Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 14.1.2020

Szene 31 – Jesus in der Grundschule



Irgendwann in der Grundschule kam Jesus dazu. Natürlich nicht etwa ein Mitschüler dieses Namens, sondern der Religionsstifter trat im Unterricht auf. Bereits in meiner Vorschulzeit gab es in manchem, worauf meine liebe Großmutter hinwies, den „lieben Heiland, der für uns gestorben ist“. Ansonsten kam Jesus nur in der religiösen Pflichtübung des Morgen- und Abendgebets vor, das mir die Großmutter beigebracht hatte, und dort war er mir sehr fremdgeblieben: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Das schien mir ziemlich eifersüchtig zu sein, wenn ich auch den Begriff der Eifersucht noch nicht kannte. Aber auf meine Frage, warum denn nicht auch meine Mama und mein Papa drin wohnen sollten, habe ich nie eine wirklich zufriendenstellende Antwort bekommen. Ich glaube mein Metta-Ansatz war damals schon ein ganzes Stück weiter, als der von demjenigen, der dieses Kindergebet formulierte.

Mein Papa erzählte mir Märchen, aber da kam kein Jesus drin vor. Meine Mutter war für Weihnachten zuständig. Das war ein höchst mysteriöses mythenumwobenes Ereignis, indem ein Christkind, die Advents-Engellein sowie der Nikolaus mitmachten, und das einen ganzen Monat auf den Kopf stellte. Meine Mutter liebte es, den bürgerlichen Mysterienkult des 19. Jahrhunderts um dieses Fest der vielen Gaben herum zum Leben zu erwecken. Aber als ich irgendwann von der Schule heimkam und feststellte, dass das Kind, das in der Krippe liegt, doch der spätere Heiland gewesen sein müsse, das sei doch wohl ein Junge, während das Christkind unseres Weihnachtsfestes doch eine weibliche Figur sei, hat das meine Mutter doch sehr verunsichert. Heute würde ich sagen, das Christkind meiner Mutter war ihre Vorstellung ihres idealen Mutterselbsts, das sie jährlich aufs Neue inszenierte. Aber die Geschichte unseres Großauheimer Weihnachtsfestes soll an dieser Stelle nicht erzählt werden.

In der Grundschule gab es dann Religionsunterricht, und der war konfessionell getrennt. Plötzlich war klar, dass es zwei Sorten Menschen gab: die Evangelen und die Katholen. Wir und die anderen. Zuhause war das niemals ein Thema. Mein Vater war katholisch, schien jedoch mit Glauben nichts am Hut zu haben. Meine Mutter und die liebe Großmutter waren evangelisch. Aber meine Großmutter betete für den Papst.

Natürlich konnten die Katholiken nur einen katholischen Religionslehrer haben. Ansonsten herrschte das Klassenlehrerprinzip, aber für diese zwei Unterrichtsstunden pro Woche kam ein anderer Lehrer. Das war anfangs unser Schulrektor, der hieß Runde und sah auch so aus. Außerdem war er Fraktionsvorsitzender der CDU in Großauheim, was irgendwie passte. Ich kann mich allerdings beim besten Willen an kein einziges Thema erinnern, was wir bei ihm hatten, was gewiss nicht für seinen Unterricht spricht. Er ist mir später noch einmal begegnet: er war im Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer, vor dem ich vernommen wurde, und lächelte mir dort gütig zu. Immerhin!

Da ich katholisch war, gab es irgendwann auch Kommunionsunterricht, und den leitete der Pfarrer, Monsignore Atzert. Ich glaube Atzert ist von ätzend abgeleitet. Jedenfalls war dieser Unterricht alles andere als inspirierend. Es gab Glaubenssätze, Dogmen, den Katechismus, die Gewissenserforschung, die Warnung vor unkeuschen Gedanken und viele andere merkwürdige Regeln. Allerdings war ich später sehr froh, dass ich kein „Evangele“ war, denn die mussten im Konfirmationsunterricht jede Menge auswendig lernen, was für mich eine Tortur gewesen wäre. Dieser Kelch immerhin ist an mir vorbei gegangen!

Richtig interessant wurde es jedoch in der vierten Klasse. Und wenn es das nicht gegeben hätte, hätte ich diese Episode hier nicht aufgeschrieben und mit Sicherheit nicht diesen Titel verwendet. In der vierten Klasse bekamen wir nämlich einen neuen Reli-Lehrer, Herrn Stehlik, und der erzählte uns Geschichten von Jesus. Das war tatsächlich inspirierend. Nicht diese abgehobenen Texte in Bibelform. Er erzählte uns das neue Testament in lauter kleinen Episoden kindgerecht nach. Ich glaube er hat mich damals nachhaltig beeinflusst. Ob dies auch hinsichtlich der Inhalte war, weiß ich nicht, aber ganz bestimmt in der Form. Ähnlich habe ich weite Teile meines Unterrichts in der Schule später gestaltet: ich war der Märchenonkel, der den jungen Leuten die Wirtschaft verständlich erläuterte. Das jedenfalls war dabei mein Selbstbild.

Und auch als Leiter der buddhistischen Veranstaltungen in Hanau, Frankfurt und Gelnhausen wandelte ich auf den Spuren von Lehrer Stehlik: Ich erzählte Geschichten vom Buddha in einer zeitgemäßen Sprache nach. (Und irgendwie sind wohl auch diese Erzählungen von Themen aus meinem Leben, die du gerade liest, von Lehrer Stehlik beeinflusst...)

Und weil dies mich für mehr als ein halbes Jahrhundert offensichtlich stark inspirierte, möchte ich mich an dieser Stelle tief verbeugen vor meinem alten Religionslehrer, Herrn Stehlik, der Jesus in die Volksschule von Großauheim brachte.

Gassho!


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