Horst, der Mensch: Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum wohl aller Wesen – Geschichte eines europäischen Buddhisten - Stand 2.1.2020

Szene 8 – Den Buddha in Indien suchen - 1992



Im Jahr 1992 war es so weit, ich war reif für den Dharma, die Lehre des Buddha. Dass es der Dharma war, wonach ich suchte, wusste ich nicht, aber dass es ein vernünftiges ethisches Fundament sein musste, und dass ein solches am ehesten in einer der bestehenden Religionen zu finden sei, war mir klar. So hatte ich in den letzten Wochen wieder angefangen die Bibel zu lesen, ganz von vorn: bei Adam und Eva. Aber schon bald wusste ich, dass dies nicht meine religiöse Basis sein konnte.

Der alttestamentarische Gott hatte den beiden ersten Menschen verboten, vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (Mose 2,9) zu essen. Warum um alles in der Welt, sollte man nicht erkennen wollen, was gut ist und was böse, wieso sollte so etwas bestraft werden? Im biblischen Buch Genesis (Mose 3,4f) steht eine Erklärung: „Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“

Was um alles in der Welt kann denn schlimm daran sein, zu versuchen, vollkommen wie Gott zu werden, und zu wissen, was gut und was böse ist? Genau auf der Suche nach einer vernunftfundierten Ethik, nach einer allgemein verbindlichen Ethik war ich doch! Das Christentum schien also nichts für mich zu sein. Als nächstes las ich ein Buch über den Propheten Mohammed und wusste daraufhin: Der ist mir eindeutig ferner als Jesus von Nazareth.

Ein altes Zen-Sprichwort sagt: Ist der Schüler reif, dann erscheint der Lehrer. Mein Lehrer erschien in Form eines Buches, und das kam so:

Ich hatte damals an den Beruflichen Schulen in Gelnhausen, an denen ich unterrichtete, Vertretungsunterricht im Religionsraum. Ich kannte die SchülerInnen nicht und sollte sie einfach nur beschäftigen.

Was habt ihr heute für Bücher dabei?“ fragte ich sie. - „Mathe, Chemie und die Deutschlektüre.“

Gut, nehmt einmal das Mathebuch heraus, was habt ihr zuletzt gemacht?“ - „Die ersten drei Aufgaben auf Seite 108.“

Prima, da sind ja noch jede Menge weiterer Aufgaben. Bearbeitet einfach die Aufgaben ab Nr. 4. Wenn ihr Fragen habt, wendet euch an euren Nachbarn. Wenn das nicht hilft, könnt ihr mich fragen. Ob ich euch helfen kann, weiß ich nicht so genau, aber probieren könnt ihr´s ja.“

Artig übten die Schülerinnen und Schüler ihre Matheaufgaben. Keiner machte Anstalten mich zu fragen. Also ging ich durch den Raum und begann in der Handbibliothek zu schnüffeln. Dort standen drei Bücher, jeweils im Klassensatz. Erstens die Bibel. Nö, das hatte ich schon versucht. Zweitens der Katechismus – schrecklich, das erinnerte mich an meinen Kommunionunterricht im Jahre 1960. Das dritte Buch hieß: „Die großen nichtchristlichen Religionen“, das könnte etwas für mich sein! Ich blätterte hinein. Das Judentum - ich las einige Abschnitte. Nö, ist ja wie bei den Christen, nur noch etwas antiquierter. Der Hinduismus - auch hier schnüffelte ich herein: ziemlich farbig, ziemlich chaotisch. Nächstes Kapitel: der Buddhismus; ich las die „Vier Edlen Wahrheiten“ und den „Edlen Achtfältigen Pfad“ und fasste sofort Vertrauen. Das entsprach ziemlich genau, meinen eigenen – zugegebenermaßen etwas unsystematischen – Überlegungen, war aber wesentlich besser ausgedrückt, eine wesentlich rundere Sache, als alles, was ich mir bislang zusammengereimt hatte.

Sraddha, starkes gläubiges Vertrauen, stieg sofort in mir auf. Wer so etwas erarbeitet hat, dessen Schriften sind interessant, bei dem kann ich noch weiter fündig werden. Ich las weiter. - Es gongte, der Unterricht war vorbei, schulaus. Ich beschloss, mir das Buch bis zum nächsten Tag auszuborgen, um sofort weiter zu schmöckern. Ich las also auf dem Weg zum Zug und auch noch als ich in den Zug einstieg. Dann hatte ich alles gelesen, was mir dieses Buch über den Buddha und seine Lehre bieten konnte und wusste: ich bin Buddhist. Eigentlich war ich offensichtlich schon immer Buddhist, war mir bei dieser Gelegenheit klar geworden. Die beiden Philosophen, die mir bislang geholfen hatten, Diogenes und Immanuel Kant, dessen kategorischen Imperativ ich mir bisher als ethische Richtschnur genommen hatte, konnten damit nicht mithalten. Ich bin Buddhist und muss die Lehre des Buddha studieren, üben, verwirklichen. Sic!

