Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 7.1.2020

Szene 25 – Suche den Sangha! - 1995



Im Jahre 1992 hatte ich entdeckt, dass ich Buddhist bin (gl. Szene 008 - Auf der Suche nach Indien). Das hatte mich dazu geführt, erste Bücher über Buddhismus zu lesen und nach Indien zu reisen, von wo ich enttäuscht zurück gekommen war. Die nächsten Jahre waren von dem Versuch geprägt, den Dharma, die Lehre des Buddha, zu durchdringen. Während ich dabei anfangs zu mehr Klarheit kam, wurde ich mit steigendem Bücherinput jedoch immer verwirrter. Es schien gar nicht „den Buddhismus“ zu geben, sondern vielmehr viele „Buddhismen“, die sich zudem zu widersprechen schienen.

Um meiner Verwirrung Herr zu werden, exzerpierte ich Bücher, trug die Erkenntnisse zusammen und schrieb somit ein eigenes Buch, nur für mich, mit all dem, was zweifelsfrei festzustehen schien. Ich brachte Ordnung in mein Hirn, indem ich gewissermaßen meine Erkenntnisse in einem externen Speicher, als Datei auf der Festplatte meines PC und in ausgedruckter Form als mein Buch mit dem Titel „Der Buddhismus – Erkenntnisse des Menschen“ festhielt.

Ich versuchte auch andere Menschen in meinem Umfeld zu beeinflussen. Ich sah, dass der Dharma, die Lehre des Buddha, ein umfassender ganzheitlicher Ansatz war, der nirgends dem widersprach, was ich in der Friedens- und Ökologiebewegung kennen gelernt hatte, dass er aber sehr viel umfassender, sehr viel gründlicher war. Es war, als wäre ein Scheffel, der über ein Licht gestülpt war, entfernt und die Natur der Dinge sichtbar geworden. Während dessen stellte ich gleichzeitig ein gewisse Enttäuschung bei vielen fest, die zur Gründergeneration der Grünen gehörten. Meine Idee war, diesen Enttäuschten die Wahrheit, die Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind, also den Dharma zu bringen.

Ich setzte bei dem an, was mich sofort überzeugt hatte, bei den Vier Edlen Wahrheiten:

  1. Die Wahrheit von der Unvollkommenheit (alles abhängig Entstandene ist letztlich unvollkommen)

  2. Die Wahrheit von der Ursache der Unvollkommenheit (in erster Linie unsere Gier, auch unsere Verblendung und – ja - auch unser Hass, unsere Ablehnung)

  3. Die Wahrheit vom Ende der Unvollkommenheit (du musst diese Ursachen, also Gier, Hass und Verblendung, in dir selbst besiegen; wenn du diese Ursache beseitigst, vernichtest du auch deren Folgen)

  4. Die Wahrheit vom Pfad zum Ende der Unvollkommenheit (der Edle Achtfältige Pfad, also gewissemaßen die acht Baustellen, an denen du arbeiten musst, um Gier, Hass und Verblendung zu überwinden)

Leider hatte ich mit dem Wunsch, den Dharma in meinem Umfeld auf diese Art zu verbreiten, keinen Erfolg. Die Ursache lag in einer Vokabel. Das, was ich eben als Unvollkommenheit bezeichnet habe, hatte der Buddha mit dem Pali-Wort „dukkha“ bezeichnet. Und dies wurde traditionell mit „Leiden“ übersetzt, was ziemlich schlecht ist. Dukkha umfasst sicher auch Leiden. Aber ist ein Schokoladeneis für ein Kind an einem heißen Sommertag Leiden? Sicher nicht, obwohl es ganz sicher Elemente von Unvollkommenheit hat, die dann wieder leidvoll sein können:

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Sicher waren da ganz viele Argumente dabei, die meine grünen Freundinnen und Freunde hätten überzeugen können. Aber sobald ich die Erste Edle Wahrheit in ihrer üblichen Kurzform im Deutschen aussprach: „Alles ist Leiden!“ machten meine Zuhörer/innen zu, leisteten Widerstand, hatten sich ein Vor-Urteil gebildet in der Art: „Nee, Schkoladeneis ist lecker; was der Buddha sagt ist Quatsch.“

Erst sehr viel später lernte ich eine Art kennen, wie man den Dharma vermitteln kann, dass er nicht abschreckt, sondern von Anfang an schön ist. Der Buddha sagt: der Dharma ist am Anfang schön, in der Mitte schön und am Ende schön. Und daher muss man den Dharma auch so erklären, dass den Menschen das klar ist. Heute orientiere ich mich am upanisa-sutta (einer Lehrrede des Buddha), an etwas, das mein Lehrer Sangharaksita als den „Spiralpfad“ bezeichnet. Ich nenne es lieber: der Pfad, der mittelfristig zu Glückseligkeit und langfristig zu Weisheit führt. Doch davon an anderer Stelle mehr.

Ich erreichte mithin die Menschen aus meinem Umfeld nicht, also die Leute, die sich bei den Grünen oder im ÖkoBüro Hanau engagierten. Und so hatte ich niemandem, mit dem ich über den Dharma, die Lehre des Buddha sprechen konnte. Dass dies ein Mangel war, war mir zunächst jedoch gar nicht bewusst.

Es gab da den (1.) Buddha, mein Ideal, das leuchtende Vorbild, dem ich folgen wollte, denn ich war dabei den Pfad zu beschreiten, der mittelfristig zu Glückseligkeit und langfristig zu höchster Weisheit führt. Und es gab da die (2.) Lehre (Dharma), die erläuterte, wie das geht, ein Übungssystem, wie man an der Transformation seines Geistes arbeiten kann.

