Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 7.1.2020

Szene 21 – Zigarren



Mein Vater rauchte Zigarren. Noch heute habe ich seinen Streichholzschachtelhalter, den er immer in die Hand nahm, wenn er sich eine Zigarre anzündete. Vermutlich muss es in unserer Wohnung in den 50er Jahren ziemlich nach Zigarren gerochen haben, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnere – das war eben der Normalgeruch, den man nicht bemerkt.

Zigarren wurden damals in Holzkistchen verkauft, und so kam es, dass bei uns zu Hause sehr viele Sachen in diesen Holzkistchen aufbewahrt wurden, meine Spielsachen zum Beispiel. Wenn mein Vater befördert wurde, erst zum Assessor, dann zum Postrat, bekam er immer eine supergroße Zigarre, die mindestens einen halben Meter lang und entsprechend dick war – jedenfalls in meiner Erinnerung.

Das Zigarettenrauchen meiner Mutter störte mich sehr, das Zigarrerauchen meines Vaters seltsamerweise gar nicht. Das lag aber vielleicht auch daran, dass ich gerade erst sieben Jahre geworden war, als mein Vater starb. Und wenn man so jung ist, idealisiert man seine Eltern gewöhnlich noch.

Ich selbst habe nicht geraucht bis ich 25 Jahre alt war.

In diesem Alter fängt normalerweise kein vernünftiger Mensch an zu rauchen. Das tun Jugendliche vielmehr gewöhnlich dann, wenn sie besonders erwachsen wirken wollten. Als Schüler wurde man damals von Mitschülern regelrecht genötigt auch zu rauchen, man bekam beständig einen Glimmstängel angeboten, und wenn man nicht wollte, gab es Kommentare wie: „Nimm doch, traust du dich nicht?“ Ich hatte meine eigene Taktik damit umzugehen. Ich griff zu, nahm die Zigarette, zerbrach sie und warf sie über meine linke Schulter hinter mich. „Was soll der Scheiß?“, hieß es dann. Meine Antwort war: „Ich nahm an, du wolltest mir damit eine Freude machen. Und mir macht es nun mal Freude, Zigarretten zu zerbrechen und sie hinter mich zu werfen, so wie es dir Freude macht, sie zu rauchen.“ Natürlich bekam ich bald keine mehr angeboten – so viel Freude wollte man mir wohl doch nicht machen.

Warum also kam ich mit 25 Jahren auf die absolut irrsinnige Idee, das Zigarrerauchen anzufangen? Hintergrund war ein Erlebnis an Fasching 1977. Wir verbrachten in feucht-fröhlicher Runde die Nacht im Alt-Auheim, unter anderem war meine Schwägerin dabei, Eleonores Schwester, und die rauchte. Sie bot mir eine Zigarette an. Das Zigaretten-Zerbrech-Spiel hatte ich schon Jahre zuvor aufgegeben. Ich nahm also den Glimmstängel und sagte: „O.K., heute ist Fasching, ich verkleide mich jetzt als Raucher.“ Normalerweise war ich ja eher ein Trinker. Und jetzt machte ich die Erfahrung, dass der Rauchgeschmack im Mund zwar eklig ist, aber wenn man dann ein Schluck Bier trinkt, schmeckt das Bier dann richtig super-eklig! Wenn man dann nicht mehr raucht und wieder „normal“ sein Bier trinkt, schmeckt das Bier wieder. Aber sowie man sich wieder eine Zigarette ansteckt – sofort schmeckt das Bier wieder scheußlich!

Ich war gern in Kneipen. Ich liebte Kneipen. Ich trank gern Bier. Ich trank gern Wein. Und am liebsten trank ich Bier oder Wein in der Kneipe. Eigentlich trank ich viel zu viel Bier und Wein! Und dann diese Erfahrung, dass das geliebte Getränk nicht schmeckt, solange man raucht. Aha. Wäre es vielleicht eine gute Idee nach einem Bier eine Zigarette zu rauchen und sich erst wieder ein neues Bier zu bestellen, wenn die Zigarette aufgeraucht ist? Aber Rauchen ist doch so schädlich! Ich wollte schließlich nicht an Lungenkrebs sterben. Zigarren werden aber nicht auf Lunge geraucht. Die müssten doch praktisch unschädlich sein!

Also kaufte ich mir ein Päckchen Zigarillos und experimentierte: ein Bier – ein Zigarillo – ein Bier – ein Zigarillo. Es gab nun immer eine kurze Pause zwischen zwei Bieren, eine Pause von zehn Minuten. Dann kam ein neues Bier – kleinere als 0,4 l bestellte ich nie, 0,5 war besser. Auf diese Weise kam pro Stunde auf vier Zugarillos und 4 Halbe, also 2 Liter Bier. Wenn man nun aber fünf oder zehn Stunden in der Kneipe war, war das immer noch deutlich mehr Bier als gut war. Also stieg ich auf die dicke Zigarren der Marke „Al Capone“ um, Brasil-Tabak, 80 Pfg. das Stück. Die hielten 50 Minuten. Das war super!

Ich bestellte also ein Bier. Wenn der Pegelstand auf ein Daumenbreit gesunken war, zünde ich mir eine Zigarre an. 50 Minuten später ist die Zigarre zu Ende, ich trinke den Rest des alten Bieres aus ohne dabei zu atmen (Bier direkt nach dem Rauchen schmeckt eigentlich immer noch scheußlich, aber ohne zu atmen schmeckt man´s eben nicht.) Ich bestelle ein neues Bier. Wenige Minuten später habe ich es bis auf einen Daumenbreit ausgetrunken und zünde eine neue Zigarre an. Und siehe da, so komme ich pro Stunde nur auf 0,5 Liter Bier. Auf diese Art konnte ich locker sechs, acht oder zehn Stunden in der Kneipe bleiben.

Auf diese Art habe ich meine Sauferei einigermaßen unter Kontrolle bekommen. Allerdings gingen die Geschäfte vom Helmut, dem Wirt, schlechter – und seine Kneipe hat entspechend gestunken. Für mich war´s gut, für den Helmut halt weniger.

Und auch im Lehrer-Kollegium wurde ich durch diese Angewohnheit nicht beliebter. Denn damals durfte in Lehrerzimmern noch geraucht werden...

Das Spiel mit den Zigarren habe ich mehr als ein Jahrzehnt so belassen. Dann geschah etwas, was mich bis ins Mark erschütterte. - Wir hatten eine schulische Veranstaltung und hinterher gab es noch einen Umtrunk. Dort sprach mich der Kollege Ihlefeld an. „Gell, Horst, du rauchst die Zigarrn net auf Lunge, odder?“ - „Aber nein, Cornelius, Zigaretten raucht man nicht auf Lunge, das ist ´was für Süchtige, Zigarren sind etwas für Genießer.“ - “Dann ist es ja auch gesünder, gell Horst. Dann kriegt man davon ja auch praktisch keinen Lungenkrebs. Zigarrenraucher sterben ja höchstens an Kehlkopfkrebs oder an Zungenkrebs, aber praktisch nie an Lungenkrebs, ist wirklich viel gesünder“, so sprach Cornelius.

Cornelius Ihlefeld war der Gesundheitsapostel unseres Kollegiums. Doch die Sache mit dem Kehlkopfkrebs schlug mich wie vor den Kopf. Mein Vater war mit 38 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben, er hatte Zigarren geraucht. Ungefähr die gleiche Menge in seinem Leben wie ich bisher. Diesen Zusammenhang hatte ich noch nie gesehen, auch nie erwogen.

Ich habe niemals wieder eine Zigarre geraucht. - Danke, Cornelius!


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