Ich atmete tief durch. Und da ich ein geschäftiger Mann war, der nicht einfach nur so im Zug herumsitzen kann, holte ich meine Zeitung, die Frankfurter Rundschau, aus meiner Schultasche und schlug sie auf.

Mein Erstaunen konnte nicht größer sein. Da prangte eine halbseitige Anzeige:

„Frankfurter Rundschau - Leserreise nach Nordindien. Lernen Sie den Buddhismus kennen. Besuchen Sie mit uns Klöster der vier buddhistischen Schulen und erfahren sie mehr über Buddhas Lehre – incl. Audienz bei S. H., dem Dalai Lama.“

WOW!!! Ein Fingerzeig des Himmels!!! Dass es auch in Europa Buddhismus gab, wusste ich damals noch nicht, alles. Was mit Religion zu tun hat, war bislang nicht meine Welt. Buddhismus, das war Asien. Und wenn man den Buddhismus kennen lernen will, dann bleiben nur Bücher oder Asien. So dachte ich damals in meiner Einfalt.

Allerdings lehnte ich aus ökologischen Gründen Flugreisen ab, da dies die weitaus problematischste Art zu reisen ist; für die Luftchemie und damit für den Klimawandel noch wesentlich problematischer als der Autoverkehr. Und just in diesem Jahr machte ich in einer Gruppe namens „energy watch“ mit, hatte diese sogar bei uns im ÖkoBüro Hanau initiiert. Und ich wollte fliegen? Interkontinental! Grauenhaft!

Selbstverständlich war der Klimaschautz wichtig. Aber diese eine Ausnahme musste jetzt einfach sein. (In der Tat habe ich danach ein Vierteljahrhundert  keine Flugreise mehr unternommen.) Ich las die Anzeige, diesen Fingerzeig des Himmels, wieder und wieder, auch als ich schon aus dem Zug ausgestiegen und auf dem Weg ins ÖkoBüro im Auwanneweg in Hanau-Großauheim war. Als ich endlich von der Zeitung aufschaute, stellte ich fest, dass ich zum ersten Mal in den über vierzig Jahren, da ich hier wohne, an meinem Haus vorbei gelaufen war. Also zurück.

Im Erdgeschoss war das ÖkoBüro. Im ersten Obergeschoss, dort wo früher die Zahnarztpraxis war, wohnten Eleonore und ich, oben unter dem Dach wohnten unsere drei Kinder. Ich ging jedoch gar nicht in die Wohnung, sondern gleich unten ins ÖkoBüro, füllte den Buchungsabschnitt für die Reise in der Frankfurter Rundschau aus und faxte ihn weg – bevor ich es mir aus ökologischen Gründen womöglich doch wieder anders überlegen würde. Ich hatte ihn für zwei Personen ausgefüllt.

Dann ging ich in meine Wohnung, wo ich Eleonore vorfand: „Tag, Eli, ich bin jetzt Buddhist. In zwei Monaten fliege ich nach Indien um dort die vier Schulrichtungen des Buddhismus zu studieren und den Dalai Lama zu treffen.“

Eleonore kannte mich jetzt seit zwanzig Jahren, d. h. sie war von mir einiges gewohnt, sodass sie nicht etwa fragte. „Bist du denn jetzt ganz verrückt geworden?“ Nein, sie nahm es mit Fassung und sagte nur: „Aha. Allein?“

Nein, Eli, ich habe gerade schon den Flug gebucht, für zwei Personen. Kommst du mit? Wenn nicht, frage ich die Rübe (Name geändert), die kommt bestimmt mit.“ Unsere älteste Tochter Kohlrübchen (kurz: Rübe) war inzwischen 16 Jahre und Reisen waren ihr Hobby.

Brauchst du nicht, Horst, ich komme mit“, antwortete Eleonore.

Wem dies als eine ziemlich verkürzte Darstellung des Ablaufs erscheint, den muss ich enttäuschen. Genau so hat sich das abgespielt. Auch wenn man mir inzwischen einiges zutraut, so stellt sich die geneigten Leserin vielleicht doch die Frage: warum hat Eleonore so spontan zugesagt? - Nun, die Antwort ist recht einfach. Hätte sie es nicht getan, wäre ich eine Treppe höher gegangen und hätte die Rübe gefragt - und Eli hätte ihre Chance vertan. Sie kannte mich inzwischen gut genug, um das abschätzen zu können. Ist ja auch klar: Ein Mann – ein Wort.

Noch am gleichen Tag beantragte ich die Visa, wir machten Termine beim Arzt für die nötigen Impfungen und ich besorgte mir in den nächsten Tagen vier Bücher über den Buddhismus, um mich auf die Reise vorzubereiten. Das mit den Büchern war die klügste der genannten Entscheidungen. Ohne dieses Basis-Studium des Buddhismus hätte mich die Reise vermutlich ähnlich abgeschreckt wie Eli. Ich aber kaufte mir die Bücher nicht nur, sondern las sie auch, studierte sie, exzerpierte sie sogar. „Buddhismus“, so erklärte ich mit dem Brustton der Überzeugung, „ist die logischste, die vernünftigste und damit auch die zeitgemäßeste aller Religionen.“ - „Mal sehen“, sagte Eleonore.

