Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 29.1.2020

Szene 080 – Der Blick in die Zukunft - 1979



Es war in der ersten Schulwoche des Jahres, das Wetter war ziemlich kühl, in der Nacht hatte es geschneit. Ich fuhr zur Schule mit dem grünen Opel Rekord 2000 – und ich fuhr üblicherweise recht schnell mit diesem Auto.

Die Autobahn nach Gelnhausen war noch nicht fertig, daher fuhr ich in Hanau-Wolfgang auf die B 8 und dann auf die vierspurige Schnellstraße nach Erlensee. Ich war damals der Auffassung, die linke Spur auf Autobahnen und Schnellstraßen sei „für mich und den Bundeskanzler“, wie ich es in der bei mir damals üblichen Bescheidenheit zu formulieren pflegte. Das äußerte sich schon darin, dass ich sofort bei der Auffahrt den linken Blinker setzte und auf die linke Spur vor, ich fuhr alsdann mit Licht und weiter eingeschaltetem Blinker links, bis ich die Autobahn verließ. Selten musste ich einem schnelleren Platz machen, und bei Eis und Schnee fuhr sonst sowieso kaum jemand links.

An diesem speziellen Morgen war es ähnlich. Auf der linken Fahrspur lag ein Hauch von Neuschnee, auf der rechten Fahrspur, wo Autos fuhren, war dieser geschmolzen. Sowie ich auf der linken Fahrspur war, mache ich einen Bremstest, um die Griffigkeit des Neuschnees zu testen und um festzustellen, ob es womöglich vereist war. Das war nicht der Fall. Also beschleunigte ich und fuhr – in Anbetracht des leichten Neuschnees - etwas langsamer als sonst, mit etwa 160 km/h.

Natürlich war sonst niemand auf der linken Fahrspur, der Bundeskanzler schien nicht unterwegs zu sein. Auch rechts war an diesem Tage kaum Verkehr, wer nicht musste, fuhr bei desem Wetter nicht, und der Berufsverkehr fuhr eh´ in die andere Richtung, nach Hanau und Frankfurt.

In einiger Entfernung fuhr rechts ein sehr langsamer LKW, nicht schneller als 40 km/h schätzte ich, dahinter ein VW-Käfer, beide schlichen schon einige Zeit im gleichen Abstand. Kurz bevor ich die beiden erreiche, zieht der Fahrer des Käfers plötzlich nach links, offensichtlich ohne in den Spiegel zu sehen. Es ist zu spät, ihn durch Hupen zur Umkehr zu bringen und auch zu spät zum Bremsen, die einzige Chance, die ich sehe, ist, auf die rechte Spur zu fahren, dort könnte eine Vollbremsung ein Auffahren auf den LKW vermeiden. Ich versuche es - Mist, die rechte Spur sieht zwar nur feucht aus, das ist aber Glatteis! Kein Wunder, dass die rechts so langsam gefahren sind. Allerdings hat hier das Bremsen keinen Sinn.

Und in diesem Bruchteil einer Sekunde passiert es. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Bilder, es ist so als wären da acht oder neun Monitore, die im Zeitraffer verschiedene Zukunftsoptionen durchspielen, keine endet unfallfrei, aber die Art des Unfalls ist unterschiedlich – vor allem was die körperlichen Konsequenzen für mich angeht. Die optimale Situation ist eine, bei der mir der Käfer in die Beifahrerseite hineinfährt. In dieser Situation gibt es keine Verletzten und außerdem habe ich den eigentlichen Unfallverursacher, den Fahrer des Käfers, gestellt.

Also nochmal den gleichen Film, aber diesmal möchte ich sehen, was ich dazu machen muss. Das alles muss im Bereich von hundertstel Sekunden passiert sein. Ich handle jetzt genau nach Film – rechts rüber auf die Standspur, dort liegen 40 bis 80 cm hohe Schneeberge, die der Räumdienst dorthin geschoben hatte. Das Fahrzeug schleudert zunächst, erst durch den Schnee wird es gebremst. Es wird von einem der Schneehaufen nach oben geworfen, da ist es es genau auf der Mitte der Standspur. Jetzt sehe ich in dem Film, wie der Fahrer das Lenkrad nach links reißt und dadurch die Reifen sich in dieser Richtung beim Aufprall in den Schnee schieben und das Fahrzeug dadurch nach links ausbricht, zurück auf die Autobahn. Ich handele streng nach Filmanweisung, tatsächlich wird das Fahrzeug dadurch in einer Drehbewegung wieder auf die Fahrbahn geschleudert und zwar vor den Laster, und genau wie im Film ohne diesen zu berühren, kracht – noch immer in der Drehbewegung gegen den Uhrzeigersinn mit dem Kühler in die Mittelleitplanke, dreht sich weiter gegen den Uhrzeigersinn, und so fährt der Käfer mir in die Beifahrerseite. Unwahrscheinlich! Genau wie in dem optimalen der ca. 8 Filme.

Polizei kommt, nimmt den Unfall auf, das Gericht entscheidet, dass die Schuld einzig beim Fahrer des Käfers liegt, einem amerikanischen Soldaten. Der Käfer hat einen Totalschaden, der Schaden an meinem Fahrzeug beträgt 7000 DM, der Schaden an der Leitplanke und an einer Schilderbrücke, die hinter der Leitplanke stand: 240.000 DM.

Was war das jetzt? Bin ich hellsichtig? Also: normalerweise nicht. Dann muss es sich um das Eingreifen einer fremden Macht, der sog. other power, handeln. Ob wir die jetzt Bodhisattvas nennen oder Schutzengel ist ziemlich egal. Möglicherweise hatte ich auch noch einen positiven Kontostand auf dem Karmakonto, wenn ich das einmal so oberflächlich sagen darf. Ich war auf jeden Fall sehr froh, dass das so glimpflich ausgegangen ist.

Und ich war einen Schritt weiter darin, endlich zu glauben, dass es eine höhere Macht gibt – diese „other power“, wie Sangharakshita sie nennt – die gelegentlich in unser Leben eigreift und die das in diesem Fall gemacht hat.


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