Allerdings spricht der Buddha immer von den Drei Kostbarkeiten – von tri-ratna, den drei Juwelen, die man wertschätzen muss und die notwendig sind, um zur vollkommenen Weisheit, zur Einsicht in die Natur der Dinge zu kommen. Und das dritte Juwel – neben dem Buddha und dem Dharma - ist der Sangha, was man mit Gemeinschaft oder besser mit „spirituelle Gemeinschaft“ bzw. „Gemeinschaft der spirituell Erfolgreichen“ übersetzen kann.

Dieses dritte Kostbarkeit schätzen zu können, dagegen regten sich in mir jedoch Widerstände. Seit Jahrzehnten war ich in Gruppen gewesen, bei den Roten Zellen, beim Marxistischen Studentenbund Spartakus, im Komitee für Stiefografie, bei den Grünen, bei Robin Wood, beim VCD und, und, und. Alle diese Gruppen waren höchst suboptimal, es bildeten sich Gruppenstrukuren heraus: der Anführer, der Mitläufer, der Opponent usw. Damals kannte ich nämlich noch nicht den Unterschied zwischen einer Gruppe und einer spirituellen Gemeinschaft.

In einer wirklichen spirituellen Gemeinschaft, in einem Sangha, herrscht keine solche Gruppendynamik. Es ist eine Gemeinschaft von Individuen, die sich in eine Richtung - aber durchaus unterschiedlich, je nach ihrer Individualität - entwickeln wollen, und sich dabei unterstützen und in ihrer Verschiedenartigkeit respektieren. (Natürlich sind die allermeisten buddhistischen Gruppierungen eine Mischform aus einer normalen Gruppe und dem, was einen Sangha ausmachen sollte. Schließlich ändern wir unser Verhalten nicht urplötzlich, wenn wir anfangen uns als Buddhist/in zu bezeichnen.)

Ich war also damals noch nicht wirklich überzeugt vom Nutzen eines Sangha, weil ich sie für eine buddhistische Gruppe hielt. Aber die Tatsache, dass der Buddha von den „Drei Kostbarkeiten“ sprach und so die Wichtigkeit des Sangha betonte, ließ in meinem Kopf den Wunsch aufsteigen, mir einen solchen „Sangha“ zu suchen. Mein Bauchgrimmen aber wehrte sich dagegen, wollte keine Gruppe, leistete Widerstand. Doch dann kam mir eine Idee...

Es gab zu dieser Zeit noch etwas anderes, was bei mir Widerstand erzeugte, und das war der Zwang „ok“ zu etwas zu sagen, was nicht „ok“ ist. Leute zu einem solchen Verhalten zu zwingen – denn, das was man sagt, beeinflusst das, was man denkt - war ein typisches Mittel der Gehirnwäsche und wurde vor allem im stalinistischen und im maoistischen System eingesetzt. Und mein Computer, genauer gesagt: das Computerprogramm Windows, verlangte das immer wieder von mir. Da tauchte zum Beispiel ein Anzeigefeld auf und sagte: „Ein schwerer Ausnahmefehler ist aufgetreten“. Das war ärgerlich. Dummerweise konnte man dann aber nur weiter arbeiten, wenn man diese Aussage mit „ok“ bestätigte. Das ärgerte mich! Das konnte mich richtig wütend machen! Es war verdammt noch mal absolut nicht ok, dass ein schwerer Ausnahmefehler aufgetreten war! Und wenn ich das jetzt Anklicken würde, wäre das eine Lüge, es entsprach nicht meinem Empfinden. Und es bediente sich implizit der Technik der stalinistischen Gehirnwäsche. Daher leistete ich Widerstand.

Warum ich das hier erzähle? Nun, das war der Trick, mit dem ich mich von der Suche nach dem Sangha überzeugen konnte, mit Gehirnwäsche. Ich programmierte also den Computer so, dass er mich alle zwei Stunden aufforderte: „Horst, suche den Sangha“ und dann folgte ein ok-Feld. Nur, wenn ich das bestätigte, durfte ich weiter arbeiten.

Also erschien alle zwei Stunden die Aufforderung „Horst, suche den Sangha“, ich sagte dann zu mir: „Ja, der Buddha spricht von Drei Kostbarkeiten. Alles was der Buddha gelehrt hat und was du bisher ausprobiert hast, war hilfreich. Sicher wird der Buddha auch damit recht haben“, und also betätigte ich mit Überzeugung den ok-Knopf. Alle zwei Stunden. Drei Monate lang. Dann hatte ich mich selbst so stark überzeugt, hatte eine erfolgreiche – bewusst herbeigeführte - Gehirnwäsche absolviert, dass es mir ein echtes Bedürfnis war, den für mich geeigneten Sangha zu suchen. Ein halbes Jahr später – eine Zeit, die ich für die Suche nach einem richtigen Sangha – keiner buddhistischen „Gruppe“! - benötigte, hatte ich eine spirituelle Heimat gefunden. Bei der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna, die damals noch „Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens“ hieß. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.


Nachtrag: Wie ich heute weiß, ist das, was ich da gemacht habe, um mich vom Sinn des Sangha zu überzeugen, eine typisch buddhistische Vorgehensweise. Man nennt das: Nutzen geschickter Mittel. Im Buddhismus gelten alle Mittel als geschickt (kusala), die der spirituellen Entwicklung dienen, solche, die die spirituelle Entwicklung behindern, werden als ungeschickte Mittel (akusala) bezeichnet.


Zurück zu  Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen.
Zurück zur Heimatseite