Ich wäre vielleicht nicht sofort auf das Reiseangebot gehüpft, wenn ich es irgendwo anders gesehen hätte, im Aushang eines Reisebüros vielleicht. Aber die Frankfurter Rundschau genoss in meinen Augen ein ziemliches Ansehen. Sie war eine große, seriöse Zeitung. Wie ich später erfahren habe, hatte aber der Leiter eines relativ kleinen Reisebüros in Mittelhessen einfach zufällig gute Beziehungen zu einem der leitenden Redakteure und hatte diesem die Reise angeboten. Wenn die Anzeige kostenlos geschaltet würde, könnte die Rundschau das als „Leserreise“ anbieten, das wäre eine win-win-Situation. Der einzige, der dabei nicht gewann, war der tatsächlich am Buddhismus interessierte Leser, also ich. Irgendwie schade.

In der zweiten Augusthälfte des Jahres 1992 starteten wir mit einer Gruppe von 18 Personen auf dem Rhein-Main-Flughafen. Die Reise lag insofern günstig, als sie in die letzten beiden Ferienwochen fiel, sonst hätte ich nicht daran teilnehmen können.

Zunächst ging es nach Dehli. Indien ist allerdings keineswegs ein buddhistisches Land. Der Buddha lebte zwar in Indien, Indien ist jedoch mehrheitlich ein hinduistisches Land. Es gibt allerdings auch eine starke moslemische Minderheit. In der Tat war Indien damals „das größte islamische Land“ insofern in Indien mehr Moslems lebten als in irgend einem anderen Land der Welt, über 150 Millionen. Auch das Christentum war in Indien stärker vertreten als der Buddhismus, zu dem sich nur etwa 1 % der Bevölkerung bekannten - was immerhin 15 Millionen Menschen waren.

In Dehli besichtigten wir hinduistische Tempel und eine Moschee. Was mich am meisten betroffen machte, war jedoch nicht die riesengroße Armut - überall lebten unzählige Menschen auf der Straße, schliefen auf den Verkehrsinseln, wo immer es einen Platz zum Liegen gab. Nein, das war für mich nicht das Schockierendste, solche Armut hatte ich in den indischen Metropolen erwartet. Was mich am meisten unangenehm überraschte, war die ungeheure, spürbare, gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung. Kaum war ich zehn Minuten aus dem klimatisierten Hotel (Holiday Inn) heraus, bekam ich heftige Kopfschmerzen.

Das zweite, was mich besonders störte, war eine Mischung aus imperialistischer Tradition aus der Zeit des britischen Empire und der Degeneration des späten Sowjetsozialismus. Ein Beispiel dazu: wir wollten zum Frühstück in unserem Hotel. Der ganz riesige Raum ist leer, davor ist aber ein Absperrungsseil, „No entrance before 8 a. m.“ Also anstehen, queuing – hinsetzen verboten, obwohl alles voller Stühle und eingedeckter Tische steht. Anstehen allerdings nicht bis 8.00 h, sondern bis 8.40 h, bis sich der erste der Herren Diener dazu herablässt, die Absperrung aufzuheben. Nun kann man sich aber nicht setzen, sondern muss darauf warten platziert zu werden. Das dauert dann bis 9.00 h.

Es gibt ein großes Buffett. Dort darf man sich aber nicht bedienen, sondern muss bestellen. Jedes einzelne Teil muss man dem uniformierten Kellner nennen. Dann geht der Kellner. Und ist erst einmal weg.

Etwa eine halbe Stunde später kommt er wieder. Inzwischen ist der bestellte Kaffee kalt, denn den hat er zuerst eingeschenkt, bevor er alles andere erledigte. Vier Scheiben Toast mit Butter hatte ich bestellt – in Ermangelung von richtigem Brot. Zu den vier Scheiben Toast bekomme ich abgepackte winzige 10 gr. Butter. Ich versuche mir selbst Butter zu besorgen und werde von einer aufgebrachten Horde Ordnern verscheucht. Erhalte eine Verwarnung: noch ein solcher Versuch und ich muss das Restaurant verlassen. Nach weiteren 20 Minuten gelingt es mir, wieder einen Kellner an den Tisch zu bekommen, ich bestelle nochmals Butter „three packages, please“.

Der Kellner kommt – geraume Zeit später - wieder, mit einer Packung. Auf meine Reklamation bekomme ich die Antwort: „Only one package per order“, ich könne ja ggfs. eine weitere bestellen. Aber nicht bei ihm, er habe jetzt Dienstschluss. Also 20 Minuten warten auf den nächsten Kellner. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, es handele sich um eine Mixtur aus britischem Imperialismus und degeneriertem Sowjetsozialismus.

