Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 7.1.2020

Szene 22 – Wie man Englischlehrer wird - 1977



Zugegebenermaßen ist die Überschrift dieser Szene falsch. Normalerweise wird man Englischlehrer nicht so, wie ich es hier beschreibe. Richtig müsste es heißen: Wie ich einmal Englischlehrer wurde.

Dazu muss man zunächst sagen, dass ich nicht wirklich sprachbegabt bin. Das Lernen von Vokabeln ist mir – wie jedes auswendig lernen – immer ein Gräuel gewesen. Über meine Beton-Fünf in Latein habe ich an anderer Stelle schon berichtet (vgl. Szene 009). Doch auch mit meinem Englisch ist es wirklich nicht weit her.

Meine Englischlehrerin in der Schule sagte mir: „Your pronunciation is horrible!“ Eigentlich fand ich die ganze Sprache horrorhaft! Im schriftlichen Abi habe ich eine Fünf in Englisch kassiert, meine mit Abstand schlechteste Note; durch die mündliche Prüfung gelang es mir dann gerade noch auf eine knappe Vier zu kommen. Der letzte, der mein Englich kommentierte, war Ashvajit, der Leiter meiner Studiengruppe in Padmaloka, er sagte: „Es ist erstaunlich, wie dir es doch immer mal wieder gelingt, uns klar zu machen, was du meinst – obwohl das, was du sprichst, nun wirklich kein Englisch ist.“

In der Tat fand ich die englischsprachigen Studiengruppen in Padmaloka, U.K., wo sich Männer auf die Ordination im Triratna-Orden vorbereiten „horrible“. Ich verstand nichts, denn die Engländer sprachen entweder etwas, was mit dem „Queens-English“, das wir in der Schule lernten, so viel zu tun hat wie Donald Trump mit einem Bescheidenheitswettbewerb, oder aber ich versuchte, wie ich das aus dem Lateinunterricht kannte, die Sätze der Engländer syntaktisch zu analysieren – allerdings fanden diese Sätze meist kein Ende, wurden unterbrochen, anders neu begonnen – ich kam mir vor, wie einer, der eine altertümlich Sprache aus gefundenen Textfragmenten entschlüsseln soll!

Wenn ich tatsächlich einmal etwas verstanden hatte und begann, meine Antwort in Gedanken zu formulieren, war die Diskussion bereits an einer anderen Stelle und mein Beitrag wäre nur noch befremdlich gewesen. Und wenn ich tatsächlich versuchte, etwas zum Gespräch beizutragen, fand ich das, was ich mich sagen hörte, so oberflächlich, dass ich mich dafür schämte – ich hatte einfach nicht die Kompetenz, tiefgründige Gedanken in dieser Sprache zu formulieren.

Dies alles schreibe ich hier nur, um deutlich zu machen, wie wenig geeignet ich bin, die englische Sprache zu sprechen, geschweige denn sie zu unterrichten.

Im Jahre 1977 hatte ich gerade mein Refrendariat abgeschlossen, ich bewarb mich also beim Land Hessen (und auch anderswo) um eine Stelle. Meine Einstellungs-Note, die sich mittels einer merkwürdigen Formel berechnete, betrug 2,6 – nicht wirklich berauschend. Für eine unbefristete Einstellung wäre eine 2,4 nötig gewesen. Mit einer 2,6 stand mir damals nur ein Ein-Jahres-Vertrag mit der Chance auf eine Bewährung offen. Als angehender Berufsschullehrer hatte ich allerdings keine Lust, diese Bewährungszeit mit schwererziehbaren, arbeitslosen, schulunwilligen jungen Männern zu verbringen. Nach Frankfurt oder gar Offenbach wollte ich daher mit Sicherheit nicht. Und auch die Schule in Hanau, auf der ich mein Refrendariat gemacht hatte, hat sich bei mir durch besondere Disziplinlosigkeit ins Gedächtnis eingeprägt, womit ich nicht in erster Linie die Disziplinlosigkeit der SchülerInnen meine...

Ich wohnte in Hanau-Großauheim, 25 km entfernt lag das malerische Städtchen Gelnhausen, am Rande von Spessart und Vogelsberg, mit einem Einzugsbereich, der weit in diese ländlich strukturierten Gegenden hineinreichte. Dort, so stellte ich mir nicht zu unrecht vor, würde ich eine angenehmerer Schülerklientel finden, eine, die meinen Vorstellung doch recht nahe käme.

