres "Mit Stille, Schlichtheit und Genügsamkeit läutere ich meinen Körper" zu wählen. Leider hat dieser Vorsatz den Monat Januar nicht wirklich überdauert, und so gehe ich mit ungeläutertem Körper durch das Jahr und durch Bulgarien. Ich bin kurzatmiger als im Vorjahr, schwerfälliger und - ja - auch schwerer. Mit anderen Worten: gemessen an meinem Vorsatz habe ich mir schlechtes Karma gemacht und jetzt ereilt mich eben vipakka, die Früchte meines Karmas, so einfach ist die unerbittliche Realität. Sie leugnen oder negieren zu wollen, hat sich einmal mehr als ungeschickt herausgestellt.

Ich sollte mich freuen, dass der Dharma wirkt. Ich müsste erschreckt sein, wenn es sich anders verhalten hätte. Bleibt mir nur zu hoffen, dass ich diese Sommerwanderung dennoch erfolgreich bestehe, aber die Behinderungen dennoch deutlich genug sind, dass mir das eine nachhaltige Lehre sein wird.

Im Übrigen waren mir alle Bodhisattvas nicht mehr gegenwärtig, nachdem ich von der vergleichsweise idyllischen N 112 wieder auf die doch verkehrsintensivere N 12 gekommen war. Hier wurde ich sogar teilweise wieder von alten Verhaltensmustern eingeholt, über die ich dann reflektierte, also: wenn ein Trucker einem entgegenkommt, einen plötzlich entdeckt und völlig aufgescheucht Gesten des absoluten Unverständnisses darüber macht, dass ein Mensch die Straße zu Fuß benutzt (wenn keine alternative Strecke möglich ist) und dieser Trucker sich dann noch echauffiert, dass man noch dazu auf der linken Straßenseite geht, und wenn einem dann der Gedanke, wohlgemerkt: nur der Gedanke, kommt "Idiot", ist das dann Dünkel oder ist es nur die wahrheitsgemäße Beschreibung eines verblendeten Wesens? Mit solchen Reflexionen habe ich dann den Rest meiner Etappe verbracht. Übrigens, die Antwort, die ich mir nach eingehender Reflexion gab, war: beides.

Noch etwas ist mir diesbezüglich aufgefallen: an der Grenze frohlockte ich schon, als ich bei den piktografierten Verkehrsregeln ein durchgestrichenes Handy sah. Wenn es ihnen auch noch gelingt, das einigermaßen durchzusetzen, so dachte ich, wäre das super! Offensichtlich interpretieren das aber namentlich die bulgarischen Trucker anders, als ich das in meiner Einfalt erwartet hatte. Ich muss nämlich richtigerweise ergänzen, dass auf dem Piktogramm zwar ein durchgestrichenes Handy zu sehen war, aber kein Ohr und keine Hand dabei. Das wird hier offensichtlich so interpretiert, dass Handys, die sich nicht in einer Hand oder an einem Ohr befinden, verboten sind. Hätte ich eigentlich gleich drauf kommen können! Allerdings stimmt mich das nicht allzu fröhlich für die Zeit in der ich drei Tage lang die viel befahrene Straße N 1 durch das steile und kurvenreiche Balkangebirge gehen muss.

(...)

An einem Ortschild war ein toter und inzwischen ziemlich verwester Fuchs aufgehängt, wieder etwas für meine Vergänglichkeitsbetrachtungen.

Natürlich hat es so ein Fuchs auch nicht leicht, wie wir alle, und am Ende wartet - nicht sonderlich über-raschend - der Tod.

Andererseits:

Dieses Tier hat ein Leben in Freiheit gehabt: welch ein Glück für ihn!


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