Von Dehli aus ging es mit dem Zug nach Norden, leider 1. Klasse. Draußen sind es 35 Grad, der Zug ist auf gefühlte 5 Grad heruntergekühlt. Die anwesenden Inder, die dies wussten, reisen im Anorak. Wir haben aber nur unsere Sommerkleidung dabei. Anschließend geht es mit dem Bus weiter. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt etwa 25 km/h, weil sich auf der Straße alles tummelt: Menschen, Kühe, Hühner, Fahrräder, Büffelkarren... Das ist abwechslungsweise einmal äußerst angenehm, eine sehr schöne, entspannte Art zu reisen!

In Dharamsala sind wir in einem kleinen Hotel, das ganz nett ist, bis auf die Spinnen (schwarz, 10 cm Durchmesser), die sich allerorten finden: in unserem Bad, auf den Fühstückstischen... Aber Eleonore, die sich vor Spinnen fürchtet, gewinnt auch dem noch eine gute Seite ab: „Gut, dass du nicht mit der Rübe hierher gekommen bist!“ Unsere Tochter hat eine ausgewachsene Arachnophobie.

Eigentlich sind wir in Dharamsala, um den Dalai Lama zu treffen. Es stellt sich jedoch heraus, dass unser Reisebüro keine Audienz beim Dalai Lama angemeldet hat. Also müssen unsere Reiseleiter versuchen, etwas zu arrangieren. Da gibt es einmal die deutsche Reiseleiterin, die allerdings von Indien kaum und vom Buddhismus keine Ahnung hat. Das würde, so heißt es, ausgeglichen, weil man vor Ort immer einheimische Führer dabei haben müsse, wohl eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der indischen Regierung.

Die indische Reiseleitung besteht aus Jagminder, einem Angehörigen der Sikh-Religion, der auch keine Ahnung vom Buddhismus hat, der aber ein hochintelligenter und sehr einfühlsamer Mensch ist und im Zweifelsfall immer eine unorthodoxe Lösung weiß. Und dann gibt es da noch Abinash, der ein Hindu ist und vom Buddhismus auch keine Ahnung hat, er behauptet sogar, es gäbe gar keinen Buddhismus, nur eine Richtung im Hinduismus, die den Buddha besonders verehre. Aber Abinash hat Germnanistik studiert, was bedeutet, dass er nicht nur English, sondern auch gebrochen Deutsch spricht. Außerdem hält er sich für etwas Besseres, da er Brahmane ist. Abinash ist nicht sehr hilfreich, aber zum Glück haben wir Jagminder.

Doch diesmal können die beiden nicht einmal im Doppelpack etwas ausrichten: beim Dalai Lama ist kein Termin zu bekommen. Jagminder berichtet: „Wir haben alles versucht; das einzige, was wir ausgelassen haben, ist auf die Knie zu fallen und dem Sekretär des Dalai Lama die Füße zu küssen.“ Also wenn ich der Dalai Lama wäre, ich hätte mir auch keine Zeit genommen für eine Gruppe Sightseeing-Touristen – denn nichts anderes war diese Reise – den Guru zu spielen. In unserer Gruppe war ich mit Abstand derjenige, der am meisten Ahnung vom Buddhismus hatte, nur weil ich vorher vier mickrige Bücher gelesen hatte...

So ließen wir Dharamsala hinter uns und überquerten auf dem Weg nach Ladakh einen Kamm des Himalaya auf einem über 5000 m hohen Pass, wo die Luft doch recht dünn war, so dass das Gehen ziemlich anstrengte. Diese Busfahrt war höchst interessant. Wir übernachteten in einfachen „Hotels“; ein solches Hotel ist ein einmastiges Zirkuszelt, wo man auf Decken schläft. Man versicherte uns, alles sei sehr sauber, die (lakenlosen) Decken würden schließlich jedes Jahr einmal gewaschen! Statt Toiletten gab es ein Gebüsch in der Nähe und als Dusche diente der Wasserfall. Dafür kostete die Übernachtung nur einen US-$.

Man hatte uns außerdem gewarnt, irgendwo in Indien Wasser zu trinken, außer natürlich das in abgepackten Wasserflaschen. Die gab es auch im Bus zu kaufen. Die leeren Flaschen wurden in einem Abfalleimer gesammelt. Während einer Pinkelpause beobachtete ich, wie Jagminder mit dem Abfalleimer voller leerer Plastikflaschen zum Bach ging und sie wieder auffüllte. Er lächelte mich breit an: „European tourists only drink water from the bottle, so it´s my duty to support them with what they like - and so they are happy.“ - „Jagminder“, sagte ich, „you are a wise man.“ Damit sagte ich ihm allerdings nicht Neues.