Wir sollten damals für unsere Einstellung drei Präferenzen benennen, die Einstellungsbehörde würde sich bemühen uns angehende Lehrer so auf die Dienststellen zu verteilen, dass wir mindestens unsere dritte Präferenz bekämen. Ich nannte als erste Präferenz Hanau, wo ich nicht hinwollte. Da die Liste jedoch auf dem Dienstweg, also über meine bisherige Refrendariatsschule in Hanau eingereicht wurde, vermied ich es damit, meine Schulleitung zu brüskieren. Es bestand allerdings nicht die Gefahr, dass ich dort eingestellt würde, denn eigentlich benötigte diese Schule keine weiteren Lehrer und außerdem gab es, so wusste ich, mindestens drei Kollegen mit besseren Noten, die sich dorthin beworben hatten.

Als zweite Präferenz gab ich Gelnhausen an, meinen eigentlicher Wunschkandidat. Als dritte Präferenz notierte ich Frankfurt. Dort wollte ich zwar absolut nicht hin, allerdings wollten das viele andere angehende Lehrer, denn die Großstadt galt als sexy. Nach menschlichem Ermessen musste es also auf Gelnhausen herauslaufen, wenn tatsächlich eine unserer Präferenzen berücksichtigt wurde. Etwas anderes, eine weiter entfernte Schule, wäre auch sehr ärgerlich gewesen, denn ich wohnte in meinem Elternhaus in Hanau-Großauheim, Eleonore studierte in Frankfurt und meine im Hause wohnende Mutter wurde als Babysitterin für unsere beiden kleinen Töchter benötigt.

Und in der Tat, der erhoffte Brief von der Einstellungsbehörde kam: ich wurde Gelnhausen zugeordnet. Zwei Tage später war in Hanau, wo ich Refrendar war, die Einführung eines neuen Schulleiters. Dort würden auch die Schulleitungen der benachbarten Schulen, also auch von Gelnhausen vertreten sein, ich konnte also einen ersten Kontakt aufnehmen.

Guten Tag, mein Name ist Gunkel, ich bin ihrer Schule für das neue Schuljahr zugeteilt worden“, so stellte ich mich bei dieser Veranstaltung Herrn Stein, dem stellvertretenden Schulleiter der Beruflichen Schulen in Gelnhausen, vor.

Der sagte, fast ohnemich eines Blickes zu würdigen: „Ja, hab´ich gelesen. Das muss allerdings ein Irrtum sein. Sie sind doch Diplom-Handelslehrer. Handelslehrer brauchen wir nicht, nur Chemiker, Physiker und Englischlehrer, oder haben sie etwa eine Englisch-Fakultas?“

Das war ein harter Schlag, alle meine Hoffnungen begannen sich aufzulösen – es sei denn … es sei denn, mir gelänge es erfolgreich zu bluffen: Nein, Herr Stein, habe ich leider nicht“, gab ich mich kleinlaut, „ich habe zwar in Schottland studiert, war dort auch verlobt und habe während des Studiums beim Highland and Islands Development Board als Stenograf gearbeitet, aber eine Fakultas, eine Lehrbefähigung für Englisch, habe ich leider nicht.“

„Moment ´mal, Herr Gunkel, dann sind sie ja praktisch fast ein native speaker, das ist natürlich etwas anderes. Ohne Fakultas werden wir sie zwar nicht im Wirtschaftsgymnasium einsetzten können, aber für die Berufsfachschule wäre das kein Problem!“

So wurde ich also Englischlehrer. Man kann nun sicher fragen, ob das, was ich da sagte, den Tatbestand der „Rechten Rede“, eines der acht Dinge, die ein Buddhist laut Buddha auf dem Achtfältigen Pfad üben sollte, erfüllte. Und die Antwort ist eindeutig: im buddhistischen Sinne sicher nicht.

Aber wir befinden uns im Jahre 1977. Ich bemühte mich zwar auch damals um ein ethisches Leben, allerdings nicht im buddhistischen Sinne. Ich hielt mich an die konventionelle Ethik, so wie sie im Dekalog, in den christlichen Zehn Geboten, niedergelegt ist: „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten“, so hatte ich es im Kommunionunterricht früher gelernt. In der Uni habe ich mich dann mit formaler Aussagelogik beschäftigt. Und formallogisch, also bei Analyse des tatsächlich Gesagten, war dies kein wirklicher Verstoß gegen die Wahrhaftigkeit:

Ich war eben damals auf typische Horst-Art ehrlich, formal-sprachlich einigermaßen, ja, aber mit dem Ziel, den von mir erwünschten Eindruck zu erwecken, der mit den Tatsachen nur bedingt kompatibel war.

Drei Jahre später, ich war inzwischen unbefristet eingestellt, saß ich mit dem stellvertretenden Schulleiter, Helmut Stein, in Frankfurt beim Äppler in der Apfelweinkneipe „Eichkatzerl“ zusammen. Bei dieser Gelegenheit habe ich ihm die ganze Story erzählt. Helmut Stein hat herzlich gelacht!

Und ich musste nie wieder Englisch unterrichten.


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