Wie wenig weise ich allerdings war, wurde mir am nächsten Tag deutlich. Wir überquerten diesen Pass nach Ladakh auf einer Straße, an der Straßenarbeiten stattfanden. Ladakh ist der Teil Indiens, der direkt an Tibet grenzt, ein Teil des Bundesstaates Jammu and Kashmir (J&K). Ladakh hat als einziger Teil Indiens eine buddhistische Kultur, eigentlich eine tibetisch-buddhistische, hier leben nur etwa 300.000 Menschen. Das Land war bis in die 70er Jahre praktisch von der Außenwelt abgeschnitten und wurde erst danach verkehrsmäßig erschlossen, was zwei Gründe hat, einmal militärische, es grenzt an die beiden potentiellen Gegner Indiens, an Pakistan und an China, und zum anderen touristische. Da Tibet damals noch nicht zugänglich, aber zunehmend en vogue war, konnte man Ladakh als Tibetersatz vermarkten. Die Erschließung mit einem Straßennetz erfolgte also genau aus diesen beiden Gründen.

Und nun fuhren wir auf einer solchen Straße und konnten sehen, wie hier der Straßenbau erfolgte. Es war wirkliche Knochenarbeit, und wahnsinnig viele Menschen arbeiteten an Landbewegungen und an der Asfaltierung. Die Männer waren schwarz, sie hatten die Farbe des Asfaltes angenommen - und sie husteten. Sie kochten Teer in Fässern, gossen diesen dann mit Eimern über den Split. Anschließend verteilten sie diese Masse mit Schiebern und hinterher fuhren Straßenwalzen darüber. Viele hundert Menschen arbeiteten an jeder dieser Baustellen, und unser Bus stand stundenlang im Stau. Ich nutzte die Zeit zum Rechnen. Ich wusste von den Rütgerswerken in Großauheim, die früher (von den Anfängen der Eisenbahn bis zum 2. Weltkrieg) die Eisenbahnschwellen mit Teer imprägnierten, wie niedrig die Lebenserwartung der Arbeiter damals war und dass über die Hälfte dieser Arbeiter an Lungenkrebs starben.

Von all den Arbeitern hier war keiner über 30. Ich weiß nicht mehr genau, wie meine Rechnung ging. Ich unterstellte aber, da der Straßenbau zwei Gründe, militärische und touristische hatte, dass rechnerisch 50 % der Krebstoten hier auf den Tourismus zurück zu führen sei. Ich berechnete überschlagsmäßig die Anzahl der eingesetzten Arbeiter, deren augenscheinliche Lebenserwartung, las im Reiseführern die Anzahl der Touristen pro Jahr und seit der Öffnung Ladakhs für den Tourismus nach und stellte fest, dass auf 1000 Touristen durchschnittlich ziemlich genau 500 Krebstote zurück zu führen sein müssten.

In unserem Bus waren 18 Touristen, wir sind – im statistischen Mittel - am Tod von neun dieser Männer schuld. Jeder an 0,5 Krebstoten. Nachfrage nach Tourismus tötet Menschen. Davon 0,5 Arbeiter durch mich. Doch halt: ich habe nicht nur meinen halben Krebstoten verschuldet, sondern auch den von Eleonore, denn die Reise für uns beide ist nur auf mich zurück zu führen. Das bedeutet letztendlich: Ich habe einen dieser Menschen getötet – oder ich bin gerade dabei einen zu töten! (Stochastisch jedenfalls, also auf der wissenschaftlichen Grundlage von Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung)

Wir standen im Stau und ich pickte mir einen dieser hart arbeitenden Männer heraus: das ist der Inder, den ich getötet habe bzw. den zu töten ich gerade dabei bin. Durch meine unüberlegte Nachfrage nach einer Reise. Vor meiner Reise hatte ich nur ein schlechtes Gewissen, wegen den klimatischen Auswirkungen des Flugverkehrs. Aber hier wurde es noch viel deutlicher: dieser arme Inder da draußen, der im Gegensatz zu mir nichts von den Gefahren des Teers für die Lunge weiß, den töte ich gerade. Durch meine unüberlegte Konsumentscheidung.

Ich hatte mich noch nie so miserabel gefühlt. Lehrte nicht der Buddha das Entstehen in Abhängigkeit? Dass Handlungen Folgen haben? Hätte ich nicht so unüberlegt gebucht, sondern mich erst einmal kundig gemacht, so hätte ich all die Informationen, die ich jetzt habe, auch vorher bekommen können. Dann hätte ich entscheiden können, ob ich diesen Mann wirklich töten will. Aufgrund fahrlässigen Unterlassens habe ich dies nicht getan. Es ist kein Mord, den ich gerade begehe, aber es erfüllt eindeutig den Tatbestand der fahrlässigen Tötung.

Und dann stieg auch der Gedanke von Karma in mir auf. Handlungen haben Folgen, die sich letztendlich auch gegen den Handelnden richten werden, das ist das Gesetz von Ursache und Wirkung im kamma niyama, auf der Ebene ethisch bewertbarer Handlungen. Was habe ich dafür verdient? Ich glaubte, ich hätte dafür den Tod verdient.

Aber hatten den nicht alle anderen hier genauso verdient? Wäre es nicht gerecht, wenn wir alle dafür büßen müssten? Wäre es nicht nur folgerichtig, wenn unser Bus in die Schlucht stürzte? Nun alle waren nicht schuld, Jagminder mit Sicherheit nicht. Vielleicht wäre es nur gerecht, wenn unser Flugzeug auf dem Rückweg abstürtzte? Lauter Klimasünder und Touristen. - Eleonore kann aber nichts dafür. All dies waren Gedanken, die mir damals durch den Kopf gingen und noch einige Zeit danach.

Ich war damals noch nicht lange Buddhist, ich hatte noch etwas vereinfachte, schematische Vorstellungen von der Wirkungsweise von Karma. Heute würde ich das nicht mehr genau so sehen. Aber die Schuld durch Fahrlässigkeit, die sehe ich noch genau so: Wir verursachen durch unüberlegten Konsum allerlei Schäden, die man vermeiden könnte, wenn wir nicht so gierig und so verblendet wären. Wann immer ich mein Portemonnaie öffne, wann immer ich eine Kreditkarte zücke, verursache ich irgendwelche Schäden. Im Extremfall so katastrophale wie durch diese Reiseentscheidung. Daher: Mit Stille, Schlichtheit und Genügsamkeit, versuche ich mich seitdem allmählich zu läutern.

Auch in Ladakh erfuhren wir nichts über den Dharma, die Lehre des Buddha. Wir bekamen einen weiteren Reiseführer, der von Buddhismus in Ladakh nicht den Schimmer einer Ahnung hatte. Aber offensichtlich ist dies eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme: Reisegruppen müssen einheimische Führer haben. Und diese Stellen werden offensichtlich nicht nach dem Leistungsprinzip vergeben, denn die sog. Führer müssen offenbar von nichts eine Ahnung haben, sondern die Stellen werden wohl über Vetternwirtschaft oder Bestechung vergeben.

Wenn man diesen Reiseführer etwas fragte, zum Beispiel, warum dort ein gelber Buddha mit Schwert dargestellt sei, so erhielt man die Auskunft. „Yes, this Buddha yellow. Buddhas all colours. Blue Buddha is Medicine-Buddha.“ Das war nun nicht eigentlich das, was ich gefragt hatte. Und auch auf insistierende Nachfrage kam man nicht weiter. „Yes, many colours, blue Buddha Medicine-Buddha.“

Daneben bekamen wir allerlei merkwürdige, verstaubte und mit schmutzigen Tüchern zur Unsichtbarkeit verhängte Figuren zu sehen, denn, so sagte man uns, das seien derartig furchterregende Dämonen, dass wir mit Sicherheit sofort tot umfallen würden, wenn wir ihrer ansichtig würden. Diese und viele ähnliche Szenen mehr machten mich ratlos, während Elis Meinung sich festigte: dies sei alles primitiver, barbarischer Kult, habe nichts mit einer vermeintlich rationalen Religion, von der ich ihr vorgeschwärmt hatte, zu tun. Sie glaubte inzwischen sogar Belege für Menschenopfer im Buddhismus Ladakhs gefunden zu haben. So ging unsere Entfremdung weiter und meine Hoffnung, ihr die Schönheit des Dharma zu zeigen, war nicht nur gescheitert, sie war konterkarriert worden. Und ich kann es ihr nicht einmal verdenken.

Schließlich verkaufte man uns in einem Kloster einen absolut lebensnotwengen Gegenstand, wie man uns versicherte. Jeder musste einen kaufen, was nicht so schlimm war, er kostete nur umgerechnet 50 Pfennig. Das sei etwas gaaaaaaaanz wichtiges Buddhistisches. Ich habe später recherchiert: es handelte sich um eine Geisterfalle.

So verging die Zeit ohne irgendwelche spirituelle Erkenntnisse, nur mit der Gewissheit, der Umwelt und den Menschen in Indien geschadet zu haben. Und mit der weiteren Entfremdung zwischen mir und Eli.

Der Abschluss unserer Reise wurde dann noch einmal richtig abenteuerlich.

Es gab damals nur drei Straßen aus Ladakh und eine Flugverbindung vom Flughafen Leh aus. Eine der Straßen, die nach Tibet, war seit Jahren aus politischen Gründen gesperrt, die wollten wir aber auch nicht nehmen. Die Straße, über die wir gekommen waren, war inzwischen wegen Schnee gesperrt (es war um den 1. September herum) und würde frühestens Ende April, vermutlich erst im Mai wieder passierbar sein. Blieb eine Straße nach Srinagar - dort herrschten allerdings bürgerkriegsähnliche Unruhen - und die Flugverbindung.

Eigentlich wollten wir fliegen, naja, ich nicht wirklich, aber die Reiseplanung sah das so vor. Durch den frühen Wintereinbruch wollten jedoch viel mehr Menschen Ladakh mit dem Flugzeug verlassen als üblich. Es gab aber nur ein Flugzeug pro Tag. Der Flug ging vormittags um 11 h. Man musste aber spätestens um 5 h am Flughafen sein, um sich anzustellen. Also lungerten wir am nächsten Morgen in aller Frühe vor dem Flughafen. Das Flugzeug kann allerdings nur eine bestimmte Anzahl von Passagieren mitnehmen, weniger als die Maschine Plätze hat, denn die Startbahn ist genau auf einen Berg ausgerichtet. In Abhängigkeit vom Luftdruck entscheidet der Pilot, wie viel Zuladung möglich ist, so dass er den Berg nicht trifft, sondern die Luft darüber. Angeblich gab es nur vier Piloten, die überhaupt diesen Flughafen anfliegen durften... Wir kamen an diesem Tag nicht einmal ins Flughafengebäude herein.

Also am nächsten Tag wieder äußerst früh aufstehen und wieder am Flughafen anstehen, wieder warten viele Menschen, wir waren diesmal noch früher da, denn beliebig oft kann man das Spiel nicht machen. Irgendwann, in etwa einer Woche wird das Wetter so sein, dass die Flugverbindung eingestellt wird. Dann sitzt man hier im Himalaya fest - bis Mai. An diesem Tag kamen wir immerhin bis ins Flughafengebäude. Abgesehen davon, dass wir nicht für eine Überwinderung im Himalaya ausgerichtet waren: Was würde mein Arbeitgeber dazu sagen, was wäre mit unseren Kindern zuhause?

Am dritten Tag - es war inzwischen der Tag an dem die Schule wieder beginnen sollte - waren wir noch früher dran. Einer aus unserer Gruppe, ein älterer Mann, war inzwischen ernsthaft erkrankt. Da auch der US-Botschafter an den beiden letzten Tagen nicht aus Leh heraus gekommen war, ließ der sich von der amerikanischen Regierung mit einem Hubschrauber herausholen, solange noch Flugverkehr möglich war. Und dieser Helikopter nahm auch unseren Invaliden mit. Da waren wir noch 17. An diesem dritten Tag durften wir das Flughafengebäude passieren und kamen in einen Bus, der uns zum Flugzeug bringen sollte. Der Bus war etwas abseits an einer Anhöhe geparkt, denn seine Batterie war leer, und er musste daher immer ein Stück abwärts rollen, bis der Motor ansprang. Bevor dies geschah, mussten wir aber wieder den Bus verlassen: der Luftdruck war gefallen und daher passten weniger Passagiere ins Flugzeug.

Zwischenzeitlich wurde auch durchgespielt, was sei, wenn nur ein Teil der Gruppe ausgeflogen werden könnte und der andere dort überwintern müsste. Da ich immer noch befürchtete, dass aus karmsichen Gründen (wegen der krebskranken Straßenarbeiter) ein großer Teil von uns, vor allem ich, den Tod verdient habe, und es daher nur plausibel wäre, wenn unser Flugzeug abstürzte, wollte ich bei denjenigen sein, die ins Flugzeug kamen. Aus irgendwelchen Gründen glaubte ich, dass die Früchte des Karma schnell reif sein würden. Ich sagte also, ich würde ins Flugzeug gehen, Eleonore bis zum nächsten Jahr zurückbleiben. Ihr sagte ich jedoch nichts von meinen Überlegungen hinsichtlich der erwarteten karmischen Wirkung auf den Flug, sondern gab einen anderen Grund an.

Neue Hiobsbotschaft: die letzte verbliebene Straße, die über Kargil an der pakistanischen Grenze in die Unruhestadt Srinagar, sollte am übernächsten Tag gesprengt werden – aus militärischen Gründen. Im Frühjahr solle eine neue Straße gebaut werden, daher müsse die alte noch vor Wintereinbruch weg. (Diese Logik erschloss sich mir nicht, aber so versicherte man es uns). Es gab aber keinen Bus dorthin. Die einzige Alternative zum Flugzeug wäre ein Taxikonvoi.

Wir versuchten daher sicherzustellen, dass wir einigermaßen intakte Taxis bekämen. Unser Anspruch war: Reifen mit Profil, zwei unabhängig voneinander funktionierende Bremssysteme (also Hand- und Fußbremse), mindestens ein funktionierender Scheinwerfer. Jagminder sollte den Taxifahrern unsere Ansprüche überbringen.

Er kam leider unverrichteter Dinge zurück: wenn wir unsere übertriebenen deutschen Sicherheitsbedenken und Bedingungen nicht zurücknähmen, bekämen wir nicht nur keine Taxis, um aus Ladakh herauszukommen, wir würden dann auch nicht einen Taxifahrer finden, der uns in den nächsten acht Monaten, in denen wir hier festsäßen, irgendwohin brächte. Die Taxifahrer saßen eindeutig am längeren Hebel.

Am nächsten Tag ging die Fahrt im Taxikonvoi los -mit abenteuerlichen Fahrzeugen, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann allerdings. Die Fahrt dauerte zwei Tage. Neben der unbefestigten Straße gähnte ein Abgrund, manchmal nur einige 100 Meter tief, manchmal 2000 m – was zugegebenermaßen eigentlich auch keinen großen Unterschied mehr machen dürfte.

Unser Taxi hatte natürlich keinen einzigen Scheinwerfer. Es hatte auch keine Handbremse, die hing kaputt zwischen den Sitzen – ich hatte in Ladakh überhaupt kein Taxi mit einer funktionierenden Handbremse gesehen. Bei der Fußbremse musste der Fahrer immer erst viermal pumpen – also gewissermaßen auf der Bremse ins Leere treten, bis sie funktionierte – irgendwas mit der Hydraulik. Die Reifen, mit der es die 1000 km lange Schotterstraße entlang gehen sollte, waren besonders sehenswert. Natürlich war das Profil abgefahren, und das Stahlgewebe der Stahlgürtelreifen war nicht nur sichtbar, sondern teilweise auch schon durchgefahren. Aber der Taxifahrer hatte große Teile von geplatzten LKW-Reifen um seine Reifen gewickelt und mit Stricken und Drahtstücken befestigt. So gab es zumindest eine Art Lauffläche.

Der schlechteste der vier Reifen war vorn auf der Fahrerseite, damit der Fahrer ihn sich in jeder Rechtskurve betrachten konnte. Auf der durchgescheuerten Außenseite schlug das Gummi nämlich zwei ziemlich bedenklich große Blasen, und der Fahrer wollte immer beobachten, ob und wie stark diese sich vergrößern. Er hatte vor, den Zeitpunkt kurz vor dem Reifenplatzen abzuwarten um... Ja, um was ... habe ich auch nicht herausgefunden. Die Reifen hielten gottlob.

In Kargil gelang es uns zu telefonieren. Telefonieren geht überall dort nicht, wo man es erwartet, also beispielsweise im Hotel, auf der Post oder im Telefon-Shop. Man hatte uns aber den Tipp gegeben, auf der Straße nach einem Mann mit einem Telefon zu suchen. Damit ist natürlich kein Handy gemeint, so etwas gab es noch nicht. Tatsächlich kam uns einer mit einem alten schwarzen Wählscheibentelefon und einem altertümlichen Hörer auf einer mächtigen Gabel entgegen, solche Fernsprecher kannte ich noch aus den 50er Jahren. Über dem Arm hielt er das ungefähr 8 m lange Telefonkabel.

You are the telephone-man?“ - „Yes, want call?“

Can we call to Europe, to Germany?“ - „No problem, if you know the number.“

Er reichte uns das Telefon, sagte wir sollten einen Moment warten, dann stieg er mit der Telefon-Schnur am Telegrafenmast hoch, befestigte irgendwie seine Leitung an der Strom- oder Telefonleitung, die an den Hausdächern entlang ging, und wir konnten erstmals aus Ladakh zuhause anrufen.

Die Sache mit dem Telefon, so fand ich, toppte noch das Verfahren beim Bügeln. Wir hatten in Ladakh Wäsche waschen lassen – von Waschfrauen am Bach. Dann suchten wir nach einem Bügler. Tatsächlich trafen wir auf der Straße einen, der mit einem Bügeleisen und einem Bügelbrett entlang ging. Auch er stellte sich als Bügelmann vor. Dann nahm er die Enden der Schnur seines Bügeleisens. Dort wo normalerweise der Stecker ist, lagen die Drähte blank. Er bog sie in einem spitzen Winkel um, hängte sie in eine der über der Straße befindlichen Stromleitungen und begann unsere Wäsche zu bügeln.

Life can be this easy... if you live it the Indian style.

Wir erreichten im Taxikonvoi alle heil Srinagar, wo wir auf einem Hausboot auf dem Dal-See übernachteten – alle Hotels waren von der Armee requiriert. Auf den Straßen stand alle 10 m ein Soldat mit einem Schnellfeuergewehr hinter Sandsäcken. Auf dem Weg durch die Stadt wurden wir elf Mal vom Militär kontrolliert. (Das bedeutete, dass elf Mal andere Reisende meinen Koffer öffnen mussten, da ich grundsätzlich keine Anweisungen von bewaffneten Soldaten annehme.)

Zum Glück bekamen wir ein Flugzeug für die Strecke von Srinagar nach Dehli. Am Abend in Dehli erfuhren wir in den Fernsehnachrichten, dass bewaffnete Terroristen heute vorübergehend die Kontrolle über diese Straße erlangt hätten und dort elf europäische Touristen in ihre Gewalt gebracht hatten. (Monate später hörte ich in den Nachrichten, dass alle hingerichtet worden waren.)

Anmerkung: vermutlich vermisst die geneigte Leserin Fotos in diesem Bericht. Ich lehnte damals Fotografien als „Akt des Anhaftens“ ab. Heute sehe ich das etwas weniger eng.


Zurück zu  Der verschlungene Pfad in Richtung eines Lebens zum Wohl aller Wesen.
Zurück zur Heimatseite